Vor 20 Jahren … Geschichtsfälschung in der Bundeswehr ?
Vor 20 Jahren trug die Sommerausgabe des Antifaschistischen Infoblattes (AIB Nr. 34) den Titel „Widerstand gegen den deutschen Militarismus“. Im Editorial schilderten wir: „Seit der Wiedervereinigung präsentiert sich uns eine andere BRD. Nach Abschüttelung der von den Alliierten aufgesetzten Beschränkungen und der weitgehenden Selbstbefreiung von der Schuld am Nationalsozialismus zum 8. Mai 1995 ist Deutschland bereit, sein Macht- und Wirkungsfeld wieder auszudehnen und zur wirtschaftlichen und politischen Weltmacht zu werden. Einher damit geht eine immer stärker werdende Militarisierung.“
Der Schwerpunktartikel „Geschichtsfälscher“ berichtet über die revisionistische Agenda des Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) der Bundeswehr. Dort entstand eine Veröffentlichung, die den Vernichtungskrieg der Nazis gegen die Sowjetunion zu einem Präventivkrieg umdeutet, antisemitische Züge trägt und vermutlich nur knapp an der „Auschwitzleugnung“ vorbeilaviert. Ihr Autor Joachim Hoffmann war von 1960 bis 1995 am MGFA tätig, zuletzt als Wissenschaftlicher Direktor. Hoffmann war nach Ernst Nolte der zweite Aktivist des Historikerstreites aus den 1980er Jahren, der damit seine Nähe zur Rechten dokumentierte.
Das erstmalig 1995 veröffentlichte Buch „Stalins Vernichtungskrieg 1941–1945“, war — wenn gleich der Autor mittlerweile pensioniert war — noch im MGFA zustande gekommen. Der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, so Hoffmanns Hauptaussage, sei ein Präventivkrieg gewesen, denn eigentlich habe Stalin mit Hilfe eines „antideutschen Volks- und Rassenhasses“ die Vernichtung des deutschen Volkes geplant. Hitler sei ihm nur knapp zuvorgekommen. Bei der Zahl von sechs Millionen ermordeter Juden handle es sich „um eine Zahl der Sowjetpropaganda“. Ebenso wie für das „Auschwitzproblem“ mag er auch für die „Gasangelegenheit“ keine rechten Beweise finden und verweist dafür auf eine „mit Kenntnis und Scharfsinn“ geführte Debatte in der inoffiziellen Literatur und den „abgelegenen Publikationen“, die jedoch „durch amtlich dekretierte Denk- und Formulierungsverbote“ beeinträchtigt seien. Dieser codierte Rückgriff auf die „Auschwitzlüge“ machte es wohl erforderlich, das Buch vorab auf mögliche Straftatbestände überprüfen zu lassen, wofür der Autor im Vorwort einem „Vorsitzenden Richter“ Johann Birk aus Freiburg dankte. Er wird Hoffmann wohl auch empfohlen haben, Behauptungen wie, die bolschewistische Herrschaft in den 1920er Jahren habe „tatsächlich gewisse ,jüdische’ Züge“ getragen, als Zitate zu kennzeichnen.
Doch Hoffmann war kein Einzelfall. Zwar mochte weder das MGFA noch die Bundesregierung seine Ansichten so recht teilen, zu einer öffentlichen Klarstellung war man aber nicht bereit und sichtbare Konzequenzen wurden nie gezogen. In Neonazikreisen war das Buch begehrt, denn es war nicht am schmuddeligen Küchentisch eines Holocaustleugners verfaßt, sondern hatte eine quasi amtliche Reputation. Nicht nur Hoffmann erweckt den Eindruck, es handle sich um ein Gemeinschaftswerk des MGFA.
Manfred Kehrig schrieb ein wohlwollendes Vorwort und unterzeichnete dieses mit seiner dienstlichen Funktion als leitender Archivdirektor des Bundesarchiv-Militärarchiv. In der Vorbemerkung dankt Hoffmann seinem Amtschef im MGFA, dem Brigadegeneral Günter Roth, für verständnisvoll „gewährte Freiheiten“ und der Amtskollegin Karin Hepp für die Mithilfe. Schon 1988 bemerkte der Historiker Hans-Ulrich Wehler im MGFA, eine „Gruppe von Historikern um (...) Joachim Hoffmann“, die die „Präventivkriegsthese vertritt“. Der Streit habe, so Wehler, zu derartigen Spannungen im Amt geführt, daß der damalige Verteidigungsminister Manfred Wörner (CDU) einen Beirat als Kontrollinstanz eingesetzt habe. Allerdings soll dieser Manfred Wörner laut späteren Veröffentlichungen in seiner Funktion als NATO-Generalsekretär 1993 selbst bei der ultra-rechten „Düsseldorfer Herrenrunde“ als Referent aufgetreten sein.
So verwunderte es nicht, dass dem vierköpfigen Beirat der ehemalige Oberst im Generalstab der Wehrmacht und General a.D. Johann Adolf Graf von Kielmansegg und die drei Publizisten im Historikerstreits Klaus Hildebrand, Michael Martin Stürmer und Thomas Nipperdey angehörten. Der (rechts)-konservative Flügel der deutschen Historiker marschierte also nicht mehr nur durch die Feuilletons, sondern nunmehr durch regierungsamtliche Institutionen, um dort politischen Einfluss geltend zu machen. Nicht Hoffmann, sondern die liberalen Geschichtswissenschaftler haben das MGFA daraufhin verlassen.