Die Nachbereitungen im „Fall Kaindl“
Ende 1994 standen in Berlin Antifaschist_innen vor Gericht, die meisten von ihnen Migrant_innen. Ihnen wurde der Tod des Neonazi-Kaders Gerhard Kaindl zur Last gelegt, der im April 1992 bei einer Antifa-Aktion ums Leben gekommen war. Mehrere extrem rechte Partei-Funktionäre waren in Berlin-Neukölln in einem chinesischen Restaurant angegriffen worden. Das Führungsmitglied der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ Kaindl wurde dabei durch Messerstiche tödlich verletzt.
Zerstrittene Beschuldigte & Unterstützungskreise
Von Unterstützer_innenseite erschienen nach Prozessende zwei Broschüren. Die eine Broschüre („Der Fall Kaindl“) stellt klar: Wir begrenzen uns hauptsächlich auf praktische Erfahrungen“.1 Bereits in der Einleitung wird eingeräumt: „Wir haben uns also eingekapselt, um zu vermeiden, dass der Schaden größer würde (...). Dies bedeutete, dass wir die Informationen von den Gefangenen und anderer Art erst filtern mussten, bevor wir diese weiterleiteten. (...) Sicherlich haben wir, aus dem Druck und der Unsicherheit am Anfang und den vielschichtigen Aufgaben, viele Fehler gemacht, uns mehr abgeschottet als nötig, mehr zensiert als nötig; alles aus der Angst heraus, irgendetwas falsch zu machen und den Verfolgten dadurch zu schaden“.
Der ehemals Angeklagte und Inhaftierte A. berichtet in seinem Beitrag „Hinter den Mauern“ über seine Zeit im Gefängnis und bilanziert unter anderem, dass es durch das Scheitern einer funktionierenden Kommunikation unter den Häftlingen zu Fehlern während der Gerichtsverhandlungen gekommen sei: „Das schlechte Verhältnis zwischen uns Häftlingen, unsere Unentschlossenheit sowie das Fehlen einer gemeinsamen Position waren Gründe dafür, dass die Beziehung zu unseren Anwältinnen ebenfalls gestört verlief (...) Den Gedanken, dass der Prozess ein kollektives politisches Ereignis ist und dass Anwälte die Verteidigung von diesem Ausgangspunkt aus formulieren sollten konnten wir ihnen gegenüber nicht durchsetzen“.
Das Erscheinen einer weiteren Broschüre („Anna und Arthur drücken die Augen zu“) lag wegen der komplizierten Situation in der zersplitterten Unterstützer_innen-Szene nahe.2 Dies wird durch Unterstützende aus dem sog. „Mittwochskreis“ transparent gemacht: „Die vor Euch liegende Broschüre ist der Versuch, unsere Erfahrungen aufzuarbeiten, nachvollziehbar (und) zugänglich zu machen. (...) Die Eingeknasteten streiten sich um die richtige Prozessstrategie. A. will seine Unschuld beweisen, M. Einlassungen zur Sache machen, um schnell den Mordvorwurf abzuwenden. F. lehnt jede Aussage vor Gericht zum Fall ab. Der Streit eskaliert auch zwischen den Unterstützer_innen, die sich gegenseitig einen „Deal mit der Justiz“ und das „Verheizen von gefangenen Genoss_innen“ vorwerfen. (...) S. stellt sich, um Aussagen zu machen. Er will klarstellen, dass es sich nicht um eine geplante Aktion handelte.“
Zum Zeitpunkt der Nachbereitungen ist Cengiz, der im Gerichtsverfahren dann als ein Hauptverdächtiger galt, als Internationalist nach Kurdistan geflohen.
Die Dokumentation der verschiedenen inhaltlichen Positionen bleibt unvollständig mit dem alleinigen Abdruck einer bereits zuvor in der Zeitschrift „Interim“ veröffentlichten Einschätzung der sogenannten „Zweiten Strömung“ (wie die Herausgeber_innen sie nennen), die als dritte Unterstützungsgruppe in der „Soli-Szene“ keine eigene Broschüre gedruckt hatte. Als Grund wurde genannt, dass andere Gruppen bei der Redaktion keine Textbeiträge abgegeben hätten. Weitere Einschätzungen waren allerdings woanders erschienen („Interim“ „Herzschläge“, AIB) und hätten hier nachgedruckt werden können. Das Erscheinen von zwei Broschüren lag offensichtlich auch daran, dass eine gemeinsame Veröffentlichung damals nicht möglich erschien.
