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Neonazistischer Einfluss in Island

Antifaschist*innen aus Island
Einleitung

In den letzten Jahren ist rassistische Propaganda verstärkt in den sozialen Medien aufgetaucht und hat sich dort verschärft. Seit Anfang 2025 hat diese Entwicklung eine neue Stufe erreicht, da eine Reihe von Mainstream-Politikern sich öffentlich rassistisch äußerten. Deren Worte haben allen Formen der extremen Rechten Vorschub geleistet.

Island Nazi
(Bild: Screenshot von rationalwiki.org/heimildin)

Arnar Styr Björnsson (mittig) tritt als ein Sprecher von "Norðurvígi" in den Medien auf.

Am 5. September 2019 tauchten etwa zehn Neonazis auf dem Lækjartorg, einem der Hauptplätze in Reykjavík, auf. Sie kamen scheinbar aus dem Nichts, verteilten Flugblätter und trugen die Fahnen des "Norræna mótstöðuhreyfingin" („Nordic Restistance Movement“), einer pan-nordischen Neonazi-Bewegung, die in Finnland verboten ist und kürzlich von den Vereinigten Staaten zu einer terroristischen Organisation erklärt wurde. Jetzt waren sie hier, im Herzen dieser Insel, die so weit von den Turbulenzen des Kontinents entfernt war, zumindest dachten wir das.

Unter denjenigen, die als anwesend identifiziert wurden, waren wie Simon Lindberg die Leiter ihrer Organisation sowie Mitglieder ihres isländischen Zweigs „Norðurvígi“ von denen einige für ihre gewalttätige Vergangenheit bekannt waren.

Ihr Erscheinen war für viele Menschen ein Schock und löste eine antifaschistische Gegendemonstration aus, an der ein paar Tage später Hunderte von Menschen teilnahmen.1 Im Dezember desselben Jahr organisierte eine Gruppe von Antifaschist_innen eine Plakatkampagne gegen Arnarn Styr Björnsson, der öffentlich die Rolle des Sprecher von "Norðurvígi" in den Medien übernommen hatte.2

Obwohl Island seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr mit organisierten Gruppen von Neonazis zu tun hatte, wie es in vielen anderen europäischen Ländern der Fall war, ist es dennoch wichtig zu wissen, dass die Wurzeln des Faschismus in verschiedenen Formen überlebt haben. Über Jahrzehnte hinweg geschah das vor allem in den konventionellen rechtsgerichteten politischen Parteien, insbesondere der "Unabhängigkeitspartei" ("Sjálfstæðisflokkurinn"), die eine der einflussreichsten politischen Parteien des Landes war und immer noch ist und deren Machtstruktur in alle Bereiche der isländischen Regierung, einschließlich des Rechtssystems und die Polizei hineinreicht.

1933 wurde die "Isländische nationalistische Bewegung" ("Þjóðernishreyfing Íslendinga") gegründet, die vom deutschen Nationalsozialismus inspiriert war. Sie wandte
sich gegen den Kommunismus, der politische Unterstützung und starken Rückhalt in der Arbeiterbewegung gewann. Die Gründer der Bewegung hatten enge Verbindungen zur "Unabhängigkeitspartei" bis sich die Bewegung abspaltete, um eine eigene Partei zu gründen. Zwischen 1933 und 1938 war diese Bewegung sehr präsent. Sie veröffentlichte Rundschreiben und Zeitschriften, ging auf die Straße, organisierte Aufmärsche und trug Hakenkreuzfahnen auf den Straßen von Reykjavík. Im Jahr 1938 wurde sie jedoch größtenteils von der "Unabhängigkeitspartei" absorbiert und überlebte sogar während des Zweiten Weltkriegs, als Island von den britischen und amerikanischen Streitkräften besetzt wurde. Die Ideologie des Nationalismus und der Sympathie für Nazi-Deutschland war selbst in den höchsten Regierungskreisen weit verbreitet. Die systematische Ablehnung jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland in den späten 1930er Jahren wirft ein dunkles Licht auf ihr Erbe, einschließlich Premierminister Hermann Jónasson, der persönlich an den Entscheidungen über die Ablehnung von Asyl für Menschen, die für ihr Recht auf Überleben kämpften, beteiligt war. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Zeit des Kalten Krieges, hatten die (ehemaligen) Mitglieder der "Nationalistischen Bewegung" mit Positionen in der Partei und der Polizei eine illegale verdeckte Überwachungseinheit. Sie hörten die Telefone politischer Gegner ab - darunter Kommunist_innen, Führer der Arbeiter_innenbewegung, einflussreiche Schriftsteller und Künstler - um die gesammelten Informationen etwa an die amerikanische Botschaft bzw. die CIA weiterzugeben. Die Polizei als Instrument der staatlichen Gewalt hatte in der Vergangenheit so eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung des nazistischen und faschistischen Einflusses in der isländischen Gesellschaft.

