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Die Ausweitung der verdeckten Neonazi-Strukturen nach den Parteiverboten

Einleitung

Während in der Öffentlichkeit nach dem Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge erneut über Parteienverbote extrem rechter Organisationen debattiert wird, planen Neonazi-Kader auf eine bewährte Taktik zurückzugreifen: Die Organisierung von Untergrundzellen. Diese sollen ein straff geführtes Organisationsgeflecht bilden und dabei unter verschiedenen Namen in der Öffentlichkeit auftreten. Neu erschienene Schriften der Neonazis belegen, daß diese Planungen von einem schon lange bestehenden Organisationskern konspirativ initiiert und vorangetrieben werden. Das Politikum: Der Verfassungsschutz leugnet die Existenz dieses Netzwerkes seit zwanzig Jahren und war doch maßgeblich an seinem Aufbau beteiligt.

Bild: Screenshot YouTube

Gerhard Lauck in der Dokumentation "Wahrheit macht frei".

Der Wechsel von der offenen Organisationsform zur verdeckten Arbeit ist in der Organisationsgeschichte bundesdeutscher Neonazis nichts neues. Auch heute, nach den Parteienverboten, reagieren die Kader mit der verstärkten Bildung einer konspirativ vernetzten Struktur von Zellen und Freundeskreisen. Alt bewährt ist auch das Wechselspiel mit dem Verfassungsschutz. Dieser gab jedesmal dann Entwarnung, wenn die formell vom Verbot betroffenen Vereinsnamen nicht mehr in der Öffentlichkeit erschienen.

Den Startschuß für die Integration der Neonazis der neunziger Jahre gab die Nachfolgeorganisation der verbotenen „Direkten Aktion Mitteldeutschland/JF“. Auf dem Höhepunkt ihrer Ausbreitung erklärte die, laut eigener Angaben über 600 Mitglieder in Ostdeutschland verfügende, JF: »Wir lösten mit Wirkung vom 20.1.94 sämtliche Vereinsnamen, Symbolik und kameradschaftsübergreifende Strukturen auf. Die Stützpunkte werden in die vollständige Autonomie entlassen. [...] Ein Auftreten unter Namen wie FMJ/JF ist zu unterlassen, eine ständig wechselnde Bezeichnung« sei fortan angebracht und die »Bezeichnung KS (Kameradschaft) sollte sowieso vermieden werden«. Entfallen müßte zur Zeit alles, was »einen überregionalen Zusammenschluß dokumentiert.« Die »Kameradschaften, Zellen und Strukturen« werden in das übergreifende Kadernetzwerk durch die »gewonnenen und noch zu gewinnenden Kameradschaftsführer« eingebunden. Dabei handelt es sich »um Vertrauenspersonen, die Initiativen und Maßstäbe in unserem Sinn setzen«. Der Gefolgschaft wird aufgetragen sich in der Öffentlichkeit nicht »klischeehaft« und »unvorsichtig« zu bewegen und den Rat zu befolgen: »Arschlöcher merken - und warten bis es dunkel ist1

Was als eigene Erkenntnis angepriesen wird, erweist sich bei näherer Betrachtung als fast wortgetreue Kopie oder Fortführung des Konzeptes der "illegalen NSDAP" aus dem Jahre 1975: »Für die Öffentlichkeitsarbeit sind entsprechende politische Vereinigungen zu gründen, die unserer Parteiarbeit entsprechen«, nach außen sollten diese wie zersplitterte Zirkel aussehen. »Eine Ortsgruppe kann mit 12 Nationalsozialisten gegründet werden, die in der Lage sind, an den jährlich stattfindenden Parteitagen teilzunehmen. ['..] Die Ortsgruppen arbeiten überwiegend selbständig [...] bestimmen einen Vertrauensmann [...], der die Verbindung (untereinander) [...] aufrechterhält.« Damit sollte die Voraussetzung gescharfen sein, das Organisationsgeflecht zu schützen auch wenn einzelne Gruppen oder Mitglieder von Verboten oder Strafverfolgung betroffen sind.2

Auch die Mitglieder der anderen verbotenen Neonazi-Parteien werden auf die Organisationsform in kleinen überschaubaren Gruppen orientiert. Die neonazistische „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP) bereit sich in aller Seelenruhe auf das drohende Verbot vor und trimmt ihre Anhänger auf den Aufbau von Zellen. Strukturen, die bisher nur hinter vorgehaltener Hand zugegeben worden sind, werden in internen Rundschreiben »Nur für den Dienstgebrauch - Nicht in Feindeshand fallen lassen!« - angepriesen.

