Interview mit antifaschistischen GewerkschafterInnen
Seit Jahren arbeitet in Berlin ein Kreis von Mitgliedern verschiedener Einzelgewerkschaften in der Gruppe »Gewerkschafterinnen gegen Faschismus und Rassismus«. Neben der Beteiligung an antifaschistischen Bündnissen geht es den Kolleginnen um die Verankerung antifaschistischer/antirassistischer Positionen im Betrieb und die innergewerkschaftliche Vernetzung aktiver Antifas. Seit 1991 erscheint vierteljährlich der »Rundbrief antifaschistischer/ antirassistischer GewerkschafterInnen« (RAG). Er ist hervorragend gemacht und »die einzige gewerkschaftliche Antifa-Zeitung weltweit« (Graeme Atkinson, Searchlight). Bestellen kann man den RAG über das DGB-Zentrum in Berlin. Im Februar 1997 sprachen wir mit Anke und Carlo über Standortdebatten, die Situation ausländischer Beschäftigter und rassistische Tendenzen in den Gewerkschaften.
»Ausgrenzungspolitik ist das Ende gewerkschaftlichen Handelns«
AIB: Der IG-Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel hat Ende Januar 1997 Äußerungen gemacht, aus denen man entnehmen kann, dass AusländerInnen eine Ursache für die hohen Arbeitslosigkeit sind. Wie steht Ihr zu diesen Äußerungen?
Carlo: Wir haben ein Flugblatt gemacht, in dem wir sagen, dass mit dieser Initiative Zwickel die Lufthoheit über die Stammtische gewonnen hat. Wir kritisieren dort vor allem drei Punkte:
Erstens spricht Zwickel pauschal von »Illegalen«, es ist ihm dabei scheißegal, ob die Leute einen Pass haben, einen Aufenthaltsstatus oder nur keine Arbeitserlaubnis. Zweitens entzieht seine Herangehensweise einem solidarischen und gemeinsamen Handeln den Boden. Drittens verdeckt er mit dem Bezug auf die ArbeitsimmigrantInnen die Strukturen, die dahinter stecken. Die Frage, wem das nützt, wird völlig ausgeklammert. Da ist selbst das Landesarbeitamt schlauer, das in einem internen Bericht schreibt, durch die Vergabepraxis seien am Ende der Vergabekette übers Unternehmen nur noch mit illegalen Praktiken Gewinne zu erzielen.
AIB: Ihr habt Euch im "Rundbrief antifaschistischer/antirassistischer GewerkschafterInnen" (RAG) auseinandergesetzt mit Wolfgang Kowalsky, einer Person, die punktuell an Distanz zu einer Publikation der »Neuen Rechten« missen lässt...
Carlo: Kowalsky hat Interviews für die rechte Wochen-Zeitung "Junge Freiheit" (JF) gegeben und damit im demokratischen Bereich und innerhalb der Gewerkschaften ein Tabu gebrochen oder versucht zu brechen, denn es gab so etwas nicht nochmal.
Kowalsky saß in der Grundsatzabteilung, die sich der damalige IG Metall-Vorsitzende Franz Steinkühler extra geschaffen hatte.1 Die gibt es bis heute, sie hat die Aufgabe, sozusagen »ins Blaue zu denken«, Politik zu formulieren. Die betreiben aber einen ganz forschen »Modernisierungs«-Kurs, wie sie das nennen. 1992, eine Woche nach dem Gewerkschaftstag, auf dem der Asylkompromiss abgelehnt wurde, wo gesagt wurde, Gewerkschaften stehen weiter gegen eine Einschränkung des Asylrechtes, haben zwei Mitglieder dieser Grundsatzabteilung ein Interview in der "Frankfurter Rundschau" (FR) lanciert, wo sie diese Position zum »verfehlten linken Politikansatz« erklären und sagen, das muss man jetzt alles anders machen. Einer von ihnen war Wolfgang Schroeder. Dieser hat für Zwickel eine Klarstellung formuliert, wo Zwickel von »sozialem Sprengstoff« spricht und dann ausdrücklich erklärt, man müsse Verständnis haben für die Konflikte, die sich daraus bezogen auf die ArbeitsimmigrantInnen ergeben. Es wäre klar, dass die getroffen werden, und dass man dafür auch Verständnis haben müsse. Das ist für uns klarer rechter Geist. Wir haben schon 1992 gesagt, dass die Mitglieder dieser Grundsatzabteilung gewählt werden müssen, sich also der demokratischen Kontrolle auf dem Gewerkschaftstag zu stellen haben, dass da nicht irgendwelche Leute mit hohen Gehältern eingestellt werden.
