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Völkische Einheitsfront? - Eine aktuelle Betrachtung der NS-Bewegung

Einleitung

Anfang Februar 1997 ermordeten neonazistische Jugendliche den 17jährigen Frank Böttcher in Magdeburg. Am 23. Februar 1997 erschießt der Berliner Neonazi Kay Diesner, Anhänger des "Weißen Arischen Widerstandes", bei einer Routinekontrolle den Polizisten Stefang Grage. Drei Tage zuvor unternahm er bereits einen Mordversuch in Berlin-Marzahn. Dabei verletzte Diesner den linken Buchhändler Klaus Baltruschat mit einer Pumpgun lebensgefährlich. Mit 5.000 Teilnehmern richtete die NPD und ihre Jugendorganisation JN am 1. März 1997 in München den größten Aufmarsch der NS-Szene seit Anfang der 70er Jahren aus. Die Vehemenz der Ereignisse, mit der sich Neonazis zu Beginn des Jahres in die Öffentlichkeit gedrängt haben, scheint auf den ersten Blick erdrückend und überraschend. Dennoch sind sie das Produkt einer langjährigen Entwicklung, deren Auswirkungen nun offensichtlich werden.

NPD Leipzig 1998
(Foto: Christian Ditsch)

An der Basis geeint

»Für rechtsextremistischen Terrorismus in Berlin gibt es gegenwärtig keinen Nachweis. (...) Die Parteien des organisierten Rechtsextremismus befinden sich in Berlin, wie im gesamten Bundesgebiet deutlich im politischen Abwind«1, so das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz im Dezember 1996. Stellt sich die Frage, wo rechtsextreme Terroristen wie Diesner oder 5.000 Neonazis vor dem Münchener Rathaus nur wenige Monate später herkommen?

In den letzten Ausgaben des AIB haben wir bereits eingehend über den seit 1993 andauernden Umstrukturierungsprozess der neofaschistischen Szene berichtet. Dennoch wollen wir diesen nochmals kurz umreißen, da hier einige der Ursachen für den gegenwärtigen Stand des deutschen Neofaschismus zu suchen sind. Nach der staatlichen Repression und den Verboten mehrere NS-Parteien und NS-Gruppen haben sich diese neu konstituiert. Dabei war und ist eine verstärkte Zusammenarbeit ehemals konkurrierender Zusammenhänge zu beobachten. Als Ergebnisse dessen haben wir es mit einer Struktur zu tun, die zumindest was ihre Mobilisierungsfähigkeit anbelangt, an der Basis geeinigt ist. Wir gehen daher von einer NS-Bewegung aus. Diese agiert sowohl arbeitsteilig als auch projektbezogen und zu verschiedenen Großereignissen gemeinsam, über ideologische Widersprüche hinweg, auf der Grundlage identischer Interessen. Ihre programmatische Ausrichtung beruht auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, wie ihn unter anderem Steffen Hupka2 in der jüngsten Ausgabe von der JN-Zeitschrift "Einheit und Kampf" formuliert: »Es geht also gar nicht darum, ob sich jemand als Nationalsozialist, Nationaldemokrat oder sonstwie bezeichnet. Es geht aber um die inhaltliche Übereinstimmung in der Beurteilung der politischen Situation und unserer wichtigsten weltanschaulichen Erkenntnisse und politischen Ziele«3 Vor diesem Hintergrund organisiert sich die NS-Bewegung vor Ort in scheinbar unabhängigen Kleingruppen, welche von regionalen Kadern geleitet werden. Sie entsprechen konzeptionell dem Aufbau einer Zellenstruktur, wie sie quer durch alle Fraktionen des NS-Spektrums seit längerem propagiert werden. So wurde etwa in dem richtungsweisenden Buch "Funkenflug", von Jürgen Riehl4 1994 dazu aufgerufen, sich weniger an Parteistrukturen zu orientieren. Im Ergebnis bestehen inzwischen flächendeckend über Deutschland verteilt zellenorientierte Zusammenhänge.