Unter der Überschrift eine »Eine Bewegung in Waffen« kursiert unter Führungsmitgliedern ein Aufsatz über Aufgaben sogenannter "Werwolf-Terrorgruppen"3 : »Für den agitatorischen und propagandistischen Kampf (werden) [...] (schein) legale Parteien und Vereinigungen benutzt, die aber organisiert und koordiniert werden von einer illegalen Kaderorganisation, in der das Führerprinzip verwirklicht ist.«

Die Bedingungen scheinen heute gereift, um in einer Organisierungskampagne den Ausbau einer herbeigesehnten Struktur der Art einer "illegalen NSDAP" zu betreiben. Das findet auch Ausdruck in dem maßgeblichen Theorie- und Strategie-Blatt der NS-Struktur, der Monatszeitschrift »Nation + Europa«. Ein Beispiel ist ein Beitrag von "Jürgen Riehl". Hinter dem Pseudonym »Jürgen Riehl« vermuten Insider niemand anderes als den bekannten Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger aus Hamburg. Der Autor schreibt: "Die nationale Gemeinschaft muß sich praktisch organisieren, sie muß die Keimzelle einer streitbaren Gegen-Gesellschaft bilden. Daraus folgt selbstverständlich, daß die Organisationsform dieser Gemeinschaft nicht eine Partei, ein Verein oder eine sonstige Körperschaft im rechtlichen Rahmen des bestehenden Systems sein kann, sondern den Charakter einer 'Bewegung' haben muß, mit strenger, verbindlicher Organisierung nach Innen, jedoch ohne formale, von außen her nachvollziehbare Strukturen." Genauestens beschreibt der Autor das gewünschte Erscheinungsbild einer nach außen hin zerstrittenen Szene, welches insbesondere durch die jährlichen Verfassungsschutzberichte bestätigt wird. »Es geht auch nicht um eine Massenbewegung«, sondern um die Verbreitung einer Struktur, wie sie in Gestalt »zahlreicher Gruppen, Freundeskreise, Gesprächsrunden und informelle(n) Zusammenschlüße(n)« längst existiere. Empfohlen wird diese als Ausgangspunkt »entsprechender Aktivitäten« zu nutzen.4

Die "illegale NSDAP" Versuche

Nach dem Niedergang der NPD, die zuvor bei den Bundestagswahlen an der fünf Prozenthürde gescheitert war, begann Ende der sechziger Jahre die Neustrukturierung der Szene. Der eine Teil organisierte sich in Denkzirkeln und legte die Fundamente für die später so bezeichnete »Neue Rechte«, der andere Teil besorgte die Sammlung der vor allem gewaltbereiten Kader in einer verdeckt arbeitenden Hintergrundorganisation.

Der Name NSDAP wurde hierbei in den ersten Jahren noch von diversen Neonazi-Zirkeln verwendet. Eine "neue NSDAP" wurde 1973 als eine Initiative aus der Taufe gehoben. Seit 1972 soll die amerikanische NSDAP/AO Struktur bestehen. Bei einem zweiten "NSDAP"-Gründungstreffen am 6./7. September 1975 in Wiesbaden, verfügte dieses Netzwerk bereits über 16 regionale Unterorganisationen, eine Zeitung für die USA und Groß Britannien und den »NS-Kampfruf« für Deutschland. Der Versand des NSDAP-Materials erfolgt bis heute aus den USA, die Führung der Zellen und Zirkel soll jedoch in der BRD und Österreich liegen. Dies bestätigte mehr oder weniger der US-Amerikaner Gerhard "Rex" „Gary“ Lauck, der Chef der NSDAP-AO (Auslandsorganisation), gegenüber „Spiegel TV“. Er betonte, daß seine AO nur ein von außen überbewerteter Teil des Gesamtnetzwerkes sei.

