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Antifaschismus, Haft und Illegalität

AK Untergrund (Gastbeitrag)
Einleitung

Disclaimer: Wir1 schreiben diesen Text als Personen, die einen mehr oder weniger direkten Bezug zum Leben in der Illegalität haben. Uns ist bewusst, dass solche Diskussionen zur Voraussetzung haben, dass sie auch gezielt angestoßen und eingefordert werden. Dieser Text soll deshalb ein erster Anstoß sein, über aktuelle Repression, Haftstrafen und die Möglichkeit des Untertauchens zu diskutieren. Der Text hier ist eine gekürzte Version des ursprünglichen Textes, der auf Indymedia erschienen ist.2

Antifa AK Untergrund
(Foto: Ferdinand Uhl)

Die Öffentlichkeitsfahndung im September 2023 mit Bildern in Bahnhöfen oder Zeitungen war der vorläufig deutlichste Ausdruck der Repression gegen die antifaschistische und generell linke Bewegung, aber sie steht bei weitem nicht allein. Im Kontext der Angriffe auf Faschisten rund um den „Tag der Ehre“ in Budapest gab es seit Februar 2023 bereits mehrere inoffizielle Fahndungen. Dabei sollen auch das solidarische Umfeld und deren Familien eingeschüchtert werden. Das Ziel dieses ganzen Aufwands ist neben Fahndungserfolgen auch die öffentliche Diffamierung von konsequentem Antifaschismus und die damit einhergehende Entsolidarisierung und Isolation der untergetauchten Genoss:innen.

Doch nicht nur in Leipzig lässt sich verschärfte Repression beobachten. In unterschiedlichen Ausprägungen und mit verschiedenen lokalen Schwerpunkten ist das überall in Deutschland immer deutlicher zu sehen. Auch die Repression gegen linke Strukturen nimmt in jüngerer Vergangenheit immer mehr zu. Angefangen beim Verbot von "linksunten.indymedia" 2017, diversen 129b-Verfahren gegen türkische und kurdische revolutionäre Organisationen, einem ersten Urteil im sog. "Antifa Ost-Verfahren" bis hin zu laufenden Verfahren nach Paragraph 129 bzw. 129a in Frankfurt, Leipzig, Berlin oder Nürnberg. Erst letztes Jahr wurde das Verfahren nach Paragraph 129 gegen den "Roten Aufbau Hamburg" eingestellt und das "Radio Dreyeckland" als vermeintliches Sprachrohr von "linksunten.indymedia" kriminalisiert. 

Zusätzlich wird ein selbstbestimmter Ausdruck auf der Straße immer weiter eingeschränkt oder gewaltsam verhindert, wie sich beim „Tag X“ in Leipzig oder der IAA in München zeigte. Unzählige Verfahren wegen Kleinigkeiten sollen Kapazitäten und Ressourcen binden und die Betroffenen zermürben.

Auf Spurensuche: Woher kommt die Repression?

Für die Zunahme der Repression gibt es aktuell verschiedene prominente Erklärungsansätze. Unter Anderem im "Antifa Ost-Verfahren" wurden aus (vermeintlich) linken Kreisen entsolidarisierende Erklärungen prominent. Einmal mehr wurde von einem neuen Level der Gewalt schwadroniert, das die Repression nach oben schrauben würde.

Richtig ist: Je konsequenter Antifaschismus handelt und je nachhaltiger Faschisten und andere Rechte zu Schaden kommen, desto härter verfolgt der Staat die vermeintlich Verantwortlichen. Richtig ist auch: Wer nicht nur punktuell oder spontan gegen Neonazis vorgeht, sondern organisiert und verdeckt über einen längeren Zeitraum, stellt sich in einen Antagonismus zum bürgerlichen Staat – stellt ganz konkret das Gewaltmonopol des Staates in Frage – und wird von diesem entsprechend bekämpft.

Als Erklärungsansatz für die sich auf verschiedenen Ebenen verschärfende Repression reicht das aber kaum aus. Vielmehr müssen wir uns die gesellschaftlichen Verhältnisse anschauen, in denen die Repression aktuell wirkt. Seit einigen Jahren ist eine Rechtsentwicklung in der BRD zu beobachten, die sich weniger in einem Aufstreben der traditionellen Gruppen der extremen Rechten äußert, sondern tief in den bürgerlichen Parteien angekommen ist. Zwar ist es die AfD, die offen gegen Geflüchtete hetzt und es sind oft rechte Gewalttäter und Neonazis, die Geflüchtetenunterkünfte angreifen und Angsträume für Menschen schaffen, die Feinde in ihrem Weltbild sind. Aber es sind die bürgerlichen Parteien von der CDU bis zu den Grünen, die die Asylgesetze verschärfen. Es ist die Ampel, die in ihrem Haushaltsentwurf für 2024 bis zu 30 Prozent der Sozialausgaben streichen will. Es ist die SPD-Innenministerin Nancy Faeser, die AfD-Wahlslogans umsetzt, wenn sie Migrant:innen in Sippenhaft nehmen und angebliche „kriminelle Clan-Mitglieder“ ohne konkrete Vorwürfe abschieben will. 

