Saalfeld: Tagung der „Deutschen Kulturgemeinschaft“
Vom 11. bis zum 13.6.1993 fand im thüringischen Saalfeld die zentrale Tagung der einflussreichsten Schaltstelle des NS-Netzwerkes statt. Die Jahrestagungen der „Deutschen Kulturgemeinschaft“ (DKG) waren in den vergangenen Jahren in Österreich Ziel polizeilicher Aktionen und von einer für die Alt- und Neonazis negativen Presse begleitet. Zuletzt hatte die "15. Gästewoche" ("Die tieferen Ursachenherde der Geschichte und die politische Zukunft") vom 28.9.bis 5.10.1991 in Pichl stattgefunden. Die "16. Gästewoche" der DKG ("Im Jahrhundert der Entscheidungen") vom 12. bis 19.9.1992 in Sulden (Südtirol) wurde von den Behörden verboten. Deswegen bewegte sich der Tross der DKG einige Monate später nach Süddeutschland, wo ihre Treffen anders bezeichnet wurde und kaum Aufsehen erregten. Vom 19. bis 22.11.1992 fand in Rosenheim eine Art Ersatzveranstaltung ("10 Jahre Huttenbriefe" - "Ich hab's gewagt mit Sinnen und trag des noch kein Reu!") statt. Nun scheint Ost-Deutschland ein neuer Austragungsort zu werden. Das Treffen in Saalfeld firmierte als "Mitgliederversammlung Notgemeinschaft für Volkstum und Kultur" und "Hauptversammlung Freundeskreis Ulrich von Hutten". Die "17.Gästewoche" der DKG ("Vom lebensgesetzlichen Denken - die Neuwertung der Werte") sollte vom 26.9 bis 3.10.1993 in Naumburg/Saale stattfinden. Die DKG und der „Freundeskreis Ulrich von Hutten“ waren hier unter dem Tarn-Namen "Vereinigung der Opfer des Stalinismus" aufgetreten. Dies fiel im Laufe der Tagung jedoch auf und führte zu einem vorzeitigen Ende.
Für den reibungslosen Ablauf des diesjährigen NS-Kadertreffens sorgten die thüringischen Behörden. Schon im Vorfeld forderten sie Mitarbeiter des evangelischen Pfarramtes Saalfeld zum Stillschweigen auf. Die Stadtverwaltung taktierte und sagte zu, ein Verbot zu erwirken. Offensichtlich ging es dem »Amt für Ordnung - und Innere Sicherheit« darum, das Neonazi-Treffen ohne öffentliche Proteste stattfinden zulassen. Mit den Neonazis kam dann die zusammengezogene Bereitschaftspolizei und ging gegen antifaschistische Jugendliche aus Saalfeld vor.
Braune Kader ...
Der jährliche Aufmarschversuch verschiedener NS-Organisationen am Volkstrauertag in Halbe gibt einen Einblick, wie geschätzt die älteren Herren und Damen der „Deutschen Kulturgemeinschaft“ 1 »in den Kreisen junger Kameraden« sind. Kader fast sämtlicher NS-Nachfolgeorganisationen folgten dem Aufruf der Scharnierorganisation des bundesdeutschen und österreichischen (Neo)Faschismus.
Die DKG, die „Notgemeinschaft für Volkstum und Kultur e.V.“ (Villingen-Schwenningen, Miesbach) 2 das „Deutsche Kulturwerk europäischen Geistes“ (DKEG) um Karl-Günther Stempel aus München3 oder der „Freundeskreis Ulrich von Hutten“ (Starnberg/Stockstadt/Biessenhofen-Allgäu)4 bezeichnen ein quasi identisches Spektrum um Lisbeth Grolitsch und Herbert Schweiger aus Graz. Es existiert ein österreichische DKG-Pendant, das sich seit den 1970er und 1980er Jahren parallel zu den namensgleichen deutschen Organisationen entwickelt hat.
