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»Weil Widerstand Öffentlichkeit braucht um wirksam zu werden«

Einleitung

Interview des jüngsten Redaktionsmitgliedes mit zwei alten AIB- Hasen über Geschichte, Gegenwart  und Zukunft des Antifaschistischen Infoblattes.

Finbar: Was war Eure persönliche politische Motivation, vor 10 Jahren mit der Antifa-Arbeit anzufangen?

Arno: Ich war damals Hausbesetzer und meine Zusammenhänge hatten Anschluß an verschiedene ausländische Gruppen, hauptsächlich türkische und kurdische. Wir beteiligten uns an der Organisierung verschiedener Solidaritätsaktionen, waren aber unzufrieden mit der fortschreitenden Funktionalisierung und den vielen Spaltungen. Es ging bei dieser Zusammenarbeit hauptsächlich um Aktionen gegen die türkische Millitärdiktatur, nicht aber um die Entwicklung eines gemeinsamen Widerstandes hier. So beschlossen wir, von einer Stellvertreterpolitik wegzukommen, und nur noch an gemeinsamen Interessenspunkten zusammenzuarbeiten, wie Faschismus und Rassismus. So entstand dann das Antifaschistische Nottelefon und auch ein Zeitungsprojekt.

Gerri: Auch ich komme aus der Berliner Hausbesetzer- und Autonomen-Szene. Mitte der 80er begann ich eine Ausbildung und versuchte, mit anderen innerhalb der Berufsschule politisch zu arbeiten. Auffällig war schon damals der weitverbreitete Rassismus unter deutschen Jugendlichen. Wir wollten damals einer Manifestierung dieses Rassismus durch faschistische Kräfte entgegenwirken und begannen verschiedene basispolitische Aktionen. Das war die Gründungsphase  der ehemaligen Antifa West-Berlin, die dann auch mit Arnos Gruppe zusammenarbeitete, was in ein gemeinsames Zeitungsprojekt mündete.

Finbar: Warum habt Ihr dann ausgerechnet eine Zeitung gegründet?

Gerri: Weil Widerstand Öffentlichkeit braucht, um wirksam zu werden. Als 1986 die ersten Flüchtlingszelte in Berlin brannten und die erste Neonazi-Kundgebung nach dem Krieg in Berlin stattfand, waren dies Ergebnisse einer Regierungs- und Pressekampagne gegen eine angebliche »Asylantenflut«. Behauptet wurde damals, daß zehntausende in Budapest auf gepackten Koffern säßen und nur auf das O.K. von der DDR Führung warteten, um nach West-Berlin zu gelangen. Eine als Bürgerinitiative getarnte Vereinigung von Neonazis, die auch später zu den GründerInnen der Partei Die Republikaner zählten, griff die Stimmung auf und versuchte, Profit aus der Situation zu schlagen. Wir waren geschockt und wollten uns damit nicht abfinden. Wir setzten nach recherchierten die Hintermänner und ihre Verbindung und rissen ihnen das demokratische Mäntelchen weg, auf das sie so viel Wert legten, um zu einer breiteren Aktzeptanz zu gelangen.

Arno: Wir veröffentlichten eine Broschüre, gut recherchiert, mit vielen Beweisen und Hintergründen. Diese wurde viel an den Schulen verbreitet und fand auch in einigen Medien Beachtung. Danach mobilisierten wir 300 Leute zu einer Aktion gegen den Treffpunkt dieser Bürgerinitiative Demokratie und Identität (BDI). Als wir deren Treffpunkt abgeriegelt hatten, führten wir die Pressevertreterinnen zum Ort und hatten auch eine Live-Schaltung im Radio. Die Neonazis sagten ihr Treffen ab, die Polizei griff anfangs ein, aber wir waren sehr diszipliniert und entschlossen, es war ja schließlich eine Öffentlichkeitsaktion, außerdem waren sehr viel SchülerInnen beteiligt, die zum ersten Mal auf einer Aktion waren. Wir wollten unbedingt die Aktion mit einem Erfolgserlebnis beenden. Die BDI sagte das Treffen schließlich ab und löste sich kurze Zeit später aufgrund interner Streitigkeiten auf, wir aber gründeten das Antifaschistische Infoblatt als ein Forum für den weiteren Widerstand.

Finbar: Was war Euer Anspruch an das AIB?

Gerri: Wir wollten von Anfang an kein szenetypisches Blatt machen, sondern versuchen, auch ein breiteres Spektrum außerhalb der Antifa-Szene anzusprechen. Die Texte sollten so geschrieben sein, daß auch Leute außerhalb politischer Zusammenhänge einen Zugang finden können. Uns war es dabei stets wichtig, keine Trennung zwischen den Widerstandsformen zu machen. Denn wir gehen davon aus, daß linksradikale Kreise allein zur Bekämpfung des Faschismus nicht ausreichen werden.

Finbar: Wenn man sich die Publikationen aus der autonomen Szene von damals ansieht, da war das ja nicht selbstverständlich, oder?