In der Broschüre des „Mittwochskreis“ berichten zwei Untergetauchte von ihren Erfahrungen. Ein Brief von der Gefangenen F. dokumentiert, warum sie gegen einen „Deal“ mit der Justiz war. Dazu kommt ein gemeinsames Gespräch mit den Beschuldigten, leider ohne die wichtigen Beteiligten A. und F. Interessant ist auch, in welchem Widerspruch die Einschätzung der Interviewten zur Einschätzung der Anwält_innen steht. Mit drei von ihnen wurde ein weiteres Gespräch geführt und abgedruckt.
Prozess-Starre?
Der Kaindl-Fall war also kompliziert angelegt. Unter den Angeklagten und Unterstützer_innen gab es Widersprüche und es gab mehrere Unterstützungskreise, die bei wesentlichen Fragen unterschiedliche Positionen einnahmen.3 Im April 1994 war die Anklage „gemeinschaftlicher Mord“ erhoben worden. Nur bei der Angeklagten F., die nach den Aussagen der mitangeklagten Jugendlichen B. und E. vor dem Restaurant gewartet haben soll, deutete sich an, dass die Staatsanwartschaft vom Mordvorwurf abrückt.
Zuvor war gefordert worden, die Jugendlichen B. und E. müssten als Verräter mindestens von der Solidarität ausgeschlossen werden. Dies wurde von den meisten Betroffenen, Anwält_innen und Unterstützer_innen abgelehnt, weil ihnen aus prozesstaktischen Gründen nicht der Weg verbaut werden sollte, ihre Aussagen im Verfahren rückgängig zu machen. Der Inhaftierte A. schreibt dazu, „wenn einige Menschen bei der Polizei einfach aufgeben“, dann sollten wir „uns auf unsere eigenen Beziehungen untereinander im antifaschistischen Kampf konzentrieren (...), auf die Frage, wie wir eigentlich miteinander umgehen“.
Bis Februar 1994 hat sich von den Betroffenen nur ein einziger (Gesuchter) zu Wort gemeldet. Alle anderen sagten nichts und verstärkten damit die Verwirrung. Bis dahin war nicht bekannt, was sich die Inhaftierten für eine Solidaritätsarbeit wünschten. Zum Teil lag dieses Verhalten daran, dass erst im Februar 1994 Akteneinsicht gewährt worden war, zum Teil lässt es sich auch mit der „Passivität“ der Betroffenen und Inhaftierten erklären.
A. formulierte es so: „Wir (A., F., und M.,) die in der Antifasist Genclik waren und sich eigentlich als politische Menschen ansahen, haben die politische Verantwortung, die aufgrund dies Prozesses auf unseren Schultern lag, nicht richtig ernst genommen. Wir waren folglich zu träge, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln“. Der „Mittwochskreis“ erklärte dazu: „Es wäre schon ein deutlicher Gewinn gewesen, wenn sie aus dem Knast heraus politisch Position bezogen hätten. (...) Es war unverständlich, warum die Beteiligten gegenüber der linken Öffentlichkeit weitgehend schwiegen, aber vor Gericht so viel erzählen mussten“. A. hatte dies in seinem Text so zusammengefasst: „Welche Position nützt oder schadet nicht nur uns, sondern der gesamten antifaschistischen Bewegung? Die Position, vor Gericht keine Aussagen zu machen, ist auch eine politische Verhaltensform. Meiner Ansicht nach wäre jedoch in diesem Fall die Strategie des Schweigens eine passive Haltung, die folgende Konsequenzen mit sich brächte: Schweigen bedeutet, dass man letztendlich die Intrigen der Polizei und Staatsanwaltschaft stillschweigend stehen lässt.“.
Prozess-Strategie?
In ihrem Beitrag „Deckel auf, Thema rein, Deckel zu, Thema weg – eine Einschätzung der Prozessstrategie, des Themas Aussageverweigerung und der Verratsdiskussion“ zeichnet der „Mittwochskreis“ den Mangel an Informationen, die Diskussion über eine Prozessführung mit „Einlassungen zur Sache“, weitere Punkte ihrer Strategie sowie deren Schattenseiten nach. Schließlich würde sehr wahrscheinlich bei einer solchen Strategie irgendeiner als „Haupttäter“ übrigbleiben. Diese Widersprüche blieben bis zum Prozessende bestehen. „Das eigentliche Hauptproblem der Einlassungsstrategie war unserer Meinung nach nicht der Vorschlag selbst (für den es gute Argumente gab), sondern das Zustandekommen der Strategie. Es gab praktisch keine gemeinsamen Absprachen, sondern vor allem Druck der verschiedenen Seiten auf die Inhaftierten (...)“.
