Burschenschaftliche Lebenswelten
Ein »Leak« enthüllt Interna der Deutschen Burschenschaft
Heftige Flügelkämpfe, begleitet von der Veröffentlichung umfangreicher interner Dokumente im Internet, erschüttern die Deutsche Burschenschaft. Das »DB-Leak« bietet unter anderem äußerst aussagekräftige Einblicke in die burschenschaftliche Lebenswelt – und zeigt nebenbei, wie der Verband seine Aktivitäten ins benachbarte Ausland auszuweiten sucht.
Einwände gab es nicht. Ohne besondere Debatte nahm die Deutsche Burschenschaft (DB) auf dem Burschentag 2006 den Antrag der Hamburger Burschenschaft Germania an, mit Blick auf die voranschreitende europäische Integration die »burschenschaftlich-politische Ausrichtung« des Verbandes »neu auszurichten«. Man müsse in Zukunft nicht nur eine »offensive Unterstützung der Volkstumsarbeit in Gebieten deutscher Minderheiten« leisten, besonders in den »deutschen Ostgebiete[n]«, hieß es in dem Antrag. Es gehe auch um eine »Zurückdrängung weiterer Multikultisierung« der Bundesrepublik Deutschland und Österreichs »durch weitere Zuwanderung und Aufnahme von Flüchtlingen kulturferner Herkunft«. Zugleich sei eine »Umkehr der demographischen Katastrophe aufgrund stetigen Geburtenrückgangs« bei Deutschstämmigen vonnöten. Schließlich hätten Burschenschafter zukünftig »Widerstand« zu leisten gegen die »Gesinnungsdiktatur der sog. ›Political Correctness‹«, hieß es in dem Antrag. Der Burschentag stimmte ohne Widerrede zu.
Seit Juni kommt die DB aus den Medienschlagzeilen nicht mehr heraus. Rechtsaußen-Kräfte wie etwa die Hamburger Burschenschaft Germania wollen dem Verband zu neuer Schlagkraft verhelfen und bemühen sich deshalb, ihre politische Linie in der DB festzuzurren. Notfalls werde man »halt den Laden übernehmen«, heißt es aus diesem Flügel in Anspielung auf die sichere strukturelle Mehrheit, über die er verfügt. Der verbandsintern weitaus schwächere konservative Flügel ist nicht wirklich in der Lage, dem Durchmarsch der Ultrarechten Handfestes entgegenzusetzen, und greift daher in seiner Not auf die Medien zurück. Immer neue an die Öffentlichkeit lancierte Interna liefern ausreichend Stoff für Schlagzeilen, die dem Rechtsaußen-Flügel eine katastrophale Presse verschaffen und ihn unter Druck setzen seine Offensive einzustellen. Das Material zeigt allerdings auch, dass selbst Rechtsaußen-Positionen wie etwa diejenigen aus dem Antrag der Hamburger Burschenschaft Germania von 2006 in der DB konsensfähig sind – und es liefert zudem prägnante Einblicke in die burschenschaftliche Lebenswelt.
Beispiele? Die akademische Burschenschaft Arminia Czernowitz zu Linz hielt im November 2007 einen »Freiheitskommers« ab. Als Festredner war Bernd Rabehl angekündigt, der sich damals mit Auftritten auf NPD-Veranstaltungen einen Namen gemacht hatte. Es kam zu heftigen Protesten in der Öffentlichkeit. Auch in der DB gab es im Vorfeld Streit. Die Burschenschaft Arminia Czernowitz hatte beim Dachverband einen finanziellen Zuschuss beantragt, und daher gab es auf dem Burschentag eine kleine Auseinandersetzung um den »Freiheitskommers«. Empört habe er feststellen müssen, schimpfte ein Burschenschafter, dass bei einem ähnlichen Kommers in Wien das »Lied der Deutschen« nicht habe gesungen werden dürfen. »Es gehe nicht an«, zitiert ihn das interne Protokoll, »daß die DB einerseits stets gern als Zahlmeister herangezogen werde, dann aber das Lied ihres Verbandsbruders Hoffmann von Fallersleben boykottiert werde.«
Ein harter Vorwurf, auf den die Arminia Czernowitz umgehend reagierte: »Die Antragstellerin versichert, daß auf dem geplanten Kommers das Lied der Deutschen in allen drei Strophen steigen werde.« Damit waren alle Zweifel ausgeräumt, der Burschentag genehmigte den gewünschten Zuschuss von 1.500 Euro. Später wurde in internen Rundbriefen für Rabehls Festrede geworben.
