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„Nazi-Peter“ und „Gauleiter“ Thomas

Karl Öllinger (Gastbeitrag)
Einleitung

Binder ist in Österreich ein ziemlich geläufiger Familienname, Peter ein beliebter Vorname. Als vor wenigen Tagen in Linz im Rahmen eines Schwurgerichtsprozesses wegen NS-Wiederbetätigung ein Zeuge aufgerufen wurde, der diesen Namen trug, dachten wir an „unseren“ Peter Binder, den Waffendealer der Neonazis. Schließlich hatte der Zeuge P. B. einen Dolch mit Hakenkreuz und einen Ring mit SS-Runen käuflich vom Angeklagten erworben - und von „unserem“ Peter wissen wir, dass er Nazi-Reliquien liebt.

Thomas H.-GdNF
(Prozessbild: Presseservice Wien)

Links: Thomas H. (heute und früher) mit seinem Verteidiger.

Die Gürtelschnalle

Als der sich 2018 zum ersten Mal seit 1995 wieder wegen NS-Wiederbetätigung vor einem österreichischen Gericht verantworten musste, war der Auslöser eine Gürtelschnalle. Keine gewöhnliche, sondern eine, auf der deutlich sichtbar ein Reichsadler mit Hakenkreuz und dem SS-Spruch „Meine Ehre heißt Treue“ eingraviert war. Über die Gürtelschnalle gestolpert war ein Notarzt, der den schwer verletzten Peter Binder behandelte, nachdem er auf der Anreise zu einer Biker-­Hochzeit über sein Motorrad gestolpert war: „Wenn er nicht mit dem Bikerstiefel beim Aufsteigen am Rücksitz des Motorrads hängen geblieben wäre, wäre er nicht gegen eine Hausmauer geknallt, und kein Notarzt hätte seine Gürtelschnalle mit Insignien der Waffen-SS bemerkt“.1
Um die Ausgangsvermutung zu beenden: Der Zeuge Peter Binder aus Linz ist nicht der Waffendealer. Was die beiden außer ihrem Namen verbindet, ist ihre Liebe zu Nazi-Reliquien. „Unser“ Peter Binder hatte nach seinem Fall über Motorrad und Gürtelschnalle dann zwei Jahre und sechs Monate Zeit, über die Rolle des Zufalls und sein Leben nachzudenken, hat aber die Nachdenkpause denkbar schlecht genutzt. Was dann folgte, haben wir schon in AIB Nr. 130 (Österreich & Thüringen: Die Dealer der Neonazis?) abgehandelt.2 Wir halten hier der Ordnung halber nur fest: Die strafrechtliche Ernte seiner Waffen- und Suchtmitteldeals brachte ihm im März 2022 siebeneinhalb Jahre Freiheitsentzug ein.3

Die „Miliz der Anständigen“

Was deutlich irritiert ist der Umstand, dass über Monate hinweg seit der Festnahme des Freigängers aus der Haft (!) im Dezember 2020 nicht nur immer wieder weitere Waffenfunde aufpoppten, die in (gewisser) Beziehung zu Peter Binder standen, sondern die Verdachtsmomente, wonach diese Waffen zu einer organisierten extrem rechten bzw. Neonazi-Gruppe in Beziehung stehen könnten, weitgehend unbeobachtet bzw. ohne jeden Ermittlungserfolg blieben.

Schon im Dezember 2020 hatte der damalige Innenminister Karl Nehammer öffentlich verkündet, die bei Binder gefundenen Waffen „hätten womöglich dem Aufbau einer ‚rechtsradikalen Miliz‘ in Deutschland gedient“.4 Im Januar 2021 berichten Medien, dass ein Polizist des Landeskriminalamtes Niederösterreich der Gruppe um Peter Binder 5.000 Schuss Munition verkauft habe.5 Im Juli 2021 zeigt sich Innenminister Nehammer „zutiefst beunruhigt“, nachdem bei einer Razzia „NS-Devotionalien, Schusswaffen, darunter vollautomatische und halbautomatische, kistenweise Munition und Magazine“ gefunden wurden. Zum ersten Mal wird ein Name für die Gruppe um Binder genannt: „Miliz der Anständigen“. „Es gibt 14 Verdächtige, gegen weitere wird ermittelt. Das Netzwerk umfasst auch Teile des Bikermilieus. Bekannte Neonazis sind ebenfalls Teil der Gruppe“.6

Im Oktober 2021 werden bei einem Ehepaar im südlichen Niederösterreich Unmengen von Waffen und Munition sowie NS-Devotionalien gefunden. Auf die beiden sei man bei Ermittlungen rund um Peter Binders Gruppe gestoßen.7 Im September 2022 wird ein anderer Niederösterreicher verurteilt, der Peter Binder fünf Maschinen­pistolen verkauft hat, aber nichts von dessen NS-Gesinnung mitbekommen haben will. Bei ihm wurden insgesamt sechs Tonnen Kriegsmaterial und Unmengen Munition sichergestellt.