Durch die Tatsache, dass sich S. im Juli 1994 stellte, wurden neue Verhältnisse geschaffen. Bis dahin hatte es bei den politischen Inhaftierten (die Belastungszeugen E. und B. waren außen vor) unterschiedliche Positionen gegeben. Während A. ein Alibi besaß, waren die anderen beiden Inhaftierten M. und F. unterschiedlicher Meinung über den Sinn von „Einlassungen zur Sache“. Erst die Rückkehr von S. brachte eine endgültige Entscheidung über diese Prozessstrategie. Die in der Anklage Beschuldigten hatten teilweise ein großes Interesse daran, den von den mitangeklagten Jugendlichen geäußerten – und von der Polizei unter zwielichtigen Umständen erlangten - Beschuldigungen sowie dem abstrusen Staatsschutzkonstrukt einer „antifaschistischen Mörderbande“ entgegenzutreten. Wären die gesetzten Staatsschutz-Erzählungen nicht ausgeräumt worden, wäre es wohl zumindest bei der „Mörderbande“ geblieben.
Eine solche Einordnung war sicher auch für etliche Unterstützer_innen wichtig. Zwar sollte Solidarität unabhängig davon funktionieren, ob mensch mit einer Aktion einverstanden ist oder nicht, die Argumentation der Repressionsbetroffenen verstehen und teilen zu können, ist hierbei letztendlich doch ein wichtiger Teil. Die Klarheit darüber, dass hier eine spontane und chaotisch verlaufene Aktion verhandelt wurde, hätte womöglich nicht erst vor Gericht geschaffen werden sollen.
Unklar blieb hingegen offenbar, wie weit die Einlassungen gehen würden. „Es stand zwar fest, dass man den Mordvorwurf widerlegen wollte, aber wie viel die Angeklagten zu dem angeblichen Verlauf der Aktion äußern würden, stand bis zu den Kreuzverhören nicht definitiv fest. Unsere Unsicherheit, was die Prozessstrategie betrifft, löste sich nur teilweise auf. Die Frage „Einlassung oder nicht“ ist bis zum Schluss die umstrittenste Frage unter den Unterstützerinnen geblieben“. Sicher kann man nicht in jeder Situation „heldenhaftes“ Verhalten von Angeklagten verlangen, aber die „Schattenseiten“ dieser Strategie waren deutlich.
„Einlassungsstrategie“
Ein Abwälzen der Schuld auf einen Abwesenden war - und ist - die größte Falle einer „Einlassungsstrategie“. Das meint, es also nicht zu schaffen, Aussagen in eigener Sache zu machen, ohne dabei andere zu benennen. Falls die Angeklagten dazu vor Gericht nicht in der Lage seien, müsse man sich auf schriftliche Einlassungen beschränken. Aus Anwaltskreisen war zu lesen: „Es ist scheißschwierig. Das lässt sich eigentlich nur dadurch vermeiden, dass du dich überhaupt nicht gründlich einlässt oder nur schriftlich. Diese Kontrolle über die Aussagen führt aber wieder zu einer Glaubwürdigkeitsproblematik. Hier würde ich vorsichtig sagen, die Feinabstimmung hat nicht so ganz hingehauen“. Und weiter heißt es: „Das nennt man dann juristisch Mittäterexzess, der den anderen nicht zugerechnet werden darf. Es war völlig klar, dass das an einem hängen bleibt. Alles andere wäre verlogen. Bei wem diese Exzesstat hängen bleiben würde, war auch ziemlich klar, weil insofern die Aussagen der beiden ‘Kronangeklagten‘ sowohl im Vorfeld als auch dann im Verfahren, insoweit sie überhaupt verwertbar waren, konstant geblieben sind. Es war dann nur die Frage, inwiefern man das in den eigenen Einlassungen nun nicht noch gerade untermauert.“
„Einige von der Basis“ aus der „zweiten Strömung“ (neben „Freitagsplenum“ und „Mittwochskreis“) bewerteten das Vorgehen in ihrem Beitrag „Gewogen und für zu leicht befunden“ mit folgenden Worten: „(...) mit dieser Entscheidung für Aussagen standen die speziellen Interessen der Gefangenen gegen die allgemeinen Interessen der Linken. Auch wenn wir uns daraufhin weitestgehend zurückzogen, um diese Spaltung zu vermeiden, denken wir nach wie vor, dass es nicht im Interesse der Linken sein kann, mit Aussagen einzelne extrem zu belasten, dafür aber den eigenen Arsch zu retten. Jedenfalls ist Cengiz mit diesen Aussagen jede Möglichkeit genommen, je wieder zurückkehren zu können“.
