Aufstieg der AfD: Schwere Zeiten?
Das Wahljahr 2024 zwischen Aufstieg der AfD und Massendemonstrationen gegen die Partei.
Langjährig engagierte Antifaschist*innen rieben sich in den letzten Wochen die Augen. Nach der Veröffentlichung der „Correctiv“-Recherchen warnen plötzlich Leute vor der AfD und den Folgen ihrer Politik, die bis vor wenigen Wochen dafür kein Interesse zeigten, oder schlimmer, ins gleiche rassistische Horn stießen, wie diese, nur in anderem Ton. Eine der situativ besten Reden hielt ausgerechnet der CDU-Politiker Armin Laschet in Aachen, der seiner Zuhörerschaft in wenigen Sätzen aufzeigte, wie kurz der Weg von der Demokratie zur NS-Diktatur am Ende der Weimarer Republik war, um dann zu schlussfolgern, die AfD dürfe keinen Zugriff auf die Macht bekommen.
Dass diese Erkenntnis Vertreter*innen der CDU in zahlreichen Kommunen und fallweise im Thüringer Landtag nicht daran hindert, mit der AfD offen zu kooperieren, gehört zu den Widersprüchen dieser an Protest reichen Tage.
Bündnisse gegen rechts
Sicher, je breiter ein Bündnis, umso eher finden sich Linke an einer Seite mit Organisationen und Positionen, die aus gutem Grund Gegenstand ihrer Kritik sind. Abschiebungen, Bezahlkarte für Flüchtlinge, rigide Polizeigesetze: Es ist nicht die AfD, die dies gerade durchsetzt, sondern die diversen Koalitionen der großen demokratischen Parteien, die damit dem Druck der AfD nachgeben. Das ist und bleibt politisch falsch.
Doch jene heterogenen Bündnisse, die gerade die Demonstrationen in den Regionen tragen sind notwendig, um den weiteren Aufstieg der AfD zu begrenzen. Linke Akteur*innen sind derzeit politisch zu schwach, um der AfD wirksam etwas entgegensetzen zu können. Das Argument, im Schatten der politischen Auseinandersetzung mit der AfD setzten die anderen Parteien deren Politik um, übersieht den kategorialen Unterschied zwischen der Umsetzung von einzelnen Aspekten rechter politischer Inhalte, und einer völkisch-nationalistischen Tabula Rasa a la AfD, die auf eine autoritäre Formierung des Landes zielt.
Dass die AfD mit stetigem Machtzuwachs mit Letzterem beginnen wird, daran lässt sie keinen Zweifel. Die entsprechenden Ankündigungen von Höcke&Co sind ernst zu nehmen. Einmal zu Macht gelangt, werden die Mandatsträger*innen der AfD nicht zögern, diese zu zementieren.
Mit Leuten, deren sonstige Auffassungen Linke nicht teilen, gegen die AfD auf die Straße zu gehen, hindert niemand daran, eigene linke Ideen und Konzepte zu vertreten, ohne sich die Agenda des weltoffenen Neoliberalismus zu eigen zu machen. Die Widersprüche, die das Agieren in Bündnissen mit sich bringt, lassen sich zu Gunsten der Reinheit eigener politischer Ansätze nur zum Preis einer politischen Selbstisolation lösen. Dies wäre im Angesicht der realen Machtoptionen der AfD fatal.
Vielerorts sind es nicht Parteien, die die konkrete Bündnisarbeit tragen, sondern engagierte Gruppen und Einzelpersonen, die für ihren Aktivismus einstehen und gegebenenfalls einen hohen persönlichen Preis zahlen.
Verunsicherte AfD
Dass die Demonstrationen die AfD und ihr extrem rechtes Vorfeld verunsichern, lässt sich an deren Reaktionen ablesen. Die bei Strategen lange vorherrschende Analyse, ein angesichts der Erfolge der Partei völlig demobilisiertes und demotiviertes progressives Gegenlager werde den weiteren Siegeszug der AfD ohnmächtig passieren lassen, trägt offenbar derzeit nicht. Deshalb bietet die Propagandamaschinerie der Partei alles auf, um die Debatte über ein AfD-Verbot zu diskreditieren und die Demonstrationen gegen sie als Regierungsaufmärsche zu denunzieren.
Die zahlreichen Kundgebungen bewirkten, dass die Erfolgsgewissheit der AfD zumindest Risse bekommen hat. Das ist noch keine Niederlage der Partei, bremst aber das Tempo ihres Aufstiegs. Der öffentliche Druck auf die Parteiführung um Alice Weidel und Tino Chrupalla nimmt zu, die „Junge Alternative“ (JA) als aktives Bindeglied zu anderen Fraktionen der extremen Rechten könnte für die Partei zur Last werden.
