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„Deutsche Liga“ und Berliner Staatsschutz Hand in Hand?

Berliner AntifaschistInnen
Einleitung

Mit gezogenen Waffen und mit zum Teil großer Brutalität hat der Berliner Staatsschutz seit dem 15. November 1993 inzwischen circa zehn Hausdurchsuchungen bei AntifaschistInnen, ihren Angehörigen und FreundInnen durchgeführt. Vier AntifaschistInnen sind verhaftet worden, nach weiteren wird gefahndet.

V.l.n.r.: Die rechten DLVH- und HvFB-Funktionäre Thorsten Thaler, Rudolf Kendzia und Rita Bönisch bei einer ihrer politischen Sammlungsbemühungen. Der Journalist Thaler gab an, als Geschädigter vom polizeilichen Staatsschutz umfassend über Tatverdächtige im Kaindl-Fall informiert worden zu sein. Es kam wenig später zu Drohungen in einer rechten Publikation aus Kreisen der DLVH.

Grund für die Verhaftungen und Durchsuchungen ist der Tod des Funktionärs der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ (DLVH), Gerhard Kaindl1 . Vorgeworfen wird den AntifaschistInnen Mord, Mordversuch, Beihilfe und Körperverletzung.

Die Ermittlungsbehörden berufen sich dabei auf Aussagen eines angeblich Tatbeteiligten, dessen Identität von den Behörden nicht preisgegeben wird. Anderthalb Jahre liegt der Vorfall vom 4. April 1992 jetzt zurück, bei dem auf einem parteiübergreifendem Funktionärs-Treffen2 der extrem rechte Funktionär (DLVH) und Wahlkandidat (Wählergemeinschaft »Die Nationalen«) in einem China-Restaurant umkam - zu einer Zeit, als in der Bundesrepublik die Hetze der Bundesregierung gegen »Asylbetrüger« auf Hochtouren lief und PolitikerInnen aller bürgerlichen Parteien Verständnis für die rassistischen Pogrome zeigten.

Uns geht es hier um Zweierlei: Erstens um die politische Situation seit 1991, die sich auch in den Verfahren gegen Neonazis zeigt. Rassistische und neonazistische Täter hatten - soweit sie überhaupt ermittelt wurden - so gut wie nie Mordprozesse zu fürchten. Angesichts von 64 Toten ist bereits das ein Skandal.

Zweitens meldete die extrem rechte Publikation »Deutsche Rundschau« bereits in ihrer Oktober-Ausgabe von 1992, dass ihr die Täter namentlich bekannt seien3 . Diese „Kumpanei“ zwischen Staatsschutz und Neonazis hat inzwischen Thorsten Thaler (u.a. Geschäftsführer und Pressesprecher der Abgeordnetenhaus-Fraktion der „Republikaner“ und „Hoffmann von Fallersleben Bildungswerk e.V./HvFB“) bestätigt.4 (Unter den (Gründungs)Mitglieder dieses Bildungswerkes – hervorgegangen aus dem Spektrum der rechten Partei „Republikaner“ (REPs) – waren/sind einige in der Westberliner „Exekutive“ und „Judikative“ tätig.)

Systematische Kriminalisierung des antifaschistischen Widerstands?

Mit den ersten Ansätzen der Selbstverteidigung antifaschistischer, vor allem migrantischer Jugendlicher begann sowohl durch staatliche Behörden als auch durch Medien eine diffamierende Kampagne, die durch die Gründung zahlreicher „Sonderkommissionen“, dem Anlegen besonderer Dateien zu sogenannter »Jugendgruppen-Gewalt« bis in den Schulalltag Einzug hielt. Ziel war dabei neben der Einschüchterung (etwa mit Drohung mit sofortiger Ausweisung), die Zerschlagung jedweden selbstorganisierten Ansatzes.