In den Anfangsjahren setzte sich die "neue NSDAP" aus "Wehrsportgruppen", sowie aus auserwählten Aktivisten anderer extrem rechter und neonazistischer Organisationen zusammen. Einige flogen in den 1970er und 1980er Jahren auf. So wurde der NSDAP/AO "Sektionsleiter" Paul Otte (Niedersachsen) im Jahr 1970 bei der Einschmuggelung von NSDAP/AO Material aus Dänemark verhaftet. 1976 wurde Lauck mit 20.000 NSDAP/AO Aufklebern in Mainz verhaftet. Im April 1978 beschlagnahmte der Zoll in einem Zug aus Brüssel rund 700 Exemplare einer "Völkischer Beobachter" Neuauflage von Gerhard Lauck. Einziger Fahrgast im Zugabteil war Paul Otte aus Braunschweig. Der NSDAP/AO "Gaubeauftragter" Paul Otte wurde 1981 schließlich u.a. wegen "Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung" verurteilt.1978 kam es zu diversen Durchsuchungen gegen NSDAP/AO Anhänger wegen illegaler Hakenkreuz Propaganda. Wegen dem Vertrieb von NSDAP/AO Material gerieten neben Paul Otte, auch Jürgen Pospieszinsky, Gunnar Pahl, Willibald Kraus (Seugast), Rainer Schmitz (Köln) und Klaus-Peter Uhl (Weyher) in den Fokus der Ermittler.5 Eine NSDAP Neugründung in Berlin strebte 1978 Werner Rahl mit seiner "NSDAP Ortsgruppe Berlin" an. Zehn Personen standen deswegen vor Gericht. Auch der Neonazi-Terrorist Uhl galt als wichtiger Funktionär des NSDAP/AO Struktur. Der Neonazi-Mörder Helmut Oxner galt ebenfalls als NSDAP/AO Anhänger.

In Bocholt gründete 1977 Wilhelm Wübbels ein eigenes "Sammelvorhaben" NSDAP. Er war jedoch offenbar recht isoliert und konnte nur wenige Anhänger wie Harald Winter (Willich) und seine "Kampfgruppe" aus Krefeld einbimden. Über Wilhelm Wühl wurde zeitweilig eine NSDAP-Zeitung namens "Wille und Weg" herausgebracht. Ein "NSDAP AO Gau Solingen" verschickte 1981 Propaganda an feministische Projekte. Zwei NPD-Anhänger aus Solingen und Wuppertal konnten hier als Täter ermittelt werden. Ein "NSDAP AO Gau Hessen Nassau" gab 1985 das Blatt "Volksgenosse" heraus. 1981 gab Henry Beier von der "NSDAP Frankfurt/M" das Heft "Das Braune Bataillon" heraus. Bei ihm fand die Polizei auch große Mengen NSDAP/AO Propaganda. Ende 1989 flog eine NSDAP/AO Zelle in Hemer (NRW) auf, als bei zwei Brüdern neben Propaganda auch Schußwaffen beschlagnahmt wurden. In Berlin gelten heute frühere Aktivisten der "Nationalen Alternative" (NA) und der Neonazi Marcus B. als Verbreiter von NSDAP/AO Material.

Der Ausbau des Netzwerkes der NSDAP/AO-Zellen bzw. der Plan eine Kaderorganisation in Form einer NSDAP-Neugründung aufzubauen oder gar politische Macht zu erlangen scheint über die Jahre nicht den gewünschten Erfolg gehabt zu haben. Vermutlich hinderten wie so oft interne Konflikte und Machtkämpfe innerhalb der Szene die NSDAP/AO ihr 3 Stufen Modell zur Machtergreifung zu realisieren. Die NSDAP/AO hat jedoch sicherlich zahlreiche Neonazis im Untergrund kontinuierlich vernetzt. Laut Berichten aus der Szene gab es mit dem "Europakoordinator" Eite H. und Martijn F. (Niederlande), dem Redakteur von "Uj Rend" und Autor bei "Uj Hidfö" Tibor F. und Istvan G. (Ungarn), Michael F. (Frankreich) und Gottfried K. (Österreich) auch internationale Ansprechpartner des Netzwerkes.