Diese treten etwa, wie in den Berliner Bezirken, Treptow, Moabit, Köpenick, Marzahn oder Friedrichshain, als nationalsozialistische "Kameradschaften" auf. Nicht selten bestehen diese Gruppen aus Mitgliedern verbotener Organisationen oder werden von führenden NS-Kadern geleitet. So wird in dem "Schulungsbrief", einer Publikation aus dem Kreis der "Kameradschaft Treptow" um den ex-FAP-Aktivisten Detlef Nolde (vormals Cholewa) und dem Verein "Die Nationalen" um Christian Wendt und Frank Schwerdt, mit Insiderwissen berichtet: »Die Pohl-Fraktion organisierte sich nach Spaltung und NF-Verbot im sogenannten Förderwerk Mitteldeutsche Jugend (FMJ), bzw. der (...) Kaderorganisation Sozialrevolutionäre Arbeiterfront (SrA) sowie (...) in der Direkten Aktion Mitteldeutschland (JF)«5 Der Charakter der jeweiligen "Kameradschaft" oder Kaderzelle ist vor allem an Zielgruppen orientiert oder von strategischen Überlegungen geprägt. Als Beispiel dienen hier Organisationsformen, wie die der deutschen "Blood & Honour" Sektionen aus dem subkulturellen Spektrum der Neonazi-Skins. »Gelingt es uns (...) mit der nötigen Entschlossenheit und Ernsthaftigkeit, eine nicht angreifbare, gut vernetzte Bewegung von unabhängig agierenden Gruppen zu werden, so wird uns das Schicksal den Sieg nicht versagen.«6 Mit einem so gestalteten Netzwerk ohne offiziellen Parteiüberbau beugt die NS-Bewegung etwaigen Verboten bereits im Vorfeld vor.

Sammelanschrift »Junge Nationaldemokraten«

Konzeptionell gefördert wurde diese Organisierungsform trotzdem auch durch die NPD-Parteijugend "Junge Nationaldemokraten" (JN). Mit der Veröffentlichung von Texten, Marke »Schafft Befreite Zonen« und »Wie organisieren«, hat die JN frühzeitig versucht, sich an die Spitze des Neustrukturierungsprozesses zu stellen.7 Als bundesweit legal organsierte Gruppe dient sie der NS-Bewegung als Auffangstruktur und offizelle Plattform. Sie bietet den Rahmen für breit getragene Projekte, wie die Zeitschrift "Einheit und Kampf", mehrere "Nationale Infotelefone" (NIT) oder Neonazi-Mailboxen.

Daneben tritt sie als Mit-Organisator für Massenveranstaltungen, wie den "Rudolf Hess-Gedenkmarsch" oder die »Demonstration des nationalen Widerstands« gegen die "Wehrmachtsausstellung" des "Hamburger Instituts für Sozialforschung" in München auf. Getragen werden derartige Aufzüge jedoch von der gesamten NS-Bewegung. So koordinierten auch Führungskader des gesamten Spektrums, wie der Kronacher GdNF-Kader Kai Dalek oder der Ex-FAP Bundesgeschäftsführer Siegfried Borchardt, neben JN-Kadern die Anreise zum "Heß-Marsch" in Worms über ihre Funktelefone. Im Fall des Münchner Aufmarsches wurden bereits Monate vorher von nahezu jeder neofaschistischen Publikation Mobilisierungsflugblätter verschickt oder mit Anzeigen wie in der Vertriebenenzeitung "Der Schlesier" dafür geworben.

Programmatik und Mobilisierung

Zusammengefasst besteht die NS-Bewegung derzeit im Wesentlichen aus einer Vielzahl regionaler Kameradschaften, Kaderzellen und einem offiziellen Wasserkopf in Form der "Jungen Nationaldemokraten" samt ihrer Mutterpartei, der NPD. Zusammengehalten wird sie durch regionale Kader vor Ort unter Federführung personenbezogener und überfraktioneller Kreise aus Führungskadern. Ergänzt wird das Spektrum durch Schanierorganisationen wie die "Deutsche Kulturgemeinschaft" (DKG), den "Freundeskreis Ulrich von Hutten", die "Gesellschaft für freie Publizistik" oder die Publikation "Nation und Europa". Von dort kommen in der Regel wesentliche programmatische Impulse.

