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Interview mit der "Kampagne gegen Wehrpflicht"

Einleitung

Interview mit der "Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär" aus Berlin.

Foto: Christian Ditsch

AIB: Wer seid Ihr und was macht Ihr?

Kampagne: Die Kampagne wurde 1990 gegründet als ein Bündnis von Ost- und Westberliner Initiativen und Personen, die damals aus dem Spektrum der Hochschulvertretungen, also Asten, aus der Friedens- und antimilitaristischen Bewegung sowie aus jugendpolitischen Gruppen von Gewerkschaften und Parteien kamen. Dieses Bündnis hat sich seit 1990 weiterentwickelt, weg von einem starren Bündnis, als das es damals konzipiert war. Es hat eine gewisse Unabhängigkeit erlangt. Die Kampagne arbeitet schwerpunktmäßig in drei Bereichen: Wir machen Öffentlichkeitsarbeit gegen Wehrpflicht und Bundeswehr, helfen von der Wehrpflicht Betroffenen, und zwar nicht nur von der deutschen, sondern zum Beispiel auch von der türkischen. Wir machen normale Beratung für Leute, die sich entschieden haben, den Zivildienst zu machen, aber auch ganz spezielle Beratung bis hin zur Totalen Kriegsdienstverweigerung. Drittens veröffentlichen wir kleinere Expertisen und geben die Zeitung "illoyal" heraus, die vierteljährlich erscheint. Generell arbeiten wir bundesweit mit Organisationen aus unserem Bereich zusammen.

AIB: Kommen durch den Krieg und Deutschlands Beteiligung mehr Leute zu Euch, wird bei den Wehrpflichtigen sowas wie ein Angstgefühl sichtbar? Wächst die konkrete Angst, selber töten zu müssen oder getötet zu werden?

Kampagne: Es gibt unterschiedliche Gruppen von Wehrpflichtigen: Einmal gibt es die Wehrpflichtigen, die noch nicht gedient haben, dann gibt es die Wehrpflichtigen, die dienen, und die, die ihren Wehrdienst schon geleistet haben. In diesen drei Gruppen gibt es unterschiedliche Betroffenheiten. Seit Beginn des Krieges kommen mehr Männer zu uns, die schon gedient haben und Angst haben, wieder einberufen zu werden, falls sich der Krieg zu einem Bodenkrieg ausweitet. Es ist falsch, zu denken, man habe den Bund nach dem Wehrdienst hinter sich, denn in Friedenszeiten ist man bis zum 45. und in Kriegszeiten bis zum 60. Lebensjahr wehrpflichtig. Ehemalige Soldaten können jederzeit zu Wehrübungen oder Kriegseinsätzen herangezogen werden. Aus der zweiten Gruppe, den Soldaten, gibt es zwar Anfragen, gerade von Unteroffizieren, also freiwilligen Soldaten, die zwar noch keinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen wollen, aber abwägen zwischen dem Risiko, selber kämpfen zu müssen und dem Nachteil, den sie haben, wenn sie aufgrund ihrer Verweigerung vorzeitig entlassen werden. Dann müssen sie nämlich, falls sie eine Ausbildung bei der Bundeswehr gemacht haben, einen Teil der Kosten zurückzahlen. Das ist ein Hauptmotiv, warum der Großteil dieser Soldaten im Moment nicht verweigert. Man kann aber davon ausgehen, daß im Falle eines Einsatzbefehls diese Soldaten einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen würden. Die dritte und natürlich größte Gruppe ist die der Ungedienten, der ganz normalen Wehrpflichtigen, bei denen gibt es keinen deutlichen Impuls. In den letzten Jahren hatten wir ohnehin eine sehr hohe Verweigererquote, die 1998 bei 35 Prozent eines Jahrganges lag. Diese Quote ist im Vergleich zu den 70er/80er Jahren unvorstellbar hoch und wird sich auch durch den Krieg nicht großartig steigern. Allerdings hat das Verteidigungsministerium bis heute die Verweigererzahlen für den Monat April noch nicht bekanntgegeben. Für die »normalen« Wehrpflichtigen, die zu uns kommen, ist der Krieg kein ausschlaggebender Faktor. Was häufiger passiert, ist, daß besorgte Partnerinnen oder Eltern bei uns anrufen und sich für ihren Freund oder Sohn erkundigen. Das hat mit der Wahrnehmung des Krieges in der Öffentlichkeit zu tun. Es ist vielen nicht bewußt, daß Deutschland gerade an einem Krieg beteiligt ist. Die emotionale Betroffenheit ist nicht so da wie 1991. 1991 im Golfkrieg, wo die Bundeswehr nur indirekt beteiligt war, war das Bewußtsein in der Gesellschaft dafür viel größer. Der Rest, der nicht verweigert, akzeptiert mehr oder weniger die Bundeswehr, militärische Strukturen und auch die möglichen Konsequenzen eines Auftrages in der Bundeswehr. Wenn man betrachtet, wer heute verweigert, fällt auf, daß es zum einen überwiegend Westler sind und zum anderen die Verweigerung ein Privileg höherer Bildungsschichten ist. Jugendliche und junge Männer mit weniger guter Schulbildung erhoffen sich gute Ausbildungschancen bei der Bundeswehr. Es gab interne Befragungen von Wehrpflichtigen, die zu Auslandseinsätzen bereit sind (was man schriftlich erklären muß), wobei die Interviewten als Antwort auf die Frage nach ihren Beweggründen erstens Abenteuerlust und zweitens Geld angaben. Bei Auslandseinsätzen verdient ein Freiwilliger zwischen 120 und 180 Mark steuerfrei pro Tag. Die Bundesregierung kauft sich ihre Soldaten also richtig ein. Das hat auch nichts mehr mit einer Wehrpflichtigenarmee zu tun, sondern eher einer Söldnerarmee.

