Kaindl-Verfahren: Interview mit zwei Leuten aus dem UnterstützerInnenkreis der inhaftierten AntifaschistInnen
Seit Mitte November 1993 sitzen fünf Antifas in Untersuchungshaft (siehe Antifaschistisches Infoblatt Nr. 25). Vorgeworfen wird ihnen Mord, Mordversuch und Körperverletzung im Zusammenhang mit der Tötung des „Deutsche Liga“-Funktionärs Gerhard Kaindl am 4. April 1992. Im Folgenden geben wir Positionen von zwei Personen aus dem Berliner UnterstützerInnenkreises wieder.
AIB: Wer seid ihr, wie heißt Eure Gruppe?
Lisa: Es gibt mehrere Gruppen, die sich zur Unterstüzung der Gefangenen zusammengeschlossen haben. Ich selber mache mit in dem Öffentlichkeitsbüro, das es seit Anfang Januar gibt, und kümmere mich insbesondere um die bürgerlichen Medien. Dann gibt es aber noch eine ZeugInnengruppe, 'ne Finanzgruppe, die Zeitungsgruppe und die Verteilungsgruppe.
Ömer: Ich arbeite mit an unserer Zeitung »Herzschläge«. Die zweite Nummer, in deutsch und in türkisch, ist gerade fertig geworden. Wir versuchen so, mehr Öffentlichkeit für die Inhaftierten herzustellen.
AIB: Die Haftbedingungen haben sich zum Teil verändert. Wie sieht die Situation von Fatma, Abidin, Erkan, Mehmet und Bahrettin jetzt aus? Wie geht es ihnen persönlich?
Ömer: Fatma hat jetzt Gemeinschaftsvollzug, endlich, nach über zwei Monaten Isolationshaft. Dementsprechend geht es ihr jetzt auch besser, wo sie mit anderen Frauen sprechen kann, und sie den Tag, so gut es geht, zusammen gestalten können. Mehmet und Abidin dürfen nicht an Gemeinschaftsveranstaltungen teilnehmen.
Lisa: Von Erkan und Bahrettin wissen wir recht wenig. Erkan ist vor circa zwei Wochen in eine psychatrische Klinik, in eine geschlossene Abteilung - versteht sich, verlegt worden. Soweit wir das mitgekriegt haben, ist er apathisch. Zwischen Weihnachten und Neujahr hatte er sogar versucht, sich umzubringen. Über Bahrettin was zu sagen, ist noch schwieriger. Über seinen Anwalt hat er uns ausrichten lassen, er wolle keine Solidarität von uns. Wir wissen von beiden, daß sie Aussagen gemacht haben, wissen aber nicht, was sie gesagt haben, und wie diese Aussagen zustande gekommen sind.
AIB: Wie läuft die konkrete Unterstützung der Leute im Gefängnis von euch aus?
Lisa: Na ja, alle zwei Wochen dürfen je drei Leute auf Besuch in den Knast. Die Leute, die bei Abidin, Fatma und Mehmet Knastbetreuung machen, kümmern sich auch um die Bücher und all den Kram, den die Gefangenen haben wollen. Bei den Besuchen oder in den Briefen sagen die drei dann auch, wen sie sehen wollen. Um Erkan und Bahrettin kümmern sich deren Eltern. Bei ihnen war auch noch keiner der UnterstützerInnen.
AIB: Was könnt ihr zur Unterstützung von außerhalb eurer Gruppe sagen.
Lisa: Es gibt verschiedene Formen der Unterstützung. Gerade auch Briefe an die Gefangenen sind wichtig. Es schreiben sogar Leute, die die Gefangenen gar nicht persönlich kennen. Briefe sind für sie ziemlich wichtig; aber ich weiß auch von mir selber, daß es schwer ist, Leuten im Knast zu schreiben, wenn der persönliche Bezug so völlig fehlt.
