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Österreich: Keinen Skandal mehr wert

Drei Mitglieder & Ex-Mitglieder der Plattform Radikale Linke (Gastbeitrag)
Einleitung

Die Normalisierung des parteiförmigen Rechtsextremismus in Österreich.

Anti FPÖ Sticker
(Foto: flickr.com; Ivan Radic; CC BY 2.0)

Am 29. September 2024 wird in Österreich ein neuer Nationalrat gewählt, wobei eine erhebliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass die rechtsextreme "Freiheitliche Partei Österreichs" (FPÖ) zur stärksten Partei wird; seit über einem Jahr führt sie stabil die Umfragen an.1 Wobei angemerkt werden muss, dass 1,5 Millionen Menschen, das heißt ein Fünftel der Gesamtbevölkerung, nicht wahlberechtigt sind, da sie keine österreichische Staatsbürgerschaft haben. Während sowohl Platz 1 bei den Wahlen als auch eine mögliche blaue2 Kanzlerschaft neu wären, wird letzteres zumindest unter der Führung des aktuellen Parteichefs Kickl vor den Wahlen noch von allen Parteien ausgeschlossen. Eine erneute Regierungsbeteiligung der FPÖ wäre hingegen keineswegs ein Tabubruch.

Die Historie blauer Regierungsbeteiligungen lässt sich dabei auch als Geschichte der Ent-Skandalisierung des Rechtsextremismus lesen.

Aufstieg der FPÖ und Schwarz-Blau I

Der bis heute andauernde Aufstieg der FPÖ begann mit der Wahl Jörg Haiders zum Bundesparteivorsitzenden 1986. Auch wenn die FPÖ schon Zeit ihres Bestehens ein Sammelbecken für ehemalige und nicht so ehemalige Nazis war, brachte Haider die Partei von einem zeitweise eher liberalen wieder auf einen deutlich völkisch-nationalistischen Kurs. Haiders Wahl war damals noch Grund genug, dass die "Sozialdemokratische Partei Österreichs" (SPÖ) ihre Koalition mit der FPÖ auflöste. Gleichzeitig verdoppelte die FPÖ mit neuer Programmatik bei den darauffolgenden Wahlen ihr Ergebnis auf knapp 10 Prozent.

Auch in den darauffolgenden Jahren hatten von Haider und der FPÖ produzierte Skandale politische Reaktionen zur Folge: Nachdem Haider 1989 noch mit Hilfe der "Österreichischen Volkspartei" (ÖVP) zum Kärnter Landeshauptmann gewählt wurde, musste er nach einer Rede im Kärntner Landtag, in der er dem Dritten Reich eine „ordentliche Beschäftigungspolitik“ attestierte, wieder abtreten.

Obwohl dieser Moment noch einen gewissen Sinn für Grenzen des Sagbaren (zumindest auf der politischen Bühne) spiegelt, ist nicht davon auszugehen, dass die FPÖ-wählenden Teile der Bevölkerung solche Aussagen ebenfalls skandalisierten. Ein kleiner Einblick bietet hier  die erst 28 Jahre später ausgestrahlte Folge von Elisabeth Spira‘s „Alltagsgeschichten“. Die
Folge „Am Stammtisch“ zeigt verbale, antisemitische Exzesse von Kriegsveteranen dermaßen unverblümt, dass der "Österreichische Rundfunk" (ORF) 1988 von einer Ausstrahlung absah.3

