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Die "Rudolf Heß Aktionswochen" 1996

Einleitung

Für dieses Jahr hatten die deutsche Neonazi-Szene gleich einen ganzen »Aktionsmonat« zum Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß angekündigt, um sich in die Öffentlichkeit zu bringen. Unter der Bezeichnung „Aktion 96“ wurde ein entsprechendes "Konzept" verfasst, das auf den früheren FAP-Aktivisten André Goertz zurückgehen soll. Das Strategiepapier wurden von der NPD-Jugend aufgegriffen und in eine Kampagne unter dem Motto „Demokratie und Freiheit schützen – Grundrechte verteidigen“ umgemünzt. Die JN war mit Holger Apfel in das "Rudolf Heß Aktionskomitee" eingebunden. Dieses "Rudolf Heß Aktionskomitee" besteht laut Berichten aus der Szene aus rund einem Dutzend Szene-Kadern um Kai Dalek, Christian Malcoci und Andree Zimmermann. Als Schwerpunkte der Aktionen waren der 3./4. August 1996 (bundesweites Demonstrationswochenende) und der 17./18. August 1996 (Zentrale Heß-Kundgebung) angekündigt worden. An den anderen Wochenenden sollten Saalveranstaltungen, dezentrale Aktionen oder Konzerte stattfinden.

"Sitzblockade" der Neonazis in Worms.

"Aktion 96"

Die „Aktion 96“ wurde nur in Ansätzen verwirklicht. Für den Auftakt in Form eines bundesweiten Aufmarsches am 3. August 1996 wurde auf Initiative der "Jungen Nationaldemokraten" (JN) in über 90 deutschen Städten Anmeldungen vorgenommen. So soll in Schweinfurt (Hof) der JN/NPD-Aktivist Klaus Beier aus Kirchzell erfolglos versucht haben einen Heß Marsch anzumelden. Da diese alle verboten wurden, wichen die Neonazis auf einen Ort aus, in dem nichts angemeldet war: Bad Harzburg. Nach dem man sich im benachbarten Vienenburg gesammelt hatte, ging es gemeinsam in den Kurort, wo die geplante Aktion allerdings nach einer kurzen Wegstrecke hinter einem Transparent mit der Aufschrift »Rudolf Heß - Ein Toter ruft zur Tat« in einem Fiasko für die Neonazis endete. Die ohnehin nur 60 Teilnehmer wurden nach kurzer Zeit von der Polizei gestoppt und knapp 40 von ihnen festgenommen. Laut Augenzeugen soll auch eine Gruppe Neonazis des "Freundeskreis Nordharz" um den Neonazi-Funktionär Steffen Hupka und der JN-Chef Holger Apfel hier vor Ort gewesen sein. In Wittenberg versammelten sich ebenfalls eine größere Gruppe Neonazis zu einem Aufmarsch Versuch.

Für die folgenden zwei Wochen wurden regionale Aktionen angekündigt, die aber eher spärlich gesät waren. Am 10. August 1996 wurde durch die Partei "Die Republikaner" ein Aufmarsch im thüringischen Suhl durchgeführt, der auch von zahlreiche Neonazis besucht wurde. Desweiteren wurden vereinzelt Transparente an Autobahnbrücken angebracht und es kam zu den bereits sattsam bekannten Sprüh- und Plakatieraktionen.

17. August Worms

Der Höhepunkt des »Aktionsmonats« sollte dann schließlich der Aufmarsch am 17. August, dem neunten Todestag des Hitler-Stellvertreters, werden. Während der Aufmarsch in Bad Harzburg und die regionalen Aktionen weitgehend alleine von der JN organisiert worden waren, mobilisierte für diesen Tag das gesamte "Rudolf Heß Aktionskomitee". Man wollte Geschlossenheit demonstrieren und eine möglichst große Teilnehmerzahl erreichen. Bereits Wochen vorher hatten die Neonazis angekündigt, daß es »nur einen zentralen Aufmarsch in Deutschland» geben werde, den Ort - Worms - jedoch bis zuletzt geheimgehalten. Durch die jahrelange Mobilisierung von Antifaschistinnen gegen den Aufmarsch wurden die Neonazis Anfang der 1990er Jahre gezwungen, konspirativ zu mobilisieren. In diesem Jahr wurden Informationen nur noch an Funktelefone mit vorher vereinbartem Code weitergegeben. Diese Art der Mobilisierung verhindert allerdings nicht nur eine effektive antifaschistische Mobilisierung, sondern beschert auch den Neonazis einen wesentlich kleineren Teilnehmerkreis bei ihren Aktionen.

Dieses bestätigte sich dann auch am 17. August, als um 14.30 Uhr nicht 1.000, wie großmäulig angekündigt, sondern lediglich 200 Nazis vom Wormser Domplatz aus losmarschierten. Es handelte sich wie bereits in Berlin-Marzahn am 1. Mai um eine Mischung aus Kadern und einer neuen, teilweise sehr jungen Generation von Neonazis und rechten Skinheads. AntifaschistInnen konnten so zwischen alt bekannten Neonazi-Aktivisten wie Bernd Krick (NRW), Stephan Hase (Lüdenscheid), Harald Mehr (Lüdenscheid), Rüdiger Kahsner (Hagen) und Helmut Braun (Heidelberg) auch Nachwuchskader aus den Kreisen der JN wie Danny Marquard (Steinfeld), Siegfried Birl (Bayern), Alexander Feyen (Hemsbach) und Uli Diehl (Saarland) ausmachen.

