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Preußen, eine rechte Obsession

Einleitung

Großmacht in Europa, autoritäre ständische Ordnung, unbedingte Disziplin. Preußen repräsentiert alles, was der extremen Rechten in Deutschland lieb und teuer ist.

(Symbolbild von Kai Heinrich, CC BY-NC 2.0)
(Symbolbild von Kai Heinrich, CC BY-NC 2.0)

Historisch interessierte Leser_innen können die Uhr danach stellen: steht ein runder Jahres- oder Geburtstag von Otto von Bismarck, Friedrich II. oder ein Jubiläum der Gründung des Deutschen Reiches an, findet sich in rechten Zeitschriften ein Loblied auf Preußen als den idealen Staat der Deutschen, in dem alles wohl geordnet war: Staat, Militär und Gesellschaft. Preußen, das ist bis heute das Phantasma, aber auch der Phantomschmerz der extremen Rechten in Deutschland.

Die Reichsgründung von 1871 war das autoritäre Projekt des preußischen Adels unter der Führung Otto von Bismarcks. Damit setzte sich Preußen als dominierende politische Kraft in Deutschland durch. Es folgte die wilhelminische Epoche, die den Aufstieg des deutschen Reiches zur europäischen Großmacht vollzog. Im politischen Leben des frühen Kaiserreiches bis zur Wende zum 20. Jahrhundert wurde die Rechte in Deutschland durch die „Deutsch-­Konservative Partei“ die „Kreuzzeitung“ und die von dem Antisemiten Adolf Stoecker geführte „Christlich-Soziale Partei“ repräsentiert. Ihre Politik diente dem Kampf gegen die aufstrebende revolutionäre Sozial­demokratie und den Liberalismus.

Mit der Jahrhundertwende gewannen völkisch-­rassistische Ideen an Einfluss im Kaiserreich. Namentlich der „Alldeutsche Verband“ und die aus dem preußischen Militär und dem Großbürgertum getragenen nationalistisch-militaristischen Flottenvereine drängten auf eine aggressive Politik der Aufrüstung des Reiches. Die „Alldeutschen“ radikalisierten sich unter ihrem Vorsitzenden Heinrich Claß, und forderten am Vorabend der Entfesselung des I. Weltkrieges vom Kaiser eine imperialistische Politik kolonialer Eroberungen. Die „Alldeutschen“ propagierten rassistischen Sozialdarwinismus und Lebensraum Ideologie. Während des I. Weltkrieges warben die ultranationalistischen Verbände für Kriegs­anleihen, nach 1917 für eine Fortsetzung des Krieges selbst dann noch, als die Kämpfe einen zuvor nicht dagewesenen Blutzoll an der Westfront gefordert hatten.

Die Novemberrevolution und die Abdankung des Kaisers empfand die gesamte wilhelminische Elite und das nationalistisch radikalisierte Bürgertum als Schmach. Im Zuge der Rhetorik vom Dolchstoß, welchen die Front durch die Revolution erlitten habe, mehrten sich antisemitische Motive in der nationalistischen Publizistik, die den Juden die Schuld für den verlorenen Weltkrieg und hernach die Novemberrevolution zuwiesen.

Das Ende des Kaiserreiches ist für die Rechte in Deutschland eine Niederlage der von ihr als natürlich angesehenen Ordnung. Doch nicht die Restauration der Monarchie hat die nach 1918 sich formierende neue extreme Rechte in der Weimarer Republik im Blick, sondern je nach politischer Selbstverortung der Aufbau eines autoritären Ständestaates, eine Diktatur des Mili­tärs oder eines Präsidialkabinetts. Gemein­sam ist allen Strömungen der Weimarer extremen Rechten das Ziel, die Fesseln des Versailler Vertrages abzuschütteln, die Wiederaufrüstung Deutschlands voranzutreiben und einen Revanchekrieg gegen Frankreich und England vorzubereiten.

Die von rechts als geschichtlicher Bruch beklagte Einführung der parlamentarischen Demokratie und die Unterzeichnung des Vertrages von Versailles lastete die nationalistische Rechte der demokratischen Regierung an, die als „Novemberverbrecher“ verachtet werden. Es folgen die rechtsterroristischen Morde an Finanzminister Matthias Erzberger und Außenminister Walter Rathenau, die Einsätze der präfaschistischen Freikorps gegen die Arbeiterbewegung und der Kapp-Putsch.

Zeitgenössische rechte Autoren wie Arthur Moeller van den Bruck und Oswald Spengler greifen in den frühen 1920er Jahren den Preußenmythos in ihren Schriften auf. Ihnen geht es weniger um die historische Betrachtung der preußischen Geschichte, als vielmehr darum, Preußen zum Sehnsuchtsort jenes antimodernen und anti­demokratischen Wertekanons, mit dessen Hilfe es gelingen soll, die verhasste Demokratie und die Versailler Ordnung in Europa abzuschütteln. Die Besinnung auf preußische Werte wie Gemeinschaft, Tugend, Disziplin werden gegen die Republik und den Individualismus in Stellung gebracht.

