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Hannover: Angriffe von Rassisten und Gegenwehr

Einleitung

Eine „Große Anfrage“ der Fraktion der Partei "Die Grünen" in Hannover Anfang des Jahres 1988 zur „Verwicklung niedersächsischer Sicherheitsorgane in sowie ihre Kenntnis über Straftaten der neonazistischen Szene von „FAP" und „EK 1"1 sollte Klarheit bringen. Eine Reihe von Prozessen gegen Mitglieder neonazistischer Organisationen wie der „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) oder der „Sport- und Sicherheitskameradschaft EK 1“ (EK 1) warfen in den vergangenen Monaten ein Schlaglicht auf die zunehmende Gefährlichkeit der militanten Neonazi-Szene in Hannover.

  • 1Niedersächsischer Landtag, Drucksache 11/2036

Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand der Prozeß gegen die mittlerweile verurteilten Mörder des Jugendlichen FAP- und EK 1-Mitglieds Roger Bornemann, der von vier Gesinnungsgenossen am 2. Februar 1987 zu Tode geprügelt wurde. Im Zuge dieses und anderer Prozesse kam es zu einer Reihe von Enthüllungen über das Ausmaß der von Neonazis begangen mindestens 61 „Straftaten“. Parallel dazu kam es zu rassistischen Überfällen etwa auf das hannoversche Lokal "Exil" oder einen „vornehmlich von Türken besuchten Spielsalon“ im Steintorviertel. Der Innenminister von Niedersachsen CDU-Chef Wilfried Hasselmann erkärte dass er zwar Maßnahmen zum „Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ ergreife. Voraussetzung einer „sachgemäßen Auseinandersetzung mit dem Extremismus insgesamt“ könne aber nur die „zutreffende Erfassung der Tatsachen“ sein. Die Landesregierung habe zwar „erhebliche Gesetzesverstöße“ festgestellt - Hannover war neben der Region Göttingen und dem Landkreis Harburg bis zum Ende der „Sallstraße" Ende 1986 ein Schwerpunkt neonazistischer Aktivitäten1 - alle weiteren Überfälle seien „nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen noch nicht bewiesen“.2

Seit Anfang September 1988 gab es fünf Wochenenden hintereinander Massenschlägereien in der Hannoveraner Innenstadt. Neonazi-Skinheadss haben seit längerer Zeit schon Jagd auf einzelne ausländische Jugendliche gemacht und eine Kneipe überfallen, in der sich meist Menschen mit dunklerer Hautfarbe aufhalten. Das war für viele ausländische Jugendliche eine alltäglich gewordene Bedrohung. Seit Anfang September nun wehren sich Jugendliche zumeist aus der Türkei, aus Griechenland und Italien gegen den Terror.

Aus einem Artikel der Lokalpresse ist zu entnehmen, daß ein Auslöser für die Straßenkämpfe die Freisprüche für Neonazi-Skinheads wegen des Überfalls auf die oben erwähnte Kneipe war. Die Neonazis feierten vor ihrer Diskothek den Sieg über die ihnen verhaßten AusländerInnen. Daraufhin begannen die ausländischen Jugendlichen zurückzuschlagen. Es war eine Gruppe von 50 bis 60 Leuten, die gegen circa 80 bis 100 Neonazi-Skinheads, rechte Hooligans von „Hannover 96“ und rassistische Jugendliche kämpfte. Die Polizei nahmen dann auch prompt angebliche Rädelsführer der ausländischen Jugendlichen fest.

Auf Seiten der rassistischen Jugendlichen sind nur zum Teil organisierte Neonazis aus der FAP auszumachen.  Auch ohne organisierte Neonazis haben sich das sogenannte „Türkenklatschen“ und „Ausländer raus“-Parolen verbreitet. Es hat gedauert bis Hannoveraner AntifaschistInnen reagierten. Anfang Oktober mischten sich erstmals erkennbar Leute von einer 80-100 Menschen starken Demonstration in die Auseinandersetzungen ein. Sie versuchten zum Treffpunkt von den Neonazi-Skinheads zu kommen, was aber von der Polizei behindert wurde. Auf der zweiten Demonstration waren dann schon circa 450 Leute, zum Teil auch ausländische Jugendliche. Aufgerufen hatte das "UJZ-Kornstrasse", die Hannoveraner Antifa, die VVN, BJA und SDAJ, die Grün-Alternative-Bürgerliste, der KB und viele mehr.

In der Nacht zum 9. Oktober wurde auf das Zentrum der SDAJ ein Brandanschlag verübt, am 10. Oktober bekamen sie Drohanrufe, etwa: „wir werden Euch dem Erdboden gleichmachen, Sieg Heil“. Im Augenblick ist eine gespannte Ruhe in Hannover eingetreten, das Problem ist aber noch lange nicht vom Tisch. Ein Antifa-Bündnis plant weitere Aktivitäten und versucht Kontakt mit den betroffenen ausländischen Jugendlichen aufzunehmen, was aber als schwierig beschrieben wird. Für manche sei das Ganze demnach auch eine Sache: "die man an Ort und Stelle mit der Faust regeln muß und dann wird sich das schon irgendwie geben" .

Im März 1988 war es zu einer bundesweite Polizeiaktion gegen führende Neonazis gekommen und in Hannover waren davon die FAP Führer Volker Heidel und Siegfried Müller und der Ex-FAP-Aktivist Jörg R. in Döhren betroffen. Jörg R. war Kassenwart der oben erwähnten „Wehrsportgruppe EK 1“.

Im Februar gab es einen versuchter Brandanschlag auf ein linkes Wohnprojekt . Ausgehend von einem Kameradschaftsabend der FAP überfielen mehrere Neonazis, darunter Anhänger der „Nationalen Sammlung“ (NS) das linke Wohnprojekt "Sprengel" und versuchen einen Brandanschlag durchzuführen. Als sie entdeckt werden, verletzen sie einen Besetzer durch einen Messerstich lebensgefährlich. Andreas R. ("Recki"), B., Bernd K., Uwe B. wurden gefasst und teilweise durch die neonazistische „Hilfsorganisation für nationale Gefangene“ (HNG) betreut. Im Januar 1988 überfielen rechte Skinheads, die der FAP nahe stehen, Punks auf dem Bahnhofsvorplatz und eine Jugendreisegruppe aus Belgien auf dem Kröpcke.

  • 1Der FAP-Funktionär Siegfried „Siggi“ Müller war Mieter der lokalen FAP-Parteizentrale. Vgl. "Der SPIEGEL" 33/1987: „In der niedersächsischen FAP-Parteizentrale Sallstraße 28 mixten die Neonazis ihre Molotow-Cocktails, mit denen Büros von Türken abgefackelt wurden“.
  • 2Niedersächsischer Landtag, Drucksache 11/2190