Die Demonstrationen der vergangenen Wochen haben den Vorhang der Unsichtbarkeit politischer Alternativen zur AfD gerade in den ostdeutschen Regionen ein wenig gelichtet. Die Proteste stimmen überzeugte AfD-Wähler*innen ganz sicher nicht um. Das ist vor allem bei der Kernanhängerschaft nicht zu erwarten. Unentschlossene, politikferne Menschen aber sind durch seismische Änderungen der gesellschaftlichen Diskurslage in ihrem Umfeld durchaus zu erreichen.
Gegen die Normalisierung
Wenn die Demonstrationen und ihr mediales Echo dafür sorgen, dass es in einigen Regionen eben nicht mehr ganz so chic ist, AfD zu wählen, wäre schon etwas gewonnen. Die Vorstellung, die Demonstrationen könnten die über Jahrzehnte gewachsenen regionalen Dominanzräume aufbrechen, ist jedoch naiv.
Wer diese und die Mechanismen der Mobilisierung rechter Lebenswelten in Sachsen, Thüringen und Brandenburg kennt, weiß, dass sie in einem eigenen sozialen Referenzsystem funktionieren, und nur in Frage stehen, wenn zentrale Akteur*innen, also Personen und Strukturen wegbrechen. Dies ist nicht in Sicht. Im Gegenteil.
Vor dem Hintergrund der kommenden Kommunal- und Landtagswahlen und den Erfolgsaussichten der AfD geht es darum, deren Vordringen in weitere Sozialräume zu verhindern. Die bereits stattgefundene Normalisierung der AfD offensiv in Frage zu stellen wird in Gemeinde- und Stadträten, in Vereinen und Verbänden, in die die Vertreter*innen der AfD drängen, eine echte Herausforderung.
Im Osten ist die Normalisierung das Erfolgsrezept der AfD, nicht mehr der politische Tabubruch. Es ist diese Normalisierung, die die Voraussetzungen für eine Kooperation der AfD mit anderen Parteien in welcher Form auch immer erst schafft. In den Kommunen, wo niemand so genau hinsieht, eine stabile Brandmauer gegen die AfD zu errichten, obgleich die inhaltlichen Schnittmengen scheinbar auf der Hand liegen, wird sich nur mit überregionalem Druck durchsetzen lassen.
In den westdeutschen Metropolen lösten die Demonstrationen im aktivistischen Umfeld von „Fridays for Future“ eine Euphorie des Engagements gegen die AfD aus. Offenbar soll das Instrumentarium des Klima-Aktivismus nun im Kampf gegen die AfD angewandt werden. Doch dieses ist jenseits des S-Bahn-Rings in Berlin nur begrenzt für konkrete Intervention tauglich.
Soll die Bereitschaft zum Engagement gegen die AfD nicht nach ein oder zwei örtlichen Kundgebungen verpuffen, braucht es eine Überführung in Formen politischer Bildung und Arbeit vor Ort, die die jeweils konkreten Bedingungen berücksichtigt, den Aktivist*innen den Rücken stärkt und einen langen Atem verleiht. Dies braucht soziokulturelle Ankerpunkte, messbare kleine Erfolge und ein Backup für den nicht unwahrscheinlichen Fall, das die AfD im Osten weiter in der Erfolgsspur bleibt. In Hamburg und Frankfurt lassen sich nicht mühelos, aber doch Ressourcen schaffen, die es in ostdeutschen Regionen nicht oder nur exemplarisch gibt. Wer raus will aus der „Wohlfühlzone“ des Instagram-Aktivismus, muss sich nach Partner*innen in den Regionen umschauen, in denen die AfD den Takt der Musik an der gesellschaftlichen Basis vorgibt.
Die Angriffe der letzten Zeit auf soziokulturelle Räume in ostdeutschen Mittelstädten sind ein Indikator dafür, dass die Gefahr bei weitem nicht nur von der AfD ausgeht. Insofern ist die Arbeit von Initiativen wie etwa jene von „Polylux“, die unkonventionell Initiativen in den ostdeutschen Regionen begleiten, finanziell unterstützen und sichtbar machen, eine der möglichen Antworten auf die Situation des Jahres 2024 vor und erst recht nach den Wahlen.
Gelingt es nicht, die „blaue Welle“ in den Ländern und Kommunen im Osten zu brechen oder wenigstens ihre Ausläufer zu begrenzen, wird es einen weiteren Exodus der Menschen in die Metropolen geben, die jetzt das Engagement vor Ort tragen. Das wäre nicht der einzige bittere Effekt des Erfolges der AfD.