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Russische Staatspropaganda: Unbequeme Unwahrheiten

Ewgeniy Kasakow (Gastbeitrag)
Einleitung

Die Russische Staatspropaganda hat verschiedene politische Lager im Visier, die Linke bildet da keine Ausnahme.

Krah RT
(Bild: Screenshot RT)

Der sächsische AfD-Politiker und ehemalige Spitzenkandidat zur Europawahl, Maximilian Krah, im russischen Staatssender RT.

„Schau, dass schreiben eure Zeitungen!“ – mit diesem Kommentar versehen bekam ich 2020 von einem Bekannten aus Russland einen Link auf einen Artikel der Tageszeitung „Iswestija“. Das Blatt, was als Organ der Petrograder Sowjets 1917 gegründet wurde, war mal die auflagenstärkste Zeitung der UdSSR und gehört heute dem Milliardär Juri Kowaltschuk, einem persönlichen Freund des Präsidenten Wladimir Putin. In dem Artikel wird der Autor "Matthias Fritz“ von „Abendlich Hamburg“ (sic!) zitiert, der erklärt, die politische Karriere von Alexei Nawalny sei zu Ende und die „westlichen Polittechnologen“ würden einen „Ersatzkandidaten“ suchen. Das Medium unter der Webadresse „www.abend-hamburg.de“ wirkte nicht authentisch, da es schlicht nicht existierte. Vermutlich genau so wenig, wie der Autor und sein Text. Die Inhalte ohne Impressum waren gespiegelte Materialien von RT Deutschland. Das Zitat von „Matthias Fritz“ geisterte durch russische Medien. 

Diese Episode demonstrierte die Methoden russischer Staatsmedien. Das Publikum in Russland dürfte an der Existenz von "Matthias Fritz" und „Abendlich Hamburg“ keine Zweifel hegen. Noch mehr wird in Medien investiert, die für die Öffentlichkeit im Ausland bestimmt sind. Das staatlich finanzierte „Russia Today“ (inzwischen RT) berichtet seit 2005 nicht etwa über die Lage in Russland, sondern über Ereignisse im Ausland. Je angespannter die Beziehungen der jeweiligen Staaten zur Russland sind, desto mehr Raum nimmt die Berichterstattung über diese Länder ein. Darin liegt ein Unterschied zu der Propaganda der Sowjetzeit, bei der das Lob der eigenen Errungenschaften mindestens genauso wichtig war.

Misstrauen als Waffe

Es geht um die Störung des Verhältnisses zwischen der „feindlichen Regierung“ und der jeewiligen Bevölkerung. Die Botschaften sind nicht an ein bestimmtes politisches Spektrum gerichtet, sondern an alle, die enttäuscht von der jeweiligen Regierung aus welchen Gründen auch immer sind oder sich ungehört, unterrepräsentiert oder zensiert fühlen. Auf die Wirkungsmacht von „Fake News“ wurde man in Deutschland relativ spät aufmerksam – im Rahmen der so genannten „Flüchtlingskrise“ 2015 wurden die russischen und ungarischen Medien zu wichtigen Selbstvergewisserungs- und Mobilisierungsorganen der extremen Rechten.1

Tatsächlich nutzte Russland die Situation, um verschiedene politische Lager anzusprechen. Die Ursache für „Strom“, „Lawine“ und „Flut“ von Migrant_innen sei die Einmischung der USA in die Angelegenheiten von Syrien und in der Hörigkeit von Deutschland gegenüber der USA und anderen EU-Staaten. Die Linke konnte sich über den Imperialismus empören, Rechte und Liberale über den Islam und die wachsenden Staatsausgaben. Den potentiellen Beitrittskandidaten der EU, insbesondere im postsowjetischen Raum, wollte man den Untergang des zivilisierten Westens vor Augen führen. 

Die Pandemie bot weitere Möglichkeiten, die Position der „alternativen Medien“ auszubauen. Da die Proteste gegen die Pandemiemaßnahmen Menschen mit konträren politischen Ansichten anzogen, war der Eklektizismus der Argumentation, die russische Medien auch bei der Berichterstattung im Inland pflegen, von Vorteil. Die Narrative von der „Merkel-Diktatur“, „WHO-Diktatur“, „Gates-Diktatur“ waren geeignet, mächtigen (NATO)Staaten ihre demokratische Legitimation abzusprechen. 

Die Erzählung, „im Westen geht es doch auch nicht nach demokratischen Regeln zu“, ist der rote Faden russischer Staatspropaganda schlechthin. Dabei sind Bilder von Protesten, Unruhen und Polizeieinsätzen willkommenes Material, um zu vermitteln, die politisch feindlichen Staaten seien von einer tiefen Krise erfasst. Falschmeldungen über die Migrationspolitik der EU schürten neue Proteste. Diese lieferten mehr Material für die These, europäische Eliten würden gegen den erklärten Willen ihrer Bevölkerung handeln und hätten kein Recht, Russland wegen fehlender Demokratie zu kritisieren. Russische Medien berichten viel über die Positionen der europäischen Rechten, vor allem wenn sie den außenpolitischen Kurs der NATO und der EU gegenüber Russland kritisieren. 

