Der "Kaindl-Fall" als politischer Kitt der „Anti-Antifa“
Der Kaindl-Fall als politischer Kitt der „Anti-Antifa“ - ein „Förderkreis“ als rechter Knotenpunkt? Die Erkenntnis ist nicht neu: In der Ex-„Frontstadt“ West(Berlin) arbeiten punktuell fast alle Fraktionen der (extremen) Rechten zusammen. Der Tod von dem Neonazi Gerhard Kaindl hat solche Netzwerke punktuell ans Tageslicht gebracht.
Matthias Bath bewegte sich zwischen verschiedenen Spekten der Berliner (extremen) Rechten.
Berliner Nazi-Märtyrer, eine historische Rückschau:
Im Jahre 1932 kam es zu zahlreichen Anschlägen und Überfällen des SA „Sturm 33“. Nach einem »Sturmappell« in den Hohenzollern-Festsälen wurde der Sanitätsmann des „Sturmes 33“, Herbert Gatschke, tödlich getroffen. Neun Kommunisten wurden vor Gericht gezerrt, aber Gatschke war versehentlich erschossen worden war. Die SA hatten aus ihrem Sturmlokal auf die Straße geschossen und ihn getötet. Gatschke wurde dennoch aus politischem Kalkül zum „Märtyrer der Bewegung“, den das „rote Mordgesindel“ gemeuchelt habe. Bei der der Beerdigung auf dem Friedhof in Berlin-Neukölln erschienen Goebbels und Hitler und sprechen am offenen Grab.
Vom Märtyrer zur Rache?
Bemühungen der politischen Nutzbarmachung von verstorbenen "Kameraden" spielen bis heute eine Rolle.
Gerhard Kaindl - jahrelang Funktionär verschiedener (extrem) rechter Organisationen wie den „Die Republikaner“ (REPs) und der Berliner „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ (DLVH) - wird am 3./4. April 1992 im Restaurant „Jin Shan" in Berlin-Neukölln getötet. Die vermeintlich mangelnde Sühnung der Tat wird in der (extremen) Rechten medial aufbereitet. Peter Dehoust sieht in Deutschland etwa eine jahrelange „ (…) Kette tödlicher Gewalttaten an Patrioten“ (NE, 4/1992). Der Wiener Autor Konrad Windisch zitierte die Rede des Berliner Neonazis Karl-Heinz Panteleit am offenen Grab von Kaindl: „ (…) Immer noch betäubt von Entsetzen, Trauer, Zorn und Wut, aber auch Scham, stehen wir an deiner Bahre. Ja auch Scham über unsere so erbärmliche Hilflosigkeit. (…) Nicht einmal die Bekundung von Betroffenheit war den in diesem Staat Verantwortlichen die heimtückische Mordtat an dir wert.“1
Was in (extrem) rechten Kreisen immer wieder anklingt - das Rachemotiv legitimiere ein Vorgehen gegen den „antifaschistischen Feind“ - hat viele Stimmen und Motive. Die Comic-Zeichnungen im Anti-Antifa-Heft "Einblick" sind hierbei recht eindeutig. Auch Dominic Burzlaff, der Sänger der RechtsRock-Band von "Commando Pernod" bringt im Lied „Kanake verrecke“ das Thema klar auf den Punkt: „Kanake verrecke, Kanake verrecke, ihr bringt keine Deutschen mehr zur Strecke, ausländisches Mordgesindel und die Medien betreiben Schwindel. Doch ihr werdet keinen mehr abstechen, Gerhard Kaindl wir werden dich rächen. Kanake verrecke, Kanake verrecke, ihr steckt mit den Roten unter einer Decke, alles Schmarotzer und Parasiten, linke Sprüche und moslemische Riten (…) das gilt auch für dich du bolschewistische Zecke, doch bald wird eure Stunde schlagen, wir werden euch aus Deutschland verjagen.“
In der Musik der Neonaziszene werden „Nichtdeutsche“ mit dem Feindbild der antifaschistischen Linken verknüpft und sollen so offenbar ein Gewaltbedürfnis legitimieren. Der Gegner sind zwar „minderwertig“ aber gleichzeitig lebensgefährlich ("Mordgesindel"). Der Neonazi-„Barde“ Frank Rennicke bringte die rechte Ur-Angst im Liede „Sonntags abends in Berlin“ musikalisch auf den Punkt: „wenn die Türken dann durch Kreuzberg zieh'n, packt mich kalte Wut, Angst bei der Nacht - mein Volk, mein Volk, was hat man mit dir gemacht?“ die Handlungsempfehlung im Sinne der „Anti-Antifa“ folgt im Lied „Rote Ratten“: „ (…) zerschlagt doch diese Brut, rote Ratten - rote Ratten, Schützt euer Hab' und schützt auch euer Gut, schützt auch euer Blut (…) grabt sie in den Löchern ein, das Land sei rattenfrei“ (1993, «Ich bin nicht modern...Ich fühle deutsch).
