Allianz der Geschichtsleugner
Was haben CSU und "Junge Nationaldemokraten" (JN) gemeinsam? Ideologisch sicher eine ganze Menge, eine direktere Form der inhaltlichen Zusammenarbeit trat aber erst bei ihren Aktionen gegen die Münchner "Wehrmachtsausstellung" ("Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944, die zweite Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944.") zutage. Die Ausstellung, die schon in den verschiedensten deutschen Städten zu sehen war, wurde schon häufiger Ziel von Anschlägen durch Neonazis. In München formierte sich jedoch erstmals ein breites Aktionsbündnis gegen die Exposition. Dieses Aktionsbündnis setzte sich aus den verschiedensten politischen Gruppierungen zusammen, von Gauweilers CSU bis hin zu den "Die Republikaner" und der JN.
Hinter einem Transparent mit Rechtschreibfehler versammelten sich rund 5000 Neonazis in München.
Die Wanderausstellung »Die Verbrechen der Wehrmacht« des Hamburger Instituts für Sozialforschung war dem Milieu von Konservativen bis Neo-Faschisten schon lange ein Dorn im Auge. Sie sahen in ihr eine Verunglimpfung der deutschen Wehrmacht. Galt die deutsche Wehrmacht bisher in der deutschen Geschichtsschreibung meistens als unverantwortlich für die Verbrechen des Naziregimes, so stellt diese Ausstellung klar deren Mitverantwortung dar. Der Mythos der Wehrmacht als saubere Armee wird damit klar in Frage gestellt. Für eine große Bevölkerungsschicht stellt dies einen persönlichen Angriff auf ihre eigene Geschichte dar, was zu meist heftigen Reaktionen rührte. Ein exemplarischer Fall ist sicherlich der Farb-Anschlag des bekannten Neonaziterroristen Manfred Roeder 1996 in Erfurt.
So viel Aufregung wie in München gab es um die Ausstellung vorher jedoch nicht. Erst durch die massive Hetze der CSU eskalierte die gesellschaftliche Auseinandersetzung. CSU Bezirksvorsitzender Peter Gauweiler hoffte wohl mit geschichtsrevisionistischen Thesen auf Stimmenfang gehen zu können. Parallel zur Eröffnungsveranstaltung im Audimax der Münchner Universität rief die CSU gemeinsam mit Angehörigen der Bundeswehr und Korpsstudenten zu einer Kranzniederlegung am Grabmal des unbekannten Soldaten auf. Mit einer anschließenden öffentlichen Fraktionssitzung wollte man laut "Bayernkurier" gegen den »Moralischen Vernichtungsfeldzug gegen das deutsche Volk« protestieren. Aufgrund dieser Geisteshaltung der CSU ist es nicht verwunderlich, daß sich auch weiter rechts stehende Gruppierungen frühzeitig der Kampagne anschlossen.
Der ultra-rechte Buchautor Rolf-Josef Eibicht und andere ultra-rechte AkademikerInnen und Altkader waren hierbei als eine Art Brückenbauer zwischen NPD-Milieu und konservativem Spektrum tätig. Laut Angaben der NPD zählten zu den Unterzeichner eines im Vorfeld initiierten Aufrufes zur Demonstration in München neben Funktionären der NPD/JN auch weitere Akteure der deutschen (akademischen) Rechten: Jürgen Rieger, Dr. Klaus Weinschenk, Franz Glausauer, Bruno Haas, Dr. Helmut Schroecke, Manfred Blessinger, Dr. Gerhard Weppernig, Konrad Hoffmann, Klaus Scheidle, Karl-Peter Schlor, Dr. Rolf Kosiek, Ute Witt, Reinhold Oberlercher, Alfred Ardelt, Dr. Wolfgang Huber, Dr. Hans-Günter Eisenecker, Rolf-Josef Eibicht, Peter Dehoust, Rohland Bohlinger, Wolfgang Juchem und Frank Rennicke.
Während der Eröffnungsveranstaltung rief der ehemalige »Friedensforscher« und Ex-Grüne Alfred Mechtersheimer zu einer sogenannten »Anti Diffamierungs Aktion München« auf, an der einige hundert Alt- und Neonazis vor dem Münchner Rathaus teilnahmen. Mit Parolen wie: »Deutsche Soldaten, die fairsten und tapfersten der Welt« versuchten sie die Ehre der Wehrmacht zu retten. Bei den verschiedenen Gegenveranstaltungen von AntifaschistInnen wurden insgesamt 17 Menschen festgenommen und weitere verletzt.
Eine NPD/JN-Funktionärsriege um Sascha Roßmüller (Straubing), Jens Pühse (Freising), Jürgen Distler (Bayreuth), Holger Apfel (Hildesheim) und Udo Voigt kann als organisatorischer Motor der Demonstration angesehen werden. Eine breite Mobilisierung des Umfeldes erfolgte über den „Deutsche Stimme“-Versand (DS Versand), die NPD/JN-Parteistrukturen und die meisten rechten Szene-Versände. Auch das (militante) Neonazispektrum mobilisierte schon frühzeitig zu dieser Demonstration nach München. Diese stand unter dem Titel: »Unsere Großväter sind keine Verbrecher«. Einer der maßgeblichen Aufrufer war der ehemalige NF-Kader Steffen Hupka, der schon in der Dezember-Ausgabe seines Neonazi-Ideologieblattes »UMBRUCH« zur Teilnahme an der Demonstration warb. Die bundesweite Mobilisierung wurde durch den Einsatz von ca. 30 Reisebussen abgedeckt. In Halle/Saale wurden vier dieser Busse von autonomen AntifaschistInnen angegriffen, zwei Busse aus der Altmark mußten daraufhin die Rückfahrt antreten. In Berlin weigerten sich die Fahrer von drei Bussen den ultra-rechten Mob zu chauffieren. Die angerückte Polizei fand bei Fahrzeugkontrollen mehrere Waffen, u.a. eine russische Tellermine.
