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„Identitäre Karrieren“ in Baden-Württemberg

Recherche Ulm (Gastbeitrag)
Einleitung

Trotz einer harmlosen Selbsterzählung und einer angeblicher Abgrenzung zu Neonazi-Gruppen - die Wege zwischen „Identitärer Bewegung“ und neonazistischen Strukturen sind kurz.

Felix M. (Bildmitte im Freiwild-Pullover) im Oktober 2022 in Plauen auf einer Demo des „Der III. Weg“.
(Foto: Recherche Nord)

Felix M. (Bildmitte im "Freiwild"-Pullover) im Oktober 2022 in Plauen auf einer Demonstration des „Der III. Weg“.

„Nein also mit der NPD oder mit dem Dritten Weg oder auch nationalsozialistischen Organisationen, Parteien haben wir nichts gemein.“

So äußerte sich Robin Mengele, langjährige Führungsperson der „IB“ in Augsburg, gegenüber dem SWR in einem Interview für die Dokumentation „Vergiftete Heimat – Die netten Rechten von nebenan“ aus dem Jahr 2021. Neben ihm wird noch zwei weiteren Kadern der „Identitären Bewegung“, Annie Hunecke und Heidi B., eine Bühne zur Selbstdarstellung als nette junge Rechte geboten. Der Kommentar eines Aussteigers aus der „Identitären Bewegung“ und eine Bewertung der „IB“ durch u.a. den badenwürttembergischen Verfassungsschutz sind kaum geeignet, diese Darstellung zu brechen. 

Robin Mengeles Aussage fügt sich gut in die Strategie der „Identitären Bewegung“ ein, sich als Teil der „Neuen Rechten“ bewusst von klassisch neonazistischen Strukturen abzugrenzen. Früh in ihrem Bestehen etablierten sie eine Erzählung von sich selbst als harmlose Jugendbewegung. Ein sonnengelbes Corporate Design und neue Begriffe, wie „Remigration“ und „Ethnopluralismus“ sollten möglichst wenig an das plakative Bild der Neonazis mit Glatze und Springerstiefeln der 90er und 00er Jahre erinnern. 

Aber die Wege zwischen „Identitärer Bewegung“ und neonazistischen Strukturen sind kurz. Dies wiesen mehrere antifaschistische Recherchen seit der Entstehung der „IB“ nach. Robin Mengele selbst besuchte 2016 ein Konzert im Clubhaus der Neonazikameradschaft „Voice of Anger“ in Memmingen und betrieb mit einem Anhänger der Kameradschaft Kampfsport in Augsburg. Er ist keine Ausnahme. 

Der Weg von organisierten Neonazismus zur „IB Schwaben“

Drei weitere zentrale Aktivist_innen der „IB Schwaben“, haben sich in der ersten Hälfte der 2010er Jahre neonazistisch organisiert. Alle drei waren jahrelang bei der „IB Schwaben“ in wichtigen Funktionen aktiv:

Sven Engeser trat lange Zeit als zentrale Führungsperson der „IB Schwaben“ auf. Er tritt in den vergangenen Jahren seltener öffentlich in Erscheinung. Engeser nahm 2012 an Demonstrationen der „Autonomen Nationalisten“ in Göppingen teil.

Heidi B. ist mindestens seit 2016 Teil der „IB Ortsgruppe Ulm“. Sie ist bis heute regelmäßig an Aktionen der „IB“ beteiligt. 2016 nahm sie an einer Demonstration des „Der III. Weg“ in Göppingen teil, wo sie ein T-Shirt der Neonaziband „Faustrecht“ trug.

Samuel H. ist eine der Personen hinter der Kamera der auf Social Media fokussierten „IB“. Er ist seit mehreren Jahren bei der „IB Schwaben“ aktiv und war neben Dominik Böhler, Führungsperson der „IB Ortsgruppe Konstanz“, Anmieter der geheim gehaltenen Räume der „IB Schwaben“ in Ulm, welche 2022 aufgedeckt und geschlossen wurden. Samuel H. ist auf mehreren neonazistischen Aufmärschen in den Jahren 2010 bis 2013 zu sehen: Am 1. Mai 2010 in Schweinfurt lief er am Banner der „Jungen Nationalisten Baden-Württemberg“, am 1. Mai 2011 in Heilbronn und am 4. August 2012 bei einem Neonaziaufmarsch in Bad Nenndorf bei Hannover. Mehrmals war er dabei in Begleitung von Carsten H., der zu dieser Zeit gemeinsam mit dem (späteren) rechten "Rap"-Musiker Patrick Bass ("Subverziv", „Komplott“) in einer WG in Langenau bei Ulm wohnte. 2013 sollen Samuel H. und Carsten H. laut einem Beitrag auf Indymedia Linksunten in eine Auseinandersetzung im Zuge einer antifaschistischen Kundgebung in Göppingen verwickelt gewesen sein.

Der Weg von der „IB Schwaben“ zum organisierten Neonazismus

Bezugspunkte zu neonazistischen Kreisen finden sich nicht nur in der Vergangenheit. Auch in der Gegenwart pflegen mehrere Personen der „IB Schwaben“ und ihres Umfeldes parallel zu ihren Aktivitäten in der „Identitären Bewegung“ Kontakte in neonazistische Organisationen. Einzelne orientierten sich vollends dorthin.