Ein "Förderkreis" als Vorbild?
Im April 1993 wurde der „Förderkreis Gerhard Kaindl“ gegründet. Als Vorbild für ein reputierliches Anti-Antifa-Bündnis wurde der „Förderkreis Gerhard Kaindl“ auf den Berlin-Seiten der Neonazi-Feindesliste „Der Einblick“ präsentiert. Dieser "Förderkreis" ist scheinbar eine Art "Knotenpunkt" zwischen Vertretern des Berliner Neonazi-Milieus und "angesehenen" (rechts-)konservativen Bürgern der Stadt. Einige "seriöse Rechte" sollen sich laut Medienberichten punktuell im Umfeld der Neonazi-Kreise gezeigt haben.
Unwissenheit ist schwer zu glauben - selbst der Berliner "Verfassungschutzbericht" von 1993 berichtete, das sich der „Förderkreis Gerhard Kaindl“ auf Initiative des vom VS als rechtsextem eingestuften „Hoffmann von Fallersleben-Bildungswerk“ (HvFB) gegründet habe. Das stört einige "seriöse" Berliner Bürger scheinbar wenig. So sollen sich der Professor Klaus M. von der "Hochschule der Künste Berlin" (HdK) in Berlin und ein Berliner Landesschulrat (a.D.), der offenbar auch im gehobenen rechten Westberliner Vereinswesen auftaucht, in diesem Umfeld bewegt haben.
Die Zeitschrift "Politische Berichte" (14. Januar 1994) des Kölner "GNN Verlag" befürchtet: "Es sieht so aus, als ob ein Teil der Sicherheitsorgane sich zum Handlanger der Anti-Antifa machen läßt" und befürchtet explizit beim genannten „Förderkreis“, dass deren Mitglieder „ (…) u.a. Prof. K. M. und Landesschulrat a.D. H. B.“ sich offensichtlich als Teil der Anti-Antifa zu betätigen gedenken würden.
Eine Spurensuche
Die Einschätzung ist womöglich nicht ganz abwegig. Professor Klaus Motschmann soll laut Medienberichten zumindest auf einer Veranstaltung des ultra-rechten „Hoffmann von Fallersleben-Bildungswerk“ (HvFB) referiert haben und soll weiterhin laut „Junge Welt“ als Mitglied des „Förderkreises Gerhard Kaindl“ in Erscheinung getreten sein (JW, 14. Oktober 1993). Der Professor lehrte von 1972 bis 1997 als Politikwissenschaft an der "Hochschule der Künste Berlin".
Auch in zwei Familienkreisen könnten die Wege zwischen dem Kaindl-Förderverein und dem HvFB-Verein womöglich kurz gewesen sein. Eine offizielle Mitgliederliste des "Bildungswerk" von 1992 benennt mit den jeweils gleichen Familiennamen (wie Professor M. und Landesschulrat B. aus dem Kreise des "Förderkreis") Markus M. als Mitglied Nr. 9 des HvFB und Matthias Bath als Mitglied Nr. 1 (stellv. Vorsitzender)2. Neben ihm waren die bekannten "Die Nationalen"-Kader Richard Miosga, Rita Bönisch und Rudolf Kendzia im Vorstand.