Als die FPÖ mit ihrem neuen Kurs in der Nationalratswahl 1999 zur zweitstärksten Partei aufstieg, bildete sie erstmals mit der drittplatzierten ÖVP eine Regierungskoalition (Schwarz-Blau I). Gesellschaftlich und international trat dieser Koalition breiter Widerstand entgegen: Wöchentlich demonstrierten tausende Menschen bei den Donnterstagsdemonstrationen und der traditionelle Fußmarsch der neuen Regierung über den Ballhausplatz zu ihrer Angelobung beim Präsidenten wurde durch eine spontane, wütende Demonstration verhindert. Gleichzeitig sanktionierten die EU- und weitere Staaten Österreich mit der Reduktion ihrer bilateralen Beziehungen. Diese sich bereits abzeichnenden Reaktionen auf den politischen Tabubruch schlugen sich auch in der Regierungszusammensetzung nieder: Die
ÖVP stellte trotz schwächerem Wahlergebnis den Kanzler, Haider durfte kein Ministeramt übernehmen und die FPÖ besetzte die ihr zugesprochenen Ministerien mit verhältnismäßig moderaten Vertreter:innen.

Trotzdem zerbrach die Koalition nicht an der gesellschaftlichen Opposition, sondern an parteiinternen Streitigkeiten der FPÖ zwischen den eher moderaten Regierungsmitgliedern und Haider sowie seinen Anhänger:innen. Zwar verlor die FPÖ bei den darauffolgenden Wahlen massiv, wurde aber trotzdem an der nächsten Regierung wiederum mit der ÖVP beteiligt.

In dieser Zeit (ent-)ideologisierte sich allerdings auch Haider zunehmend hin zu einem eher autoritär-neoliberalen Kurs, was 2005 zum Bruch mit der FPÖ, der Abspaltung des „Bündnis Zukunft Österreich“ (BZÖ) mit Haider und allen Minister:innen führte.

Re-Ideologisierung der FPÖ und Schwarz-blau II

Die politisch und finanziell am Boden liegende FPÖ übernahm daraufhin Heinz-Christian Strache - der eine allgemein bekannte Vergangenheit als Neonazi hat - und verordnete ihr eine strikte Oppositionsstrategie und Re-Ideologisierung. In der Folge erstarkte die FPÖ steig (das BZÖ war infolge des Unfalltodes Haiders 2008 aus der politischen Landschaft verschwunden), bis sie 2014 gar in allen Umfragen auf Platz eins mit prognostizierten Wahl-ergebnissen zwischen 30 und 35 Prozent lag. 

Das änderte sich mit dem Aufstieg von Sebastian Kurz als Parteiobmann der ÖVP im Juli 2017. Dieser übernahm weite Teile der rassistischen und autoritären Politik der FPÖ bereits als Außenminister, führte einen stark auf Migrationsthemen fokussierten Wahlkampf und trug so entscheidend zu einer Normalisierung menschenfeindlicher Abschottungspolitik bei. Die darauffolgende erneute rechtsextreme Regierungsbeteiligung stellte somit keinen großen Tabubruch mehr dar und ist als Konsequenz jahrelanger Normalisierung, Diskursverschiebung und der Appeasementpolitik von ÖVP und SPÖ anzusehen.

Die im Herbst 2017 stattfindende Wahl gewann die ÖVP mit 31 Prozent und fünf Prozentpunkten Vorsprung auf SPÖ und FPÖ. Wie spätestens seit der Übernahme der ÖVP durch Kurz vorbereitet, folgte daraufhin erneut eine schwarz-blaue Koalition.

Antifaschistischer Widerstand gegen die neue Regierung versuchte sehr unmittelbar an die Proteste der frühen 2000er Jahre anzuknüpfen: Die wöchentlichen Donnerstagsdemos wurden wieder aufgenommen und Antifaschist:innen versuchten unter dem Motto „Die Ballhausplatzroute schließen“ die Regierungsangelobung zu stören - wobei diese Demonstration weit hinter dem Aufschrei im Jahr 2000 zurückblieb. 

Auch international hatte sich das Machtgefüge verschoben und die neue Regierung stellte keinen Skandal mehr dar: Statt internationaler Sanktionen gab es Glückwünsche von ideologisch verwandten Regierungsspitzen weltweit wie der Fidesz in Ungarn und der polnischen PiS.

