Machtübernahme: Was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren
Arne Semsrott (FragDenStaat.de) (Gastbeitrag)In dem Buch „Machtübernahme: Was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren“ werden Szenarien durchgespielt, die die Konsequenzen einer AfD-Machtübernahme behandeln (fragdenstaat.de/buch). Dieser Artikel ist ein gekürzter Nachdruck. Arne Semsrott arbeitet im Team von FragDenStaat, er ist Politikwissenschaftler und Journalist.
Realität oder Szenario – was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren?
Die Strategien der Machtübernahme sind kein Geheimnis, Björn Höcke schrieb etwa bereits 2018 in seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“ von einer „Volksopposition“, die aus drei Elementen besteht: der AfD als zentraler Partei, außerparlamentarischen Gruppen wie PEGIDA und Gruppen innerhalb des Systems, die der AfD wohlgesonnen sind. Die AfD wird nicht „entzaubert“ werden. Kommt die AfD an die Regierung – sei es in einer Kommune, in einem Bundesland oder im Bund – werden Parteimitglieder versuchen, ihre Gewaltfantasien in staatliche Gewalt zu verwandeln. Die AfD ist im Kern eine extrem rechte, eine menschenfeindliche, eine verfassungsfeindliche Partei. Bausteine ihrer Ideologie basieren auf der Annahme, dass manche Menschen mehr wert sind als andere. Ihre Vorstellungen sind durchzogen von Rassismus, von Queer- und Frauenfeindlichkeit, von Ableismus und Klassismus. Die AfD ist dominiert von Menschen, die autoritäre und national-völkische Ideen verwirklichen wollen. Versucht man die AfD durch eine Regierungsbeteiligung zu entzaubern, geraten dadurch Menschen in akute Gefahr. Sie würden unmittelbar durch die Politik der AfD verletzt und mittelbar durch das menschenfeindliche gesellschaftliche Klima, das die AfD anheizt. Wer denkt, man könne die AfD durch eine Regierungsbeteiligung einhegen, ist bereit, Mitmenschen für diesen Versuch zu opfern.
Die Machtübernahme ist kein unaufhaltsames Ereignis, sie ist eine von Menschen angetriebene Gefahr, die jederzeit auch von Menschen gestoppt werden kann. Um die AfD heute zu stoppen, ist es notwendig, sich auf eine mögliche Regierung dieser Partei vorzubereiten.
Der Aufstieg der AfD fand nicht im luftleeren Raum statt. Er wurde befeuert durch rassistische Debatten und durch die fehlende Abgrenzung der etablierten Parteien von den Inhalten der AfD. Es brennt auf beiden Seiten der Brandmauer.
„NIE WIEDER“ war gestern
Zumindest in einer Regierungskoalition kann die AfD nicht im Alleingang eigene Gesetze durchdrücken, sondern braucht dafür das Einverständnis ihres Koalitionspartners. Hat die AfD ein Ministerium in der Hand, kann ihr Minister ohne Einmischung des Parlaments die praktische Ausgestaltung von Gesetzen bestimmen, Verordnungen und interne Weisungen erlassen und zentrale Regierungsposten besetzen. Entscheidend ist also, welche Ministerien sie erhält. Viele von der AfD geplante Maßnahmen haben vergleichbare extrem rechte Bewegungen in anderen Ländern bereits durchgesetzt. Die Ex-Regierungspartei PiS in Polen, die italienische Premierministerin Giorgia Meloni, der autoritäre Machthaber Viktor Orbán in Ungarn, die FPÖ in Österreich und auch Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei haben vorgemacht: Die autoritäre Wende vollzieht sich nicht von einem Tag auf den anderen, sondern Schritt für Schritt. Nicht nur im Parlament, sondern in Behörden, in der Justiz und im öffentlichen Diskurs. Die AfD kann mit dem Einsatz eigener politischer Beamten die Linientreue der Behördenspitzen sicher stellen. Die Verbeamtung loyaler Gefolgsleute aus dem ministerialen Umfeld zum Ende einer Amtszeit ist in Bund und Ländern zu einer Tradition geworden, für die es einen eigenen Ausdruck gibt: „Operation Abendsonne“. Eine Behördenleitung kann in bestimmten Bereichen ohne die Zustimmung eines Parlaments Verordnungen erlassen und über interne Verwaltungsvorschriften Beamte lenken und auf Linie bringen. Die Beamten können angewiesen werden, innerhalb bestehender Gesetze anders zu arbeiten als bisher.