Gleichzeitig wird keine Gelegenheit ausgelassen die linken Proteste und gewaltsamen Polizeieinsätze dagegen zu zeigen. Dies ermöglicht zwei Narrative, die unterschiedliche Gruppen ansprechen: „der Westen versinkt im Chaos“ kommt gut in konservativen Kreisen an, „dort ist keine echte Demokratie“ in eher linken „systemkritischen“ Kreisen. Befeuerte rassistische Ausschreitungen erzeugen Bilder über das „wahre Gesicht des Westens“ in einer auf den „globalen Süden“ gerichteten Propaganda.

Von Fake News zu Dokumentarfilm?

Auch Zielgruppen, die sich gegenüber Putins Politik kritisch positionieren, sind zu erreichen. Der Medienplattform LifeNews, die damals zum Yellow-Press-Imperium von Aram Gabreljanow gehörte, gelang es 2014 Alexei Nawalny als ein „Projekt des Kremls“ darzustellen und zu Zerwürfnissen in Oppositionskreisen beizutragen. Die Autorin des Berichtes, Anastasia Kaschewarowa, ist bis heute mit eigenen Projekten wie „Daily Strom“ und „This is Media“ aktiv, in denen kritische Berichte über die Missstände in der Armee „patriotisch“ gedeutet werden. Neben RT und Medien der aktuellen und ehemaligen Gabreljanow-Angestellten war lange Zeit eine mit Jewgeni Prigoschin und seinem „Wagner“-Militärunternehmen assoziierte „Föderale Nachrichtenagentur“ (FAN) im In- und Ausland aktiv, auch mit Webseiten, deren Name nahelegte, es würde sich um ukrainische Medien handeln, wie „kievsmi.net“. 

Die bewaffneten Eskalationen in der Ukraine 2022 und im Nahen Osten 2023 hatten auch Folgen für die staatsnahen russischen Medien in der EU. Staaten und internationale Plattformen reagierten mit Blockierungen, dem Einfrieren des Geldflusses, sowie offenen Verboten. 

Bei den vielen Debatten um Nuancen, gibt es einen Konsens in den deutschen Medien und der Parteienlandschaft, auf wessen Seite in den Kriegen zwischen Russland und Ukraine und zwischen Israel und Hamas/Hisbollah/Iran Partei ergriffen wird. In dieser Situation richtet sich die Propaganda der russischen Seite an diejenigen, die glauben, ihre Meinung nicht äußern zu dürfen und inszeniert einen Kampf gegen Zensur und Gleichschaltung. Ihre Nachrichten gelten nun als „geheimgehaltene Fakten“.

Narrative, die in linken Kreisen auf fruchtbaren Boden fallen, werden verknüpft und ausgebaut, um auch explizit Gruppen anzusprechen, die keine Sympathien für Putin hegen. Etwa die Umwelt- und Klimabewegung, wie Plattformen wie „Waste-Ed“ zeigen. Multiplikatoren können hier gleichzeitig für linksliberale US-Blätter, verschwörungstheoretische Medien wie „Greyzone“ und Organe von linken Gruppen wie „Party for Socialism and Liberation“ schreiben. Medienprojekte, wie die bereits 2018 als RT-Ableger enttarnte Plattform „Redfish“ und dessen Nachfolger „redstreamnet“ können sich im Rahmen propalästinensischer Demonstrationen profilieren.2

Dort erscheinen Videos oder Beiträge, die auch juristisch relevant sein könnten. Bei der kurzfristigen „anti-antideutschen“ (Neu)Besetzung der „Roten Flora“ in Hamburg machte „Redfish“ die Medienarbeit. Keine bekannten pro-palästinensichen Gruppen übernahm die Verantwortung. Im Vergleich zu Demonstrationen waren nur wenige Personen beteiligt. Nur die Videoaufnahmen sorgten für Furore. Das sich als links präsentierende Medium gibt ansonsten auch rechten Islamisten, solange sie sich gegen die USA äußern, eine Plattform. Die erzeugten Bilder und Meldungen werden später als Content für andere politische Kreise verwendet, z.B. um die Gefährlichkeit der Migration oder den Untergang des Abendlandes zu illustrieren.

  • 1

    2016 öffnete der „Fall Lisa“ vielen die Augen im Bezug auf den Grad der Wirkung von Propaganda. Einige meinten, dass die russischen Nachrichten vertuschte Wahrheit zu Tage bringen würden und kündigten den deutschen Medien das Vertrauen, es sei denn sie schrieben dasselbe wie die russischen. (Vgl. de.wikipedia.org/wiki/Fall_Lisa)

  • 2

    Redfish media war seit 2017 ein russisches Unternehmen mit Sitz in Berlin, das bis Februar 2023 Videos produzierte. 2023 enstand das Nachfolgeprojekt „red.“ Es handelte sich um ein Tochterunternehmen des Video-Nachrichtendienstes Ruptly, welches wiederum über TV-Novosti zum russischen Regierungssender RT (vormals Russia Today) gehört. (Vgl. thered.stream/we-are)