Die Politik von Schwarz-Blau II vertiefte soziale Ausschlussmechanismen und richtete sich insbesondere gegen marginalisierte Gruppen: Arbeitsrecht, Gleichstellungspolitik, Gewaltschutz, Asylrecht und damit das alltägliche Leben von FLINTA*, Migrant:innen und Arbeiter:innen wurden angegriffen. 

Dabei konnten die Regierungsparteien an die Diskursverschiebungen der letzten Jahre anknüpfen und Proteste dagegen erreichten nur sehr punktuell und nie nachhaltig breite Teile der Zivilgesellschaft - insbesondere im Falle des gesetzlich neu eingeführten 12-Stunden
Arbeitstages. 

Gleichzeitig produzierte die FPÖ in der Regierung regelmäßig mediale Skandale, wie eine Hausdurchsuchung im Verfassungsschutz oder die Forderung des damaligen Innenministers Kickl Asylsuchende „konzentriert an einem Ort zu halten“.4 Auch wenn dies - zu recht - zu öffentlichem Aufschrei führte, lässt sich im Rückblick erkennen, dass dabei viele „unspektakuläre“, weniger skandalisierbare Veränderungen aus dem Blick geraten sind; beispielsweise finanzielle Kürzungen in Bereichen wie Bildung, Sozialleistungen, demokratiepolitischen Projekten und Gewaltschutz.

Das abrupte Ende von Schwarz-Blau II war somit auch keine Folge von antifaschistischem und zivilgesellschaftlichem Protest und medialen Enthüllungen, sondern dem betrunkenen Versuch des Vize-Kanzlers geschuldet, auf Ibiza die Kronen-Zeitung im Gegenzug für Regierungsaufträge an eine fiktive russische Oligarchennichte zu verkaufen. Die darauf folgenden Proteste bis hin zum ikonischen Auftritt der Band "Venga-Boys" („We‘re Going To Ibiza!“) auf dem Heldenplatz stellten einen Erfolg dar, der ohne die regelmäßigen Donnerstagsdemonstrationen und das schnelle Agieren vieler Antifaschist:innen in dieser Form nicht zustande gekommen wäre. Diese ließen jedoch auch nicht über eine gewisse Ohnmacht hinwegtäuschen, in der sich Antifaschist:innen während Schwarz-Blau II befanden.

Ambivalenz der Skandalisierung - Ein nicht auflösbares Problem

NS-relativierende Aussagen haben durchaus zum erzwungenen Rücktritt Haiders als Landeshauptmann oder seine Person später auch zu für Österreich durchaus heiklen internationalen Sanktionen und sehr großen bürgerlich-antifaschistischen Protesten geführt. Und auch in der jüngeren Vergangenheit führte das Aufzeigen ideologischer und personeller Verbindungen der FPÖ zu noch rechteren Personen und Gruppen punktuell immer für mediales Aufsehen, öffentlichen Distanzierungen und vereinzelt auch zu politischen Konsequenzen.

Langfristig gesehen, zeigt sich aber sowohl eine gewisse „Normalisierung des Skandals“ als auch der extrem rechten Ideologie. Die Regelmäßigkeit, mit der sogenannte rechtsextreme bzw. (neo-)nazistische „Einzelfälle“ oder auch enge persönliche Verbindungen zwischen
FPÖlern und unterschiedlichen Neo-Faschist:innen publik werden, hat dazu geführt, dass dies kaum mehr mediale und gesellschaftliche Resonanz findet. Auch auf einer diskursiven Ebene haben sich die Grenzen inzwischen weit verschoben: So fordert die FPÖ in der größten Nachrichtensendung des Landes ganz offen „Remigration“ - auch Tage nach dem soge-nannten Potsdam-Treffen. Parteichef Herbert Kickl stilisiert sich seit Monaten zum „Volkskanzler“ - ein Begriff, den insbesondere Hitler verwendete - und bereitet sich so darauf vor, sich in trumpscher Manier unabhängig von jeder Regierungsbildung als „eigentlichen“ Regierungschef zu inszenieren. 