Hier leiten alte Waffen-SSler junge Neonazis an und hier werden strategische Absprachen getroffen. Hier trifft sich die Kaderebene des organisierten (Neo)faschismus, wie die TeilnehmerInnenlisten früherer Treffen belegen. Der Bundesführer der „Wiking Jugend“ (WJ) sitzt mit der Führung der „Nationalistischen Front“ (NF) an einem Tisch, zusammen mit unverbesserlichen Alt-Nazis, wie dem Österreicher Herbert Schweiger, der als ehemaliges Mitglied der SS-Eliteinheit »Leibstandarte Adolf Hitler«, noch heute einen Großteil der Fäden heutiger NS-Organisationen in der Hand hält. Hier präsentierte sich dieses Jahr auch der als kommender »Führer« gehandelte Wolfgang Juchem („Deutsche Liga“ und „Aktion Freies Deutschland“).
Sämtliche oben genannten Vereine gingen im Laufe der Jahre aus dem DKEG hervor. Das DKEG - Abteilung BRD - wurde am 1. Mai 1950 von Dr. Herbert Böhme, Mitglied der obersten SA-Führung, Mitglied der Reichspropagandaleitung der NSDAP und »Reichsfachschaftsleiter für Lyrik in der Reichsschriftumskammer«, ins Leben gerufen. Nach dem Verbot der „Sozialistischen Reichspartei“ (SRP), 1952, spielte dieser Verein eine wesentliche Rolle in der Aufrechterhaltung der verbotenen organisatorischen Bemühungen. Die selbe Rolle spielen die oben genannten Vereinigungen heute wieder, wenn sie unter dem Denkmantel der Kulturpflege ihre Treffen abhalten.
Im Ernstfall gibt es auch ganz konkrete Unterstützung der Alt-Nazis für Neo-Nazis. So stellte 1984 die Rentnerin Lotte Oppermann von der "DKEG-Pflegestätte" in Hannover dem Neonazi-Führer Michael Kühnen ihr Auto zur Verfügung, als er sich mal ins Ausland absetzen musste.
… gastfreundliche Thüringer und ...
Für einen quasi ungestörten Ablauf dieses Kader-Treffens machte sich die Saalfelder Stadtverwaltung, genauso wie das thüringische Innenministerium stark. Bereits eine Woche vor der Versammlung protestierten Mitarbeiter des Evangelisch-Lutherischen Pfarramtes der Stadt Saalfeld bei der Stadtverwaltung. Diese forderte die Kirchenmitarbeiter zu Stillschweigen auf, damit die Stadt nicht einen schlechten Ruf bekommt. Außerdem sagte man zu, ein Verbot zu erwirken. Dies blieb aber ebenso folgenlos, wie die Briefe des Pfarramtes an das Bundesinnenministerium und das Erfurter Innenministerium, in denen ein Verbot der Tagung gefordert wurde.
Den Neonazis wurden über die Saalfelder Touristen-Information Zimmer in der »Pension Müller« vermittelt und das »Waldhotel Mellestollen« bot sich als Tagungsort an. Vor dem Hotel zeltete die angereiste Schutztruppe der neonazistischen „Wiking Jugend“, die ihrerseits von einem Ring Polizei vor unerfreulichen Besuchen seitens möglicher GegendemonstrantInnen geschützt wurde.
Als WJ-"Gau Beauftragter" in Thüringen gilt Michael Sandmann aus Eisenberg. Die WJ führte in Thüringen bereits diverse Veranstaltungen durch. So eine "Sonnenwendfeier" 1991 in Schmalkaden und die bundesweite WJ-"Sonnenwendfeier" 1992 in Dobian-Saalfeld. Auch das WJ- "Bundesthing" hatte bereits 1991 in Schmalkaden stattgefunden. Es folgte ein bundesweites "Winterlager" mit rund 60 Leuten Ende 1992 in Greiz. Anfang Dezember 1993 folgte ein "Winterlager" in einer Jugendherberge in Mühltal.
… eine fürsorgliche Polizei.
Die Polizei wartete nicht auf eventuelle Störungen seitens der Antifa, sondern ging gleich in die Offensive. Eine Hundertschaft der zusammengezogenen Bereitschaftspolizei belagerte am Freitagabend das Erfurter Klubhaus, in dem sich nicht-rechte und alternative Jugendliche treffen. Vorwand war die Präsens von Neonazi-Skinheads in der nahegelegenen kommerziellen Discothek Malibou. Ohne das es zu einem Zwischenfall gekommen wäre, rückte die Polizei an und drohte mit einer Durchsuchung des Klubhauses.