Gerri: Nein, das war es nicht. Wir hatten natürlich viele Streitereien, da wir ja alle mehr oder weniger aus verschiedenen linksradikalen Gruppen kamen. Die einen wollten mehr für den Kommunismus werben, andere meinten, daß es egal sei, wie eine Zeitung gestaltet ist, Interessierte würden es schon lesen, einige wollten mehr militante Aufrufe drin haben usw. Es war ein Kampf mehrerer Linien, der nicht immer besonders angenehm oder gar schön war. Wir setzten uns schlußendlich durch, u.a. deshalb, weil wir eine Basisstruktur von Antifa- und Antirassismus-Gruppen hinter uns hatten, bzw. selbst Mitglieder dieser Gruppen waren.

Arno: Fast alle Leute in der Redaktion waren damals auch noch in anderen Gruppen aktiv. Wir waren daran beteiligt, das Bündnis gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus zu gründen, das ein Forum für Gruppen von Jusos, Falken über die zahlreichen SchülerInnen-Antifa-Gruppen, ImmigrantInnen-Initiativen bis hin zu unabhängigen und autonomen Antifas wurde. Das Antifaschistische Infoblatt wurde Sprachrohr und Mobilisierungsfaktor einer sehr quirligen Bewegung. Der Höhepunkt war sicher die Kampagne gegen die Wahlbeteiligung der Republikaner 1989 und die Mobilisierungen nach ihrem Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus, gegen den zehntausende auf die Straßen gingen. Doch Bewegungen kommen und gehen, im Laufe der Jahre lösten sich die meisten dieser Gruppen wieder auf, übrig blieb die Zeitung.

Finbar: Ist das auch der Grund, weshalb die Zeitung heute bundesweit herausgegeben wird?

Arno: Nein. Als 1990/91 Antifa-Gruppen aus dem Bundesgebiet an uns herantraten und fragten, ob wir als bundesweite Zeitung erscheinen wollen, haben wir lange überlegt. Uns war klar, daß wir an Wirkung in Berlin verlieren könnten, andererseits wurde aber auch die Rechtsgefahr deutlicher spürbar und Berlin zählte zu den Orten, wo es noch die stärkste Bewegung dagegen gab. Der Terror entwickelte sich vor allem in der Provinz. Wir hatten in Berlin sicherlich bessere Möglichkeiten als viele Leute in anderen Städten, um so ein Projekt durchziehen zu können, eine gute Infrastruktur und auch schon eine bundesweite Verbreitung. Also sagten wir ja. Die Zusammenarbeit mit anderen Antifa-Initiativen entwickelte sich Schritt für Schritt, anfangs haben wir noch selber viel aus Flugblättern und Zeitungsartikeln zusammengeschrieben, doch mit der Zeit kamen immer mehr Artikel aus anderen Städten. Heute machen sie einen großen Teil der Zeitung aus und sind nicht mehr wegzudenken.

Finbar: Hat sich in den letzten 10 Jahren viel für das AIB geändert ?

Gerri: Wir wurden in manchen Punkten von der Zeit regelrecht überrannt. Waren Rassismus und Faschismus Mitte der 80er Jahre noch eher ein gesellschaftliches Randproblem, wurde es im Laufe der Jahre zu einem der zentralen. Wir hatten als Teil einer breiten linken Bewegung begonnen, von dem wir uns auf den Teil des Antifaschismus und Antirassismus spezialisierten. Über die 80er Jahre hinweg brach jedoch ein großer Teil der Bewegung weg, wobei bis jetzt die Antifa- und auch Anti-AKW- Bewegung noch die aktivsten geblieben sind. So standen wir auf einmal fast alleine da. Wir waren dadurch aber auch mit der Situation konfrontiert, viel mehr erklären zu müssen, also Sachen, die früher von zahlreichen linken allgemeinpolitischen Gruppen gemacht wurde, wie z.B. das Grundverständnis einer fortschrittlichen Bewegung oder die Verstrickungen von Faschismus und Kapital.

Arno: Das Antifaschistische Infoblatt hatte als gemeinsames Projekt mit Immigrantinnengruppen begonnen. Dies scheiterte leider, was unter anderem mit der Exilsituation der türkischen und kurdischen Gruppen zusammenhing. Die zugespitzte gesellschaftliche Situation, unterschiedliche Lebensbedingungen, die insgesamt Ausdruck eines voranschreitenden Rassismus waren und sind, machten offensichtlich die Entwicklung einer starken multikulturellen Bewegung gegen Rechts nicht möglich. An diesen Barrieren sind auch wir gescheitert.

Finbar: Wie seht Ihr die heutige Situation des AIB?

