Hannover – Neonazigewalt mit Folgen
In Hannover wurde ein Antifaschist bei einem Überfall durch Neonazis - größtenteils rechte Skinheads - lebensgefährlich verletzt. Zielscheibe des Angriffs war das Sprengel-Gelände, wo Hausbesetzer ein selbstverwaltetes Jugendzentrum aufbauen.
Etwa fünfzig Neonazis aus den Kreisen der „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) aus dem norddeutschen Raum haben am 13. Februar 1988 in der Innenstadt von Hannover neonazistische Propaganda verteilt. Um 10.30 Uhr haben es einige AntifaschistInnen erreicht, daß die Aktion abgebrochen werden mußte. Die FAP Hannover um ihren Vorsitzenden Siegfried Müller platzierte ihren Infostand am "Kröpcke". Sie wird dabei von zahlreichen HelferInnen aus Nordrhein-Westfalen, Hamburg und weiteren niedersächsischen Städten unterstützt. Mehrere Neonazis sind mit Gasrevolvern, Knüppeln u.a. bewaffnet. 200 GegendemonstrantInnen erzwingen schließlich den Abbau des Standes. Der Stand der brach zusammen und die Neonazis erhielten von der Polizei „Innenstadt-Verbot“. Dies hinderte sie jedoch nicht daran zwei Stunden später eine Versammlung in der City zu veranstalten.
Ende Februar 1988 zogen ungefähr 10 FAP-Anhänger nach einem „Kameradschaftsabend“ zu der besetzten Sprengel-Fabrik in Hannover. Dabei überfielen sie zwei Bewohner des Hauses mit Gaspistolen, einem Molotowcocktail, Signalmunition und Messern. Einem 26jährige Sprengel-Bewohner wurde ein Messer in den Rücken gestochen und er wurde durch einen Steinwurf so stark am Kopf getroffen, daß er mehrere Tage in Lebensgefahr schwebte. Die heraneilende Polizei nahm erstmal die Bewohner fest und ließ vier Neonazis nach Personalienfeststellung wieder laufen. Inzwischen wurde jedoch einer der Angreifer aufgrund der Aussagen seiner „Kameraden“ verhaftet. Es soll sich um Michael P. handeln, der sich zwei Tage nach dem Überfall in Begleitung seines Rechtsanwaltes der Polizei gestellt habe.
Der organisierte Terror der FAP wird von der Polizei heruntergespielt: Angeblich seien „rivalisierende Jugendbanden“ aneinandergeraten. Der zuständige Haftrichter lehnte es ab, gegen die Vier, die die Polizei als einschlägig bekannt bezeichnete, einen Haftbefehl zu erlassen. Der die Ermittlungen leitende Beamte, Kriminalhauptkommissar G. vom hannoverschen Kriminaldauerdienst, sprach am Samstag abend von „rivalisierenden Jugendgruppen“, die sich „da ein bißchen ins Gehege gekommen“ seien1 . Diese Falschmeldung wurde kritiklos von der örtlichen Presse übernommen. Lediglich "die tageszeitung" (taz) berichtete weitestgehend zutreffend: „Skins schlugen Besetzer halbtot: Besetzer der Sprengel-Fabrik in Hannover schwebt in Lebensgefahr. Vier Tatverdächtige wieder frei.“
Auf das Konto von Neonazis aus Hannover gehen der Mord an dem 17jährigen Roger Bornemann, sowie mindestens fünf Brandanschläge gegen AusländerInnen und Linke im letzten Jahr. Der Überfall auf das besetzte Gelände reiht sich ein in eine Hetzkampagne der örtlichen Medien gegen die HausbesetzerInnen. Lokale AntifaschistInnen berichten, der Hauptverdächtige werde nunmehr durch die „Hilfsorganisation für nationale Gefangene“ (HNG) betreut. Dem Anschlag war eine breitangelegte Diffamierungskampagne durch die hannoversche Tagespresse und Hetzplakate der "Nationalen Sammlung" (NS) voraus gegangen. Bekannte Mitglieder der „Nationalen Sammlung“ wie Andreas R., Bernd K. und Uwe B. seien an dem gescheiterten Brandanschlag und dem Überfall vom 28. Februar 1988 auf das linke Wohnprojekt beteiligt gewesen. Zumindest Andreas R. ist als ehemaliger Aktivist der „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten“ (ANS/NA) und der „WSG Jürgens2 “ überregional bestens vernetzt.3 Der organisatorische Zusammenhang der lokalen Neonazi-Szene wird in einer Antwort der Bundesregierung dennoch bagatellisiert: „Über ideologische, personelle und organisatorische Querverbindungen im rechtsextremistischen Bereich wird in den Jahresberichten des Verfassungsschutzes immer wieder informiert. Dies schließt nicht aus, daß im Bereich des Rechtsextremismus Gewalttaten auch von Einzeltätern begangen werden.“
- 1Vgl. taz (die tageszeitung) vom 22. Februar 1988: „Skins schlugen Besetzer halbtot“
- 2Nunmehr als Verein eingetragen. Die Legalisierung als ein Verein erfolgte als eine vermeintliche Schutzmaßnahme vor staatlicher Repression. Eingetragen wurde sie als eine "Nothilfstechnische Übungs- und Bereitschaftsstaffel e.V." am 9. September 1987 von Uwe Jürgens aus Bergen.
- 3Vergleich „Kleine Anfragen“ von den Grünen im Landtag von Niedersachsen etwa vom 16. Juli 1984 (Drs 10/3003) und im Deutschen Bundestag vom 24. August 1984 (10/1903).