Wie bei zahlreichen ähnlichen Aktionen verhielt sich die Polizei äußerst aggressiv und drohte, ihre Polizeihunde auf die Jugendlichen loszulassen. Nur dem Einsatz der Klubleitung ist es zu verdanken, daß die Beamten unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten, wenn man von der willkürlichen Festnahme eines Jugendlichen einmal absieht.
Doch der Gipfel staatlicher Repressalien war damit noch nicht erreicht. Am Sonntagvormittag wurden die TeilnehmerInnen der Tagung in 20er- bis 30er-Gruppen unter dem Schutz von Ordnern der „Wiking-Jugend“ zu einer Stadtbesichtigung ausgeführt. Zuvor hatte der Leiter des Thüringer Heimatmuseums den morgendlichen Vortrag bestritten.
Zur Stelle war eine kleine Gruppe von AntifaschistInnen, um diese denkwürdige Besichtigung mit der Fotokamera festzuhalten. Die „Wiking-Jugend“ griff daraufhin die AntifaschistInnen an und warfen mit Steinen. Es ergab sich ein kleines Handgemenge, in dem sich die jugendlichen Antifas verteidigen mußten und sich daraufhin zurückzogen.
Der Polizei war die Dokumentation des Neonazi-Treibens ebenso unrecht wie den Neonazis. Beamte durchsuchten ein nahegelegenes Kaffee und nahmen zehn Jugendliche fest. Es wurden zwei Fotokameras und drei Filme beschlagnahmt. Die Antifaschistinnen mussten sich auf der Straße an die Wand stellen, ihnen wurden Handschellen bzw. Plastikbänder angelegt und danach wurden sie für mehr als 8 Stunden auf der Wache festgehalten. Dort mussten sie sich unter Androhung von Gewalt unbegründeten polizeilichen Maßnahmen unterwerfen, einer musste sich nackt ausziehen und Acht von ihnen mussten Stunden stehend in einer Garage unter Bewachung verbringen. Alle Festgenommenen wurden erkennungsdienstlich behandelt und von der SOKO 1 (Mordkomission) verhört. Danach fanden bei allen Beschuldigten Hausdurchsuchungen, teilweise ohne Hinzuziehung von Zeugen, statt.
Die Polizei glaubte den Angaben der „Wiking-Jugend“ und ermittelt ausschließlich gegen die AntifaschistInnen. Wie zu erwarten wurden die später gestellten Dienstaufsichtsbeschwerden gegen die Polizei zurückgewiesen und die Betroffenen warten bis heute auf die Anklageerhebung. So können sich Neonazis auch künftig in Saalfeld wohl fühlen. 5
TeilnehmerInnen der Jahrestagung der „Deutschen Kulturgemeinschaft“:
Eingeladen zu der Veranstaltung wurde vom „Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes“ (DKEG), vom „Freundeskreis Ulrich von Hutten“ und von der „Notgemeinschaft für Volkstum und Kultur“. Angekündigt waren hierfür:
- Lisbeth Grolitsch (Jahrgang 1922) ist Präsidentin der österreichischen DKG/DKEG und zusammen mit Otto Ernst Remer Gründerin des Freundeskreis Ulrich von Hutten.
- Herbert Schweiger (Jahrgang 1924) war in der »Leibstandarte Adolf Hitler« und ein enger Weggefährte von Otto Skorzeny (Mitorganisator der SS - ODESSA – Rattenlinie) und ist im Vorstand und Beirat der österreichischen DKG.
- Wolfram Nahrath (31) ist Bunesführer der Wiking Jugend aus Berlin. Wolfram Nahrath nimmt eine zentrale Rolle bei der Organisation der alljährlichen Aufmärsche zum sog. »Heldengedenken« ein.6
- Ernst Günter Kögel (Jahrgang 1926). Der pensionierte Lehrer aus Remscheid wurde wegen Volksverhetzung zu 12.600 DM Geldstrafe auf Bewährung verurteilt. Er hatte behauptet, die Gaskammern von Auschwitz und Treblinka seien Teil der »genialen psychologischen Kriegsführung der Engländer« gewesen.