Vernetzung mit Alt-Nazis

Neben geschlossenen Verbänden bzw. Mini-Zellen, gehören bis heute eine große Zahl von Einzelpersonen zu den (ehemaligen) Mitgliedern und Anhängern des "neuen NSDAP"-Netzwerks. Sie haben oder hatten die Aufgabe, die Politik ihrer Organisationen im Sinne der Untergrundpartei zu beeinflußen. Ob dies realisiert wird oder die (ehemaligen) Neonazis mittlerweile eigene politische Wege gehen ist sicherlich von Fall zu Fall verschieden. Trotzdem bestehen vermutlich auch daher Loyalitäten zwischen legalen Politfunktionären und Untergrund Neonazis. Schon 1977 umfaßte diese selbsternannte "NSDAP" Struktur einige wichtige Mitglieder der „Europäischen Arbeiterpartei“ (EAP), der „Deutschen Volksunion“ (DVU), den „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) und ihrer Mutterorganisation NPD, der „Wiking Jugend“ (WJ) und last but not least alten Waffen-SS'ler. Der Neonazi-Führer Michael Kühnen berichtete 1985 in seinem "6. Brief aus der Haft"6 über seine Mitgliedschaft in der NSDAP/AO.

Von diesen Kreisen ging auch der Impuls zur Gründung der neuen Untergrund-NSDAP aus. Sie waren verbunden mit den Nachkriegsstrukturen der NS-Szene, vor allem mit dem Organisationsgeflecht, um das "Deutsche Kulturwerk europäischen Geistes" (DKEG). Diese und ähnliche Scharnierorganisationen des NS-Netzwerkes treten auch unter den Namen "Deutsche Kulturgemeinschaft" (DKG), "Freundeskreis Ulrich v. Hutten" oder "Gesellschaft für freie Publizistik" (GfP) in Erscheinung. Seit den fünfziger Jahren hat dieser Kreis eine Schlüsselposition in der NS-Struktur Deutschlands und Österreichs inne. Seit der DKEG-Gründung 1950, mit 100.000 DM Starthilfe vom "Stifterverband der deutschen Industrie"7 , kommen hier regelmäßig auserlesene Kader aller Strömungen der extremen Rechten zusammen. Hier ist eine wichtige Schaltstelle des NS-Netzwerkes zu suchen.

Auch Neonazis sind dort eingebunden und hören meistens auf den Ruf der Alten. Anfang der 1990iger Jahre erschienen zu den Aufmärschen uniformierter (Neo)Nazis auf dem brandenburgischen Soldatenfriedhof in Halbe, zu »Ehren der Waffen-SS«, alle Gruppen der sonst so zersplittert scheinenden Szene. Aufgerufen hatte die „Deutsche Kulturgemeinschaft“.