Tatsächlich kam Cengiz nie nach Deutschland zurück, er starb in Kurdistan.
Das Fazit von „Einigen von der Basis“ lautet entsprechend: „Als Ergebnis des gesamten Verfahrens können wir nicht von einem politischen Erfolg reden. Wir sehen eher, dass in Zeiten großer Not wieder Teile der Linken gewogen und als zu leicht befunden wurden“.
Verratsdiskussion & Lernprozesse
Was über die „klassische Verratsdiskussion“ in der Nachbereitungsbroschüre hinausgeht ist der Hinweis, dass einige Unterstützer_innen den Fall nicht auf E. und B. reduzieren wollten, sondern als Problem auch den Zustand einer Antifa-Bewegung ausmachten, die keine festen organisatorischen Strukturen besitzt, wenig mit anpolitisierten Leuten arbeitet und zu wenig über Ausmaß und Grenzen politischer Militanz diskutiert: „Für uns sind die Schlussfolgerungen der Ereignisse gewesen, dass Jugendarbeit verbindlicher sein, Bedingungen und Grenzen militanter Aktionen öffentlich diskutiert werden und Aussageverweigerung immer wieder neu thematisiert werden muss. (...) Wichtiger ist, dass wir die Grundlagen legen und Rahmenbedingungen von Aktionen so bestimmen, dass sich die Ereignisse in dieser Form nicht wiederholen. Das bedeutet: Gruppenstrukturen müssen verbindlich sein, auch wenn das manchmal anstrengend ist und dann weniger Leute mitmachen. (...) Die Grenzen einer Aktion sind genau zu bestimmen (...)“.
Ein ebenfalls abgedruckter Brief von Norbert Hofmeier („Gefangener aus dem Widerstand“), der über zehn Jahre im Gefängnis verbrachte, unterstreicht ebenfalls die Notwendigkeit von inhaltlichen Auseinandersetzungen: „(...) eine solidarische und kritische Auseinandersetzung beinhaltet meiner Meinung nach selbstverständlich auch das Recht, eine Aktion, eine Strategie, Formen und Mittel und was weiß ich radikal in Frage zu stellen, denn nur so könnte beispielsweise eine falsche politische Orientierung (...) angehalten, kritisch reflektiert, neu bestimmt werden. (...) natürlich ist es beschissen, dass diese Auseinandersetzung erst jetzt, wo doch der Prozess ansteht, in Gang kommt, aber so ist es eben meistens, dass in solchen Situationen die ungelösten Widersprüche und Verunsicherungen aufbrechen. Ich denke, es gibt überhaupt gar keine andere Lösung als eine möglichst offene Diskussion. Und genau dadurch, dass ihr versucht, nochmal aus dem eigenen Erleben die besondere Situation von vor zwei Jahren zu vermitteln - die täglichen Angriffe, Überfalle, Verletzte, Tote - ja überhaupt die Realität für Immigrantinnen, Flüchtlinge, Jüd_innen in diesem Land, dadurch könnt ihr Verständnis für eine Situationsdynamik wecken, d.h. auch Verständnis, Sympathie, Solidarität mit den Angeklagten, die eingreifen wollten und diese Entwicklung aufhalten, darin besteht ja die grundsätzliche Legitimität ihres Denkens und Handelns und ihre politische Integrität. Aus dieser Situation entstand diese Aktion mit dem nicht beabsichtigten Ergebnis eines Toten und es ist doch politisch verantwortlich und auch ehrlich glaubwürdig über die Fehler usw. zu reden (...) ich glaube nicht, dass dadurch Solidarität, Unterstützung verlorengeht - eher im Gegenteil (...) und ich sehe auch noch nicht, wieso das zu einer „Unschuldskampagne“ (...) führen soll.“
Gemeinsamer Austausch?