Im Jahr 1919 erschien Spenglers programmatische Schrift „Preußentum und Sozialismus“. Darin setze er dem marxistischen Konzept des Sozialismus das eines „preußischen Sozialismus“ entgegen. Dieser müsse vor dem Hintergrund der preußischen Geschichte, und dessen, was Spengler für die Deutschen für wesensgemäß hielt, illiberal und autoritär verfasst sein. Preußen war für Spengler die Summe von Realismus, Disziplin, Korpsgeist, Bildung und Schwärmerei.

Die nationalrevolutionäre Rechte führte Preußentum und die Praxis der bolschewis­tischen Massenmobilisierung in der Sowjetunion in der Zeit des Bürgerkrieges ideologisch zusammen. In der Gestalt des Arbeiters bzw. des Soldaten sah sie den politischen Akteur einer neuen formierten Gesellschaft, die sich auf das preußische Ethos gründen sollte. Hierin kommt eine prä-faschistische Radikalisierung der Preußenverehrung zum Ausdruck, deren Meinungsführerschaft bei Autoren wie Ernst Jünger lag.

Die antirepublikanische Rechte der Weimarer Republik betrieb zudem einen folkloristischen Kult um Otto von Bismarck und Paul von Hindenburg. Dazu gehörten öffentliche Sedan und Tannenbergfeiern, die an Schlachten des preußischen Heeres erinnerten. Ihre Jugend- und Wehrverbände ergingen sich  in nationalistischer und völkischer Rhetorik, innerhalb derer der Bezug zum Preußentum die Mobilisierung antifranzösischer Ressentiments etwa nach der Teilbesetzung des Rheinlandes 1923 in den Mittelpunkt ihrer Agitation stellte.

Mit dem „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 in der Potsdamer Garnison Kirche suchte Hitler in einer Zeremonie den symbolischen Schulterschluss mit dem preußischen Adel und der preußischen Tradition. Ein Bild aus der Zeit um den Tag von Potsdam zeigt Hitler in einer Reihe mit Friedrich dem Großen, Bismarck und Hindenburg. Dazu fand sich die Aussage: „Was der König eroberte, der Fürst formte, der Feldmarschall verteidigte, rettete und einigte der Soldat.

Dass die NSDAP auf dem Weg zur Macht vom Adel, auch von den preußischen Junkern unterstützt wurde, ist hinreichend historisch belegt. Die Nazis nahmen auf die preußische Tradition Bezug, da sie deren Militarismus teilten, und zugleich um Unterstützung im protestantisch national-­konservativen Bürgertum warben. Dieses stand der NS-Bewegung aus Gründen eines elitären Dünkels habituell skeptisch gegenüber, teilte jedoch den militanten Anti-­Marxismus und Anti-Liberalismus der Nazis. Im Adel und im Bürgertum überwog die Erleichterung darüber, dass Hitler die ihnen verhasste Demokratie beseitigt, und die Arbeiterbewegung und ihre marxistischen Parteien zerschlagen hatte.

Im Januar 1933 wurde Hermann Göring preußischer Reichskommissar, im April 1933 formell Ministerpräsident Preußens. Bereits zuvor war die als republikanisch gesinnt geltende Polizei Preußens unter die Kontrolle Franz von Papens als demokratischer Faktor ausgeschaltet worden. Die Gleichschaltung der Länder durch die Nazis ließ Preußen zur leeren Hülle werden.
Die Alliierten erklärten den Staat Preußen 1947 in einem Kontrollratsgesetz für aufgelöst. Dieser hochgradig symbolische Beschluss trug dem Umstand Rechnung, dass Preußen als der Inbegriff deutschen Militarismus und Expansionsstrebens galt.

In der Nachkriegszeit ist „Preußen“ für die extreme Rechte und die Vertriebenenverbände Bezugspunkt. Rechte Historiker wie Helmut Diwald und Karlheinz Weißmann forderten in ihren Büchern immer wieder eine Wiederaufnahme des Fadens preußischen Denkens in der Gesellschaft. In der Zeit der deutschen Teilung war Preußen Gegenstand heftiger geschichtspolitischer Debatten in beiden deutschen Staaten, die sich je nach zeitgeschichtlichem Kontext zur preußischen Historie ins Verhältnis setzten.

Nach der Wiedervereinigung gewann Preußen neue Strahlkraft. In der rechten Periodika setzt eine Debatte um die Rückkehr Preußens als politischer Faktor ein. Ganz in diesem Geist verlegt die rechte Zeitung „Junge Freiheit“ ihren Redaktionssitz 1994 nach Potsdam. Doch die Hoffnungen in der "Neuen Rechten", vermittels der Wiedervereinigung die Westbindung zu entsorgen, und wie das historische Preußen / Deutsche Reich als europäische Mittelmacht agieren zu können, erfüllen sich nicht.