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Immer Glück ist Können. Aber was ist dann viel Pech?

„LANGSAM.ALT“ & „DIE ANDERE BANDE“ (Gastbeitrag)
Einleitung

Mit ihrer Nummer 140 steigt das "Antifaschistische Infoblatt" (AIB) in die Aufarbeitung des „Antifa Ost-Komplexes“ ein und fordert zur Debatte auf. Das haben wir zum Anlass genommen, diesen Text zu verfassen. Wir hoffen, den richtigen Ton zu treffen, unsere teils harsche Kritik annehmbar zu formulieren und diese als Beitrag zu einer weiteren Auseinandersetzung verstehbar zu machen.

Antifa - zerocalcare
(Bild: Faksimile "Unten im Loch"; Zerocalcare)

Lehre aus dem NSU?

Nach der Selbstenttarnung des NSU mussten sich Antifaschist*innen bundesweit damit auseinandersetzen, aus welchen Gründen sie den Angehörigen der Betroffenen nicht ausreichend zugehört hatten, die bereits vor der Selbstenttarnung des NSU deutlich formulierten, dass die Mörder Neonazis sind und es sich nicht – wie von den Ermittlungsbehörden verbreitet – um Taten aus dem Phänomenbereich der Organisierten Kriminalität handelte. Darüber hinaus standen die Antifaschist*innen vor dem Problem, ob und inwieweit sie ihre politische Arbeit ändern müssen, um die Frage „Was tun, um einen weiteren NSU zu verhindern?“ zu beantworten.

Die thüringische Neonazi-Gruppierung Knockout 51 in Eisenach fiel ab Ende der 2010er Jahre besonders mit Gewalttaten auf und konnte vor den Attacken durch Antifas ungestört agieren. Und – beabsichtigt oder nicht – der antifaschistische Fokus auf diese Neonazis hat auch den Staat in Zugzwang gebracht, Handlungsfähigkeit gegenüber den angehenden Rechtsterroristen zu beweisen. Diese hatten zwischenzeitlich immerhin begonnen, sich Schusswaffen zu besorgen.

Was niemand den beteiligten Antifas nehmen kann – und zwar natürlich den tatsächlich Beteiligten, die sich von den von der Repression verfolgten unterscheiden können – ist, dass sie Konsequenzen aus dem Versagen der Antifa im Umgang mit der NSU-Mordserie gezogen haben. Möglicherweise waren sie sogar faktisch sehr erfolgreich in dem Sinn, dass die Eisenacher Neonazis ihre tödlichen Pläne nicht umsetzen konnten. Alle anderen, die im Angesicht der Repression alles im Nachhinein immer ganz schlau vorher wussten und wissen, dürfen sich fragen, welche Konsequenzen sie aus dem Scheitern der Antifa beim NSU gezogen und umgesetzt haben. Wer selbst keine bessere Bilanz vorzuweisen hat, darf selbstverständlich dennoch Kritik üben, aber kann gerne etwas weniger breitspurig auftreten.

Fair bleibt fair

Unser Anliegen ist es, die Aktionen, die vor dem Gericht in Dresden verhandelt wurden, begründet und dabei immer solidarisch zu kritisieren. Schwer begreiflich ist es, wenn Neonazi-Propaganda unreflektiert von Linken übernommen wird, wie es teils in abwertender, teils in solidarischer Absicht geschieht. Das meint das Sprechen von einer „Hammerbande“, die mit Hämmern Schädel zertrümmere – eine Behauptung, die aus Neonazi-Kreisen stammt und juristisch nicht hinreichend unterlegt ist. Es darf getrost davon ausgegangen werden, dass das schlicht nicht stimmt. Auch die ironische Verwendung und die Hammer-Wortspiele in solidarischen Kontexten lassen die angemessene Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung mit Militanz vermissen.

Es sollte unserer Meinung nach klar sein, dass Tote bei Auseinandersetzungen nach wie vor nicht erwünscht sind und daher zu vermeiden sind. Denn Linke – in der aktuellen Zeit – bringen keine Menschen um. Das war schon in den 1990er Jahren aus einer Vielzahl von Gründen das Ergebnis von Antifa-Debatten und wurde von den damaligen Diskutierenden auch im Nachhinein immer als richtig befunden. Diesen Grundkonsens zu ändern, wäre keine individuelle Entscheidung oder die eines einzelnen Zusammenhangs, weil alle die Konsequenzen zu tragen hätten. Und der Zufall darf darüber selbstverständlich auch nicht entscheiden. Falls jemand ernsthaft erwägt, das in Frage zu stellen, werden wir gerne zu einem späteren Zeitpunkt die Argumente der 1990er Jahre in der Debatte wiederholen.

Hätte ja irgendwie klappen können? Von Pech und Unvermögen.

