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Der Geist von Vorgestern trägt Bändel

Lucius Teidelbaum (Gastbeitrag)
Einleitung

Studentenverbindungen sind nicht nur konservativ und in der übergroßen Mehrheit Männerbünde, sie funktionieren auch als Zeitkapseln, die Werte aus ihrer monarchistischen Entstehungszeit bewahren und an ihre Mitglieder vermitteln.

Gemaltes Bild: Burschenschafter mit Kopfverbänden
(Bild: Georg Mühlberg; Gemeinfrei)

"Renommierbummel" - Verbindungsstudenten zeigen ihre frischen Schmisse bei einem Spaziergang, vermutlich am Morgen nach einem Pauktag.

Kritik an Studentenverbindungen konzentriert sich oft auf Überschneidungen zur politischen (extremen) Rechten, meist bei Burschenschaften. Der Rest der Studentenverbindungen labelt sich selber als „unpolitisch“, teilweise wohl aus echter Überzeugung. Rosa Luxemburg schrieb dazu einmal passend: „Unpolitisch sein heißt politisch sein, ohne es zu merken.“

Ist es etwa unpolitisch, wenn das Corps Irminsul zu Hamburg seit 1989 zur Bismarckschen Reichsgründung von 1871 eine „Champagnerkneipe anlässlich der Reichsgründung 1871“ (Zitat 2020) feiert?  

Bismarck-Geburtstagsfeiern

Viele Verbindungen vermitteln Mitgliedern durch eigenen Unterricht („Fuxenstunde“) oder Hausgeschichtsschreibung ein spezielles Geschichtsbild, in dem das Kaiserreich eine Art goldenes Zeitalter darstellt. Das findet auch in jährlichen Gedenk-Veranstaltungen seinen Niederschlag. Heutzutage wird ansonsten nur noch bei kleinen monarchistischen Gruppen oder Neonazis an den Bismarck-Geburtstag, die Reichseinigung 1871 oder das verflossene deutsche Kolonial-Imperium nostalgisch erinnert. Nicht nur bei den berüchtigten Burschenschaften der „Deutschen Burschenschaft“, auch bei anderen Burschenschaften, bei den Corps, bei den „Vereinen Deutscher Studenten“ (VDSt), bei den Landsmannschaften, bei den Turnerschaften und bei den Sängerschaften finden solche Veranstaltungen statt, meist in Form spezifisch korporierter Rituale wie „Kommersen“ oder „Kneipen“ (Trinkveranstaltungen).

In einzelnen Orten wie Bielefeld, Bremen, Hamburg, Oldenburg oder Wilhelmshaven sind die alljährlichen Bismarck-Geburtstagsfeiern Kooperations-Veranstaltungen fast aller örtlichen Verbindungen und Altherren-Verbände. Der „Bismarck-­Kommers der Bielefelder Korporationsverbände“ etwa wird von fünf aktiven Studentenverbindungen und Vertretern von zwölf Dachorganisationen organisiert.

Bei solchen Gedenk-Festveranstaltungen treten durchaus auch schon einmal rechte ReferentInnen auf. So referierte beim 74. Bismarck-Kommers in Oldenburg, der am 1. April 2022 vom „Verband alter Burschenschafter Oldenburg“ ausgerichtet wurde, der rechte Publizist und AfD-Mitarbeiter Erik Lehnert zum Thema „Bismarck und der Osten“.

Auch Bismarck-Zitate in Semesterprogrammen und Bilder wie Bismarck- oder Wilhelm II.-Porträts und Kriegstoten-Ehren­mäler in den Verbindungshäusern zeugen von einem konservierten Geist. Genauso wie viele Lieder aus dieser Zeit, die bis heute bei den „Kneipen“ gesungen werden. Dieser alte Geist dürfte sich nur selten in einer politischen Agenda äußern. In Österreich existiert mit dem „Akademischen Bund Katholisch-Österreichischer Landsmannschaften“ (KÖL) ein kleiner eigener Dachverband von explizit monarchistischen Studentenverbindungen, die sich auf das Haus Habsburg beziehen. In Regensburg existiert mit der KÖL Francisco-­Josephina München zu Regensburg seit 20 Jahren sogar ein Ableger in der Bundesrepublik.

Die teilweise ursprünglich republikanisch – und gleichzeitig deutschnational - gesinnten Burschenschaften schwenkten spätestens seit der Niederlage der bürgerlichen Revolution von 1848/49 auf eine kaiserliche und obrigkeitstreue Linie ein. Der Nationalismus hatte bei den meisten Burschenschaftern schon immer Vorrang vor der demokratischen Verfasstheit.