Angesichts des politischen Klimas ging diese Strategie 1991 nicht auf, so dass im Jahr 1992 nachgelegt wurde: Mit dem Jahr 1992 geriet in Berlin - die durch ihr offenes Auftreten bekannte - Jugendgruppe »Antifaşist Gençlik« vermehrt in das Visier von politischer Polizei, Verfassungsschutz und Medien5 5. Die jetzt verhafteten türkischen und kurdischen Menschen werden dabei offenbar dieser Jugendgruppe zugeordnet. Damit sind einige der Menschen festgesetzt und vorverurteilt worden, die öffentlich gegen Rassismus und (Neo)Faschismus Position bezogen haben.

Ohne eigene Recherche haben dabei Medien auch aus dem Berliner Verfassungsschutzbericht abgeschrieben, der aus der sich als offen verstehenden Initiative eine »äußerst militante Gruppe« gemacht hat, die sich angeblich »der Strukturprinzipien einer sog. geschlossenen Gruppe« mit strikter »Abschottung nach außen« bediene6 . Ein weiterer Höhepunkt dieser Kampagne ist neben den Verhaftungen die unwidersprochene Meldung des Berliner »Tagesspiegel« vom 20.11.1993: »Mord an Rechtsextremist ist aufgeklärt« - nichts ist weniger sicher. Vielmehr steht zu befürchten, dass eine Allianz aus Staatsschutz / Polizei und Neonazis ihr Süppchen kocht.

„Kumpanei“ von Staatsschutz und Neonazis?

In das Bild der „Kumpanei“ passt nicht nur die Tatsache, dass offensichtlich der polizeiliche Staatsschutz Informationen an die DLVH weitergeleitet hat; das ist inzwischen weitestgehend unstrittig (Vgl. Berliner Zeitung /  TAZ vom 19.11.1993)7 und wird von Thorsten Thaler – laut Eigenangaben DLVH-Mitglied bis Januar 1993 - mit den Worten bekräftigt, dass »ich als Opfer offenbar mehr erfahren sollte, als es normalerweise bei solchen Befragungen wohl üblich ist«8 . Er gibt an, diese Informationen vom zwei Berliner Staatsschützern in Kiel erhalten zu haben, die ihm »Name, Geburtsdatum, Wohnanschrift und sogar die PKW-Nummer« zur Verfügung stellten.

Das kann aber kaum der einzige Kontakt zwischen Staatsschutz und DLVH geblieben sein, der HvFB-Funktionär, Karl-Heinz Panteleit9 erstattete am 12.10.1992 – vermutlich mit weitergehenden Informationen ausgestattet - Anzeige gegen die Berliner Justizbehörden wegen „Strafvereitelung im Amt“. Diese wurde abschlägig beschieden. Wie aber die Informationen an die DLVH kamen, blieb bisher im Dunkeln. Klar ist, dass offensichtlich durch Ermittlungsbehörden mit instruiert, bereits im Oktober 1992 in der extrem rechten Zeitung, »Deutsche Rundschau«, gemeldet werden konnte, dass »die Polizei [...] inzwischen die acht Täter ermittelt« hätte und dass »allesamt der türkischen Gruppe Antifaşist Gençlik« angehören würden.

Auf ein Wort...

Die Neonazis fühlen sich derzeit - mit dem Gefühl den polizeilichen Staatsschutz auf ihrer Seite zu haben - offenbar sehr sicher: So wird in der oben genannten Ausgabe der »Deutschen Rundschau« zu Angriffen gegen die angeblichen Täter angestachelt: „Wie es der Zufall so will: die Namen und Anschriften der türkischen Mörder sind inzwischen bekannt. Es gibt rechte Kreise in unserer Republik, die sich sehr dafür interessieren, wer denn Ihren Kameraden Kaindl umgebracht hat.“ Der Artikel endet mit der Drohung: "Wir kriegen Euch alle!" Einen Monat vor Veröffentlichung des Droh-Artikels erhielt Thorsten Thaler im extrem rechten „Arndt-Buchdienst“ von Dietmar Munier in Kiel seinen polizeilichen Staatsschutz-Besuch aus Berlin10 .