AIB: Aber trifft Zwickel nicht auch die Stimmung von einem guten Teil der Mitglieder der IG Metall?
Anke: Es ist nicht nur die Lufthoheit an Stammtischen jenseits der IG Metall-Mitglieder - er trifft so eine Stimmung schon. Wir waren auf einem Seminar, das wir gemeinsam mit arbeitslosen KollegInnen besucht haben, mit Positionen konfrontiert worden wie »Arbeit zuerst für Deutsche«.
Carlo: Auf dem Tisch lag der Flugblatt-Entwurf der »Jungen Nationaldemokraten« [zur Demo in Hellersdorf am 15.2.1997 unter dem Motto »Arbeit zuerst für Deutsche« - Anm. d.
Red.]. Ohne dass die das wussten, haben einige Kolleginnen das im Prinzip vorher erzählt. »Arbeit zuerst für Deutsche« haben die so gesagt, und haben dann erst hinterher gesagt:
'Oups, aber wenn Nazis das sagen, das ist aber Scheiße, da würden wir auch gegen demonstrieren. Aber eigentlich unrecht haben die ja nicht.' Eine derartige Ausgrenzungspolitik verhindert alle solidarischen und gemeinsamen Ansätze. Wenn man also versucht, Schuldige zu finden und die dann als Beschäftigte an den Pranger stellt, dann ist das eigentlich das Ende von gewerkschaftlichem Handeln.
AIB: Leistet die Gewerkschaft nicht durch ihre »Standortpolitik« solchen Tendenzen Vorschub?
Carlo: Ideologisch ist es eine Linie von der Verteidigung des Standortes hin zu unsolidarischem Verhalten gegenüber Leuten, die hier herkommen, um Erwerbsarbeit zu machen. Nun sind natürlich nicht die Gewerkschaften diejenigen, die die Standortdebatte losgetreten haben, aber sie tragen sie mit, und sie halten auch nicht mehr ideologisch dagegen.
Bei dem spanischen Fernfahrerstreik im Februar hat ein führender Betriebsrat von Opel verkündet, dass er im Wirtschaftsausschuss dafür plädieren wird, dass alle Fertigungsaufträge, die in Spanien vergeben sind, nochmal in aller Form hier in Deutschland vergeben werden, damit sich Opel nicht von Produktionsausfällen durch streikende Fernfahrer in Spanien abhängig macht. Das ist ein Interessenvertreter, der praktisch auch die konsequente Linie weiterverfolgt. Unter den Funktionären der IG Metall ist es aber noch nicht die Mehrheitsposition, tatsächlich auch Kolleginnen, Beschäftigte auszugrenzen. Ganz viele sind einfach überfordert mit einer Situation von Zwängen im Betrieb, mit einer ganz konkreten Bedrohung durch Fertigungsverlagerung. Zumindest ideologisch wird das von ganz vielen aber noch nicht getragen.
Anke: Die Standortdebatte in den Gewerkschaften ist eher ein Umsetzen von Betriebspolitik von unten nach oben. Es wird gesagt, wir wollen die Arbeitsplätze in dem Betrieb, wo wir Betriebsräte sind, möglichst halten. Dann geht es eben um den Standort Berlin, den Standort Spandau. Die Beschlussfassung der Gewerkschaftstage geht eigentlich noch in eine andere Richtung.
Die Gewerkschaften setzen dem aber praktisch überhaupt nichts mehr entgegen, und das bedeutet irgendwann: Verlust von Handlungsfähigkeit.
AIB: Ihr hattet die Thematisierung der Standortfrage durch die Gewerkschaften auch in einer Ausgabe des RAG behandelt. Welche Kritik habt Ihr daran?
Anke: Wir kritisieren den Verlust von Ideen von gemeinsamen Kämpfen. Also Kräfte über das zu mobilisieren, was eigentlich gewerkschaftliches Grundprinzip ist: solidarisch gemeinsam kämpfen gegen das Kapital, oder gegen den einzelnen Unternehmer. Das geht komplett verloren zugunsten einer Position »gemeinsam mit dem Unternehmer kämpfen gegen die Verlagerung woanders hin«. Das muss nicht Ausland sein, das kann auch eine andere Stadt sein - siehe die Auseinandersetzungen zwischen Vulkan Bremen und Vulkan Rostock. Aber das geht auch natürlich - und dann schnell mit rassistischen Sprüchen - gegen Verlagerung ins Ausland.