Für die AfD wäre es in der Regierung nicht entscheidend, ob sie ihre Wahlversprechen einhält. Viel wichtiger ist, dass sie weiter auf die Themen setzen kann, die in den Medien diskutiert werden. Deswegen bleibt es für sie unerlässlich, ohne Ende über Migration und den Kulturkampf zu sprechen, selbst wenn sie deren Ausgestaltung und Einschränkung gar nicht beeinflussen kann, weil dies der EU-Kompetenz unterliegt. Wo die AfD mit ihren Vorhaben scheitert, schiebt sie die Verantwortung auf andere. Die AfD wird sich auch in der Regierung als Opfer inszenieren. Für sie ist Übeltäter, wer gerade passt – der Bund, die Grünen, das Bundesverfassungsgericht.
Auf EU-Ebene ist diese Praxis nicht unbekannt, das zeigt das Beispiel des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Obwohl er der dienstälteste Regierungschef in der EU ist, macht er nach wie vor die EU für Verfehlungen seiner Regierung wie die miserable Wirtschaftssituation verantwortlich.
Die Schlüsselpositionen, die die AfD in ihrer ersten Regierungszeit im Verwaltungsapparat besetzt, blieben über Jahre und Jahrzehnte bestehen. Dadurch kann sie auch künftig Einfluss auf die Exekutive nehmen – trotz möglicher Wahlniederlagen. Ein eindrückliches Beispiel für diesen Mechanismus sind die Langzeitfolgen der kurzen Ära von Ronald Schill in Hamburg: Der Rechtspopulist war zwar nur von 2001 bis 2003 Zweiter Bürgermeister und Innensenator in Hamburg. Seine Personalentscheidungen wirkten aber weit über seine Amtszeit hinaus. So wurde Udo Nagel, den er zum Polizeipräsidenten ernannte, im Jahr darauf Innensenator. Den Polizisten Hartmut Dudde machte Schill zum Einsatzleiter der Hamburger Bereitschaftspolizei und damit zum Hardliner vom Dienst. Dudde sollte unter Schill für die umstrittene Räumung des Bauwagenplatzes "Bambule" sorgen. Danach stieg er die Karriereleiter weiter hinauf: Anstatt der harten Schill-Polizei-Linie eine Absage zu erteilen, beförderten die SPD-Nachfolger von Schill Dudde zum Einsatzleiter, der mit weiteren problematischen und teilweise rechtswidrigen Entscheidungen auffiel. Während Schills zweijährige Amtszeit zwei Jahrzehnte nachwirkte, ist die Regierungszeit der AfD noch ein Szenario.
Erst Rechtsbeugung, dann Rechtsbruch?
Bevor die Partei ihre Ziele in Regierungsbeteiligung verfolgen und Gefolgsleute in Behörden verankern kann, muss sie an die Macht kommen. Vermutlich nutzt sie die Gelegenheit für eine Koalitionsregierung, wenn sie sich bietet, um neben der schrittweisen Radikalisierung nach Möglichkeiten zu suchen, Momente des Ausnahmezustands herzustellen. Erst versucht die AfD in der Opposition, den normalen Ablauf von Parlamenten zu stören. Dann kann sie probieren, mithilfe der wachsenden Stimmenanteile auf kommunaler und Länderebene in die Regierung zu kommen und bereits bestehende Gesetze über die Grenze des Machbaren auszunutzen sowie neue zu entwerfen. Im nächsten Schritt kann sie sich anstrengen, die Verfassungsgerichte und damit letztlich die Verfassung zu überwältigen, beziehungsweise aufzuhebeln. Ein paar Anleihen aus Italien, ein paar von den US-amerikanischen Republikanern und aus Viktor Orbáns Ungarn oder vom extrem rechten brasilianischen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro. Mal moderater und zurückhaltend demokratisch in der Öffentlichkeit, dann wieder angriffslustig und revolutionär. Die Strategie des „politischen Mimikry“.
Was wenn am Wahlabend, die AfD vorne ist?