Den Neonazi-Kadern Steffen Hupka und Thomas Wulf und dem Bundesvorsitzenden der JN Holger Apfel folgte der Rudolf-Heß-Marsch ungestört von der Polizei durch Worms. Erst nach der Abschlußkundgebung, auf dem Rückweg zum Domplatz, schritten Polizei-Beamte schließlich ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich bereits ein Teil der Neonazis, unter anderem Steffen Hupka, abgesetzt. Nachdem ein Spezialeinsatzkommando (SEK) und eine Hundestaffel die Straße gesperrt hatten, ließen sich die Neonazis zu einer Sitzblockade nieder. Im Verlauf einer Stunde wurden sie einzeln abgeführt, bis die Gefangenentransporter voll waren. Der Rest des Aufmarsches mußte unter Polizeispalier auf die Wache marschieren und sich dort ebenfalls festnehmen lassen. Unterdessen hatte sich am Rande des Aufmarsches bereits ein Pulk aus rund 200 Antifaschistinnen und aufgebrachten Bürgern gebildet, aus dem immer wieder »Nazis raus«- Rufe erschollen. Vor und während des Aufmarsches kam es mehrfach zu direkten Angriffen auf Neonazis und ihre Fahrzeuge.

17. August Merseburg

Zu einem fast nur intern mobilisierten Aufmarsch, der nicht nur an der Polizei, sondern auch an den Antifas vorbeiging, kam es zur gleichen Zeit in Merseburg (Sachsen-Anhalt). Etwa 120 Nazis marschierten unter der Leitung des Vorsitzenden der Sammlungsorganisation "Die Nationalen e.V.", Frank Schwerdt kurze Zeit durch den Ort und riefen Parolen. Im Anschluß begaben sie einige der Neonazis zum Brunnenfest in Bad Lauchstädt, wo es dann zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam und rund 30 Neonazis festgenommen wurden.

17. August Trollhättan

Auch in Skandinavien kam es, wie bereits im letzten Jahr, zu einem Rudolf Heß-Aufmarsch. Nachdem die Nazis im vergangenen Jahr in Roskilde eine militante antifaschistische Abfuhr erteilt bekommen hatten, ging es dieses Jahr ins schwedische Trollhättan. Dort versuchten etwa 200 Nazis für ihren Märtyrer Heß zu marschieren. Auch Neonazis aus Deutschland waren vor Ort. Mehrere Hundert Gegendemonstranten griffen die Neonazis und ihren Polizeischutz an, woraufhin die Polizei die Gegendemonstration auseinandertrieb. Die Neonazis konnten zwar kurz marschieren aber werden Trollhättan bestimmt ebensowenig in guter Erinnerung behalten, wie Roskilde. Nach Informationen der Zeitung EXPO soll die "Nationalsocialistisk Front" (NSF) aus Karlskrona um die Neonazi Roland Zerpe und Gula Korset hinter diesem Aufmarsch gestanden haben.

Fazit

Insgesamt betrachtet war der »Aktionsmonat« für die erfolgsbedürftige neonazistische Szene eine ziemliche Pleite. Auch wenn sie zwei Aufmärsche zumindest teilweise durchführen konnten, war die Beteiligung eher peinlich. Von den anderen Aktionen war nicht viel zu merken und das Medienecho auf den von den Neonazis selbst zum Höhepunkt des Jahres hochstilisierten Heß-Todestag blieb wie in den vergangenen Jahren eher mau. Als kleiner Erfolg muß lediglich die Mobilisierung nach Merseburg bezeichnet werden. Offensichtlich ist es den in den Nationalen zusammengeschlossenen Berliner Kameradschafts-Strukturen und deren befreundeten Gruppen in Ostdeutschland gelungen mit einer nahezu internen Mobilisierung 120 Aktivisten auf die Straße zu bekommen. Zwiespältig bleibt weiterhin das Verhalten von Seiten des Staates. Obwohl im Vorfeld angekündigt worden war, jegliche Aktivitäten von Neonazis zu unterbinden und über 100 Neonazis bereits am Vormittag des 17. August festgenommen sowie zahlreiche Straßensperren errichtet worden waren, ließ man die Neonazis in Merseburg und fast eine Stunde lang auch in Worms marschieren. Nach dem Verhalten der Neonazis in den letzten Jahren hätte auch den Beamten in grün klar sein müssen, daß die Neonazis flexibel reagieren und meistens in einem Ort aufmarschieren, wo sie keine Anmeldung vorgenommen haben. Es erscheint unglaubwürdig, daß ein derart ausgebauter Polizeiapparat und die Geheimdienste mit ihren Spitzeln nicht in der Lage sein soll, zu ermitteln, wo 100 bis 200 Neonazis aufmarschieren und dort entsprechend präsent zu sein.