Arthur B. war Ende des Jahres 2021 an  mehreren Aktionen der „IB Schwaben“ beteiligt. So posierte er Ende November 2021 mit hessischen „Identitären“, im Dezember 2021 ist er auf Fotos als Teil der „Stuttgarter Meute“ von „Stuttgart Aktiv“, ein Tarnname der „IB Ortsgruppe“ Stuttgart, zu sehen. Schließlich war er am 19. Dezember 2021 an dem erfolglosen Versuch der „IB“ beteiligt, sich als Frontblock einer „Querdenken“-Demonstration in Nürnberg zu inszenieren. Anfang 2022 wechselte Arthur B. zur neonazistischen „Neuen Stärke Partei“ (NSP). Er nahm an bundesweiten Versammlungen der „NSP“ teil, z.B. am 22. Januar 2022 in Magdeburg, am 26. März 2022 in Gera oder am 1. Mai 2022 in Erfurt. Im Juni 2022, am ersten Jahrestag eines Brand­anschlages auf die Ulmer Synagoge, posierte er vermummt mit drei weiteren Personen vor der Synagoge mit „Schwarzer Sonne“-Fahne. Im Anschluss kam es zu einer ersten Hausdurchsuchung wegen Volksverhetzung. Darauf folgte Ende November 2022 eine zweite Runde an Hausdurchsuchungen gegen ihn und seine Mitstreiter wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat. B. und weitere sollen sich laut eines Berichtes des SWR durch den Kauf von Waffen auf den sogenannten „Tag X“ vorbereitet haben. 

Felix M. ist seit Jahren Teil der „IB Schwaben“. Er wirkte als Ordner bei der gescheiterten Demonstration der „Identitären Bewegung“ in Halle 2019 mit. Seit 2021 beteiligt er sich zusätzlich an Versammlungen des „Der III. Weg“. Er nahm November 2021 in Wunsiedel, Oktober 2022 in Plauen und im Dezember 2022 in Illerkirchberg an derartigen Versammlungen teil. Darüber hinaus lief er im Oktober 2022 gemeinsam mit Personen aus dem Umfeld des „III. Weg“ bei einem Spaziergang des Querdenken-Spektrums mit. 

Im Umfeld der „IB Schwaben“ bewegte sich 2022 eine Zeit lang der SSV Ulm Hooligan Maximilian F. Er störte am 8. März 2022 gemeinsam mit Nicolas Brickenstein, heute Schatzmeister der „JA Bayern“, eine Demonstration zum feministischen Kampftag in Ulm. Im August beteiligte er sich an der versuchten Störung der Pride in Ulm durch die „Identitäre Bewegung“. Später im Dezember 2022 nahm er an der Kundgebung des „III. Weg“ in Illerkirchberg teil. Im Januar 2023 beteiligte er sich an einer Flyeraktion des „III. Weg“ im Umfeld eines selbstorganisierten linken Raums in Ulm. Im Mai 2023 besuchte er ein neonazistisches Kampfsportevent in Ungarn.

Mehrere langjährig in der „Identitären Bewegung Schwaben“ aktive Personen haben sich aus neonazistischen Kreisen heraus hin zur „Identitären Bewegung“ organisiert. Andere schlossen sich nach oder während ihrer Aktivitäten bei der „IB Schwaben“ schnell klassisch neonazistischen Strukturen an. Bezugspunkte und Verbindungen in klassisch neonazistische Kreise bestanden von Anfang an.

Wenn Robin Mengele behauptet, „mit der NPD oder mit dem Dritten Weg oder auch nati­o­nalsozialistischen Organisationen, Parteien haben wir nichts gemein“, dann widerspricht er damit offenliegenden Tatsachen und insbesondere auch seiner eigenen Biographie. 

Die selbstverharmlosende Erzählung der„ IB“ ist  nicht mehr als ein Trugbild. Das haben Antifaschist_innen seit dem Bestehen der „Identitären Bewegung“ häufig aufgezeigt und kritisiert. Es vergingen dennoch Jahre bis eine breitere Masse an Menschen dieses Trugbild anfing zu hinterfragen und in manchen Teilen der Gesellschaft hält es sich bis heute. Das zeigen auch mediale Beiträge wie die zu Beginn erwähnte SWR Dokumentation und darauf folgende Reaktionen. Die Dokumentation wurde auf YouTube über eine Millionen Mal angeklickt. Die Kommentare darunter zeigen deutlich, dieser einzelne Auftritt hat sich für die „IB“ gelohnt.

Ob diese Strategie einer harmlosen Selbsterzählung in ihrer Gesamtheit betrachtet aufgegangen ist, lässt sich schwer sagen. Ihre Selbstdarstellung hat sich seit der Coronapandemie geändert. Ihre Social Media Auftritte sind anonymer geworden und ihre Bildsprache ist weniger bunt und freundlich als in ihrer Anfangszeit.

Fakt ist: Die „Identitäre Bewegung“ verlor in den vergangenen Jahren bundesweit stark an Wahrnehmbarkeit und medialer Wirksamkeit. Doch sie hat über Jahre eine nicht zu vernachlässigende Anzahl an Personen organisiert. Schließlich sind aus ihr politisch, aktivistisch und ideologisch gebildete Personen mit Kontakten und Allianzen hervorgegangen, die uns noch über Jahrzehnte in Strukturen der (extremen) Rechten begegnen werden.