Ein weiteres Beispiel stammt ebenfalls vom Burschentag 2005. Die Alte Rostocker Burschenschaft Obotritia machte sich Gedanken um die Mensur. Sie schlug vor, die DB solle für das studentische Fechten mit scharfen Waffen eine Unfallversicherung abschließen. Der Antrag stieß weithin auf Unverständnis. Natürlich, suchte der DB-Fechtbeauftragte den Vorschlag zu verteidigen, seien die üblichen Gesichtsverletzungen, die »Schmisse«, von der Unfallversicherung nicht gedeckt – aber doch »die Folgen der Schmißverletzungen. Und gerade darauf komme es an«, heißt es im Tagungsprotokoll. »Die Schmisse selbst würden in den meisten Fällen vor Ort medizinisch versorgt. Es gehe in der Hauptsache um die Finanzierung der Wiederherstellungsmaßnahmen von schweren Schmißverletzungen mit Langzeitfolgen«, also nicht »ums Zunähen der Wunden, sondern um die Behandlung der längerfristigen Folgen.« Der Vorschlag, eine Unfallversicherung abzuschließen, fand auf dem Burschentag keine Mehrheit – mit einem durchtrennten nervus facialis muss ein Burschenschafter eben im Zweifelsfalle leben.
Neben diversen interessanten Details zeigen die »DB-Leak«-Dokumente unter anderem eines: Dass die DB immer wieder Aktivitäten in Wohngebieten deutschsprachiger Minderheiten im Ausland entfaltet, vor allem in Polen. Zumindest zeitweise gab es intensive Kontakte zur dortigen deutschsprachigen Minderheit und deren Organisationen, etwa zur »Jugendfraktion der Deutschen Minderheit«, deren damalige Vorsitzende im August 2004 im Haus der Berliner Burschenschaft der Märker weilte, wo man sich vornahm, die Beziehungen künftig weiter auszubauen.
Keine drei Jahre zuvor hatten die Polen-Aktivitäten der DB einen Eklat verursacht, der selbst verbandsintern zur Einrichtung einer Untersuchungskommission führte. Nach einer DB-Tagung im polnischen Góra Swietej Anny (vormals Annaberg/Oberschlesien) war es zu Klagen gekommen, die im Burschentags-Protokoll aus dem Jahr 2002 nachzulesen sind. Unter anderem hatte sich der Leiter eines Pilgerheimes beschwert, dass Burschenschafter nachts um drei in der Hauskapelle betrunken seltsame Lieder grölten.
Der Abschlussbericht des untersuchenden Burschenschafters konnte die Lage zumindest punktuell entspannen. So sei, erklärte er in einem »persönlichen Nachwort«, das Verhalten der inkriminierten Burschenschafter »zweifellos [...] skandalös« gewesen. Allerdings müsse »auch gesagt werden, dass durch ›stille Post‹ viele Vorgänge unnötig dramatisiert und in Superlative verwandelt wurden«. »So wurde aus dem, ausgesprochen genug schlimmen, Nasenstupser eines völlig alkoholisierten Verbandsbruders bei einer Nonne durch die ›stille Post‹ ein Grabscher an den Busen und das Singen von gänzlich unangebrachten und deplazierten Soldatenliedern aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges wurde zum ›Horst-Wessel-Lied‹ interpretiert«. »Andere Gerüchte«, klagte der Burschenschafter, »malten gar Hitlergrüße vor allen Kruzifixen durch Verbandsbrüder aus«. Dafür, erklärte er ausdrücklich, habe er keinerlei Beweise finden können. Dessen ungeachtet seien die involvierten Herren schwerer Strafe zugeführt worden; einige hätten mehrere Wochen lang ihr Burschenband nicht tragen dürfen. Und gegen die »vier erstmalig auffällig gewordenen Mitglieder« habe man sogar ein Alkoholverbot für das gesamte laufende Semester verhängt.