Durch die Verbreitung von Zeitschriften mit Massenauflagen werden die programmatischen Vorgaben breit in der Szene vermittelt und versucht, in die Gesellschaft zu tragen. So ercheinen Publikationen des "Nationaler Medienverbund" wie die "Berlin Brandenburger Zeitung" nach eigenen Angaben angeblich mit mehreren 10.000 Exemplaren. Die JN-Postille "Einheit und Kampf", neuerdings mit vierfarbigem Hochglanzumschlag, hat ihre Auflage angeblich auf 3.000 erhöht.8 Auch die "Freie Stimme"9 aus Bad Berleburg kann zu den NS-Blättern mit breiter Wirkung in die NS-Szene gezählt werden. Sie wird aus dem Kreis der "Sauerländer Aktionsfront" (SAF), einer Gruppierung aus den Reihen der GdNF, mit einer Auflage von angeblich 6.000 Exemplaren vertrieben. Ergänzt werden diese Schriften durch Publikationen der neofaschistischen Jugendsubkultur, wie "Rock Nord" aus Düsseldorf mit einer Auflage von angeblich mehr als 15.000 oder den "Hamburger Sturm" aus dem Dunstkreis der verbotenen "Nationalen Liste".

Der Fall Diesner und der "Werwolf"

Neben dem Aufbau einer legalen Organisationsform legten die Neonazis eben soviel Anstrengungen in die Etablierung einer Terrorstruktur. Dem Konzept »Eine Bewegung in Waffen« ist zu entnehmen, dass sich der »legale Arm» und der »illegale Arm« der nationalsozialistischen Bewegung gegenseitig ergänzen und »dem Willen der leitenden Intelligenz (...), der Organisationsleitung« unterworfen sein sollen. Wie passt der Neonazi Kay Diesner in dieses Bild?
Bereits vor zwei Jahren berichteten wir über den Aufbau des "Werwolf" in Berlin. »Eine Keimzelle des Werwolfs (...) ist die Gruppe Weißer Arischer Widerstand (WAW), die den NS-Denkzettel verbreitet. Der N(atur) S(chutz) Denkzettel beinhaltet Anleitungen zum bewaffneten Kampf und wird nur an ausgewählte Leute verteilt.«10 Diesner war, wie inzwischen bekannt wurde, Anhänger des WAW, in dessen Rahmen er geschult wurde. Bereits damals gab der ehemalige Chef der Neonazi-gruppe "Nationale Alternative" Ingo Hasselbach, der laut "Der Spiegel" Diesner ausgebildet haben will, Auskunft über die Terrorschulungen. »Meistens fanden sie im Rahmen von Wehrsportübungen statt. Da haben wir paramilitärische Übungen gemacht, Schießen, Weitwurf und diesen Quatsch samt Exerzieren.«11 Bestritt Hasselbach nach Erscheinen des Interviews in der österreichischen Zeitung NEWS seine Aussagen, kann er sich heute anscheinend wieder besser erinnern: »Ich fühle mich verantwortlich und habe wahnsinnige Angst, dass andere Leute (...) durchdrehen.«12 

"Wewolf"-Aktivisten werden als »Schläfer« ausgebildet, die dann aktiv werden, wenn »das System mittels Repressionsapparat die Bewegung gezielt oder in einer Art Paniksituation mit Gewalt zu zerschlagen versucht, (dann) ist für den Werwolf die Legitimation gegeben, d.h. er darf sich aller zur Vernichtung des Systems geeigneten Mittel bedienen.»13 Auch wenn momentan erst ein Teil der Bedingungen für das Losschlagen des "Werwolfs" gegeben ist - beispielsweise ist die NS-Szene noch nicht stark genug, um dies in den Augen der Autoren von »Eine Bewegung in Waffen« zu rechtfertigen - erscheint die Tat Diesners, der sich in einer »Notwehrsituation« gegenüber dem Staat gesehen haben will, in einem anderen Licht. Er ist, als einer der offensichtlich als »Schläfer« ausgebildeten, nach den Ereignissen in Berlin-Hellersdorf14 durchgedreht und hat sein Wissen ohne Anweisung von oben in die Tat umgesetzt. Da es in den Terrorstrukturen der Neonazis an derartigen Personen nicht mangelt, muss für die Zukunft damit gerechnet werden, dass weitere dieser "Zeitbomben" vorzeitig explodieren, auch wenn für Aktivitäten der gesamten Terrorstruktur derzeitig noch nicht die Situation da ist. Fraglich ist auch wie bindend ältere Konzeptionen überhaupt für jüngere militante Neonazis noch sind. Für eine Eskalation jenseits alter Konzepte und ohne Befehl von oben spricht neben den Ereignissen um Diesner auch die Tatsache, dass sich die Neonazis im Aufwind befinden, was sich wiederum darin niederschlägt, dass die Anzahl der bekannt gewordenen Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund in den Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen wieder angestiegen ist.

