Veranstaltungsreihe "Winter is Coming"
PRISMA [IL LEIPZIG] (Gastbeitrag)„The repression doesn‘t have to be obvious. It can creep in from the side-ways“.
(Greg Prujszczyk, Antifaschist und Gewerkschafter aus Polen)
Wir haben uns die Frage gestellt, was die potentielle Machtübernahme der AfD in Sachsen für unsere politische Praxis bedeutet. Zu oft haben wir uns in politischen Situationen wiedergefunden, die absehbar waren und auf die wir besser vorbereitet hätten sein können.
Aus diesem Grund haben wir, gemeinsam mit fünf Genoss*innen aus Polen, Ungarn und Österreich, die Veranstaltungsreihe „Winter is Coming“ organisiert. Auf Podiumsgesprächen in Berlin, Cottbus, Jena und Leipzig berichteten die Genoss*innen von den rechten Regierungen in ihren Ländern und von ihren Kämpfen in verschiedenen Kontexten: Gegen Zwangsräumungen, für körperliche Selbstbestimmung, in Hilfsnetzwerken seit der Pandemie, gegen Neonazi-Aufmärsche, für queere Befreiung und vieles mehr.
Polen, Ungarn & Österreich
In Polen war von 2015 bis 2023 die rechte PiS-Partei an der Macht. In dieser Zeit wurden Schwangerschaftsabbrüche illegalisiert und viele Gemeinden erklärten sich zu sogenannten LGBT-freien Zonen. Die öffentlichen Medien wurden mithilfe riesiger Geldströme zu Staatspropaganda-Kanälen umfunktioniert. Gleichzeitig sicherte sich die PiS-Partei durch Sozialpolitik Sympathien in der Bevölkerung: Das Kindergeldprogramm „500 plus“ machte die Regierung besonders in ärmeren, ländlichen Regionen beliebt und sollte zugleich die Geburtenraten ankurbeln. Im Dezember 2023 gelang der Machtwechsel: Konservativ-liberale Kräfte erlangten genug Wähler*innenstimmen, um die rechte PiS-Partei aus der Regierung zu drängen.
Seit 14 Jahren wird Ungarn von Viktor Orban autoritär regiert. Die rechte Regierung hat sich seitdem gefestigt und durchzieht die Gesellschaft tiefgreifend. Die Situation für Geflüchtete wurde durch eine Grenzanlage extrem verschlechtert, ProAsyl bezeichnet das Asylrecht in Ungarn inzwischen als faktisch abgeschafft. Die monopolisierten Medien werden von Orbans Fidesz-Partei kontrolliert. Das 2018 verabschiedete sogenannte „Sklavengesetz“ schwächte Gewerkschafts- und Arbeiter*innenrechte. Vor der Fidesz-Regierung regierte die sozialdemokratische „Ungarische Sozialistische Partei“, deren neoliberale Sparpolitik Ungarn wirtschaftlich und sozial zugrunde richtete. Seitdem werden in Ungarn mit linker Politik zwei Dinge verbunden: neoliberale Sparpolitik und stalinistische Herrschaft.
In Österreich hat die extrem rechte FPÖ von 2000 bis 2006 gemeinsam mit den Konservativen regiert. Diese schwarz-blaue Koalition erlebte von 2017 bis 2019 eine Neuauflage, bis die Korruptionsaffäre rund um das „Ibiza-Video“ zum Bruch führte. In diesen 526 Tage verschärfte die Regierung das Asylrecht, verschlechterte die Situation von Arbeiter*innen und ermöglichte den 12-Stunden-Arbeitstag.
Repression & Gewalt
Wir erwarteten Schilderungen von zerschlagenen Strukturen, willkürlichen Inhaftierungen oder brutaler Polizeigewalt, doch davon berichteten die Aktivist*innen aus Ungarn, Österreich und Polen kaum. Paradoxerweise wurde die Polizei in Polen während der rechten Regierung auf den Straßen sogar eher zurückhaltender. Angriffe auf die breiten Gegenproteste, bei denen von jung bis alt und von radikale Linke bis liberale Mitte alles auf der Straße war, hätte sich die Polizei nicht leisten können. Ganz anders sah es jedoch bei der Repression gegen Geflüchtete oder Obdachlose aus.
Eine andere Frage zielte auf die Gewalt ab, die von der extremen Rechten auf der Straße ausgeht. Auch hier konnten die internationalen Aktivist*innen keine Gewaltausbrüche beobachten. Das Verhältnis der rechten Regierungen zu den Neonazis auf der Straße ist taktisch und ambivalent. Mal wird sich distanziert, mal aktiv zusammengearbeitet und oft funktionieren sie als Stichwortgeber für rechte Gesetzgebungen. So folgte ein Gesetz in Ungarn, das es unter Strafe stellt, sichtbar Bücher mit queerem Inhalt zu verkaufen, direkt aus einer öffentlichkeitswirksamen Aktion einer extrem rechten Kleinstpartei.