Abschließend noch einige Bemerkungen zum derzeitigen Sachstand: Die Behörden verweigern derzeit den AnwältInnen weitere Auskünfte, auch ist über den angeblich geständigen Tatbeteiligten nichts bekannt. Das - und die Lage der Gefangenen, die im Falle der gefangenen Kurdin verschärfte Haftbedingungen bedeutet - können aber kein Anlass sein, ins wilde Spekulieren und Gequatsche zu verfallen. RechtsberaterInnen empfehlen: Macht keine Aussagen bei Polizei oder Justiz und hört auf Gerüchte in die Welt zu setzen.

  • 1Vgl. Antifaschistisches Infoblatt, Nr. 19, S. 52f
  • 2Nachtrag: Anlass sei eine vorherigen Veranstaltung des ultra-rechten „Hoffmann von Fallersleben Bildungswerk“ gewesen.
  • 3Enttäuschte Mitglieder der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) und der "Republikaner" (REP) gaben ab 1990 die "Deutsche Rundschau" (DR) als Publikation für eine neue „Sammlungsbewegung“ heraus. Am 3. Oktober 1991 fand  der offizielle Gründungsparteitag der DLVH in Villingen-Schwenningen statt, am 8. Februar 1992 gründete sich der Landesverband Berlin-Brandenburg unter Frank Schwerdt. Die DR wird zum Sprachrohr der DLVH, ihr Chefredakteur Karl Richter war Mitbegründer der (DLVH), ein Autor ist auch Thorsten Thaler. Herausgeber wurde die DR vom (Ex)-REP-Verlag „RVG Verlags- und Vertriebs GmbH“ (Harald Neubauer, Franz Ludwig Glasauer) in Landshut.
  • 4Vgl. TAZ-Berlin, 23.11.1993.
  • 5Auf Seite 112 im Verfassungsschutzbericht (1991) aus Berlin wurde behauptet: „Zahlreiche tätliche Auseinandersetzungen einzelner türkischer Jugendlicher mit tatsächlichen oder vermeintlichen deutschen Rechtsextremisten im Jahre 1991 ließen keinen organisierten politischen/extremistischen Hintergrund erkennen. Bei anderen an den Ausschreitungen beteiligten türkischen Staatsangehörigen dürften politische Motive, nach außen hin manifestiert durch ihr gemeinsames Auftreten mit Personen aus dem deutschen autonomen Bereich, ausschlaggebend gewesen sein. (…) Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch eine türkische Gruppe die sich "Antifasist Genclik" ("Antifaschistische Jugend") nennt. Die Gruppe ist dem autonomen Spektrum der Antifa-Bewegung zuzurechnen. Diese aus etwa 30 Personen bestehende Gruppe zeichnete sich im Jahre 1991 durch besondere Gewaltbereitschaft aus. So beteiligten sich zum Beispiel am 20. April 1991 einige ihrer Anhänger an gewaltsamen Auseinandersetzungen in Berlin-Kreuzberg mit Rechtsextremisten aus Anlaß des Geburtstages von Adolf Hitler. (sic!) Bei der Demonstration in Hoyerswerda (Sachsen) am 29. September 1991 gegen Übergriffe rechtsextremistischer Gewalttäter auf Asylbewerber fielen etwa 30 Aktivisten dieser Gruppe durch besonders ausgeprägte Gewaltbereitschaft (…) auf."
  • 6LfV Berlin, 1992, S. 123f
  • 7Vgl. dazu auch das TAZ-Zitat: „Die Tötung von Kaindl hatte im vergangenen Jahr für zahlreiche Spekulationen gesorgt, die insbesondere aus dem rechtsextremen Lager genährt wurden. So behauptete (…) Deutsche Rundschau im Oktober 1992, die Berliner Polizei habe mittlerweile acht Täter einer linksextremen türkischen Organisation ermittelt. (…) zitierte der heute 29jährige Thorsten Thaler gestern gegenüber der taz aus einem Brief, der ihm im vergangenen Jahr von einer „Sonderkommission Kaindl“ beim polizeilichen Staatsschutz geschickt wurde, wonach „mehrere für die Tat in Frage kommende Personen bekanntgemacht werden“ konnten“. TAZ, 19.11.1993: „Mutmaßliche Mörder eines Neonazis in Haft“ von Severin Weiland.