- Wolfgang Juchem aus Hessisch Lichtenau war Redner auf den sog. »Heß-Gedenkmärschen«, ist Mitglied der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ (DLVH), sowie Vorsitzender der „Aktion Freies Deutschland“ (AFD).
- Sepp Biber ist WJ-Funktionär und Autor der "Huttenbriefe"
- Ingo Tijssen
- Georg Ziegler
- Hans Mayr (Steinhaus/Semmering) aus dem Kreis der DKG
- Fritz Becker ist Autor von »Stalins Blutspur durch Europa« und publiziert in den "Huttenbiefen"
- Hubert Deuringer (»Komponist und Orchesterleiter«). Der Name und die Berufsbezeichnung legen nahe, das es sich um die "Akkordeon-Legende" und den Musiker Hubert Deuringer handeln könnte, der als Akkordeonist bei „Radio Stuttgart“ und dem "Südwestfunk" arbeitete.
- Dr. Werner ("Leiter des Heimatmuseums Thüringen"). Hierbei dürfte es sich laut Nachnamen und Berufsbezeichnung vermutlich um den Leiter des Saalfelder Stadtmuseums Günther Werner handeln.
- 1Die DKG war ursprünglich eine Lüneburger Gruppe die sich im März 1979 von DKEG abgespalten hatte. Späterer Sitz der DKG war in Bassum. Anführer war anfangs Alfred E. Manke, der später von Lisbeth Grolitsch und Herbert Schweiger abgelöst wird. Als ein Akteur in diesen Kreisen trat zeitweilig auch der frühere BHJ-Führer Gernot Mörig auf, der sich jedoch 1985 von der DKG als "Arbeitskreis für Politik und Kultur" abspaltet.
- 2Ein 1990 von Lisbeth Grolitsch, Karl Baßler und Wolfram Nahrath gegründeter Verein, der vor allem Spenden und Nachlässe einsammelt
- 3Frühere DKEG-Führungspersonen waren u.a. Herbert Böhme, Werner Koeppen und Reinhard Pozorney
- 4Ein 1983 gegründeter Verein von Otto-Ernst Remer (bis 1983) und Lisbeth Grolitsch, der das inoffizielle Führungsgremium des Spektrums darstellt.
- 5Laut TAZ seien „bei Auseinandersetzungen zwischen einer „Trachtengruppe“ und linksgerichteten Jugendlichen zehn Linke vorläufig festgenommen worden“. (15.6.1993). Der Thüringer Verfassungsschutzbericht 1993 vertritt folgende Darstellung: "Im Zusammenhang mit einer u. a. von der „Notgemeinschaft für Volkstum und Kultur e.V." in Saalfeld durchgeführten Veranstaltung wurden am 13.6.1993 Veranstaltungsteilnehmer von Gegendemonstranten u.a. durch Steinewürfe attackiert. (...) Die WJ führt regelmäßig Lageraufenthalte (Things) mit Lagerfeuern, Vorträgen, Absingen von Volksliedern und - nach dem Vorbild der Hitlerjugend - sportliche Aktivitäten und Geländespiele durch. (…) Bei einem in der Zeit vom 11. bis 13.6.1993 in Saalfeld durchgeführten Treffen der rechtsextremistischen Kultur- und Weltanschauungsgruppierungen - „Deutsches Kulturwerk europäischen Geistes Österreich", „Freundeskreis Ulrich von Hutten e.V.", „Notgemeinschaft für Volkstum und Kultur e.V.", fungierten WJ-Mitglieder als Saal- und Ordnungskräfte".
- 6Am 7.3.1990 beschließt der Berliner Ableger der „Deutschen Kulturgemeinschaft“ (DKG) unter dem neuen stellvertretenden Vorsitzenden Gernot Holstein die Eintragung ins Vereinsregister. Das zuständige Registergericht beanstandet den Namen und am 9.1.1991 beschließt der Verein die Umbenennung in „Berliner Kulturgemeinschaft Preußen“ (BKP). Zu den Gründungsmitgliedern gehörten u.a. Ursula Schaffer, Wolfram Nahrath, Ulli Boldt und Dr. Walter Menz. Der „Notgemeinschaft für Volkstum und Kultur e.V.“ soll bei Auflösung das Vereinsvermögen zufallen. Im Vorstand waren auch Hans-Jörg Rückert und Jan Gallasch tätig.