Medien & Öffentlichkeit
Die Aktivist*innen aus Ungarn und Polen kamen vielmehr auf eine andere Form der Repression zu sprechen: die Hetze aus den sozialen und Massenmedien. Nachdem die extreme Rechte in Ungarn die Kontrolle über staatliche und private Medien erlangt hatte, folgten Hetzkampagnen gegen linke Strukturen. Als nach dem „Tag der Ehre“ 2023 in Budapest nach militanten Angriffen auf Neonazis auch ein Mitglied der linken Gruppe Szikra inhaftiert wurde, polterten die Medien gegen linke „Terroristen“. Dies setzte sich in den sozialen Medien fort, in denen private Daten veröffentlicht wurden, und eskalierte in Todesdrohungen über Telefon.
Der polnischen Bevölkerung an der weißrussischen Grenze wird über die Medien eingeredet, dass es illegal sei, Geflüchteten in Not zu helfen, sodass Anwohnende keine Hilfe leisten dürfen, wenn sie bei Waldspaziergängen auf notleidende Menschen treffen. Ohne eigene Medienkanäle blieb linken Aktivist*innen nur die Möglichkeit, mit Flugblättern und durch Gespräche vor Ort darüber aufzuklären, dass es nicht verboten ist, Menschen zu helfen, die verletzt sind, hungern, oder im Sterben liegen.
Einen Lichtblick bereitete der Genosse aus Ungarn: Trotz der aggressiven Kampagnen der Fidesz-Regierung gegen queere Menschen verfängt die Homophobie in der Bevölkerung überraschend wenig. Auch in Österreich verfolgt die FPÖ (bisher erfolglos) den Plan, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in einen regierungstreuen Staatsfunk umzuwandeln.
Ressourcen & Finanzen
Der Zugang zu Geld hat sich seit der Machtübernahme verschärft. In Polen und Österreich haben viele kleinere, linksliberale Projekte und NGOs, die zuvor staatlich finanziert worden waren, mit Kürzungen zu kämpfen. Ohne Zugang zu staatlichen Mitteln oder NGO-Geldern haben die polnischen und ungarischen Genoss*innen gelernt, Fundraising zu betreiben. Besonders erfolgreich sind etwa selbst betriebene E-Mail-Newsletter, über die spendenbereite Sympathisant*innen aktiviert werden können. Zu sehen, dass es viele Menschen gibt, die das Orban-Regime ablehnen und mit entsprechendem Kommentar Geld senden, ist für die ungarischen Genoss*innen sehr ermutigend. Die Infrastruktur dafür wurde anstatt auf sozi-alen Medien plattformunabhängig betrieben, sodass diese nicht einfach abgestellt werden kann.
Themen & Aktionsformen
Als in Österreich die FPÖ im Februar 2000 an die Macht kam, gelang es einer Großmobilisierung, das symbolträchtige Gelöbnis der neuen Regierung durch Platzbesetzungen und Krawalle empfindlich zu stören. Es folgten regelmäßige Massendemonstrationen. Ein solcher Bewegungserfolg konnte 2017 jedoch nicht mehr erzielt werden. Es kam zu keiner vergleichbaren Skandalwirkung, rechte Regierungen waren in der Zwischenzeit europaweit zur Normalität geworden. Dennoch hatten die wöchentlichen antifaschistischen Demonstrationen zwischen 2017 und 2019 eine wichtige kraftspendende und vereinigende Wirkung. Auch deckten die österreichischen Genoss*innen immer wieder neue Beziehungen von FPÖ-Politiker*innen in die Neonazi-Szene auf, was nach einiger Zeit jedoch kaum noch interessierte. Selbst Vizekanzler Strache zeigte wenig Bemühen, sich von seiner früheren Teilnahme an neofaschistischen Kampftrainings zu distanzieren.
Was uns besonders beeindruckt hat, sind die Erfolge, die unsere polnischen und ungarischen Genoss*innen mit sozialer Basisarbeit erzielen konnten. Eine der erfolgreichsten Formen des Aktivismus in Budapest ist die Verhinderung von Zwangsräumungen. Dabei konnte nicht nur für soziale Kämpfe mobilisiert, sondern gleichzeitig antiziganistiche Ressentiments abgebaut werden. In Polen gelang es während der Pandemie, Millionen Menschen in solidarischen Hilfsnetzwerken über soziale Netzwerke zu organisieren, und so eine andere Art von Gesellschaft aufzuzeigen.
Grundsätzlich schienen linke Kämpfe meist dort erfolgreich, wo eigene Themen gesetzt werden konnten, anstatt sich an der Regierung abzuarbeiten. Ein Beispiel aus Wien ist die Kampagne gegen Femizide.
Was kommt danach?
In Polen wurde die PiS-Partei nach acht Jahren abgewählt. Doch in vielen Ministerien, Regierungsunternehmen und anderen Institutionen sitzen immer noch dieselben Rechten. Auch sind Lockerungen des Abtreibungsverbots misslungen, die Hetze gegen LGBTQ-Personen hält an und polnisches Militär jagt Menschen an den Außengrenzen. Die rechte Politik hat sich verfestigt. In Österreich ist die FPÖ über den Ibiza-Skandal gestürzt, doch laut Umfragen ist sie heute wieder stärkste Partei. In Ungarn ist die Opposition größtenteils am Ende.
Einen Ausweg können uns die Aktivist*innen nicht anbieten, sie rufen jedoch zu mehr Vernetzung und solidarischer Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg auf. Wir hoffen mit dieser Veranstaltungsreihe einen kleinen Schritt in diese Richtung unternommen zu haben.