Der „Nazi-Peter“ und sein Biker-Klub

Im März 2022 wird Binder in Wien ausschließlich wegen Verstößen nach dem Waffen- und dem Suchtmittelgesetz angeklagt und zu siebeneinhalb Jahren verurteilt. Es bleibt zunächst völlig unklar, ob gegen ihn und andere wegen der Bildung der rechtsextremen Gruppe „Miliz der Anständigen“ bzw.  wegen NS- Wiederbetätigung weiter ermittelt wird. Erst später wird klar, dass die Ermittlungen doch weitergeführt werden, aber von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt. Die klagt ihn dann auch an. Am 23. Mai kassiert Binder weitere dreieinhalb Jahre Haft – rechtskräftig. Was ihm vorgeworfen wird, taugt zwar für eine Verurteilung nach dem NS-Verbotsgesetz, nicht aber für eine Aufklärung der Verdachtsmomente in Richtung Netzwerk, Gruppe, „Miliz der Anständigen“.

So plötzlich wie die Miliz in der politischen Debatte aufgetaucht ist, so schnell wurde sie wieder entsorgt: keine Kontakte zu einer rechtsextremen Miliz in Deutschland, keine „Miliz der Anständigen“ in Österreich – so der Befund des als Zeuge befragten Verfassungsschützers8 , der nur von Binders Kontakten zu einem „ganz normalen“ Bikerklub „mit vereinzelten Straftätern“ in Deutschland spricht. Dort wurde Binder liebevoll „Nazi-Peter“ genannt, weiß er noch zu berichten. Alles klar? Keine weiteren Fragen? Was ist mit den Warnungen des Innenministers vor einem erstarkten Rechtsextremismus anlässlich der Waffenfunde bei Binder im Dezember 20209 , mit seinen Hinweisen auf die „Miliz der Anständigen“10 ? Was ist mit den weiteren - mindestens 14 – Verdächtigen? Nehammer ist mittlerweile Kanzler und „Nazi-Peter“ die nächsten Jahre fix in Haft und ohne Waffen, sofern er nicht wieder als Freigänger aktiv werden kann.

In der medialen Berichterstattung über Binder dominierte zuletzt sein Faible für Nazi-Devotionalien11 - das verbindet ihn mit einem anderen Neonazi, der auch nur durch Zufall aufgepoppt ist.

Der abgetauchte „Gauleiter“

So wie „Nazi-Peter“ einen Großteil seines Aktionsradius seit Jahrzehnten in Deutschland hatte, so trifft das für Thomas H. in der umgekehrten Richtung zu. Er war in den 1980er und 1990er Jahren eine Größe in der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF), „Gauleiter“ bei Michael Kühnen, Söldner in Kroatien usw. und tauchte dann nach Österreich ab.  Zunächst noch ganz offen in der „Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition“ (VAPO) des Gottfried Küssel aktiv, verloren sich seine öffentlichen Spuren nach deren Zerschlagung durch staatliche Repression Mitte der 1990er Jahre. Über seine Aktivitäten seither ist so gut wie nichts bekannt, was auch der im NS-Wiederbetätigungsprozess vom Januar 202312 als Zeuge vernommene Verfassungsschützer eingestehen musste.

Aufgetaucht ist er - so wie der Binder mit seiner Gürtelschnalle – durch einen Zufall. Als der Verfassungsschutz bei dem Neonazi Wolfgang L. die WhatsApp- Chat-Verläufe durchsuchte, poppte Thomas H. auf. Mit sehr eindeutigen Chats.  Wie kam der Verfassungsschutz überhaupt an Wolfgang L. heran, der seit vielen Jahren völlig unbehelligt in der Szene aktiv war und schon einmal als „Sowilo“ mit seinen Chats übers Bombenbasteln13 einen NPD-­Funktionär, den „Junker Jörg“ bzw.  Matthias Heyder14 zum Straucheln gebracht hatte?

Gefunden hat man Wolfgang L. alias „Sowilo“ in den WhatsApp – Chats von Andreas L. alias „Wotan“, Kampfsportler aus der Neonazi-Szene („Unsterblich“ bzw. „Unwiderstehlich“). Wolfgang L. war sich anscheinend so sicher, dass ihm nichts passieren könne, dass er seine Chat-Verläufe nicht löschte. Die Verfassungsschützer konnten sie wie ein offenes Buch lesen – und stöberten so auch Thomas H. auf.

Dass man damit kein unschuldiges Lämmchen gefunden hat, das sich von der Neonazi-Szene ferngehalten hatte, verrieten die in der Verhandlung genannten weiteren Chat-Partner. Neben einer etwas verstaubten österreichischen Szene-Größe war es Thomas Wulff alias „Steiner“ aus Hamburg. Was schrieb man sich so in den Chats? Zu Hitlers Geburtstag im Jahr 2017 etwa: „Moin! Alles Gute zum Geburtstag. Der Kampf geht weiter!“. Die 18 Monate bedingte Haft, die Thomas H. für seine Ergüsse erhalten hat, werden ihn vielleicht beim Kämpfen etwas einbremsen.