Überlegen Sie sich, wer in Ihrem Umfeld von einer AfD-Regierung besonders negativ betroffen wäre. Melden Sie sich bei der Person und bieten Sie Ihre Unterstützung an. Protest kann funktionieren, wenn er sichtbar und spürbar ist. Als sich der FDP-Politiker Thomas Kemmerich im Februar 2020 mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ, formierte sich ein spontaner Protest vor der FDP-Parteizentrale und vor dem Thüringer Landtag. Die Tausenden Teilnehmer*innen waren für die Spitzenpolitiker der Partei direkt sichtbar, sie standen quasi direkt unter ihren Fenstern. Dies trug dazu bei, dass der FDP-Bundesparteichef Kemmerich zurückpfiff.
Eine AfD-Regierung sollte früh und dauerhaft Gegenwind bekommen. Es fällt einem einfacher zu protestieren, wenn man nicht allein ist. Proteste führen dazu, dass das Problembewusstsein für die Gefahren einer autoritären Wende in vielen gesellschaftlichen Bereichen deutlich erhöht wird.
Vorbereitungen für eine AfD-Regierung treffen vor allem die, die aus Erfahrung wissen, dass sie sich selbst schützen müssen, weil der Staat nicht für sie da ist. Für politisch Engagierte ist es deshalb grundsätzlich sinnvoll, beim jeweiligen Melderegister an ihrem Wohnort eine Auskunftssperre zu beantragen. Sollte es Probleme bei der Beantragung einer Auskunftssperre geben, kann FragDenStaat helfen.1
In den Verfassungen von Berlin und Brandenburg beispielsweise ist geregelt, dass (AfD)-Abgeordnete jederzeit das Recht haben, amtliche Unterlagen einzusehen. Ausnahmen gibt es nur in Einzelfällen. Die AfD im Berliner Abgeordnetenhaus kann schon jetzt die Versammlungsbehörde nach den Namen von Demo-Anmelder*innen fragen oder in den Landes- und Bezirksämtern die Fördernachweise für zivilgesellschaftliche Initiativen prüfen. Fördernachweise und Abrechnungen können in der Regel auch ohne Namensnennungen an Behörden abgegeben werden.
Und da AfD-nahe Beamte auch Zugriff auf Archive von Daten haben, ist es wichtig, die Löschung veralteter Dokumente anzumahnen und das Recht auf Vergessen2 durchzusetzen. Die Gefahr, dass sensible Daten in die falschen Hände geraten, ist keineswegs auf die Bundesländer begrenzt, in denen die AfD an einer Regierung beteiligt ist. Durch Verbunddateien von Polizeien und Geheimdiensten sowie staatliche Datenbanken wie das Ausländerzentralregister können Tausende Behörden bundesweit auf Daten von gefährdeten Personen zugreifen. Die Verfassungsschutzbehörden der Bundesländer diskutieren schon jetzt informell, ob sie ein Bundesland aus ihrem Nachrichtenverbund ausschließen müssten, wenn es unter Kontrolle der AfD steht. Der Weg, die AfD von Datenquellen abzuschneiden ist, die Zugriffsmöglichkeiten des Staates zu begrenzen und die Stärkung der Bürgerrechte.
Zu diesen Rechten gehört auch das Recht auf Informationen. Danach haben alle Menschen das Recht darauf, Informationen vom Staat zu erhalten. Es gibt bereits Initiativen, die bei der Umsetzung dieser Gesetze helfen. FragDenStaat beispielsweise ist eine Online-Plattform, über die alle Menschen ihr Recht auf Informationen durchsetzen können. Der Prozess, Informationen von Behörden anzufordern, ist auch der Versuch, Bürger*innen auf Augenhöhe mit der Verwaltung zu bringen.
Rechte Richter?
Wer vor Gericht ist, muss wissen können, wer auf der Richterbank sitzt. Die Praxis der Rechtsprechung bleibt der Öffentlichkeit in der Regel verborgen. Unter ein Prozent aller begründeten Urteile deutscher Gerichte werden digital veröffentlicht. Für die Öffentlichkeit sind kaum Muster in der Rechtsprechung zu entdecken. Verwenden einzelne Richter*innen an Verwaltungsgerichten beispielsweise in ihren Urteilen rassistische Argumentationsmuster, kommt dies nicht an die Öffentlichkeit. Würden Gerichtsurteile standardmäßig veröffentlicht, würde dies öffentlich. Auf der freien Urteilsdatenbank openjur.de lässt sich aufbauen.