Ein Interview mit einigen Gefangenen und Untergetauchten wird „als an vielen Stellen konfus“ angekündigt. Es verdeutlicht, warum es so schwierig war, eine gemeinsame Position zu entwickeln und erklärt die großen Widersprüche in der Solidaritätsbewegung. An vielen Punkten ist es aber auch hilfreich, weil hier persönlich und ungeschliffen Positionen bezogen wurden.
So erklärt T. beispielsweise: „Für mich bedeutet Moral, gerecht zu sein, positiven Werten zu folgen. Natürlich heißt das nicht, auf Militanz zu verzichten. Aber es heißt, dass ich bestimmte Werte einhalte. Natürlich kann ich sagen, das sind meine Feinde. Aber wenn ich meine Ziele im Kampf verliere, dann werde ich zu einem anderen Menschen. Das ist gefährlich. Das macht kaputt.“
Und S. stellt zur politischen Prozessführung klar: „Von den Medien und dem Staatsschutz wurde er politisch geführt. (...) Wir sind als total aggressive Mörderbande, als terroristische Vereinigung dargestellt worden, bewaffnet und was weiß ich noch alles. Wir haben versucht, das umzubiegen. Wir haben nicht Reue gezeigt vor Gericht. Und das hat die Richterin dann auch im Urteil gesagt, sie vermisst, dass hier ein Gesicht der Reue gezeigt wurde. Wenn wir so eine Reue gezeigt hätten, dass uns das leid tut, alles Scheiße war usw., dann wären wir vielleicht billiger davongekommen. (...) Man kann einen Prozess in dieser Weise führen, und trotzdem zu seiner Sache stehen.“
Auch der folgende Dialog hat an Aktualität nichts eingebüßt:
„M.: Entweder man verzichtet darauf, militant gegen Nazis vorzugehen, oder man handelt. Man muss sich aber auch Gedanken darüber machen, wie das Risiko möglichst niedrig gehalten werden kann. Völlig ausschließen kannst du so was nicht.
R.: Das denke ich im Großen und Ganzen auch. Das einzige, was man sich generell überlegen sollte, ist, mit was für Leuten man zu was für Aktionen geht. Aber so was kann einfach bei wirklich jeder Sache passieren.
S.: Man kann das Risiko niedriger halten, wenn die zwischenmenschlichen Beziehungen in Ordnung sind, wenn ein politisches Bewusstsein da ist. Man muss sich überlegen: mit wem, wie...
R.: ...und mit was vor allem...
S.: ... man losgeht. Es ist nötig, vorher über Grenzen zu reden, was man tun will und was nicht.
G.: Meines Wissenstandes nach wäre es richtig gewesen, einzelne Personen wieder nach Hause zu schicken.“
Fazit
Was wir aus vergangenen Erfahrungen lernen können ist, dass es wichtig ist, nicht erst aus der Haft oder aus der Klandestinität heraus damit zu beginnen, bestimmte politische Diskussionen zu führen, sondern in einen kontinuierlichen Austausch zu treten, und zwar vor, während und nach den Repressionsschlägen. Gemeint ist ein Austausch weniger über die Kategorien „was ist richtig oder falsch“, sondern über die eigenen Möglichkeiten, Ängste und Grenzen und die „unserer“ Mitstreiter_innen.
- 1"Dass Du dich wehren musst… Der ‚Fall Kaindl‘. Eine Nachbetrachtung."
- 2"Anna und Arthur drücken die Augen zu. Überlegungen zum ‚Kaindl-Fall‘"
- 3Auf einem bundesweiten MigrantInnen-Plenum am 22. Januar 1994 wurde ein Komitee von MigrantInnen zur Unterstützung der inhaftierten Antifas gegründet und für den 20. April eine bundesweite Demonstration in Berlin vorbereitet. Das MigrantInnen-Plenum betonte die Eigenständigkeit organisatorischer Ansätze von MigrantInnen und erklärte, dass angesichts „völkischer Pogrome und vom Staats forcierter rassistischer Gewalt ... Angriffe auf Nazis und ihre Nester keine Revolutionsromantik, sondern Überlebenspraxis“ von MigrantInnen in der BRD seien.