Sachsen als Treffpunkt bundewsweiter Neonazi-Veranstaltungen
Seit nunmehr über einem Jahr zieht es Journalistinnen nach Sachsen, um dem Phänomen NPD auf die Spur zu kommen. Sie schrieben viel und sagten nur wenig, denn ihre Darstellungen gingen selten über eine Portraitierung der offensichtlichen Zustände hinaus. Unerwähnt blieben die Folgen des Aufstieges der NPD. Der Beitrag zeigt, die Gründe für die Verlagerung des bundesweiten Aktionsschwerpunktes rechter Gruppierungen nach Sachsen auf. So fanden die bundesweiten Neonazi-Treffen "Gästewoche der DKG", "Mitteldeutschen Vortragstage" und "Europa Vorn Pressefest" 1998 in Sachsen statt.
Die Gästewochen der "Deutschen Kulturgemeinschaft"
Seit 1994 veranstaltete die "Deutsche Kulturgemeinschaft" (DKG) um Lisbeth Grolitsch aus Graz im September 1998 ihre jährliche Gästewoche im sächsischen Altenberg. Die "Notgemeinschaft für Volkstum und Kultur e.V." hielt hier bereits zeitgleich ebenfalls ihre Mitgliederversammlungen ab. Der im Osterzgebirge gelegene Touristenort ist den Wintersportenthusiasten trotdem noch immer eher als Mekka der Bobfahrer denn als (Neo)Nazitreffpunkt bekannt. Unter dem Motto »Organisches Denken und Bruchstückdenken. Gegen das politische Zertrümmern aller gewachsener Ordnung« kamen die etwa 130 überwiegend älteren TeilnehmerInnen zusammen, in der Mehrzahl aus Deutschland und Österreich. In Altenberg braucht der Vorort-Mitorganisator Stefan Giemsa keinen Widerstand von der Bevölkerung zu fürchten. Örtlichen AntifaschistInnen zufolge soll es in der Vergangenheit Absprachen zwischen Giemsa und der Stadtverwaltung gegeben haben. Diese besagten demnach, daß Giemsa nur geschlossene Saalveranstaltungen durchführe und im Gegenzug der Stadt Altenberg finanziell unter die Arme greife.
Auf das unweit der tschechischen Grenze liegende Dorf und den örtlichen Mit-Organisator Giemsa dürfte die DKG über die ehemals starken Strukturen der "Wiking Jugend" (WJ) unter Leitung von dem "Gauführer" Frank Kaden (Dresden), dem späteren "Gaubeauftragten" Sebastian Räbiger (Radebeul) und der lokalen "Mädelführerin" Sigrun Sch. (Radebeul) in Sachsen gestoßen. Der frühere WJ-"Bundesfahrtenführers" Axel Schunk soll internen Unterlagen zufolge auch zum Organisationskreis der jährlichen DKG-Gästewochen in Altenberg gehört haben. Auch der WJ-Führer Wolfram Nahrath auch zum Führungsgremium der DKG. Schon ab 1991 lassen sich enge Verbindungen und Aktivitäten einiger DKG-AktivistInnen im Freistaat dokumentieren. Dafür griffen sie immer wieder auf die existierenden WJ-Gruppen zurück. Auch war die Mehrzahl der sächsischen "Wiking-Jugend"-AktivistInnen parallel in der NPD organisiert. Somit erscheint es logisch, daß der NPD-Anhänger Stefan Giemsa der sächsischen WJ häufig seine Pension "Zeughaus" in der sächsischen Schweiz und die Gaststätte "Goldener Stern" in Berggießhübel für Veranstaltungen zur Verfügung stellte. Mit dem Verbot der "Wiking Jugend" im Jahr 1994 setzten dann auch einige Führungskader ihre politische Arbeit innerhalb der NPD fort.
Hetendorf light in Ostritz
Mitte Juni 1998 erwählte der Hamburger Neonazi-Kader Jürgen Rieger das beschauliche Städtchen Ostritz zum Austragungsort für seine »1. Mitteldeutschen Vortragstage«. Quartier bezogen die ca. 50 angereisten (Neo)Nazis, unter ihnen auch einige Kleinkinder, im Hotel »Neißeblick«. Ostritz liegt einige Kilometer südlich von Görlitz im Niederschlesischen Oberlausitzkreis und gilt als Neonazi-Hochburg. Der Kreis der einladenden Neonazi-Vereine ("Nordischer Ring e.V.", "Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung e.V.", "Artgemeinschaft Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Daseinsgestaltung e.V.") waren nahezu identisch mit dem, welcher schon zu den jährlichen neonazistischen »Hetendorfer Tagungswochen« lud. Einzig und allein die im Februar 1998 verbotenen »Heideheim«-Vereine fehlten im Briefkopf. Das auf sechs Tage aufgeteilte Programm gliederte sich laut dem Einladungsschreiben einerseits in die "1. Mitteldeutsche Vortragswoche" und andererseits in das "Mittsommertreffen der Artgemeinschaft".
