Rechte "Willenskraft" im Auftrag der Hansestadt Rostock?
Recherchekollektiv Oben RechtsIm Herbst 2024 wurde in Rostock der Verein „Willenskraft e.V.“ gegründet. Der soziale Träger bietet laut eigenen Angaben Hilfe „für Straffällige und Menschen in schwierigen Lebenssituationen” an. Hinter dem Verein steht unter anderem Ivo S., der in der Vergangenheit immer wieder durch die Teilnahme an (extrem) rechten Veranstaltungen und seiner Nähe zu anderen (extrem) rechten Akteuren aufgefallen ist. Seit der Vereinsgründung war er längere Zeit als Geschäftsführer für den Verein tätig.

Ivo S. (1.v.l.) und Falko S. (3.v.l.) beim Neonazi-Kampfsportevent „Tiwaz“ in Sachsen im Juni 2018.
Der Sozialarbeiter hatte Kontakte zu gewaltbereiten Neonazis, insbesondere zu den Mitgliedern der mittlerweile verbotenen Kameradschaftsstruktur „Aktionsblog“, und zu der extrem rechten Hooligan-Gruppe „Nordische Wut“. Mindestens zwei ehemalige „Aktionsblog“-Akteure sind mittlerweile federführend bei dem lokalen Stützpunkt des „Der III. Weg“ in Mecklenburg-Vorpommern aktiv.
Ivo S.selbst hat in der Vergangenheit mehrfach an AfD- und „Querdenken“-Demonstrationen in Rostock teilgenommen und seine Gesinnung dadurch offen zur Schau gestellt. Bei solchen Versammlungen ist er fast immer in Begleitung von (teilweise) gewaltbereiten Neonazis aufgetreten. Außerdem besuchte der Sozialarbeiter 2018 das Neonazi-Kampfsportevent „Tiwaz“ in Grünhain (Sachsen).
Passend dazu prangt mitten auf seiner Brust eine Tiwaz-Rune. Die Rune, die wie ein aufwärts gerichteter Pfeil aussieht, ist auch bei deutschen Neonazis beliebt. Im Nationalsozialismus war sie als "Tyr-Rune" ein Abzeichen der Reichsführerschulen der NSDAP.
Dass Ivo S. nach wie vor Kontakte zur (extrem) rechten Szene in Mecklenburg-Vorpommern pflegt, wurde bereits kurz nach der Gründung des Vereins deutlich. Im Januar 2025 lud der „Willenskraft e.V.“ zum gemeinsamen Anbaden in Warnemünde ein. Der Einladung folgten unter anderem Jamie J. und Falko Sch. aus dem Umfeld der „Nordische Wut“ sowie Marcel P. Gemeinsam mit anderen Neonazis versuchten die drei genannten am 14. Mai 2018 einen Journalisten am Rande einer AfD-Demonstration in Rostock/Lütten Klein anzugreifen.
Falko Sch. und Ivo S. besuchten im selben Jahr zusammen das Neonazi-Kampfsportevent „Tiwaz“. Marcel P. ist seit einigen Jahren ein Akteur der Neonazi-Szene in Mecklenburg-Vorpommern. Er war Anhänger der „Kameradschaft Festungsstadt Rostock“ und tauchte später bei Aktionen vom „Aktionsblog“ auf. Aufgrund rassistischer Aussagen wurde der Kampftaucher aus der Bundeswehr entlassen. Als 2022 bekannt wurde, dass die Stadt Rostock ihn angestellt hatte, obwohl sein Wirken in der rechten Szene schon lange öffentlich bekannt war, verlor er seine Anstellung als
Abteilungsleiter im Gesundheitsamt. Zuletzt betätigte er sich als Model für das Neonazi-Kampfsportlabel „Kampf der Nibelungen“ (KdN).