V-Leute - Ein Problem der inneren Sicherheit?

Dennoch zeichnen verantwortliche Behördenvertreter, wie der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Peter Frisch, auch nach dem Fall Diesner ein anderes Bild. »Zur Zeit gibt es keine konkreten Anhaltspunkte dafür, daß in Deutschland rechtsterroristische Strukturen bestehen.«12 Erschreckender wird Frischs Analyse jedoch vor dem Zustand, dass laut "Der Spiegel"15 kaum eine Szene so von V-Leuten des Staats- und Verfassungsschutzes durchsetzt sei, wie die Rechte. Über deren Wirken in terroristischen Neonazi-Strukturen gibt es eine Kette von Belegen, die den Schluss zulassen, dass es hierdurch in Deutschland tatsächlich ein Problem der »Inneren Sicherheit« gibt. Über dessen Verortung lassen Beispiele wie die VS-Mitarbeiter Bernd Schmitt16  aus Solingen und Peter Schulz aus Detmold kaum einen Zweifel. Schulz war Mitglied der "Nationalistischen Front"17 und hat die Wehrsportgruppe "Heimatschutzkorps Ostwestfalen" mit aufgebaut. Nach seinen Angaben geschah dies auf Anweisungen von Garry Lauck, dem Leiter der Auslandsorganisation der NSDAP/AO. Desweiteren räumte Schulz die Existenz von ca. zehn weiteren "Wehrsportgruppen" u.a. in Wittenberg, Baden-Württemberg und im Berliner Umland ein, die auf den "Werwolfkampf" vorbereitet werden sollten.18 Keine "konkreten Anhaltspunkte" oder nur »Psychopaten«, die sich »gelegentlich« in der Neonazi-Szene »rumtreiben«, wie sie der stellvertretende Leiter des Verfassungschutzes in Brandenburg Jörg Milbradt ausgemacht haben will?12 

Der Fall Diesner zeigt erneut auf, dass die neofaschistische Bewegung über einen terroristischen Arm verfügt. In kaderorientierten und vernetzten Strukturen werden die »Aktivisten« ausgebildet. Wann, wo und wie diese agieren, hängt von der vorgegebenen Zielrichtung ab. An dieser wird von neofaschistischen Führungskadern momentan verstärkt gearbeitet. So mehren sich die Aufrufe, das politische System der Bundesrepublik zu zerschlagen, wie beispielsweise durch den Bundesvorsitzende der JN: »Kameradinnen und Kameraden, in Zeiten staatlicher Repression muß es Aufgabe aller (...) Nationalisten sein, für wirkungsvolle politische Veränderungen in diesem so freiheitlichen Rechtsstaat BRD zu kämpfen. (...) Wichtig ist der gemeinsame politische Grundkonsens zur Überwindung des gemeinsamen Feindes - des politischen Systems der BRD.«19 Ein wesentliches Ziel der "Werwolf"-Strategie ist es, in sozialen und anderen gesellschaftlichen Konflikten zur Destabilisierung des Systems beizutragen. Er soll parallel zur Propagandaarbeit der »legalen« NS-Strukturen als ergänzendes Element wirken.

