Die Organisierung der antifaschistischen Selbsthilfe
AntifaschistInnen aus Westberlin (Gastbeitrag)Am 20. April (in Neonazi-Kreisen "Führer Geburtstag") mobilisierten Neonazis für Aktionen nach West-Berlin. Je näher der 20. April heranrückte, desto mehr Initiativen schlossen sich der antifaschistischen Selbsthilfe an. Für den allergrößten Teil der Beteiligten waren dies die ersten Erfahrungen im organisierten Selbstschutz.
Aufbauend auf die kontinuierliche Arbeit der Stadtteilinitiativen wurden bezirkliche Informationsstellen eingerichtet. Sie organisierten Fahrwachen, um rechtzeitig mitzukriegen wo sich Neonazis zu sammeln versuchen und um möglichst schnell reagieren zu können, wenn irgendwo Angriffe stattfinden. Um notfalls viele Menschen mobilisieren zu können, wurden bezirkliche Telefonketten geschaffen. Zur gegenseitigen Unterstützung und Mobilisierung gegen einen größeren Aufmarsch von Neonazis, bestand zwischen den bezirklichen Informationsstellen ein Kommunikationsnetz. Außerdem war das Antifa-Info-Telefon die ganze Woche über besetzt. Auch in Bezirken, in denen die Neonazis relativ stark sind, konnten - hauptsächlich von Jugendlichen - solche Infostellen eingerichtet werden.
Je näher der 20. April heranrückte, desto mehr Initiativen schlossen sich der antifaschistischen Selbsthilfe an. Viele Leute, die nicht an der Vorbereitung beteiligt waren kamen hinzu. Insgesamt gab es 15 Infostellen, die über die ganze Stadt verteilt waren und an denen sich mehr als 1000 Leute beteiligten. In der Vorbereitungsphase wurde das gemeinsame Verhalten festgelegt und abgestimmt.
Weil die "Gerüchteküche" zu solchen Ereignisse bekanntlich am kochen ist, wurden Sicherheitsvorkehrungen gegen Fehlalarme verabredet. Das ganze Informationssystem war auf die Eigeninitiative der bezirklichen Gruppen aufgebaut Sie sollten entscheiden wie und wer zu mobilisieren ist und was dann zu unternehmen ist. Für den allergrößten Teil der Beteiligten waren dies die ersten Erfahrungen im organisierten Selbstschutz.
Die Tage um den 20. April
Nachdem die Neonazis schon im Vorfeld an drei verschiedenen Orten in der Stadt in kleineren Gruppen offen aufmarschiert waren und die Überfälle (u.a. von einer Gruppe italienischer Neo-Faschisten) zunahmen, stellten wir uns darauf ein ihnen massiv zu begegnen. Es kam nicht zu den befürchteten Großaktionen der Neonazis, was jedoch zum großen Teil der Mobilisierung der Antifa-Bewegung zu verdanken ist. Fast überall wo sich eine größere Gruppe von Neonazis sammelte, waren auch die Fahrwachen anwesend - die Präsenz der Antifa war spürbar für sie.
Im Weddinger Humboldthain zum Beispiel, wo sich am frühen Abend des 20. April ungefähr 40 Neonazis mit Fackeln und 'Sieg Heil' versammelten. Die Weddinger Antifas mobilisierten 70 Leute, woraufhin sich die Neonazi-Truppe zur Osloer Straße hin verzogen. Da war die Polizei schon anwesend, weshalb nicht weiter mobilisiert und stattdessen erst einmal weiter beobachtet wurde. Die Neonazis-Gruppe verstreute sich in mehrere Kleingruppen. Aber auch diese konnten nichts ausrichten, weil sie ständig vielen türkischen Jugendlichen begegneten, die zur Gegenwehr entschlossen waren.
Als ein Aufmarschort war gerüchteweise immer wieder der Reichstag durchgedrungen, das hatte auch das Fußvolk der Neonazis wohl so verstanden, das dort orientierungslos durch die Gegend lief und Aktionen seiner großmäuligen Führer erwartete. Doch die ließen ihre Leute allein mit der Polizei, dazu noch unter der Beobachtung zahlreicher Antifa-Fahrwachen.
