Die ‚Deutschen Aktionsgruppen‘ - Teil 1
Florian SchubertAnfang der 1980er Jahre, in einer Hochphase rechten Terrors, begingen die 1980 gegründeten ‚Deutschen Aktionsgruppen‘ (DA) um Manfred Roeder, in den nur sechs Monaten ihres Bestehens, fünf Sprengstoff- und zwei Brandanschläge. Durch die Anschläge wurden Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân ermordet und fünf Menschen verletzt. Sie waren eine der damals aktivsten Vereinigungen. Vor 40 Jahren endete der Prozess gegen einige der Mitglieder der DA vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht.
Der Weg zur DA in den 1970er Jahren
1970 gründete das damalige CDU-Mitglied Manfred Roeder die ‚Bürgerinitiative gegen moralische und politische Anarchie’, die im November 1971 in ‚Deutschen Bürgerinitiative‘ (DBI) umbenannt wurde. Die ins Vereinsregister eingetragene „Bürgerinitiative“ wurde am 21. Dezember 1971 als gemeinnützig anerkannt. Ihren Sitz hatte die DBI bis 1975 in Bensheim (Hessen). Dort durfte sie ein Haus der evangelischen Kirche mietfrei nutzen.
1975 zog die Familie von Roeder und der Verein in den neu gekauften ‚Reichshof‘ nach Schwarzenborn auf dem Knüll (bei Bad Hersfeld). Die DBI war von ihrer ideologischen Ausrichtung her eine neonazistische Gruppierung, die sich die Rehabilitierung des Nationalsozialismus auf die Fahnen geschrieben hatte. Mitglieder hatte sie nur wenige Dutzend. Unter ihnen war auch der HNO-Arzt Dr. Heinz Colditz aus Kirchheim unter Teck (Baden-Württemberg)1 . Colditz versuchte innerhalb der DBI einen eigenen Freundeskreis zu etablieren, den er ideologisch schulen sowie dominieren wollte. Aus diesem Personenkreis bildete sich später die Basis der DA. Bei den Treffen ging es im wesentlichen um die Relativierung des Holocaust und der national-sozialistischen Vergangenheit Deutschlands. Roeder verschickte darüber hinaus an Sympathisant*innen anfgangs unregelmäßig, dann monatlich, Rundbriefe der ‚Deutschen Bürgerinitiative‘. Er organisierte außerdem regelmäßig Treffen, die er als ‚Freundestreffen‘ bezeichnete. Des Weiteren organisierte er Demonstrationen und hielt Vorträge in Österreich, der Schweiz, aber auch in Nord- und Südamerika.
Seine politische Aktivität brachte ihn immer wieder vor Gericht. Die Strafen waren jedoch jeweils nur sehr gering. Roeder bemühte sich um Kontakte zu Altnazis und in die Neonaziszene. Ihn verband mit dem ehemaligen SS-Sonderführer Thies Christophersen, dem Herausgeber der Zeitschrift ‚Die Bauernschaft‘, eine enge Freundschaft. 1972 hatten beide zusammen mit einer Fuhre Mist und Rauchbomben in Kassel gegen die Kunstausstellung ‚documenta 5‘ protestiert (noch in der Gerichtsverhandlung 1982 bezeichnete Roeder die ‚documenta‘ als „Gruselkabinett von Untermenschen“). Roeder veröffentlichte im April 1973 die Broschüre ‚Die Auschwitzlüge‘ von Christophersen, zu der er ein eigenes den Holocaust verleugnendes Vorwort verfasste. In dieser Zeit wurde Roeder immer deutlicher in seiner Glorifizierung des Nationalsozialismus und seiner radikalen Ablehnung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschlands. Er vertrat immer stärker die Ansicht, dass eine Befreiungsbewegung aufgebaut werden müsste. Im 25. Rundbrief der „Deutschen Bürgerinitiative“ vertrat er 1974 die Meinung, dass die BRD, Österreich und die DDR nur Übergangsgebilde seien, auf dem Weg „das Deutsche Reich so schnell und so groß wie möglich wieder herzustellen“. Roeder träumte von einem Großdeutschen Reich, dessen Grenzen noch weiter reichen sollten als vor dem Versailler Vertrag. Solche revanchistischen Vorstellungen waren in der damaligen (Neo-)Naziszene weit verbreitet und erklären, warum Roeder eine bewaffnete Befreiungsbewegung, wie in Süd-Tirol, gründen wollte. In einer Rede auf einem seiner sogenannten Freundestreffen am 13. Oktober 1974 erklärte er: „Wir werden mit denen (den deutschen Kollaborateuren) abrechnen, [...] die sich dem Zionismus zur Verfügung gestellt haben, wie der Kanzler Schmidt. Diese Leute haben bei uns auf keine Gnade zu hoffen. Wenn sich das Blatt einmal wendet, [...] können sie buchstäblich bis an die Knie im Blut waten“. Kurz darauf kündigte er auf einer Kundgebung am 29. November 1974 den Aufbau einer Verbrecherkartei an, die gegen Repräsentanten des politischen Systems gerichtet sei und in der die Namen von Ministern, Bundestagsabgeordneten, Staatsanwälten, Richtern, Geschworenen und Zeugen2 gesammelt werden sollten, die sich am deutschen Volk versündigen würden. Im 26. Rundbrief erklärte er, „wer Deutscher ist, kann kein Demokrat sein, und wer Demokrat ist, kann kein echter Deutscher sein. [...] Die Abrechnung wird kommen“. Er war außerdem der Ansicht, dass der Todfeind des deutschen Volkes in Bonn sitzen würde und der Zwang bestehen würde, „wie Guerillas eine Freiheitsbewegung ins Leben zu rufen ... das heißt, daß wir [...] überall angreifen [...]“.