Die soziale Frage als konsensfähiges Thema

Die soziale Frage als konsensfähiges Thema gewinnt im Zuge gesellschaftlicher Spannungen und Veränderungen für die Agitation der NS-Bewegung an Bedeutung. Fristete sie bis her hinter den traditionellen (neo)faschistischen Inhalten Rassismus, Nationalismus, Revanchismus und Revisionismus ein Schattendasein, scheint sie oberflächlich betrachtet an Bedeutung zu gewinnen. Unter dem Slogan »Sozialabbau stoppen - Massenarbeitslosigkeit bekämpfen« zogen am 1. Mai vergangenen Jahres unter Federführung der JN 300 Neonazis durch Berlin-Marzahn. Der als »Erfolg für den nationalen Widerstand« in der NS-Bewegung gefeierte Aufmarsch brachte eine scheinbare thematische Neuorientierung der Nazis erstmals auf die Straße. Seither stellen sie die »soziale Frage« vermehrt in den Mittelpunkt ihrer Agitation. Ähnlich der Forderung des österreichischen Rechtsaußen Jörg Haider, sich auf die positiven Seiten der Beschäftigungspolitik des »Dritten Reichs« zu besinnen, versuchen sie mit populistischen Phrasen wie »deutsche Arbeitsplätze für Deutsche«, in der Gesellschaft Fuß zu fassen. Rassismus ist auch hier der Hebel der neofaschistischen Argumentation. »Und dann die Einwanderung, die legale und die illegale. Niemand weiß so recht, wie viele Ausländer schon unter uns weilen. Immerhin 2,1 Millionen von ihnen besetzen deutsche Arbeitsplätze, die große Masse lebt aus anderen Versorgungsquellen«.20 hetzt Harald Neubauer in dem programatischen Sprachrohr der NS-Bewegung "Nation und Europa". Die Lieferung scheinbar Schuldiger für bestehende wirtschaftliche Probleme und das Schüren von Sozialneid dienen den Neonazis zur Polarisierung. Nachdem Rassismus, zentral aufgezogen an dem Thema Asyl, bisher als Mittel diente, Einfluss zu erringen, folgt jetzt das Thema Arbeitslosigkeit. Hinter dem Schlagwort »soziale Frage« verbirgt sich nichts Neues. Diente ihre Thematisierung der NSDAP bis
zur Machtübergabe lediglich als taktisches Element, um Boden in der Arbeiterbewegung gut zu machen, hat sich heute kaum etwas daran geändert. Die extreme Rechte steht, abgesehen von inhaltlich differenzierenden Schattierungen ihrer Argumentationen, im Kern für kapitalerhaltende Muster. Einer antikapitalistischen Lösung und der Überwindung der Klassengesellschaft werden Modelle der Volksgemeinschaft oder eines bäuerlichen Agrar- oder Ständestaats entgegengehalten.

Eine interessante Randerscheinung ist, dass anhand dieses Themas auch wieder verstärkt Streitereien innerhalb der NS-Bewegung auftreten. Dabei verläuft die Linie der Kontrahenten einerseits zwischen dem "nationalrevolutionären" Flügel der JN, um Personen wie Andreas Storr und Jan Zobel und andererseits um sogenannte Hitleristen wie Christian Wendt oder Christian Worch. Ausgelöst wurde dies vor allem durch die Schrift »Progressiver Nationalismus contra Nationalsozialistische Polemik« des NIZ-Verlag um André Goertz und Jan Zobel.
Höhepunkt der Auseinandersetzung war bisher der Ausschluss der »Nationalrevolutionäre« aus dem Bundesvorstand der JN. Dies zeigt jedoch lediglich, dass sich innerhalb der NPD-Jugendorganisation der offen als Nationalsozialisten auftretende Flügel durchgesetzt hat. Dennoch ist dieser Konflikt wohl mehr als Nebensächlichkeit zu bewerten, maschierten in München doch beide Seiten gemeinsam auf derselben Veranstaltung.

Unterm Strich

Unterm Strich wird die neofaschistische Agitation um das Thema der sozialen Frage zunehmen. Die Gefahr dabei liegt weniger darin, dass sich Neonazis als ernstzunehmende und wählbare politische Alternative profilieren können, als dass sie das gesellschaftliche Klima von rechts Außen anschieben. Die Folgen einer Überschneidung der Interessen zwischen Neonazis mit etablierten politischen Parteien waren bereits anhand der Pogrome und der faktischen Abschaffung das Grundrechts auf Asyl zu sehen.