Carlo: Es gibt keine Diskussion mehr um Mindeststandards bei Arbeitszeit, bei Lohn, bei Arbeitsschutz, bei Unfallverhütung, bei Rationalsierungsschutz usw. Das war eigentlich, vom Selbstverständnis der Gewerkschaften her, eine gestalterische Aufgabe, mit ihrer Losung »Gegenmacht«. Das wird aufgegeben mit dem Hinübertreten zur Position »Co-Manager der AG Deutschland«.
AIB: Ist nicht die vermehrte Konkurrenz in den Betrieben mitverantwortlich für einen verstärkten Rassismus?
Carlo: Beim "Bosch-Siemens-Hausgeräte-Werk" (BSHG) in Berlin-Spandau ist das gerade konkret zu beobachten. Es steht eine Verlagerung von Arbeitsplätzen in großem Umfang an, eine Modernisierung der Fertigung. Ganz viele von den klassischen Montage-Arbeiten fallen weg, wo auch Un- und Angelernte beschäftigt waren. Das ist »sachlich-neutral nachvollziehbar«, sozusagen, für alle, dass eben auch die Arbeitsplätze am Band wegfallen. Das sind eben viele ausländische, viele türkische KollegInnen. Damit verändert sich die ganze Struktur von dem Betrieb.
Die Geschäftsleitung geht jetzt gerade mit verschiedenen Initiativen gegen die Kranken vor, zahlt auch Abfindungssummen. Sie geht ganz rigide daran, die Verwertbarkeit von Menschen in den Vordergrund zu stellen, also sich da ihre Mannschaft fit zu machen. Nach den »sachlichen« Kriterien, wie das da stattfindet, diskutiert niemand darüber, dass das darauf hinausläuft, die "Ausländerquote" bei BSHG zu senken. Die würden alle tief betroffen sein über einen Rassismusvorwurf. In der Diskussion um die neue Arbeitsorganisation in der Fertigung, oder auch um das Einlassen auf eine neue Betriebsorganisation, - dass also auch Gewerkschaften sagen, ist ja toll, schlanker, da gibt es dann auch mehr Mitgestaltungsspielraum für die Beschäftigten - fällt einfach runter, mal zu gucken: wie viele Meister gibt es denn eigentlich, die nicht Deutsche sind, wie viele Ingenieure. Also sich einfach mal die Struktur von so einem Betrieb anzugucken, und wer da eigentlich jetzt ausgegrenzt wird. Es wird nichts daran gesetzt, da tatsächlich gleiche Bedingungen zu schaffen.
AIB: Wie kann das passieren? Es sind doch auch viele ArbeitsmigrantInnen in den Gewerkschaften organisiert. Werden deren Interessen übergangen, werden deren Interessen nicht geäußert? Gibt es diesen Rassismus innerhalb der Gewerkschaften, gibt es Diskriminierung?
Anke: Es gibt bestimmt auch Diskriminierung in den Gewerkschaften. Es gibt z.B. nicht besonders viele politische SekretärInnen, die nicht Deutsche sind. Es gibt immer noch einen Status als »Spezialgruppe«.
Die Gewerkschaften fallen einfach drauf rein, auf diese Logik von »Co-Management«, »wir wollen gestalten«. Die Co-Manager in der Gewerkschaft finden diese Organisation von »lean production« klasse, weil versucht wird. Arbeitsabläufe »eigenständig« zu organisieren. Dabei fallen dann Sachen hinten runter. Insgesamt ist so eine Art »Modernisiererei« auch in den Gewerkschaften festzustellen. Es geht nicht mehr hauptsächlich darum, die Interessen der Organisierten zu vertreten, sondern »mitzugestalten«. »Lean production«, »Verschlankung« bedeutet strukturell das Ausgrenzen von schlechter ausgebildeten Leuten, und das sind hier in der Regel Nicht-Deutsche.
Carlo: Was fehlt, ist eine Selbstorganisierung. Es gibt einen Ausländerausschuss, da können dann alle möglichen Ausländer sich zusammenfinden und Beschlüsse einbringen, aber es gibt auf keiner Ebene eine Selbstorganisierung von ArbeitsmigrantInnen. Nicht im Betrieb, nicht auf Bezirks- oder Landesebene, und das wirkt sich einfach aus. Die Interessen von den Leuten wird erst mal keiner vertreten oder auch nur so formulieren. Das war kurzfristig anders nach dem Brandanschlag von Solingen, wo auch die »Kumpels« aufgetreten sind und gesagt haben: »Wir werden jetzt nicht mehr die Artigen und Lieben sein, wir werden unsere Forderungen formulieren«. Aber leider ist das dann wieder in die Gremien und in den Alltag abgetaucht. Es gibt nur wenige Ausnahmen, wo Selbstorganisierung auch wirklich funktioniert. Da ist das BSHG ein Beispiel dafür, wo das immer mal wieder gelingt, und wo auch die IG Metall immer mal wieder ein bisschen überfordert ist, weil da auch spontane Kampfhandlungen von der Belegschaft ausgehen, und überwiegend auch von den nicht-deutschen Beschäftigten.