Im Schöneberger Crelle-Kiez sammelte sich am Donnerstagabend ebenfalls eine größere Gruppe von Neonazis, was die Mobilisierung von 200 Antifaschist_innen zur Folge hatte. Die uns bis jetzt bekannten Neonazi-Aktivitäten direkt um den 20. April beschränkten sich nicht nur auf das Sprühen von Parolen in den Bezirken Tegel, Frohnau, Reinickendorf und Wedding. In Frohnau und Hermsdorf sind Schüler_innen von den Neonazis massiv bedroht worden. Daraufhin wurden die Eltern gebeten ihre Kinder zur Schule zu bringen - vor drei Schulen stand wegen der Drohungen Polizei. In Lichterfelde wurde ein türkischer Jugendlicher von einer Gruppe Neonazis überfallen und schwer verletzt. Auf eine Neuköllner Schule verübten Neonazis einen Brandanschlag und in Kreuzberg versuchten sie ein BVG-Häuschen anzuzünden.
Die Infostellen
In den Infostellen kamen viele unterschiedliche Menschen zusammen, die sich während der Tage kennenlernten. Soweit wir das bis jetzt sagen können, haben sich daraus einige hoffnungsvolle Ansätze für eine dauerhafte Selbstschutzstruktur entwickelt. Die gilt es jetzt weiter auszubauen. Die Angst vor den braunen Schlägern, der sich viele vorher vereinzelt gegenüber sahen, weicht dem Gefühl der Stärke, wenn wir uns organisieren. Das hat der Antifa-Arbeit Auftrieb gegeben.
Die Festnahmen
Wie schon oben beschrieben ging die Polizei hauptsächlich gegen die Antifaschist_innen vor. Dazu haben sich schon einige der Festgenommenen getroffen und eine Erklärung herausgegeben, in der die Einstellung aller gegen Antifaschist_innen laufenden Ermittlungsverfahren gefordert, und die antifaschistische Mobilisierung als Erfolg und als ein guter Anfang bewertet wird:
"Solidarität und Selbstorganisation, statt Angst und Ausgrenzung (...) Ratschläge vieler Lehrer/innen gerade an ausländische Schülerinnen, während des 20. April zu Hause zu bleiben schürten jedenfalls Angst, Ohnmacht und Paranoia mehr als unsere Aufrufe sich zu organisieren (...) Wir sagen durch Verdrängung lässt sich kein Problem lösen (...) Gerade weil der Staat nichts gegen die Neonazis unternimmt, kann er es nicht dulden, dass wir uns selbst zur Wehr setzen. Denn sie wissen ganz genau, dass es beim Antifa Kampf um mehr als Rivalitäten zwischen Linken und Rechten geht. Denn unser Kampf richtet sich letztendlich gegen das ganze kapitalistische System selbst. Neonazis sind darin alltägliche Bedrohung und extremster Ausdruck der hier herrschenden Verhältnisse (...) Wir werden jedenfalls weitermachen (...) Wir sind im Recht. Neonazis und die BRD-Klassenjustiz niemals".
Das "Bündnis gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus" wird die Festgenommenen solidarisch unterstützen und dazu beitragen Öffentlichkeit gegen die Kriminalisierung von Antifaschist_innen zu schaffen. An die Festgenommenen, die noch vereinzelt mit der Kriminalisierung umgehen ist der Aufruf gerichtet, sich beim "Antifa-Info-Telefon" oder dem Ermittlungsausschuss (Tel: 692 22 22) zu melden. Die Kriminalisierungsversuche der Antifa-Bewegung durch Polizei und Justiz und die Stimmungsmache dafür in der bürgerlichen Presse (einschließlich der 'tageszeitung'), werden das Bündnis nicht spalten. Die Mobilisierung wird als Erfolg gewertet. Es gilt jetzt kontinuierlich mit der politischen Arbeit und der Organisierung (nicht nur) von Selbstschutz weiterzumachen.