Linke Militante begegnen der Repression seit Jahrzehnten erfolgreich mit Klandestinität. Bei den vorgeworfenen Taten griff dies nicht. Das ist schon bemerkenswert. Seit 1993 gibt es beispielsweise PGP und damit wenig Grund, seine (digitale) Kommunikation überwachen zu lassen. Es ist seitdem auch regelmäßig nicht mehr vorgekommen, wobei die Verschlüsselungstechniken fortlaufend modernisiert, verbessert und einfacher handhabbar wurden.

Im „Antifa Ost-Verfahren“ wurde Kommunikation vor Gericht verwertet, weil auch in diesem Bereich einfachste Regeln nicht eingehalten wurden. Diese sind in einer kleinen Auswahl: heikle politische Besprechungen jeder Art finden nicht in Privat-Räumen oder -PKW statt, Datenträger sind verschlüsselt und ausgeschaltet und Beweismittel verschwinden schnellstmöglich und zuverlässig.

Darüber hinaus ist es auch nicht klandestin, wenn abenteuerliche Selbstdarstellungen im Boulevardstil in Interview- oder Portraitform in der Presse vorliegen, die sich aus der Sicht der Polizei einem aktiven militanten Zusammenhang zuordnen lassen können. Dies soll auf mindestens zwei Personen beziehungsweise Presseerzeugnisse zutreffen und wirft die Frage auf: für welchen Zweck wurde Klandestinität hier zurückgestellt? 

Gerne würden wir ergänzend fragen, ob ein langes Vorstrafenregister wirklich dafür spricht, dass man gerade das tut, was man selbst am besten kann? Hilft man so der antifaschistischen Bewegung am meisten oder sollte man sich beim reichen Angebot an sinnvollen politischen Betätigungsfeldern nicht woanders einbringen? Ist es nicht der eigene Zusammenhang, der dazu dringend auffordern müsste?

Yolo? Warum so hektisch?

Bei militanten Aktionen müssen immer Bedenken und der Willen die Handlung unmittelbar umzusetzen gegeneinander abgewogen werden. Das ist schon fast eine autonome Binsenweisheit. Bedenken müssen tatsächlich zu einem gewissen Grad immer weggedrückt werden. Es muss aber Raum geben, die vernünftigen Bedenken wirken zu lassen. Aktionen sind abzubrechen, wenn auf dem Hinweg in einen Blitzer gefahren wird, kameraüberwachte Bereiche sind zu meiden und man kann auch ruhiger treten, wenn Observationen bemerkt werden oder Verfahren gegen einen laufen.

Leitmotiv sollte dabei immer sein, generell achtsam gegenüber den eigenen Leuten und den Möglichkeiten der Repression zu sein, ohne handlungsunfähig zu werden.

Ab einer gewissen Fehlerdichte liegt der Verdacht nahe, dass eine zu hohe Leichtsinnigkeit und Großspurigkeit zu risikoreichem Handeln geführt hat. Letzteres ist Teil männlicher Sozialisation und das wäre im Ergebnis Mackermilitanz. Fehler in diesem Bereich lassen sich gerade nicht mit einem „Weiter so“ und „Jetzt erst recht“ und anderen harten Sprüchen heilen, sondern mit mehr Umsicht. 

Auch in Hinblick auf Jüngere, die den Umgang für normal halten könnten, wollen wir einmal klar sagen, dass es wirklich Sinn ergibt, der Repression so gut es irgend geht auszuweichen. Mit einigem Befremden nehmen wir darüber hinaus die Selbstverständlichkeit und Häufigkeit mit der zur Zeit „untergetaucht“ zu werden scheint zur Kenntnis. Wir hoffen sehr, dass hier in allen Fällen die Entscheidungen gut abgewogen wurden – nicht nur in etlichen.

Die Älteren haben es in den letzten Jahren sicher versäumt, in einer marginalisierten und zersplitterten Szene die notwendigen Debatten anzuregen und tragfähige Versuche zu unternehmen, ihre Erfahrungen weiterzugeben.

Wie geht es weiter?

Vorläufig ist Fakt, dass alle, die zur Zeit in Ostdeutschland organisiert einen Neonazi verprügeln, einerseits auf das Repressionskonto von irgendwelchen (vermeintlich) „Untergetauchten“ einzahlen und andererseits selbst damit rechnen dürfen, dass sich das Bundeskriminalamt um die begangene Tat kümmern wird – mit dem Ziel, eine_n per Kennverhältnis zu einer Vereinigung zuzuordnen. 

Keine guten Voraussetzungen für ein einfaches „Weiter so!“ oder „Mehr davon!“. Was die Repression betrifft: lasst uns unsere Anwält_innen zukünftig vor möglichst leicht lösbare Aufgaben stellen. Dann gibt es danach auch keinen Streit über Prozessstrategien.

Freiheit und Glück für alle von der Repression Betroffenen!