Obwohl Ivo S. seit dem Winter 2021/2022 nicht mehr öffentlich bei politischen Veranstaltungen in Erscheinung getreten ist, dürfte er der (extremen) Rechten nach wie vor nahe stehen. Dass Ivo S. bekannte Neonazis zu Veranstaltungen seines Vereins einlädt, verdeutlicht, dass es seinerseits keinen Bruch mit der Szene gegeben hat. Auch ein Blick auf seinen Telegram-Account legt nahe, dass er ideologisch weiterhin gefestigt ist. Er postete mehrfach Grafiken des extrem rechten Calligraffiti-Zeichners „Wolf PMS“. Dieser illustriert unter anderem für die beiden extrem rechten Verläge „Antaios-Verlag“ und „Jungeuropa-Verlag“ aus Dresden. Auf den Bildern ist die „Lebens“-Rune zu sehen oder auch ein Zitat des Antisemiten Ernst-Moritz-Arndt, das sich im Nationalsozialismus großer Beliebtheit erfreute. Für das Neonazi Projekt „Kampf der Nibelungen“ entwarf er eine Tasse mit dem Slogan „In der Tat frei“. Einige Hinweise sprechen dafür, dass „Wolf PMS“ und der rechte Illustrator Ralph O. die gleiche Person sein könnten.
Dass ein Neonazi als Sozialarbeiter tätig ist, stellt eine Gefahr für die Klient*innen und die Gesellschaft dar. Insbesondere die Arbeit mir Straffälligen ist ein höchst sensibler Bereich der Sozialen Arbeit. Straffällige, die sich an Hilfsstrukturen wenden, sollen auf ihrem Weg in die Resozialisierung gestärkt und unterstützt werden. Mit Ivo S., einem seit Jahren in der (extrem) rechten Szene vernetzten Akteur, gelangen vulnerable Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, möglicher Weise in die Hände rechter Propaganda.
Nachdem diese Verbindungen von Ivo S. und dem „Willenskraft e.V.“ im Februar 2025 auf unserem Blog veröffentlicht wurden, bezog sich unter anderem die Ostseezeitung auf unsere Recherchen. Im Zuge dessen wurde bekannt, dass der „Willenskraft e.V.“ seit dem 1. Dezember 2024 in einem Vertragsverhältnis mit der Hansestadt Rostock steht. Bis zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung seien allerdings noch keine öffentlichen Gelder an den Verein geflossen und die Stadt sei bemüht es auch dabei zu belassen. Seit dem ist auch der Nebensatz „im Auftrag der Hansestadt“ aus der Instagram-Beschreibung des Vereins verschwunden.
Der „Willenskraft e.V.“ veröffentlichte ein Statement auf Instagram, in dem sie sich von „jeglichem extremistischem Gedankengut“ distanzieren. Inhaltlich sind sie jedoch nicht auf die Vorwürfe eingegangen. Sie argumentieren, dass sie „auch Menschen mit syrischem-, kasachischem-, oder indischen Migrationshintergrund“ betreuen würden „und das teilweise auch ehrenamtlich“. Die Verbindungen von Ivo S. in die (extreme) Rechte und seine politischen Ansichten werden in dem Statement überhaupt nicht thematisiert.
Dennoch hat der Neonazi seinen Posten als Geschäftsführer des Vereins laut eigener Aussage verlassen. Mutmaßlich ist er jedoch weiterhin als Sozialarbeiter für den Träger tätig, da er offiziell nur sein Amt als Geschäftsführer niedergelegt hat.
In einem eigenen Statement schrieb er sinngemäß, dass seine buddhistische Lebensweise einer Verbindungen zu Neonazis widersprechen würde. Zu seiner Verteidigung führte er außerdem eine Wanderung auf dem Jakobsweg an, die er angeblich mit sieben Klienten durchgeführt hätte. Bilder aus dem Jahr 2022 zeigen ihn auf dem Jakobsweg jedoch zum Teil mit anderen Neonazis. Mit dabei war zum Beispiel Jan-Simon H., der sich 2018 an dem versuchten Angriff auf einen Journalisten in Lütten Klein beteiligte. Ob es sich dabei um die selbe Reise handelt, bleibt bis her unklar.
Dennoch gibt es bis heute keine glaubwürdigen Belege für seine konsequente Distanzierung von der (extremen) Rechten.