Bereits 1990 war das das „Hoffmann von Fallersleben-Bildungswerk“ (HvFB) entstanden sein. Anfang 1993 sollte dort der Politiker Heinrich Lummer (CDU) zum Thema »Asyl - ein mißbrauchtes Recht« referieren. Nur eine Intervention des CDU-Landesvorstandes soll Lummer jedoch zur Absage bewogen haben.
Rückschau nach Westberlin
Im Vorstand des 1981 gegründeten parteiübergreifenden, aber stark rechts orientierten Verein "Berliner Bürgergemeinschaft e.V." (VR 6581) saßen der oben erwähnte CDU-Abgeordnete Heinrich Lummer (Vorsitz), der CDU/RCDS-Politiker Franz Amrehn (Stellvertreter), der MinDir i.R. Hermann K. (Stellvertreter) und Hermann Oxford (Stellvertreter). Die Protagonisten kennen sich zum Teil aus der politisch ähnlich wirkenden „Studiengesellschaft für Ost-West-Probleme“. Neben CDU-Innensenator Heinrich Lummer, war auch Hans Joachim Prill Mitglied der „Berliner Bürgergemeinschaft“. In den sechziger Jahren war er als Senatsrat für die Polizei zuständig, vorübergehend sogar amtierender Polizeipräsident; danach Chef des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Hermann Oxfort war nicht nur Politiker der FDP, sondern auch Senator für Justiz West-Berlins.
Vier Jahre später - im Jahr 1985 - traten Amrehn, Lummer und Oxfort als Vorstandsmitglieder zurück und Günter Oeltze von L. übernahm den Vorsitz. Es folgten: Robert J. (Stellvertreter) und Landesschulrat Herbert Bath (Stellvertreter). Über den Landesschulrat in Berlin hatte "Der Spiegel" Nr. 10/1983 im Artikel "Berlin - Abends radikal" berichtet, er schüre "in einer Bürgergemeinschaft prominenter Stadtpolitiker die Ausländerfeindlichkeit". Herbert Bath war von 1966 bis 1991 Landesschulrat in Berlin. Laut „taz“ (14. März 1989) ist Matthias B. (*1956) der Sohn des Landesschulrats.
Die "Deutsche Liga" als Sammelbecken
Enttäuschte Mitglieder der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) und der "Die Republikaner" (REP) gaben ab 1990 die "Deutsche Rundschau" (DR) als Publikation für eine neue „Sammlungsbewegung“ heraus. Am 3. Oktober 1991 fand der offizielle Gründungsparteitag einer neuen Rechtsaußen-Partei in Villingen-Schwenningen statt, der Berliner Rudolf Kendzia wird zu einem der Vorsitzenden gewählt. Am 8. Februar 1992 gründete sich deren Landesverband Berlin-Brandenburg. Frank Schwerdt wurde der Landesvorsitzende der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH) in Berlin, Karl-Heinz Panteleit sein Stellvertreter. Kaindl war Landesschriftführer der "Deutschen Liga". Er war zuvor schon Mitglied des Neonazi-Vereins "Die Nationalen e. V.", für die er zu den Berliner Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen im Mai 1992 kandidierte.
Eine gemeinsame Vergangenheit 1990 bei den REPs?
Noch 1990 stand Gerhard Kaindl gemeinsam mit dem damaligen Juristen (und wissenschaftlischem Mitarbeiter) Matthias Bath (geb. 1956), dem Arzt-Studenten Klaus Motschmann, dem Ingenieur Frank Schwerdt, dem Sachbearbeiter Karl-Heinz Panteleit, dem Journalisten Sven-Thomas Frank, dem Kaufmann Rudolf Kendzia, dem Kaufmann Richard Miosga, der Angestellten Rita Bönisch und mehreren Polizisten (wie z.B. Bodo P.) auf einer Kandidatenliste der Berliner REPs.