Ömer: Einige wenige Gruppen aus Berlin haben uns bei der ersten Knastkundgebung, auch bei der zu Silvester, geholfen. Das hat uns ziemlich geholfen. Es hat auch ein paar Soli-Feten gegeben, damit wir Geld für die Gefangenen zusammenkriegen, und um den AnwältInnen wenigstens ein bißchen Geld geben zu können. Es gab sogar Solifeten und Geldspenden aus anderen Städten. Was für mich wichtig ist - und wohl auch für unsere FreundInnen drinnen - ist, daß sich am 22. Januar in Hamburg ein »Antifaşist Gençlik Komitee« gegründet hat. Das sind ImmigrantInnen aus der BRD, die sich zusammengeschlossen haben, um Öffentlichkeits- und Unterstützungsarbeit für die Gefangen zu machen.
AIB: Ist mittlerweile bekannt, wie die Anklage lautet?
Ömer: Die Anklageschrift wird von der Staatsanwältin erst formuliert, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind. Auf den meisten Haftbefehlen standen die Vorwürfe »Mord, Mordversuch und Körperverletzung«. Auf zwei Haftbefehlen stand auch noch »Mitgliedschaft« bzw. »Sympathisant« von Antifaşist Gençlik [Antifaschistische Jugend - eine Initiative von ImmigrantInnen in Berlin]. Einer der Anwälte meinte neulich, die Anklage würde wohl auf »gemeinschaftlichen Mord« hinauslaufen.
AIB: Welche Funktion hat die Kriminalisierung? Ist es Zufall, daß sich das jetzt gegen türkische und kurdische AntifaschistInnen richtet?
Ömer: Ich weiß, daß die ImmigrantInnen, die ihren Mund aufgemacht haben und immer noch aufmachen, diesem Staat ein Dorn im Auge sind. Wir kriegen jeden Tag rassistische Pöbeleien ab. Wir erleben auf der Straße, auf den Behörden den Rassismus. Die Grenzen von Menschenwürde und Menschenrecht, die die Deutschen haben, existieren für uns ImmigrantInnen nicht. Sie haben Sondergesetze festgeschrieben und behandeln uns auch so. Wenn wir uns einsetzen für unsere Rechte, dann reagieren Staat, Bullenapparat, Presse, Faschisten und Politiker mit einer Hetzkampagne und direkter Gewalt.
Seit 1983 setzten sie ihren Plan, uns ImmigrantInnen und Flüchtlinge aus diesem Land rauszukriegen, immer mehr durch. Dieser Prozeß soll exemplarisch zeigen, was mit uns passiert, wenn wir uns gegen Rassismus und Faschismus laut äußern. Aber nicht nur wir sind mit der Kriminalisierung gemeint. Das geht gegen alle Linke hier. Die Bevölkerung soll glauben, die antifaschistische Bewegung ist eine Mörderbande.
AIB: Der polizeiliche Staatschutz hat ja wohl Informationen an Neonazis weitergegeben. War das eine Panne oder ist das Teil einer bestimmten Strategie?
Lisa: Das ist Teil von dem, was wir meinen. Wir wissen nicht genau wie viel der Staatsschutz an die Faschisten weitergegeben hat. Aber die Faschisten der DL1 haben Namen und Adressen von türkischen Leuten bekommen, das ist klar. Wir denken nicht, daß das Zufall war. Die Bullen arbeiten sowieso gegen uns. Da ist es nur ein Punkt, daß sie Namen weitergeben. Wahrscheinlich haben sie gehofft, daß die Nazis uns dann sozusagen »besuchen« kommen.
AIB: Nach dem Tod Kaindls2 war die Rede von sechs bis acht „Vermummten“, von beteiligten Frauen war auch nicht die Rede. Jetzt werden mindestens zehn Personen beschuldigt, darunter mehrere Frauen. Wie kommt es zu diesen Widersprüchen
Lisa: Das wüßten wir auch gerne. Die Ermittlungen richteten sich damals gegen türkische und kurdische Jugendliche, sowohl Frauen als auch Männer.
AIB: Gab es bereits Akteneinsicht?
Ömer: Ja, seit ein paar Tagen. Allerdings wissen wir noch nicht, was drinnen steht.
AIB: Betrachtet ihr Erkans Aussagen als Verrat?