Noch vor ein paar Jahren waren (neo)faschistische Parteien und Organisationen eher damit beschäftigt, sich mit ihrer Programmatik an bürgerliche Parteien anzubiedern. Mittlerweile geschieht dies eher anders herum: Bürgerliche Parteien versuchen anschlussfähig an rechte Positionen und Forderungen zu sein und lassen sich von diesen treiben. Der Rechtsruck der bürgerlichen Parteien ist jedoch nicht nur ein opportunistisches und wahltaktisches Nachgeben gegenüber der AfD, auch wenn solche Überlegungen sicher eine Rolle spielen.

Die Entwicklung von Kürzungen in den Sozialsystemen, Hetze gegen Geflüchtete oder wie sie in der immer offeneren Militarisierung der BRD zum Ausdruck kommt, ist eine Antwort auf kapitalistische Krisen und zunehmende imperialistische Konkurrenz.

Wie weiter?

Das Fehlen großer Klassenkämpfe und gesellschaftlicher Bewegungen in Deutschland verstärkt die Gefahr der Isolation fortschrittlicher Kräfte, die das Gewaltmonopol des Staates auch praktisch in Frage stellen. Dieser können wir nur durch eine konstante und ausdauernde Aufbauarbeit begegnen, die auf Ansprechbarkeit und Sichtbarkeit in der Gesellschaft setzt und sich an den Widersprüchen in der Gesellschaft und aktuell stattfindenden Kämpfen orientiert, Teil dieser wird und bereits im Kleinen fortschrittliche Perspektiven aufzeigt. 

Gleichzeitig gibt es aufgrund der Härte der Repression auch eine Tendenz der Isolation der illegalen Genoss:innen vom Rest der Bewegung. Die Bildung von kollektiven Erfahrungen und Bewusstsein zu dieser Situation wird damit erschwert.

Dass das Maß der Repression gerade qualitativ den Stand unserer Kämpfe übersteigt, schafft ein Missverhältnis, in dem sich die Repression ohne bewusstes Handeln und bewusste Entscheidungen durchsetzen wird. Politisches Bewusstsein entwickelt sich unter anderem aus den konkreten Lebensumständen und aus den Kämpfen, die wir führen. Die großteils legalen Kämpfe in Deutschland bereiten die Beteiligten dementsprechend kaum auf den Umgang mit der Repression vor, die der Staat aktuell gegen die Untergetauchten und ihr vermeintliches Umfeld aufzieht. Dass die linke Bewegung in Deutschland von der aktuellen Repression des Staates eingeschüchtert ist, ist also nicht wirklich verwunderlich.

Es braucht die aktive Entscheidung für Solidarität mit den Untergetauchten und für die Praxis, für die sie vom Staat verfolgt werden, es braucht einen klaren Antagonismus zum bürgerlichen Staat und zu seiner Klassenjustiz, um der aktuellen Repression widerstehen zu können.

Auch wenn die oben benannten Fälle an Repression, 129-Verfahren, Öffentlichkeitsfahndung und Haftstrafen noch nicht die Regel sind, stellen sie auch keine Einzelfälle mehr dar, sondern sind die qualitative Spitze einer Tendenz, die sich in den kommenden Jahren wohl noch weiter verschärfen wird. Es ist notwendig, sich das einzugestehen und in der Konsequenz Raum für Diskussionen zu schaffen. Dazu gehört auch anzuerkennen, dass Repression – insbesondere ohne einen konstruktiven Umgang mit ihr – Ängste bei Menschen auslöst und zu Rückzug in eine geduldete Praxis bis hin zum kompletten Rückzug aus dem politischen Aktivismus führt.

Neue Verschärfungen fordern auch einen neuen Umgang mit der sich verändernden Repression. Eine Möglichkeit ist, sich der Repression zu entziehen. Durch das Untertauchen können wir eine neue Handlungsfähigkeit und Perspektive auf Haftstrafen schaffen. Dass Untertauchen aktuell so fern scheint, liegt auch daran, dass es hierzu weniger Erfahrungen und aktuelle Beispiele gibt. Die Vorstellung einen abgesteckten Zeitraum in Haft zu verbringen ist für die meisten Menschen damit greifbarer.

Mit der Zeit und gemachten Erfahrungen wird sich dieser Punkt auch etwas relativieren, dennoch ist das damit kein Selbstläufer. Ein Austausch an Erfahrungen und eine bewusste Diskussion über strategische Ansätze und Perspektiven, über Fehler und Probleme - sowohl in Bezug auf Knast als auch Untergrund - muss daher aktiver angegangen werden, um der Tendenz der Isolation zu begegnen. Dazu gehört, sich bewusst zu machen, wofür wir eigentlich kämpfen und wofür wir auch bereit sind, gewisse Konsequenzen zu tragen.

Entgegen aller Widrigkeiten, Repression und Knast gibt es Unterstützung und Solidarität für Menschen im Untergrund und wird gemeinsam für eine Perspektive gekämpft - trotz alledem.

Freiheit und Glück allen Genoss:innen in Haft und im Untergrund!