Eine gemeinsame rechte Vergangenheit könnte also womöglich in Berlin das frühere politische Umfeld von Gerhard Kaindl, den heutigen "Förderkreis", das HvFB und Teile der heutigen Berliner Sicherheitsbehörden miteinander verbinden. Dr. Matthias Bath war später immerhim Gründungsmitglied und im Vorstand des "Hoffmann-von-Fallersleben-Bildungswerk e.V." (damals genannter Beruf: Richter) und trat in Berlin eine Stelle als Staatsanwalt an.
Aufklärung?
Auf eine "Kleine Anfrage" (Nr. 4974) der Abgeordneten Renale Künast (Bündnis 90/Grüne [AL]IUFV) über den "Umgang mit Ermittlungsergebnissen im Fall K." antwortete der Senator für Inneres Dieter Heckelmann (CDU) im Namen des Senats von Berlin am 14. Februar 1994: "In der "Deutschen Rundschau" Nr. 10 vom Oktober 1992 war ein Artikel "Kaindl-Mord: "Wir kriegen euch alle!" veröffentlicht, wonach die Namen und Anschriften der türkischen Mörder inzwischen bekannt wären. Dem Senat ist nicht bekannt, wie die "Deutsche Rundschau" zu diesen Behauptungen kommt. (...) Die vorgelegten Lichtbilder waren bzw. sind aus kriminalistischen und datenschutzrechtlichen Gründen nicht mit Personaldaten versehen. Es ist ausgeschlossen, daß weitere Daten (Anschriften, Kfz-Kennzeichen) genannt wurden, so daß der Senat nicht beurteilen kann, ob und gegebenenfalls wie derartige Informationen in den Besitz der "Deutschen Liga", der "Deutschen Rundschau" bzw. des T. gelangt sein könnten. (...) Die in Betracht kommenden Kriminalbeamten sind nach Bekanntwerden der Kleinen Anfrage zu den Behauptungen befragt worden und haben verneint, weitere als die in der Strafprozeßordnung vorgeschriebenen Daten weitergegeben zu haben. (...) Darüber hinaus hat der als Nebenkläger auftretende Zeuge einen Anspruch auf Akteneinsicht durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt. (...) Der Senat weist daraufhin, daß Zeugen in dem Verfahren K. ein Zugriff auf die Vorgangsakten nicht möglich war."
Da im Jahr 1993 gewisse Kontakte von Hans-Christoph Bonfert, dem Sprecher des Berliner Innensenators Dieter Heckelmann, mit dem Ex-„Republikaner“-Kandidaten Hans-Ulrich Pieper („Dienstags-Gesprächs“) und Vertretern der rechten "Jungen Freiheit" bekannt wurden erübrigt sich die weitere Spurensuche - auch im CDU-Milieu - möglicherweise vielleicht aber auch: Gemeinsame politische Interessen und Bekannte hatte die rechten Kreise scheinbar allemal. Hans Ulrich Pieper selbst hatte womöglich Kontakt zum HvFB. (Vgl. Berliner Zeitung vom 17.6.1994.) Pieper war ein Autor eines Theorieorgans der "Neuen Rechten" namens "Criticon". In der Redaktion dieses Blattes saß wiederum Klaus Motschmann. Pieper wirkte laut taz vom 20. Juni 1994 bereits 1970 gemeinsam mit Sven Tomas Frank und Frank Schwerdt in einer "nationalrevolutionären" Gruppierung namens „Außerparlamentarischen Mitarbeit“ (APM) in Berlin mit. Man kann also vermuten: Irgendwann dürften sich die Wege einiger der verschieden Akteure gekreuzt haben. Eine Weitergabe von Daten aus Sicherheitskreisen an Neonazi-Netzwerke bleibt bei diesen Netzwerken ein Risiko.