Ömer: Können wir erstmal nicht so sagen. Solange wir nicht wissen, wie und mit welchen Methoden die Aussagen zustande gekommen sind, reden wir nicht von Verrat. Wir sagen aber allgemein: Wer über Verräter redet, muß auch über die Leute um sie herum reden. Verräter fallen nicht vom Himmel.
Lisa: Erkan war auch schon vor seinem Zusammentreffen mit den Bullen in psychatrischer Behandlung. Ich weiß nicht, ob seine Aussagen überhaupt vor Gericht verwertet werden können.
AIB: In Diskussion mit verschiedenen Leuten ist uns aufgefallen, daß nach außen eine politische Strategie der Unterstützungsarbeit nur schwer nachvollziehbar ist. Könnt ihr den aktuellen Stand eurer Diskussion wiedergeben?
Lisa: Nun ja, für uns alle war die Situation zuerst völlig neu. So'n heftiger Vorwurf wie "Mord" und dann auch noch gemeinschaftlich, ist nicht gerade alltäglich. Zuerst ging viel von unserer Kraft in »Schadensbegrenzung«. Wir haben mitgekriegt, wie Leute nach dem fünften Bier in den Kneipen angefangen haben, aus'm Nähkästchen zu plaudern, wahrscheinlich aus Profilierungssucht. Dann haben wir noch erfahren, daß die Bullen mit Fotomappen durch Kneipen gezogen sind und Leute ausgefragt haben oder es zumindestens versuchten. Also ging's darum, daß alle erst mal das Maul halten sollten.
Erst nach ein paar Wochen konnten wir dann über die politische Strategie diskutieren. Immer mit der Angst im Nacken, den Gefangenen mit irgendwelchen Statements zu schaden. Die derzeitige Diskussion zusammenzufassen, ist etwas schwierig. Ich will nur ein paar Stichpunkte nennen.
Zuerst einmal bleibt richtig, was wir immer gesagt haben: antifaschistische Selbsthilfe ist notwendig. Wir sind eine verschwindend kleine Minorität, unser Kampf ist ein Abwehrkampf. Unser Eingreifen muß vielfältig sein, und auch das Angreifen von faschistischen Kadertreffen ist darin ein Teil. Denn das ist so richtig wie banal: Wo es den Faschisten schwer gemacht wird, ihre Struktur auszuweiten, d.h. da, wo die Antifa stark ist, gibt es weniger Anschläge und organisierte militante Rassisten. Wer Fascho-Treffen duldet, billigt auch die davon ausgehende Gewalt.
Ömer: Ein anderer wichtiger Punkt in der Diskussion geht darum, daß wieder gelernt werden muß, mit den Mitteln, die wir benutzen, verantwortlich umzugehen. Ich weiß, daß wir oft gar nicht mehr die Wahl haben, ob wir uns auf Auseinandersetzungen einlassen oder nicht. Sie wird uns aufgezwungen. Wir sind konfrontiert mit einer Ideologie, die auf Gewalt setzt und die keine Regeln und Grenzen kennt. Nur diejenigen, die noch nicht im Fadenkreuz der Faschisten stehen, können es sich erlauben, sich von militanten Aktionen zu distanzieren. Trotzdem ist für uns wichtig, die Diskussion über verantwortliches Umgehen mit Waffen zu führen.
Lisa: Eine andere Diskussion ist, warum die Gefangenen ausgerechnet türkische und kurdische Menschen sind. Das ist doch kein Zufall. Die Kriminalisierung setzt an einem verdammt schwachen Punkt an, der ImmigrantInnen-Antifa. Die Hetze kennen wir seit Jahren, Vorurteile sitzen auch bei der Linken verdammt tief.
Ömer: Es gibt verschiedene Einschätzungen zur Kriminalisierung. Zum einen könnte der Prozeß für das momentane Wahlkampfthema »Innere Sicherheit« verwertet werden. Gleichzeitig soll die Antifa als Mörderbande abgestempelt werden, während die Zusammenarbeit von Staatsschutz und Faschisten prima läuft. Die gemeinschaftlichen Versatzstücke der Ideologie der Herrschenden und der Faschisten sind die Grundlage dafür. Widerstand soll zerschlagen werden, noch mehr gespalten in staatstragende und andere, so'n Nebeneffekt für die Bullen ist die Verunsicherung der Szene.