AIB: Was für Auswirkungen hat der Krieg auf Totalverweigerer? Wird mehr Druck auf diese ausgeübt?

Kampagne: Nein. Die Akzeptanz des Wehrdienstes und des Zivildienstes als Zwangsdienste geht zunehmend verloren. Dadurch steigt die Zahl der Totalverweigerer, die den Kriegsdienst ohne Waffe verweigern. Es gibt zur Zeit bundesweit drei arrestierte Totalverweigerer in der Bundeswehr. Sie bekommen in der Regel bis zu 63 Tagen Arrest, manchmal auch bis zu 84 Tage, danach kriegen sie dann einen zivilen Strafprozeß.

AIB: Steigt durch den Krieg die Akzeptanz der Bundeswehr und somit auch der Zwangsdienste wieder, und fühlen sich dadurch mehr Jugendliche zum Wehrdienst verpflichtet?

Kampagne: Es gibt in der Tat die Gefahr, daß Krieg und Militär an Akzeptanz gewonnen haben. Das sieht man sehr deutlich an der Entwicklung der Grünen oder der Friedensbewegung. Daß heute ehemalige Kriegsgegner den Kosovokrieg befürworten, stellt eine Zäsur da. Es wird für diese Leute nicht mehr möglich sein, zu ihrem früheren antimilitaristischen Standpunkt zurückzukehren, da sie ja bereits einmal zugestimmt haben. Das heißt, daß das Militär in Zukunft Unterstützer auch in den Reihen der Grünen und anderer Ex-Friedensbewegter finden wird. Dieses Spektrum wird eine moderne Armee fordern, also keine Wehrpflichtarmee, sondern eine gut ausgebildete High-Tech-Interventionsarmee, eine Freiwilligenarmee.

AIB: Könnt Ihr aufgrund Eurer Erfahrungen sagen, welche Möglichkeiten ein Soldat hat, Widerstand zu leisten, erstens generell in der Bundeswehr, zweitens speziell im Kosovo bzw. im Kriegseinsatz?

Kampagne: Das ist eine schwierige Frage. Es gibt ja noch keine Erfahrungen, wie die Bundeswehr in Kriegszeiten mit Verweigerern oder Deserteuren umgeht. Ein Soldat, der im Kriegseinsatz die Verweigerung beantragt, müßte nach Deutschland zurückgerührt werden, weil das Anerkennungsverfahren nur hier stattfinden kann. Erfahrungen mit Desertion gibt es in der BRD noch keine. Der Straftatbestand ist wie bei Totalverweigerung der der Fahnenflucht, dafür können bis zu fünf Jahre verhängt werden. Juristisch gesehen hätte es ein Deserteur im Jugoslawienkrieg gar nicht so schwer, da der NATO-Einsatz völkerrechtswidrig ist und ein Soldat jeden völkerrechtswidrigen Befehl laut Grundgesetz verweigern kann, indem er sich auf Befehlsnotstand beruft. Ein Soldat müßte eigentlich ganz gute Chancen haben, für seine Desertion nicht bestraft zu werden. Das sind die legalen Methoden, bei der Bundeswehr ein wenig Sand ins Getriebe zu streuen. Daneben gäbe es theoretisch natürlich noch eine ganze Reihe anderer Möglichkeiten, da müsste man nur seine Phantasie spielen lassen. Sand im Getriebe eines Leopard II-Panzers beispielsweise würde einen Schaden von mehreren zehntausend D-Mark verursachen können.

AIB: Habt Ihr schon was von Desertionen gehört?