Die Alt- und Neonazis sammelten sich schon frühmorgens auf dem St. Jacobsplatz. Ihr ursprünglich geplanter Treffpunkt, die Münchner Feldherrenhalle, wurde von ihnen auf Drängen der Polizei wieder verworfen. Bis zum Mittag hatten sich rund 5.000 Alt- und Neonazis zur Auftaktkundgebung versammelt. Dort wurden sie von einem kleinen Live-Auftritt des Neonazibarden Frank Rennicke und pompöser Klassik-Musik eingestimmt. Gleichzeitig demonstrierten ca. 10.000 unabhängige AntifaschistInnen, GewerkschafterInnen und Lokalprominenz gegen den Neonaziaufmarsch. Sie besetzten den von den Neonazis geplanten Platz der Abschlußkundgebung vor dem Rathaus. Die Neonazis marschierten während dessen mit Parolen wie »Reemtsma laß das Hetzen sein, pack die Ausstellung und fahr heim« durch die Münchner Innenstadt.
Dabei handelte es sich um den größten (Neo)Naziaufmarsch seit 1970, als unter dem Motto: »Brandt an die Wand« ca. 10.000 Faschisten gegen die Oder/Neiße-Grenze demonstrierten. Diese von der »Aktion Widerstand« initiierte Demonstration wurde ebenfalls von einem Bündnis von militanten (Neo)Nazis bis hin zu den Konservativen getragen.
Am Münchner Aufmarsch beteiligten sich u.a. "Kameradschaften", "Hammerskins", Anhänger von "Blood & Honour", Revisionisten und fast der gesamte Kaderbestand der JN und anderer (militanter) NS-Organisationen. Auch die verschiedenen regionalen ultra-rechten »Runde Tische« hatten nach München mobilisiert.
Auffallend war die regionale Aufteilung des Umzuges und die eingesetzten Demo-Sanitäterinnen. Viele Neonazis marschierten hinter den Fahnen ihrer jeweiligen Bundesländer. Auf dem Lautsprecherwagen saßen u.a. Frank Rennicke (Ehningen), der Versammlungsleiter Per Lennart Aae (Rosenheim) und Klaus Beier (Kirchzell). Der JN-Geschäftsstellenleiter Sascha Wagner (Herzogenrath) fungierte als Anheizer mit Megaphon während Achim Ezer (Köln) wie meistens den Ordnerdienst der NPD/JN koordinierte. Dieser hatte alle Hände voll damit zu tun einige temperamentvolle »Kameraden« am zeigen des Hitlergrußes zu hindern.
Da die Antifas den Marienplatz besetzt hielten, mußten die Neonazis ihre Abschlußkundgebung an anderer Stelle abhalten. Dabei wurden sie lautstark gestört und stellenweise mit Eiern beworfen.
Während des gesamten Tages hatten sich am Marienplatz verschiedene Revisionisten unter die Schaulustigen gemischt und vor der Ausstellung provoziert. Sie diskutierten mit den Anwesenden und versuchten an der Warteschlange zur Ausstellung revisionistische Literatur zu verkaufen.
Die Neonazis schafften es in München erstmals wieder, dermaßen viele relativ junge sog. "Faschoskins", als auch ältere, organisierte Neonazis zu mobilisieren. Die JN fungierten als organisatorischer Überbau, der die formelle Verantwortung übernahm, während die Organisation und Mobilisierung auch von Akteuren der "Runden Tische" und den "Autonome Kameradschaften" getragen wurde. Dieser Aufmarsch kann als ein Resultat der strukturellen Aufbauarbeit der letzten Jahre gewertet werden.
Die Entscheidung der Polizei, die Neonazi-Demonstration nicht auf den Marienplatz marschieren zu lassen, war eine rein politische Entscheidung. Die Polizei hätte jederzeit den Platz räumen oder absperren können. Da die Nazis ihre Demonstration nicht bis zum Ende durchführen konnten, war es für die Presse und die Polizei leichter, die politische Tragweite des NPD/JN-Aufmarsches herunterzuspielen. Ein Aufmarsch von 5.000 Neonazis, der größte seit vielen Jahren, direkt bis vor die Ausstellung und mögliche Ausschreitungen gegen diese, wären ein politisches und öffentliches Debakel gewesen. Aus wahrscheinlich den gleichen Gründen beteiligte sich die CSU im letzten Moment doch nicht an der Demonstration. Begünstigt wurde dieses Verhalten durch einen offenen Brief vom NPD-Vorsitzenden Udo Voigt, in dem er die CSU als »Trittbrettfahrer« bezeichnete, die lediglich ihr Wählerpotential nach rechts vergrößern wolle. Wäre sich die NPD der hohen Beteiligung an dem Aufmarsch nicht sicher gewesen, hätte sie diesen Schritt wohl nicht unternommen. Bis dahin schafften sie es aber durch die CSU, zum einen den "Bayernkurier" als Plattform zu nutzen, und zum anderen ihre revisionistischen Inhalte in die politische Diskussion zu tragen. Die CSU füngierte klar als Wegbereiter und Bündnispartner der Neonazis.
Es bleibt abzuwarten inwieweit sich solche Bündnisse wiederholen.