Auf jeden Fall sind wir alle mit der Anklage gemeint, die Gefangenen sitzen stellvertretend für viele. Wenn ich von dem Treffen im China-Restaurant3 erfahren hätte, wäre ich auch hingegangen. Deshalb werden wir auch alles daran setzen, damit das Kalkül des Staatsschutzes nicht aufgeht
AIB: Wie sieht eure Öffentlichkeitsarbeit aus?
Lisa: Bisher noch ziemlich chaotisch. Wir versuchen natürlich, eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen. Dabei wollen wir sowohl unsere Positionen verbreiten als auch Informationen über die DL sowie über die haarsträubenden Ermittlungspraktiken nach außen tragen. Mit der bürgerlichen Presse ist es relativ schwierig, da der Prozeß noch nicht begonnen hat. Aber wir versuchen natürlich auch schon vorher Artikel zu dem Thema unterzubringen, gerade auch zu den erfolgten Durchsuchungen und der Situation der Gefangenen.
Zusätzlich sollen die „Herzschläge“ mit den neuesten Infos regelmäßig erscheinen. Mit Veranstaltungen fangen wir gerade erst an. Die erste Veranstaltung hier in Berlin war sehr informativ und stark besucht. Vorbereitet wird gerade eine große Veranstaltung in der "Volksbühne", wo einige KünstlerInnen sich solidarisieren. Am 20. April oder zwei Tage später wird es eine Demonstration von ImmigrantInnen geben. Am 20. oder 21 . Mai soll eine bundesweite Demonstration »Keine Kriminalisierung des antifaschistischen Widerstands – Eingreifen ist gerechtfertigt!« in Berlin stattfinden. Wir wollen natürlich auch eine Öffentlichkeit in anderen bundesdeutschen Städten und im Ausland schaffen. Jedoch haben wir uns mit der Verteilung etwas verzettelt. Aber wir werden das bestimmt auch noch hinkriegen.
AIB: Wie wird auf eure Öffentlichkeitsarbeit reagiert?
Lisa: Gerade die Linke scheint sehr interessiert zu sein. Jedoch gab es bisher wenig Feedback; inwieweit das an uns liegt wissen wir nicht. Aber das wäre der richtige Moment um auf unser Öffentlichkeitsbüro hinzuweisen.
AIB: Was erwartet ihr euch an Unterstützung?
Lisa: Viel. Toll wäre Hilfe bei der Verteilung von Informationen, Plakaten etc.. Geldspenden werden natürlich dringend gebraucht. Büromaterial wird massenweise benötigt. Toll sind Solidaritätsveranstaltungen, wo die Unterstützung aber nicht dabei stehen bleiben darf. Sonst liegt unsere Forderung an die Linke, die Diskussionen, die Jahre lang nicht geführt worden sind, nicht uns zu überlassen, sondern sie in den eigenen Reihen jetzt zu führen, und uns daran Teil haben zu lassen. Es gibt schon Möglichkeiten, diese Diskussionen teils auch öffentlich zu führen. Super wäre, wenn Leute uns Informationen über andere Prozesse schicken könnten.
- 1Die "Deutschen Liga für Volk und Heimat" DLVH, hier kurz als „Deutsche Liga“ (DL).
- 2Gerhard Kaindl war Landesschriftführer der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH). Er war Mitglied des Neonazi-Vereins "Die Nationalen e. V.", für die er zu den Berliner Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen im Mai 1992 kandidierte.
- 3Anfang April 1992 war Kaindl gemeinsam mit anderen rechten Kadern Gast eines Chinarestaurants in Berlin-Neukölln, wo die Gruppe von Unbekannten angegriffen wurde. Im Verlaufe des Angriffs wurde Kaindl mutmaßlich mit einem Messer tödlich verletzt.