  • 8Zitat: „Aus der Vorlage einer Karteikarte mit dem Foto des Betroffenen samt personenbezogener Daten ziehe er den Schluß, daß „ich als Opfer offenbar mehr erfahren sollte, als es normalerweise bei solchen Befragungen wohl üblich ist“ (…) hatte im Oktober 1992 unter Hinweis auf die Ermittlungsbehörden von acht Mitgliedern von „Antifașist Gençlik“ gesprochen, deren Namen und Adressen bekannt seien“. TAZ, 23.11.1993: „Harte Verhaftungen im Mordfall Kaindl“ von Severin Weiland.
  • 9Er stand 1990 gemeinsam mit Gerhard Kaindl, Thorsten Thaler und mehreren Polizisten auf einer Kandidatenliste der Berliner REPs. Laut „BZ“ vom 4. Januar 1960 war er zuvor auch beim neonazistischen "Bund nationaler Studenten" (BNS) aktiv. (Vgl. rechtsaussen.berlin/2011/01/vor-50-jahren-14-neonazistische-jugendliche-festgenommen).
  • 10Nachtrag: Auf eine "Kleine Anfrage" (Nr. 4974) der Abgeordneten Renale Künast (Bündnis 90/Grüne [AL]IUFV) über den "Umgang mit Ermittlungsergebnissen im Fall K." antwortete der Senator für Inneres Dieter Heckelmann (CDU) im Namen des Senats von Berlin am 14. Februar 1994: "In der "Deutschen Rundschau" Nr. 10 vom Oktober 1992 war ein Artikel "Kaindl-Mord: "Wir kriegen euch alle!" veröffentlicht, wonach die Namen und Anschriften der türkischen Mörder inzwischen bekannt wären. Dem Senat ist nicht bekannt. wie die "Deutsche Rundschau" zu diesen Behauptungen kommt. (...) Die vorgelegten Lichtbilder waren bzw. sind aus kriminalistischen und datenschutzrechtlichen Gründen nicht mit Personaldaten versehen. Es ist ausgeschlossen, daß weitere Daten (Anschriften, Kfz-Kennzeichen) genannt wurden, so daß der Senat nicht beurteilen kann, ob und gegebenenfalls wie derartige Informationen in den Besitz der "Deutschen Liga", der "Deutschen Rundschau" bzw. des T. gelangt sein könnten. (...) Die in Betracht kommenden Kriminalbeamten sind nach Bekanntwerden der Kleinen Anfrage zu den Behauptungen befragt worden und haben verneint, weitere als die in der Strafprozeßordnung vorgeschriebenen Daten weitergegeben zu haben. (...) Darüber hinaus hat der als Nebenkläger auftretende Zeuge einen Anspruch auf Akteneinsicht durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt. (...) Der Senat weist daraufhin, daß Zeugen in dem Verfahren K. ein Zugriff auf die Vorgangsakten nicht möglich war." Da im Jahr 1993 die Kontakte von Hans-Christoph Bonfert, dem Sprecher des Berliner Innensenators Dieter Heckelmann, mit dem Ex-„Republikaner“-Kandidaten Hans-Ulrich Pieper („Dienstags-Gesprächs“) und Vertretern der rechten "Jungen Freiheit" bekannt wurden erübrigt sich die weitere Spurensuche möglicherweise: Gemeinsame politische Interessen und Bekannte hatte die rechten Kreise um Thaler, Munier, Pieper und Bonfert scheinbar allemal und auch Hans Ulrich Pieper selbst hatte Kontakt zum HvFB. (Vgl. Berliner Zeitung vom 17.6.1994.)