So schrieb die Burschenschaft Redaria-­Allemannia Rostock am 18. Januar 2017 auf Facebook zu ihrer ‚Reichsgründungskneipe‘: „Am 18. Januar feiern die Studentenverbindungen des Rostocker Waffenringes die Reichsgründungskneipe anlässlich der 146. Wiederkehr der Ausrufung des deutschen Kaiserreiches. [...] Eines Staates so fortschrittlich, dass es zweier Weltkriege und der linksgrünen Kulturrevolution bedurfte, ihn zu vernichten.

Die Burschenschaft Ghibellinia zu Prag in Saarbrücken schrieb am 1. April 2015 zum Bismarck-Geburtstag: „Hoch soll er leben! Otto von Bismarck wird heute 200 Jahre alt. Der große Realpolitiker war 28 Jahre lang Kanzler Preußens, des Norddeutschen Bundes und schließlich des deutschen Kaiserreiches. Als maßgebliche Treibkraft hinter der Gründung eines geeinten Vaterlandes 1871 erfüllte er, selbst ein Corpsstudent, den Burschenschaften zumindest eines ihrer Ziele.“

Elitärer Dünkel

Von dem ehemaligen Reichskanzler Otto von Bismarck ist überliefert, dass er am 27. April 1895 in Friedrichsruh in Bezug auf das Band seiner Verbindung, des Corps Hannovera Göttingen, gesagt haben soll: „Kein Band hält so fest wie dieses.“

Der Bismarck-Kult unter den Corps ist bis heute virulent. So fand etwa am 25. April 2015 in seinem Begräbnisort Friedrichsruh ein Kommers der Corps zum 200. Geburtstag Bismarcks statt, an dem rund 100 Corpsstudenten aus über 60 Corps teilnahmen.

Traditionell waren die Corps die Verbindungsvariante für den Adel. Inzwischen haben auch Bürgerliche Zutritt, aber die Begeisterung für Glanz und Gloria scheint geblieben zu sein, genauso wie ein elitärer Anspruch, der aber nicht zwingend völkisch geprägt ist. So ist z.B. Asserate Asfa-­Wossen, Prinz und Großneffe des letzten christlichen Kaisers Haile Selassie von Äthiopien Mitglied des Corps Suevia zu Tübingen.

In der Ausgabe 1/2023 des Magazins „Corps“ der Dachverbände „Kösener Senioren-Convent“ und „Weinheimer Senioren-Convent“ prangte auf dem Cover das Bild von Karl Habsburg-Lothringen, des Enkelsohns des letzten Habsburger-Kaisers und ehemaligen Europaabgeordneten. Darunter steht „EUROPA IM BLUT Was ist von der Aristokratie 104 Jahre nach ihrer Abschaffung zu erwarten?“.

Im dazugehörigen fünfseitigen Interview mit dem Fragesteller Carsten Beck vom Corps Germania München wird der Kaiser-Enkel mit „kaiserliche Hoheit“ angesprochen. Im Interview äußert er sich zum Ukraine-Krieg und macht Werbung für die „Paneuropa-Union“, deren Vorsitzender er ist. Außerdem plädiert er für ein christliches Europa, die Aufnahme der Balkan-Staaten und meint zur Monarchie: „Es ist einfach eine Staatsform, die funktioniert und auch immer wieder ihren Wert bewiesen hat.“

Karl Habsburg-Lothringen steht den Corps nicht fern, noch näher aber den Landsmannschaften. Ist er doch „oberster Bandinhaber“ der „Katholischen Österreichischen Landsmannschaften“ und Ehrenmitglied von Verbindungen des katholischen „Cartellverband“.

Monarchisten und Preußen-Fans dürften sich wohlfühlen in den strukturkonservativen Studentenverbindungen und ihrer Ausrichtung auf vordemokratische Zeiten, aber was hier anzutreffen ist, ist kein aktiver Monarchismus, sondern eher eine Bismarcks- und Kaiserreichs-Nostalgie. Diese Verklärung scheint in diesem konservativen Milieu allgegenwärtig zu sein. Sie stärkt eine Weltsicht aus prädemokratischen Zeiten, in der konservative Männer-Eliten tonangebend waren. Für einige konservative akademische Männer sicherlich die „gute alte Zeit“, für alle übrigen eine sehr schlechte.

Kritik gab es schon früher an dieser Rückwärtsgewandtheit. So schrieb Kurt Tucholsky als ‚Ignaz Wrobel‘ 1920 in der „Freie Welt“: „In dem Verbindungsstudenten wird meist ein heute geradezu lächerlich anmutender Standesdünkel großgezogen. Es ist ja kein Wunder, wenn ein großer Teil unserer Verwaltungsbeamten, Staatsanwälte, Ärzte und Richter sich einbildet, »zur Herrlichkeit geboren« zu sein – hat man es ihnen doch in jenen Jahren, in denen die Seele am weichsten ist, ununterbrochen gepredigt.

An dem Weltbild der Korporierten hat sich eher wenig geändert, gleiches gilt für die Kritik an ihnen.