Arno: Die Rolle des Antifaschistischen Infoblattes hat sich mit der Zeit sicherlich gewandelt. Durch die Wandlung von einer reinen regionalen hin zu einer bundesweiten Zeitung hat sich das Mobilisierungsspektrum vergrößert. Die Kontinuität ist sicher einer der wichtigsten Faktoren unserer Entwicklung. Doch das geht auch nicht reibungslos vonstatten. Bisher haben wir es als Projekt immer wieder geschafft, junge Leute zur Mitarbeit zu gewinnen, andere gingen, weil sie was anderes machen wollten und sich ihr Leben verändert hatte. Diese Auseinandersetzung ist sicher eine der spannensten innerhalb der Redaktion. Wir fetzen uns schon öfters und müssen als »Alte« genausoviel von den Jüngeren lernen, wie das umgekehrt der Fall ist. Die werden in einer veränderten Gesellschaft groß, haben viele »Highlights« von Bewegung nicht durchlebt und müssen sich in einer wesentlich feindlicheren Welt durchschlagen.

Gerri: Das AIB ist sicherlich keine Massenzeitung, sondern eine Fachzeitschrift für Menschen die ohnehin politisch arbeiten. Dies wird auch durch den Preis gezeigt, der ganz klar ein politischer ist. Dennoch hat sich über die Jahre ein konstanter LeserInnenkreis etabliert, der uns auch stark unterstützt hat, als wir große finanzielle Probleme hatten. Unser Einfluß ist insgesamt gestiegen. So lesen mittlerweile nicht nur Menschen aus der Antifa-Szene das Antifaschistische Infoblatt, sondern die Zeitung ist auch Stichwortgeber für die gesamte Presse geworden. So hat sich die intensive NS-Recherche als sehr wichtig erwiesen. Trotzdem konnten wir immer wieder das Licht auf andere Bereiche des Neofaschismus, wie z.B. die »Neue Rechte«, lenken.

Finbar: In den letzten Ausgaben gab es verschiedene Schwerpunktthemen, soll dies nun öfter geschehen?

Gerri: In den Zeiten der Pogrome von 1991 und 1992 war es uns aufgrund der staatlichen Duldung und Leugnung besonders wichtig, die Existenz organisierter Neonazistrukturen nachzuweisen, um so politischen Druck ausüben zu können. Dieser Nachweis nahm einen großen Teil unserer Kraft in Anspruch. Wir konnten so an der Aufdeckung und Kriminalisierung dieser Gruppen mitwirken. Auf diese effektive Bekämpfung sind wir auch sehr stolz. Doch mit dieser Form von Nadelstichen, die immer wieder zu Spaltungen unter anderem bei den Republikanern führten, läßt sich nur Zeit gewinnen. Einen aufkommenden Faschismus und Rassismus kann nur eine Bewegung bekämpfen, die für eigene soziale und kulturelle Intressen eintritt. Deshalb ist uns wichtig, die sozialen und kulturellen Hintergründe des Rechtsruckes zu zeigen und zu diskutieren, auch um die Ideale einer menschlichen Gesellschaft nicht zu verlieren. Viele Leute haben auf diese Kurskorrektur positiv reagiert und bekundet, daß sie die Zeitung jetzt mit mehr Interesse lesen. Das AIB wurde dadurch vielfältiger und spricht mehr Menschen an.

Finbar: Was seht Ihr als den größten politischen Erfolg des Antifaschistischen Infoblattes an?

Arno: Ich glaube das Antifaschistische Infoblatt hat vielen Regionalzeitungen bei ihrer Arbeit geholfen und Mut gemacht, solche Projekte zu starten. Das Antifaschistische Infoblatt war immer schon ein Beispiel für eine weniger szenetypische Aufmachung, die sicherlich mehr Menschen erreicht.

Gerri: Ein sehr wichtiger Erfolg war auch der Aufbau von internationaler Zusammenarbeit. Wir arbeiten mittlerweile mit Gruppen in ganz Europa zusammen und auch aus den USA. Die Geschichte hat gezeigt, daß ein Faschismus in Deutschland niemals ohne internationale Hilfe zerschlagen werden kann. Der Widerstand gegen Faschismus kann nie ein nationaler sein, der vor Grenzen halt macht. Bewährt hat sich diese Zusammenarbeit besonders zu Zeiten der Pogrome, wo nur durch ausländischen Druck die deutsche Regierung zu Gegenmaßnahmen gezwungen werden konnte. Die deutsche Opposition war damals zu schwach.

Finbar: Was wünscht Ihr euch für die weitere Entwicklung des Antifaschistische Infoblattes?

Gerri: Erstmal sollte das AIB weitere 10 Jahre bestehen und versuchen, den Kreis der Leute, die wir ansprechen wollen, zu erweitern. Vielleicht schafft es das Antifaschistische Infoblatt auch, dabei mitzuhelfen, eine breitere linke Bewegung aufzubauen, in der Menschen zusammenarbeiten, die sich in ihrer Unterschiedlichkeit achten. Egal ob sie alt oder jung sind, militant oder pazifistisch, Frau oder Mann.

Arno: Ich hoffe, daß wir viel stärker als Diskussionsorgan genutzt werden, auch von Leuten, die unserer Meinung nicht zustimmen. Ich hoffe, daß es das Antifaschistische Infoblatt stets schaffen wird, die sozialen Brennpunkte aufzuspüren und dort zu wirken. Besonders wichtig ist mir auch das über den Kampf gegen Nazis die Ideale einer menschlichen Gesellschaft nicht verlorengehen.