Und auch wenn aktuell auf Bundesebene - vor den Wahlen - wieder fast alle Parteien ausschließen, mit der FPÖ zu koalieren, ist die Zusammenarbeit keineswegs tabuisiert: Die FPÖ sitzt in drei von sieben Landesregierungen, hat in den letzten Jahren auf dieser Ebene sowohl mit der ÖVP als auch mit der SPÖ koaliert und auf bundeslandebene massive Eingriffe in wohlfahrtstaatliche Politik unternommen.

Um nur wenige Beispiele zu nennen: Subsidiär Schutzberechtigte haben im schwarz-blau regierten Niederösterreich weder Anspruch auf Sozialleistungen noch freien Zugang zum Arbeitsmarkt, die Bezahlkarte für Asylsuchende wurde eingeführt und in regierungsabhängigen Institutionen und Behörden wurde das „Gendern“ verboten. Ein Skandal bleibt aus.

Diese Entwicklung verweist gewissermaßen auf eine Ambivalenz der Skandalisierung als antifaschistischer Strategie: Sie setzt auf eine - vermeintlich oder real existierende - antifaschistische Zivilgesellschaft, die durch das Aufzeigen des extrem rechten Charakters der FPÖ mobilisiert werden und die Regierung und politischen Parteien zum Handeln zwingen
kann. Das kann - insbesondere kurzfristig - durchaus erfolgreich sein und bleibt selbstverständlich eine Notwendigkeit.

Das Beispiel Österreich verweist aber gerade auch darauf, wie eine „Routine“ der Skandalisierung selbst in gewissem Maße zur Normalisierung des Rechtsextremismus beitragen kann: Die wiederholenden Verweise auf die Verbindungslinien zwischen der FPÖ und den sogenannten "Identitären" haben nicht zu einer zunehmenden Distanzierung oder Abgrenzung beigetragen. Stattdessen wird sich heute offen aufeinander bezogen. 

Es stellt sich also die Frage, wie kritische Medien, Zivilgesellschaft und wir als Antifaschist:innen damit umgehen können. Gerade aus einer linksradikalen Perspektive gilt es, die ideologische Ebene zu betrachten: Die FPÖ schafft es seit bald vierzig Jahren, ihr menschenverachtendes Programm immer anschlussfähiger zu machen und dabei auch die anderen Parteien vor allem im Bereich einer rassistischen Migrations- und „Sicherheits-“Politik vor sich herzutreiben - wobei sie sich selbst dabei eher noch weiter radikalisiert.

In der langfristigen Perspektive verweist auch gerade die Entwicklung des konservativen bis linksliberalen (Parteien-)Spektrums darauf, wie brüchig und ideologie-theoretisch falsch das angerufene Bild der von rechts außen bedrohten, antifaschistischen „Mitte“ ist. 

Zuletzt gilt es - gerade im Falle rechtsextremer Regierungsbeteiligungen - auch darauf zu achten, wie im Hintergrund und teilweise verdeckt vom Medientrubel und Skandal-Spektakel, ganz unmittelbare und materielle Verschlechterungen durchgesetzt werden - gerade hier verlieren Skandalisierungsversuche zumeist ihre Wirkungskraft. 

Eine zersplitterte radikale Linke mit ihren ohnehin begrenzten Ressourcen muss sich leider mit der Frage konfrontieren, wohin sie ihre Energie fließen lässt. Eine Frage, die sich nicht widerspruchsfrei beantworten lässt: Mit wie viel Aufwand reagieren wir auf den nächsten öffentlich geäußerten Tabubruch, mit dem Risiko, dass er leider schon lange keiner mehr ist und Großteile der österreichischen Bevölkerung, wenn nicht zu Applaus, nur zu einem müden Schulterzucken verleitet? Und wieviel Energie widmen wir der Bearbeitung des teilweise unterbeleuchteten Alltags und was die extreme Rechte in Regierungen mit den Facetten der individuellen Lebensbewältigung anrichten?