Agnar Kofoed-Hansen, Polizeichef im Zweiten Weltkrieg, war ein Nazi-Sympathisant und wurde vor dem Zweiten Weltkrieg von der SS in Nazideutschland ausgebildet. Nach seiner Ernennung zum Polizeichef durch Premierminister Hermann Jónasson 1939, gründete er die Überwachungsabteilung innerhalb der polizeilichen Auslandsüberwachungsabteilung, dem Vorgänger der heutigen Einwanderungsbehörde, die
2002 gegründet wurde. Sie hat eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung einer rassistischen Politik des isländischen Staates, die auf farbige Menschen abzielt und der Abschiebung von Flüchtlingen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, dient. 

Sigurjón Sigurðsson, der Polizeichef von 1947 bis 1985, war eine führende Persönlichkeit der Nazibewegung in den 1930er Jahren und bekannt für seine harte antikommunistische Haltung. Er spielte eine Schlüsselrolle bei der illegalen Überwachung von Gegnern der "Unabhängigkeitspartei". 

Am 11. März 2019 versuchen Geflüchtete Aufmerksamkeit auf ihre schreckliche Situation zu lenken, Menschenrechte einzufordern und gegen Abschiebungen zu protestieren. Aktivist_innen (einige Anarchist_innen) solidarisierten sich und organisierten Protest auf dem Platz vor dem Parlament. Die Polizei reagierte mit Brutalität, Pfefferspray, Schlägen und Verhaftungen. Ein paar Tage später kamen Neonazis aus Norðurvígi und Mitglieder der rassistischen und islamfeindlichen Partei „Isländische Nationale Front“ (Íslenska þjóðfylkingin) Seite an Seite mit der Polizei vor das Parlament und bildeten eine Mauer des Hasses und der Konfrontation, während die Geflüchteten und Aktivist_innen ein Solidaritätskonzert in der Mitte des Platzes organisierten. 

Seit der Versammlung der "Nordischen Widerstandsbewegung" 2019 in Island, die auf deren Website mit Text, Audio und Videos beschrieben wurde, scheinen sich ihre Aktivitäten auf das Anbringen von Aufklebern zu beschränken.

Im September 2022 wurden zwei Neonazis verhaftet, die verdächtigt wurden, einen Terroranschlag auf linke Politiker und die Polizei verüben zu wollen. Eine große Anzahl von Waffen in ihrem Besitz wurde gefunden und beschlagnahmt. Die von der Polizei bereitgestellten Informationen waren irreführend und unglaubwürdig, und ihre Ermittlungen offenbar ein Fiasko, vielleicht sogar absichtlich. Ihr Fall liegt beim Berufungsgericht, nachdem sie vom Bezirksgericht freigesprochen wurden. Sie wurden lediglich wegen des unerlaubten Besitzes von Waffen für schuldig befunden, von denen einige ironischerweise von einem Waffenhändler zur Verfügung gestellt wurden, der zufällig der Vater des nationalen Polizeipräsidenten war.

In den letzten Jahren ist rassistische Propaganda verstärkt in den sozialen Medien aufgetaucht und hat sich dort verschärft. Seit Anfang 2025 hat diese Entwicklung eine neue Stufe erreicht, da eine Reihe von Mainstream-Politikern sich öffentlich rassistisch äußerten. Deren Worte haben allen Formen der extremen Rechten Vorschub geleistet. Was noch vor einem Jahr undenkbar gewesen wäre, ist heute Realität geworden und die Situation scheint sich zu verschlimmern. Es ist zu befürchten, dass dies in den nächsten Jahren zu mehr extrem rechter Gewalt führen wird.

Dies geht Hand in Hand mit zunehmender Polizeigewalt, Militarisierung und Bewaffnung der Polizei. Es gibt den Mythos, dass Island eine Art sicherer Hafen ist, einer der
friedlichsten Orte der Welt, wo die Freiheit eines jeden geachtet und respektiert wird.
Dies entspricht nicht der Wahrheit. Von den Geflüchteten der 1930er Jahre bis zu
den Geflüchteten von heute bauen die Behörden ihre Einwanderungspolitik weiterhin auf Rassismus und Ablehnung von Menschen in Not. Wir erleben Zeiten, in denen die Einwanderungspolitik entweder von der Nazi-Ideologie inspiriert ist oder tatsächlich historisch auf ihr beruht und die von den Behörden mit Hilfe der Polizei umgesetzt wird.

  • 1

    Vgl. Iceland Review: Neonazi-Veranstaltung löst Proteste in Island aus, Jelena Ciric, 6. September 2019 und Heimildin: Hrifinn af Nasistaflokknum og efast um helförina, Freyr Rögnvaldsson & Jóhann Páll Jóhannsson, 5. September 2019.

  • 2

    DV: Óska eftir upplýsingum um Nýnasista á Íslandi, Ritstjórn DV, 18. Dezember 2019.