Solidarisch Preppen
Was wäre, wenn wir Prepping aber nicht individualistisch, sondern kollektiv gestalten, als Selbstermächtigung angesichts eines Staates, auf den man sich nicht verlassen kann? Dieser Ansatz beinhaltet, Gesellschaft vor allem lokal zu organisieren, Politik von unten zu machen, gemeinsame Infrastruktur zu schaffen und sich auf einen „Tag Y“ vorzubereiten. Ein zukunftsfähiges und solidarisches Prepping. Für die Zukunft zu preppen bedeutet, sich innerhalb einer Gemeinschaft Fähigkeiten anzueignen, auf die wir in einer hochgradig arbeitsteiligen modernen Gesellschaft eigentlich nicht mehr angewiesen sind, und die wir auch jetzt noch nicht unmittelbar brauchen. Netzwerke, die im Rahmen eines zukunftsfähigen Preppings entstehen, können die Basis bilden für Selbstvertrauen und das Vertrauen in die selbst geschaffenen Institutionen und die eigene politische Selbstwirksamkeit. Es gibt viele Beispiele für Initiativen, die Veränderungen von der Politik einfordern, aber nicht einfach darauf warten, dass diese umgesetzt werden, sondern diese Ideen schon innerhalb der eigenen Strukturen aktiv umsetzten.
Besonders wichtig für diese Form des Preppings sind sichere Räume. Vor allem stabile, physische Orte, in denen Menschen sich geschützt fühlen können. Diesem Gedanken entspringen auch "Autonome Zentren", die vor allem in den 80er- und 90er-Jahren populär waren und die oft auch subkulturelle Orte waren, an denen Musik, Theater, bildende Kunst entstand.
Aber auch digitale Räume sind für eine wirksame Vernetzung heutzutage unerlässlich. Gerade an Orten ohne Versammlungs- oder Meinungsfreiheit kann das ein wahrer Nutzen sein. Umso wichtiger ist es, auch online neue kommerzfreie Räume zu schaffen und bestehende viel zu nutzen.
Wir müssen das Leben leben, für das wir kämpfen. In den Worten des Philosophen Srećko Horvat: Ein anderes Ende der Welt ist möglich. Alle haben dazu unterschiedliche Werkzeuge zur Verfügung – Remonstrationen, Proteste am Wahlabend und darüber hinaus, Bummelstreiks, Geld, Gesetzesänderungen, Transparenzarbeit, Zeit, gegenseitige Anrufe, Selbstverteidigungskurse, Mut. Wenn wir es schaffen, nicht nur offene, sondern sichere Räume zu schaffen, kann daraus etwas Neues entstehen.
Wir können endlich darüber nachdenken, wie wir unsere Gesellschaft gestalten wollen, anstatt nur auf ein rechtes Agenda-Setting zu reagieren. Und wir können Spielräume vergrößern. Die extreme Rechte versucht unsere Handlungsräume einzuschränken. Der beste Weg, dagegen anzugehen, ist nicht Verteidigung, sondern Angriff: der Kampf für mehr Möglichkeitsräume. Um sie zu vergrößern, sollten wir uns vernetzen, uns unterstützen, gemeinsame Trauerarbeit machen, gemeinsam lachen und feiern.
„Should I stay, or should I go now?
Should I stay, or should I go now? If I go,
there will be trouble And if I stay, it will be
double. So come on and let me know“
(The Clash)
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Eine gute Anlaufstelle für Personen, die Bedrohungen von rechts erfahren, sind zudem die Mitgliedsorganisationen des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) sowie die Mobilen Beratungen gegen Rechtsextremismus, die in jedem Bundesland aktiv sind. Zudem versammelt der Verband DaMOst alle Selbstorganisationen von Migrant*innen in Ostdeutschland.
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bfdi.bund.de/DE/Buerger/Inhalte/Allgemein/Betroffenenrechte/Betroffenenrechte_Löschung_Vergessenwerden.htm