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Neonazi-Aktivitäten in Rathenow

„Autonome Antifa Rathenow“ (Gastbeitrag)
Einleitung

Nach dem Fall des „Antifaschistischen Schutzwalls" im November 1989 in Berlin dauerte es nicht lange, bis auch in Rathenow Neonazi-Skinheads auftauchten. Teils aus bereits rechts denkenden Jugendlichen, teils aus Fußballfans rekrutierend, war plötzlich eine Gruppe von circa 30 Leuten geschaffen, die sich durch brutales und uniformes Auftreten hervortaten.

Foto: Apabiz

Daniel K. (mit Schirm) und Maurice K. (rechts dahinter) waren bekannte Rathenower Neonazis in den 1990er Jahren. Hier im Jahr 2007 auf einer Neonazi-Demonstration.

Neonazi-Aktivitäten in Rathenow

Anfangs richtete sich der braune Terror gegen alles und jeden, was sich den Neonazi-Skins in den Weg stellte. Später wurde nur noch zu bestimmten Terminen so vorgegangen (wie Silvester, „Führergeburtstag", Himmelfahrt), ansonsten konzentrieren sich die Angehörigen und Unterstützer der „Kameradschaft Rathenow“ auf Nichtdeutsche und politisch Linksorientierte. Als bekannte Aktivisten der "Kameradschaft Rathenow" treten u.a. Mario K., Daniel K., Sandy A. und Maurice K. in Erscheinung. Während einer Diskothek wurde ein mosambikanischer Gastarbeiter mit Todesfolg verletzt1 , wenig später wird ein Angehöriger der sowjetischen Streitkräfte mit Todesfolge überfahren2 , und schließlich wird ein vietnamesischer Gastarbeiter von einer Eisenbahnbrücke geworfen. Wegen der in solchen Fällen üblichen Nachrichtensperre ist unklar, ob er in der Folge verstarb. Raubüberfälle auf nichtdeutsche Passanten auf offener Straße sind ebenso häufig wie brutale körperliche Mißhandlungen, oft sind beide Vorfälle nicht zu trennen3 .

Antifa Widerstand in Rathenow

Nachdem auch Übergriffe auf Jugendliche anderer Subkulturen, primär Punks, zunahmen, hatte das die Politisierung einer ganzen Szene zur Folge und damit die Gründung der „Autonomen Antifa Rathenow“ (AAR) Mitte 1991. Es kam dann überwiegend im Winter 1991 zu kleineren Zwischenfällen, wie z.B. das gegenseitige Zerstören von PKWs, mehrmalige Versuche der Rechten in von Linken bewohnte Wohnungen einzudringen und kleineren Schlägereien. Am 8. Mai 1992 wurde eine antifaschistische Demonstration durch die AAR organisiert, mit Kranzniederlegung zu Ehren der Opfer des 3. Reiches, und zur Mahnung angesichts des aufkommenden Faschismus in Rathenow und ganz Deutschland. Die Demonstration wurde unter den Augen von Polizei und Presse von der „Kameradschaft Rathenow“ massiv gestört. Es kam zu einer „Straßenschlacht“, wenn auch ohne Sach- und Körperschäden. Die darauffolgende Medienkampagne machte die AntifaschistInnen zu den Schuldigen, allmählich wurden sogar Stimmen laut, die behaupteten, wenn es „die Antifa“ nicht gäbe, gäbe es auch keinen Neonaziskinhead-Terror.

Ein antifaschistisches Jugendzentrum mußte her. Darüber wurde mit der Stadt verhandelt. Im September/Oktober 1992 flammten die Auseinandersetzungen mit der „Kameradschan Rathenow “ wieder auf. Eine Wohnung wurde mehrmals massiv angegriffen. Es kam zu Straßenschlachten, Krankenhausaufenthalten Einzelner und Sachschäden über 250.000 DM. Da die Verhandlungen mit der Stadt über ein AJZ längst im Sande verlaufen waren und der Druck auf die AAR von Polizei und den Neonazis immer größer wurde, besetzten Antifas ein Haus, welches sie fünf Wochen halten konnten. In diesen fünf Wochen waren die AntifaschistInnen durch das Haus so gestärkt, daß es zu keinerlei Provokationen durch Rechtsaußen mehr kam.

Zweifelhafter Prozess

Jedoch kurz nach der Räumung begannen die Neonazis die AntifaschistInnen erneut unter Druck zu setzen. Innerhalb von 14 Tagen zerstörten sie fünf Autos. Zweck der Aktion war, uns von Aussagen abzuhalten bei einem Prozeß gegen vier Mitglieder der „Kameradschaft Rathenow“, darunter ihre Anführer. Die AAR berichtete: "Was wir bei dem Prozess erlebten, schlug dem Faß den Boden aus. Da war es Daniel K., ein Hauptangeklagter aus der „Kameradschaft Rathenow“, möglich mit zwei Alu-Baseballschlägern im Gerichtssaal zu erscheinen. Mehrere AntifaschistInnen wurden tätlich angegriffen, im Gerichtssaal klebten Neonazi-Aufkleber. Zeugen wurden aufgrund zufälliger Anwesenheit gehört. Der Richter begründete: Das Herausfinden von Adressen der Zeugen über das Einwohnermeldeamt sowie das Vorladen sei zu zeitaufwendig." Nach dem Prozess kam es zu weiteren Auseinandersetzungen zwischen der AAR und der „Kameradschaft Rathenow“.

Vernetzung nötig

Die AAR erklärt daher: "Oft war es uns nur möglich, schwierige Situationen zu überstehen, weil wir von befreundeten Antifagruppen aus anderen Städten unterstützt wurden. Wir fahren auch oft zu diesem Zweck in andere Orte, um zusammen mit einheimischen AntifaschistInnen gegen Neonazis von außerhalb vorzugehen. Wir möchten an dieser Stelle dazu aufrufen, das bewährte Prinzip der Vernetzung weiter voranzutreiben, um mit der zunehmenden Organisation der Neonazis mitzuhalten und effektiv gegen sie vorgehen zu können."

  • 1Im Sommer 1990 griff ein rassistischer Mob, nach einer Discoveranstaltung am Wolzensee, zwei mosambikanischen Gastarbeiter der VEB Rathenower Optischen Werke (ROW) an und prügelte einen der Beiden zu Tode. Der andere konnte mit einem Taxi entkommen. (Vgl. „Antifaschistisches Autorenkollektiv” im westlichen Havelland).
  • 2Am Sonnabend, dem 13.April 1991, wurde gegen 2.15 Uhr der sowjetische Oberleutnant A.Rustanow während der Erfüllung der Aufgabe der Militärstreife von einem deutschen PKW überfahren. (Vgl. MAZ: “Skinheads verunsichern Rathenow”, 16.04.1991)
  • 3Die ausgeprägte Neigung zur Gewalt der rechten Szene verkörperten seinerzeits u.a. die polizeibekannten Neonazis Mario K. und Sandy A. Beide standen deswegen vor Gericht: Am 25.1.1991 versuchten sie einen Jugendclub zu stürmen, am 27.1.1991 hatten sie auf einem Parkplatz zwei Männer mit Baseballschlägern verprügelt.