AIB: Im RAG Nr. 17 war von einem Konflikt mit der "IG BAU"2 zu lesen. Erzählt doch mal was dazu.
Carlo: Klaus Schröder, der Geschäftsführer im Bezirk Süd-West der IG BAU Berlin hat im letzten März in einem Offenen Brief von »Parasiten« gesprochen und das auf die Nicht-Deutschen Beschäftigten bezogen.3 Der war da sozusagen der Stoßtrupp, ist dann auch nicht geschützt worden. Interessant ist, dass der jetzt mit abgesicherter Altersversorgung im Vorruhestand ist, der ist also nicht gekündigt, sondern nur »politisch nicht mehr tragbar«.
Was es aber auch gibt, sind Baustellenabriegelungen: Auf ihrem großen Aktionstag in Magdeburg im letzten Jahr hat die IG BAU eine Baustelleneinkesselung gemacht, wo sie gesagt haben, da sind ganz viele illegale oder nicht-deutsche Arbeiter. Da wird ja auch immer viel durcheinandergebracht, selbst Leute mit legalem Aufenthaltsstatus werden ja rapp-zapp zu Illegalen erklärt, weil sie vielleicht da ohne Arbeitspapiere arbeiten. Der Begriff hat ja schon den Hintergrund, zu kriminalisieren, also nicht mehr zuzulassen, daß diese Leute Erwerbsarbeit machen.
AIB: Hat Euer Einschreiten gegen diesen IG BAU-Funktionär was gebracht?
Anke: Letztendlich ist er nicht mehr IG BAU-Funktionär. Es hat einen ziemlichen Rummel gegeben, viele Fernsehsender haben darüber berichtet, in den Zeitungen stand es - die IG BAU musste schon darauf reagieren. Es ist nicht so, dass die auf solche Veröffentlichungen mit Schulterzucken reagieren: so ganz offenen Rassismus wollen die sich nicht leisten.
AIB: Löst so was Diskussionen innerhalb der IG BAU aus?
Carlo: Innerhalb der IG BAU ist das für uns schwer nachvollziehbar, weil wir da keine Kontakte haben. Die IG BAU muss sich innerhalb der Gewerkschaften der Diskussion stellen und sagt für sich ja auch, dass sie da eine Art Vorreiterrolle spielen, und sie davon ausgehen, dass eine solche Konfrontation, als Gewerkschaft praktisch Abschottungspolitik machen zu müssen, auch die anderen Gewerkschaften betreffen wird. Sie formulieren das selber so, dass sie da Speerspitze sind.
Es gibt an vielen Stellen und in vielen Städten inzwischen Diskussionen über diese Position innerhalb der IG BAU: nicht mit den [ausländischen] Bauarbeitern für gemeinsame Mindeststandards zu streiten und für korrekte Arbeits- und Wohnbedingungen, sondern die der Polizei auszuliefern.
AIB: Danke für das Gespräch.
- 1
Dr. Wolfgang Kowalsky war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin und Referent für Grundsatzfragen beim 1. Vorsitzenden der IG Metall.
- 2
IG BAU steht für "Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt".
- 3
Vgl. taz vom 16.4.1996 ("Parasiten" bauen von Uwe Rada): "In einem offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) spricht der Geschäftsführer des Bezirksverbands, Klaus Schröder, von illegalen Bauarbeitern, Kontingentarbeitern und EU-Billiglohnarbeitern als einem „Sud“, der „nicht mehr überblickt“ werden könne und der dazu führe, daß „Berliner Bauleute“ zu Arbeitslosengeld- und Sozialhilfeempfängern abgestürzt seien. Durch die „Duldung der Parasiten“ und die „nicht konsequente Anwendung unserer Gesetze“, schlußfolgert Schröder, „ist unsere so mühsam aufgebaute Demokratie in Gefahr“. In dem Schreiben vom 13. März, das die DGB-Arbeitsgruppe „GewerkschafterInnen gegen Rassismus und Faschismus“ gestern öffentlich machte, heißt es weiter, daß Polizei, Grenzschutz, Zollbehörden und die verantwortlichen Ämter „gebündelt auf dieses ,Krebsgeschwür‘ angesetzt und verpflichtet werden zu helfen, damit unsere Baustellen wieder ,sauber‘ werden."