VS weiß Bescheid

Die Information, daß ein Großteil der Neonazi-Gruppen von einem Organisationsgeflecht im Hintergrund maßgeblich gesteuert wird, ist auch durch den Agenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Werner Gottwald bekannt geworden. Gottwald war nicht irgendein Mitglied, er war seit 1975 "Rechnungsprüfer der NSDAP" und berichtete dem Amt detailliert über den regionalen Aufbau der Gruppen bis 1977, die Gründung der ANS Michael Kühnens ab 1977, über Geldtransfers und Waffen, über Wehrsport und Überfälle. Unter dem Decknamen. »Reiser« meldete er dem Bundesamt für Verfassungschutz die jährlichen Treffen der "NSDAP-Führung", wie etwa im April 1976 auf der Insel Helgoland oder im Juni 1977 im niedersächsischen Trebel mit 120 Führungskadern. Unter der Teilnehmern dieser Jahre finden sich auch entscheidende NS-Kader der heutigen Zeit wieder: Der heutige Bundesvorsitzende der FAP, Friedhelm Busse, der in Deutschland mit Haftbefehl gesuchte Thies Christophersen, der Rechtsterrorist Manfred Roeder, der heute versucht im ehemaligen Ostpreußen einen deutschen Freistaat zu gründen, der Berliner Neonazi Arnulf Priem von der "Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front" (GdNF) oder sein Vorsitzender Christian Worch aus Hamburg, um nur einige zu nennen. Wider besseres Wissens leugnete der Verfassungsschutz (VS) die Existenz einer überregional operierenden Neonazi-Partei und erklärte, daß »die meisten der neonazistischen Gruppen grundsätzlich keine Strukturen haben«8 . Dabei waren zumindest in den 1970er Jahren zahlreiche seiner Agenten maßgeblich am Aufbau der Untergrund-NSDAP beteiligt. Der damals eingesetzte Verfassgsschützer Werner Lock aus Berlin schätzte die Anzahl seiner Kolleginnen auf etwa 10 Prozent der Führungsetage.9

Bis heute bleibt das Amt bei dieser Darstellungsweise und erwähnt die bestehenden Hintergrundnetzwerke in seinen Berichten mit keinem Wort. Angesichts der Fülle von Hinweisen auf das illegale Zellensystem beruhen diese Äußerungen wohl weniger auf Unkenntnis. Kenner der Szene gehen davon aus, daß die Dichte von Verfassungschutzagenten und Informanten unter den (Neo)Nazis, ähnlich hoch ist wie in den Siebziger Jahren. Der VS betreibt Politik, indem er dafür sorgt, daß das Netzwerk unbeachtet, wenn auch nicht unbeobachtet, operieren kann. Wie scheinbar parteiisch dies mitunter stattfindet drückt sich nicht nur in der Mißachtung des Regierungsbeschlußes "Die Republikaner" (REPs) zu beobachten aus, sondern auch in Ausführungen des obersten Verfassungschützers der Republik, Ekkehard Werthebach. Nach einer beispiellosen Welle der rassistischen Gewalt erklärte er noch 1993 gegenüber dem deutschen Bundestag, daß Organisationsgrad und Kommunikation »bei den Linksextremisten und Autonomen nach wie vor höher als bei den Rechtsextremisten« seien.10

Ausblick

Die alten extrem rechten Parteienverbände verlieren an Bedeutung, an ihre Stelle treten miteinander verknüpfte „Kameradschaften“ und Zirkel, die Ziele auf unterschiedlichen Ebenen verfolgen. Dabei gilt, daß Untergruppen sich gemeinsame Schwerpunkte setzen. »Die lokalen Gruppen richten regelmäßig Mitgliedertreffen aus, meist in Form eines wöchentlich stattfindenden Stammtisches. Hinzu kommen andere Veranstaltungen wie z.B. Vortragsabende, Schulungen, Öffentlichkeitsaktionen, Gedenkveranstaltungen...«.11 Gruppen eines Organisationsteils bilden jeweils einen Organisationsbereich, der über die Hierarchie des Führerprinzips mit der Leitung anderer Teile des Netzwerkes verbunden sind.

Zur weiteren organisatorischen Verknüpfung stehen verschiedene regionale Institutionen des Gesamtnetzwerkes bereit. Dazu gehören u.a. die "Initiative Gesamtdeutschland" mit Sitz in Bonn, die "Berliner Kulturgemeinschaft Preußen" aus Berlin und der "Frankenrat" aus Aschaffenburg. Fraktionsübergreifende Kadertreffen dieser Art finden in fast jeder Region der BRD statt. Hier kommen die regionalen Anführer der verschiedenen Teile des Netzwerkes zusammen.

Zu den wichtigsten überregionalen Treffen der Kaderstruktur gehören die periodisch abgehaltenen »Gästewochen« der "Deutschen Kulturgemeinschaft". (1993 tagten sie wieder unter dem Namen DKEG in Saalfeld, AIB Nr. 25) Hier treffen sich die einflußreichsten Neoazis der verschiedenen Abteilungen aus Deutschland und Österreich.