Das Programm kündigte für die Tagungswoche die Neonazi-Referenten Jürgen Rieger, Karl Baßler1 , Rudolf Gabriel (1. stellv. Leiter der "Artgemeinschaft"), Wolfgang Juchem (ehem. NPD), Eduard Peter Koch (rechter Publizist) und Klaus Weinschenk (ehem. REP) an. Neben Rieger sollten beim »Mittsommertreffen der Artgemeinschaft« Franz Kehl (Schriftführer der "Artgemeinschaft") aus Bensheim und die Aktivisten des "Bundes der Goden", Ursula Lindenberg und Gerhard Hess, auftreten und ihr Wissen zum Besten geben. Weiterhin offerierte das Programm sportliche Ertüchtigungen in Form eines »Germanischen Sechskampfes« und den "nationalen Liedermacher" Frank Rennicke. Den Höhepunkt des Wochenendes bildete eine öffentlich angekündigte Sonnenwendfeier auf einer am Hotel angrenzenden Wiese. Die Anwesenheit des Görlitzer NPD-Vorsitzenden Jürgen-Uwe Krumpholz bestätigt die Vermutung, daß die sächsischen NPD-Strukturen bei der Wahl des Austragungsortes für die abgespeckten "Hetendorfer Tagungswochen" ihre Finger im Spiel hatten. Auch das Erscheinen des ehemaligen "NPD-Sozialreferenten" aus dem NPD-Bundesvorstand Axel Schunk bestätigt diesen Verdacht.
Pressefest von "Europa Vorn"
Am 27. Juni 1998 veranstaltete die rechte bis neonazistische Zeitschrift "Europa Vorn" (Eschweiler-Dürwiß/Aachen)2 ihr jährliches Pressefest in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden. Doch der Aufenthalt der etwa 200 angereisten Neonazis in der Elbmetropole dauerte nur gute zwei Stunden, denn der Direktor des »Deutschen Hygienemuseums« trat umgehend von seinem Vertrag mit "Europa Vorn"-Herausgeber Manfred Rouhs (ehem. NPD, REP, DLVH) zurück. Dieser hatte sich für eine währungspolitische Debatte zum Euro in den dortigen Veranstaltungssaal eingemietet.
Die von dem Kölner Manfred Rouhs herausgegebene Zeitschrift »Europa Vorn« macht sich seit vielen Jahren für eine Einigung des zersplitterten rechten Randes stark. So entsprach dann auch das Programm des Pressefestes diesem Anspruch. Als Redner konnte Rouhs den ehemaligen Parteivorsitzenden der "Die Republikaner", Franz Schönhuber, gewinnen. Nachdem Schönhuber 1994 von seinen Parteikollegen geschaßt wurde, ging er bei der diesjährigen Bundestagswahl für die DVU ins Rennen. Auch der Neonazi-Publizist Peter Dehoust (Nation Europa Verlag) war neben Rouhs als Redner angekündigt gewesen.
Daneben sollten die Neonazi-Liedermacher Jörg Hähnel und Frank Rennicke, die beide in den Reihen von NPD und JN zu finden sind, im Rahmen des Kulturprogrammes auttreten. Neben Rouhs war der JN-Führungskader Sascha Wagner wichtigster Akteur vor Ort. Wagner, der das »Europa Vorn«-Zeitschriften-Seitenprojekt "Neue Doitsche Welle" (Verlag Manfred Rouhs) herausgibt, engagiert sich seit längerer Zeit für die rechte Skinhead-Subkultur und versucht diese zu politisieren. Offensichtlich war die Dominanz von NPD und JN beim Pressefest. So befanden sich unter den Teilnehmerinnen u.a. der Bundesvorsitzende der JN, Holger Apfel, und das NPD-Bundesvorstandsmitglied Steffen Hupka. Auch der in Dresden ansässige Oliver Händel, der von dort aus die Bundesgeschäftsstelle der JN betreibt, ließ sich die Teilnahme nicht nehmen. Ergänzt wurde das Publikum durch eine Reihe von regionalen Aktivisten des mit über 1.400 Mitgliedern derzeit größten Landesverbandes der NPD.
Nach dem Rausschmiß in Dresden, verlegten Rouhs und Wagner ihr Happening kurzerhand ins »Nationale Bürger- und Jugendzentrum« nach Wurzen. Es gibt vielfältige Hinweise dafür, daß Wagner schon seit längerer Zeit seine Arme in Richtung dieses »Modells einer gelungenen lokalen Kulturrevolution« (Zitat »Neue Doitsche Welle«) ausgebreitet hat. In diesem für zehn Jahre gepachteten Haus mit guter NPD-Anbindung konnten Rouhs und Wagner zumindestens noch den kulturellen Teil ihres Festes über die Bühne bringen.