Kampagne: Aus der Bundeswehr haben wir noch nichts gehört, nur aus der jugoslawischen Armee. Es ist auch ein Gegensatz zu 1991, als Einheiten der Bundeswehr in die Türkei verlegt wurden, da haben betroffene Einheiten zu 30 Prozent Kriegsdienstverweigerung betrieben. Dieses Phänomen gibt es heute nicht mehr, was auf zwei Sachen hinweist: In der Bundeswehr hat es einen mentalen Wandel gegeben, die Vorbereitungen auf einen Krieg auch in den Köpfen der Soldaten war erfolgreich. Es ist für die Soldaten nichts Überraschendes mehr, zu einem solchen Einsatz abkommandiert zu werden. 1991 hatte niemand damit gerechnet, der Einsatzbefehl war etwas sehr Plötzliches.

AIB: Wie beurteilt Ihr die hiesige Anti-Kriegs-Bewegung, seht Ihr da Perspektiven?

Kampagne: Das Fehlen einer relevanten Anti-Kriegs-Bewegung liegt zum einen daran, daß die Partei Bündnis 90/Die Grünen fehlt, die solch eine Bewegung organisatorisch unterstützt hätte, und daß Personen, die am Rande der Grünen friedenspolitisch tätig sind, an die Partei gebunden sind. Zum anderen gibt es beim Jugoslawienkrieg nicht einfach einen Gut-Böse-Blick. Im Golfkrieg war es noch relativ einfach, da wußte man, was die Motive hinter dem offiziell Propagierten waren. Das ist heute schwieriger, weil die Gründe, warum die NATO den Krieg führt, für viele die Durchsetzung von Menschenrechten sind. Es ist sehr schwer, da argumentativ gegenzuhalten, weil der Krieg lange propagandistisch vorbereitet wurde. Wir haben eine Reihe von Diskussionsveranstaltungen gemacht, wo sehr schnell der Spieß umgedreht wurde, wenn wir über die Interessen hinter dem Krieg reden wollten. Da wurde gesagt, dann bist du ja das Schwein, das die Menschenrechtsverletzungen, den Völkermord der jugoslawischen Armee gegen die Kosovo-Albaner duldet. Dann bin ich, der Kriegsgegner, derjenige, der das Blut an den Händen hat, und nicht die NATO, die ja nur helfen will. Das heißt, es gibt wiederum eine Schwarz-Weiß-Zeichnung, nämlich die NATO ist die gute Seite und die Serben die schlechte. Darum hat ja auch Joschka Fischer gesagt, zum ersten Mal in der deutschen Geschichte stehen wir auf der richtigen Seite. Das macht es schwer für generelle antimilitaristische Positionen in dieser Gesellschaft, z.B. wenn man gegen Gelöbnisse ist. Es wird schwieriger sein, öffentlich zu vermitteln, warum man was gegen Soldaten hat, die möglicherweise gerade heldenhaft irgendwo gekämpft haben. Es wurden schon Vorschläge gemacht, Heldenehrungen einzuführen, ein neuer Orden soll gestiftet werden, der bis auf das Hakenkreuz genau dem Eisernen Kreuz aus dem II. Weltkrieg gleichen soll. Gegen diese emotionale Politik mit Sachargumenten vorzugehen, wird bei der sehr militärunkritischen Presselandschaft extrem schwer werden. Das hat natürlich auch Rückwirkungen auf die Aktionsfähigkeit.

AIB: Wie sieht Euer Verhältnis zu den Grünen aus? Kriegt Ihr Druck? Euer Büro befindet sich ja in den Räumen des Berliner Landesverbandes.

Kampagne: Von den Grünen kriegen wir keinen Druck. Das Problem ist, daß in der öffentlichen Wahrnehmung die Grünen zu einer Kriegspartei geworden sind, was ich so auch sagen würde. Es wird aber oft übersehen, daß es innerhalb der Grünen Kräfte gibt, die gegen diesen Krieg tätig sind. Solange diese Position noch Relevanz in den Grünen hat, ist es zwar ein schwieriges Verhältnis zu der Partei, aber es ist noch eine Auseinandersetzung. Zu befürchten ist, daß dieser Flügel innerhalb der Partei zunehmend marginalisiert wird, sowohl durch Austritte als aber auch durch die Realpolitik. Das heißt, es ist wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit, bis antimilitaristische Positionen innerhalb der Grünen so aberwitzig anmuten, als würde man sie in der CDU vertreten. Dann ist der Zeitpunkt gekommen, wo die Kampagne mit den Grünen nicht mehr in der Form zusammen arbeiten kann wie derzeit oder wie es einmal üblich war, und dann ist es auch an der Zeit, einen Schlußstrich zu ziehen.

AIB: Vielen Dank für das Gespräch.