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Neonazi "Wehrsport" mit Bundeswehrsoldaten?

Einleitung

Als sich am Sonntag, dem 31. Oktober 1993, fünf junge Männer in Tarnkleidung offenbar zu einer sogenannten „Wehrsportübung“ in der Nähe eines Campingplatzes in Tiefensee (Kreis Bad Freienwalde) aufmachten, waren sie noch guten Mutes. Während sie ihre Sachen zusammenpackten, ertönten aus dem Kassettenrecorder ihres Berliner PKWs Lieder des Neonazi-Barden Frank Rennicke. Sie wurden dabei allerdings von campenden BürgerInnen beobachtet und zur Rede gestellt. Über das selbstbewußte Auftreten der AntifaschistInnen waren sie dermaßen überrumpelt, dass sie über ihr Vorhaben Auskunft gaben.

Faksimile aus "Drahtzieher im braunen Netz"

Der Zeltplatz der Gemeinde Tiefensee ist idyllisch an See und Waldrand in der hügeligen brandenburgisches Landschaft gelegen. Schon zu DDR-Zeiten war der Ort Ziel von „Jungnazis“. Extrem rechte Jugendliche soffen, gröhlten und trainierten hier. Auf dem „Country-Campingplatz“ Tiefensee ist es heute ruhiger geworden. Ihr Motto ist passenderweise »Gott schütze uns vor Sturm & Wind und Campern, die keine Camper sind«. Manchmal musste allerdings die Polizei gerufen werden, da sich Neonazis besonders an Pfingsten dort einmieteten und feierten. Die Gemeinde Tiefensee hatte kein Interesse, ein rechter Ferienort zu sein und so wurden 1992 TeilnehmerInnen eines Lagers von AnhängerInnen der neonazistischen "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) in der Gemeinde Tiefensee von der angeforderten Polizei des Feldes verwiesen1 .

Extrem rechte „Campingfreunde“ verhalten sich heute ruhiger, um dort in die hügeligen Wälder aufzubrechen, die nicht nur zum Spazieren gehen ein hervorragendes Gelände sind. So auch die bereits erwähnten jungen Männer und Jugendlichen aus Berlin, die sich schon in ihre Tarnkleidung geschmissen hatten und gerade vom Campingplatz in die Wälder aufbrechen wollten. Angesprochen durch fünf AntifaschistInnen gedachten sie, eventuellem Ärger durch billige Ausflüchte am Besten entgehen zu können. Sie gaben sich als „Bundeswehrsoldaten auf einer Wanderung“ aus. Im Laufe des Gespräches stellte sich bald heraus, dass sich zwei ehemalige Wahlkandidaten der verbotenen „Nationalistischen Front“ unter ihnen befanden.

Marco Löwe (20) aus Berlin-Hohenschönhausen war 1992 „Spitzenkandidat“ der NF in seinem Bezirk und Leiter der Ortsgruppe. Er wollte den Kameraden offenbar seine Erkenntnisse aus der Bundeswehrausbildung vermitteln, die er zur Zeit absolviert. Zu diesem Zweck trug er ein Merkbüchlein mit sich, in dem sowohl Detailwissen zu verschiedenen Waffengattungen als auch Verhaltensmaßregeln niedergeschrieben waren. Den Abschluss des Heftes zierte ein »Gedicht«, das der antisemitischen „Poesie“ der deutschen Nazi-Szene zuzuordnen ist: »Sah ein Knab' 'nen Juden stehn (...)« usw. Er gab den AntifaschistInnen zu verstehen, dass zwar nicht er, jedoch seine vier Begleiter nach wie vor in Neonazi-Organisationen aktiv seien.

Unter ihnen war mit dem 21-jahrigen Uwe Messner ein weiter NF-Kandidat aus Hohenschönhausen. Die anderen drei waren Holger Reiko B. (21), der Auszubildende Martin Stefan R. und der 16-jährige Rainer Gerd St.. Der Soldat Marco Löwe demonstrierte seine Vorliebe für Waffen schon 1990 auf einer Fahrt der Berliner FAP zu einer sogenannten »Wintersonnenwendfeier«. Für das Videoteam der Partei posierte er mit Hitler-Gruß, in der linken Hand eine Pistole.

Die Anleitung von Neonazis durch aktive Bundeswehrsoldaten ist sicherlich kein Einzelfall. Momentan leisten viele extrem rechter Kader ihren Wehrdienst ab. Aus Berlin sind beispielsweise der 22-jährige Anführer einer örtlichen NF-Gruppe, Enno Gehrmann2 und der ehemalige Pressesprecher der „Nationalen Alternative“ (NA)  Andre Riechert3 , zur Zeit beim Bund. Die Neonazis sind, im Gegensatz zu fortschrittlichen Jugendlichen, diejenigen, die ausgesprochen gerne die militärische Ausbildung absolvieren. Da die Bundeswehr auch Neonazis in ihre Reihen aufnimmt, braucht man sich nicht zu wundern, wenn das angelernte Wissen an die NS-Gruppen weitergegeben wird.

Dem Merkbuch war neben Details zu verschiedenen Waffengattungen auch folgende Sicherheitsbelehrung zu entnehmen:

"1) offen, aber nicht vertrauensselig sein

2) Maß halten

3) Verschwiegen sein

4) Auf anvertrautes Gut achten

5) Hellhörig und kritisch sein

6) Ordnung halten

7) Verstöße und jeglichen Verdacht melden

8) Nicht voreilig sein, umsichtig handeln

9) Eigene Fehler melden

10) Nachrichtendienstliche Verstrickung melden und offenbaren"

Es bleibt zu beobachten, welchen Werdegang die beteiligten Neonazis in der Neonazi-Szene absolvieren und ob ihr Interesse an militärischem Auftreten zu bewaffnetem "Wehrsport" in der Neonazi-Szene bzw. zur Anbindung an das internationale rechten Söldner-Milieu führt.

  • 1Einen Brandenburger Landesverband gibt es seit Herbst 1993, im September 1993 folgte ein Verbotsantrag gegen die Gesamtpartei und Ende Dezember 1993 wurde eine FAP-Sitzung in Oranienburg wegen Straftaten polizeilich aufgelöst.
  • 2Gehrmann wurde im November 1993 - als Wehrpflichtiger - vom Kreisgericht Zehdenick wegen gemeinschaftlich begangener Raub und gefährliche Körperverletzung angeklagt. Er gehört 1992 - auch laut dem Berliner Verfassungsschutzbericht - zur Führungsebene der „Nationalistischen Front“ (NF) und schrieb Artikel für das Neonaziheft "Angriff" vom „Förderwerk Mitteldeutsche Jugend“ (FMJ). Sein Szene-Anwalt Aribert Streubel konnte am 24. November 1993 (nach fast zehnstündiger Verhandlung) nicht verhindern, dass er wegen gemeinschaftlichen Raubes zu einem Jahr und sieben Monaten auf Bewährung verurteilt wurde. Als Bevollmächtigter des FMJ versuchte RA Aribert Streubel im Mai 1993 beim „Oranienburger Generalanzeiger“ eine Gegendarstellung zu erwirken.
  • 3Vgl. Meldung der "Allgemeinen Deutschen Nachrichtenagentur", 16. März 1991, 9.00 Uhr: »In die hauptstädtische Öffentlichkeit zurückgemeldet hat sich die als neofaschistisch eingestufte Nationale Alternative Berlin (NA) [...] Vor Pressevertretern informierte NA- Sprecher Andre Riechert darüber, daß seine Partei sich für den Erhalt des Berliner Tierparks einsetzen wolle