Roeder vertrat andererseits die Ansicht, dass das Deutsche Reich 1945 nicht aufgehört habe zu existieren. Am 30. Jahrestag der Verhaftung der von Großadmiral Dönitz geführten letzten Reichsregierung in Flensburg hielt Roeder am 23. Mai 1975 den ersten ‚Reichstag‘, unter internationaler Beteiligung, in Flensburg ab. Er ließ sich dort von den weniger als 100 Anwesenden zum Sprecher der ‚Freiheitsbewegung Deutsches Reich‘ und zum Nachfolger von Karl Dönitz wählen. Auch die DBI trat ab 1975 unter dem Namen ‚Freiheitsbewegung Deutsches Reich‘ auf. Im März 1976 schickte Roeder dann einen Brief an den hessischen Ministerpräsidenten Albert Osswald in dem ein „Tag der Abrechnung“ angekündigt wurde. Auf einem der Freundestreffen erklärte er 1977: „Der Bürgerkrieg wird von uns herbeigesehnt, denn anders werden wir mit diesem Verbrecherstaat nicht fertig“.
Zeitweilig fand er Interesse an den Aktivitäten der außerparlamentarischen Linken und war der Meinung, dass die Neonaziszene an dieser partizipieren sollte: „... ich stehe absolut Schulter an Schulter mit den Anarchisten, mit den Linken, und sage: Alles muß weg! Kein Polizist, der umgelegt wird, tut mir leid“ und die Ermordung vom Generalbundesanwalt Siegfried Buback durch die RAF im April 1977 kommentierte er folgendermaßen: „Es gibt kein Mitleid für die, die deutsche Soldaten und Patrioten verfolgen! Nun liegt der, der uns zur Strecke bringen wollte, unter der Erde. Die Entwicklung hat ihn eingeholt."
Seit 1979 trat die DBI dann unter dem Namen ,Europäische Freiheitsbewegung’ auf. Roeder entwickelte sich in der (Neo-)Naziszene zu einer immer bedeutenderen Person mit weitreichenden (internationalen) Kontakten zu vielen relevanten Größen der damaligen Szene. Es häuften sich aber durch seine Aktivitäten auch die Verfahren, Prozesse und Verurteilungen. Am 20. Januar 1978 floh er aus der der Bundesrepublik Deutschland, um sich einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung zu entziehen. Seine Flucht verlief relativ unspektakulär. Als erstes reiste er mit falschen Papieren auf den Namen Manfred Ricardo Kurt am 31. Januar 1978 nach Brasilien. Dort nahm er vom 21. bis zum 23. April an einem Treffen der ‚Deutschvölkischen Gemeinschaft’ in Itatiaia/Brasilien teil. Die Zeitschrift "Der Spiegel" veröffentlichte damals ein Bild der Teilnehmer. Auf dem Foto sind neben Roeder mit dem Ehepaar Schütte auch DBI-Mitglieder zu sehen. Die deutschen Behörden unternahmen derweil keinerlei Zugriffsversuche. Im 59. Rundbrief schrieb Roeder daher passend: „Während ich in Chile Presse-Interviews gebe, schreiben die Nürnberger Nachrichten vom 22.6. [1978] einen geheimnisvollen Artikel: ‚Die Spur führt nach Brasilien‘. [...] Wie kann man mich überhaupt ‚entdecken‘, wenn ich vorher den Gerichten mitgeteilt habe, daß ich nach Südamerika fahre? Und wenn ich überall mit der Presse spreche. [...] Nein, wir brauchen uns nicht zu verstecken“.
In Deutschland wurden die Treffen der DBI derweil weiter durchgeführt und Roeders Frau Gertraud Roeder veröffentlichte die Rundbriefe von Roeder. Ein Netzwerk von Anhänger_innen sorgte für die Unterstützung des „Untergetauchten“. Im Juli 1978 reiste Roeder für ein Jahr in die USA. In den USA benutze er einen weiteren gefälschten Pass und wurde mehrmals von seiner Frau besucht. Roeder fand in den USA unter anderem Unterschlupf bei Mitgliedern des "Ku-Klux-Klan". Nachdem er sich 1979 etwas einen Monat lang in Großbritannien aufgehalten hatte, reiste er am 30. August wieder in die Bundesrepublik. Am 11. Oktober 1979 wiederum wurde Roeder, immer noch auf der Flucht, in der Schweiz vorübergehend festgenommen, aber nach der Identitätsüberprüfung wieder freigelassen. Er reiste zurück nach Deutschland und versteckte sich bei Colditz in Kirchheim unter Teck.
Nur durch ein Netzwerk an Unterstützer*innen war Roeders Flucht überhaupt möglich. So wurden in einem Zeitraum von 15 Monaten rund 172.900 DM für seine Unterstützung generiert. Roeder fokussierte immer stärker auf den bewaffneten Kampf. Am 19. Dezember 1979 schrieb er in sein Tagebucht: „Der legale Kampf ist vorbei, nur noch Untergrund“.
(Der Artikel wird in der kommenden Ausgabe des AIB fortgesetzt.)