Demzufolge ist das Organisationsgeflecht um die "Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front" (GdNF), nur eine Abteilung und ihr Wortführer Christian Worch nur eine Art Abteilungsleiter in dieser Hierarchie. Dieser versucht seine GdNF wiederzubeleben und verordnet den Mitgliedern der verbotenen GdNF-Vorfeldstrukturen aus "Deutscher Alternative" (DA) oder "Nationaler Offensive" (NO) die Bildung einer Struktur, die für den Gegner nur »schwer erkennbar« sein solle.12

Verstärkte Anstrengungen sind seit zwei Jahren zum Aufbau einer eigenen Neonazi »Werwolf-Struktur« mit kleinen beweglichen Gruppen zu beobachten. Die aus Mitgliedern verschiedener Fraktionen zusammengesetzten Neonazi-Kommandos, sollen laut entsprechenden Konzepten für eine Zeit bereit stehen »in der unsere agitatorische Munition durch Splitterhandgranaten, Flammöl und Explosivgeschosse ausgetauscht und/oder ergänzt wird.« Potentielle Anschlagsopfer sind nicht nur aktive AntifaschistInnen, sondern ausdrücklich alle, dem Nationalsozialismus gegnerischen Kräfte: »Wer uns und unserem Volk schlecht gesinnt ist wird bekämpft«13 . Auch die Schwesterorganisationen der bundesdeutschen „Anti-Antifa“, "Combat 18" (C18) aus England oder der terroristische "Weiße Arische Widerstand" (VAM)14 aus Schweden, orientieren sich an diesem Vorbild und senden ihre Anhänger  als Krieger nach Bosnien/Kroatien und als Kommandos nach Südafrika.

Doch der Ausbau eines militanten Netzwerkes ist nur der eine Schwerpunkt zur Vorbereitung eines »Rassenkrieges«. Im Vordergrund steht die eingeschworene Gemeinschaft, von der aus Schlüsselpositionen und Meinungen innerhalb der Gesellschaft gesetzt werden sollen. Ein als „Hartmut Hesse“ schreibender »Nation+Europa« Mitarbeiter beschwörte im Januar diesen Jahres die Gefolgschaft von der Arbeitsweise der Jesuiten zu lernen: »Was so ein kleiner Orden wie der Jesuitenorden bewegt hat, nötigt bei allem inhaltlichen Widerwillen Respekt ab.«15 Hier offenbart sich die historische Kontinuität der Neonazis: SS-Führer Heinrich Himmler baute seine Geheimorganisation »nach Vorbild des legendären Jesuitenordens auf, den die SS offiziell bekämpfte, doch bis ins kleinste Detail kopierte16

  • 1„In Aktion“, Hornung (Februar) 1994
  • 2Protokolle des Verfassungsschutzagenten Werner Gottwald, veröffentlicht in "konkret extra' 1982
  • 3Angriffsziel: Antifa, Sonderheft des Rechten Randes 3/1994
  • 4Nation+Europa, 1/94
  • 5VS Bericht 1978
  • 6"Die Neue Front" Nr. 23
  • 7Das Kulturwerk europäischen Geistes, Bernd Engelmann. München 1979
  • 8Bundesverfassungschutzbericht 1975
  • 9konkret, Deckname Reiser, 1982
  • 10Vortrag vor dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages, 20. April 1993
  • 11Gründungspapier der „Initiative Gesamtdeutschland“, 3. November 1991
  • 12Der Spiegel 14/94
  • 13„Eine Bewegung in Waffen“. Henry F./Christian Sch. als „Hans Westmar“ (Pseudonym). 1991, „Horst Wessel Verlag“. (Nachtrag: Die Bundesanwaltschaft erhob dazu Anklage wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. Doch das OLG Hamburg sah die Struktur nicht als verfestigt an und lehnte 1999 ein Verfahren ab.)
  • 14Vitt Ariskt Motstånd
  • 15Nation + Europa 1/94
  • 16Der Orden unter dem Totenkopf, Heinz Höhne