Bei einer Wiederholung anhand des Komplexes der »sozialen Frage« wären diese gravierend, zumal die NS-Bewegung inzwischen über gefestigte und breitere Strukturen verfügt als noch 1989. Wie viele Anhänger jene Strukturen mobilisieren können, hat sich in München gezeigt. Auch hier standen ihnen in Form der CSU und deren Rechtsausleger Peter Gauweiler honorige Kreise, zumindest verbal, inhaltlich zur Seite. Die CSU-Parteizeitung "Bayernkurier" sprach im Kontext der Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944« von einem »Vernichtungsfeldzug gegen das deutsche Volk«. Kein Wunder, wenn Gruppierungen wie die NPD im Aufwind stehen und versuchen, mit der Thematisierung der sozialen Frage erneut Brücken in die Gesellschaft zu bauen. »Für das kommende Jahr hat die NPD in Abstimmung mit der JN inzwischen beschlossen, nicht mehr am Tag einer imaginären »deutschen Einheit«, sondern als Partei der wirtschafts- und sozialpolitschen Erneuerung das bundesweite Deutschlandtreffen am 1. Mai, dem Tag der Arbeit durchzuführen.«21 Dementsprechend versucht sie, den 1. Mai zu einem zentralen »Aktions- und Kampftag des gesamten nationalen Widerstands«" zu instrumentalisieren und beginnt mit der Mobilisierung der Anhängerschaft nach Leipzig.

  • 1

    Durchblicke. Rechtsextremistische Bestrebungen in Berlin, Hg. Landesamt für Verfassungsschutz, 4. Jg., 1997, Berlin, S.11

  • 2

    Hupka war Führungskader der verbotenen »Nationalistischen Front«, nach deren Spaltung betätigte er sich in der Leitung der NF-Nachfolgestruktur um Andreas Pohl. Inzwischen ist Hupka Mitglied Im Bundesvorstand der JN.

  • 3

    Steffen Hupka »Grundlage für eine Aktionseinheit aller Nationalisten«, in »Einheit und Kampf«, Aufruhr-Verlag GbR, Hg. Markus Privenau, Ausgabe 17, Januar 1997, Bremen, S.22

  • 4

    Bei Jürgen Riehl handelt es sich mutmaßlich um ein Pseudonym, hinter dem der Hamburger Neonazi-Rechtsanwalt Jürgen Rieger steht. (siehe AIB Nr. 33, Februar/März 1996, S.8)

  • 5

    Der Schulungsbrief - Blätter zur nationalen, sozialistischen Weltanschauung, Hg. »Völkisscher Freundeskreis Berlin«, Nr. 14, 1995, S.7

  • 6

    »Blood & Honour«, (deutsche Ausgabe) Nr.2, 1996. S.15

  • 7

    Siehe AIB Nr.35, Juli/August 1996

  • 8

    »Einheit und Kampf» wird inzwischen durch den »Aufruhr-Verlag« um den ehemaligen Schriftleiter der »HNG-Nachrichten« Markus Privenau aus Bremen herausgegeben.

  • 9

    Bei der Publikation »Freie Stimme« handelt es sich quasi um eine Art Nachfolgezeitschrift von »Die neue Front«, die vormals illegal durch die »GDNF« vertrieben wurde.

  • 10

    AIB Nr.30, Juni/Juli 1995, S.7

  • 11

    AIB Nr.30, Juni/Juli 1995, S.8

  • 12a12b12c

    Der Spiegel, Nr.10/1997, S.33

  • 13

    »Eine Bewegung in Waffen«

  • 14

    Eine Versammlung der JN wurde von Antifas angegriffen und verhindert.

  • 15

    Der Spiegel, Nr.10/1997, S.34

  • 16

    Schmitt war für das Landesamts für Verfassungsschutz in NRW tätig. Er leitete die Kampfschule Hak-Pao, in der Jugendliche zusammen mit Neonazis geschult und ausgebildet wurden. In diesem Rahmen gründete er den "Deutschen Hochleistungs Kampfkunstverband" (DHKKV), welcher nach den Vorstellungen des NF-Bundesvorsitzenden Schönborn eine Securitygruppe werden sollte. Der DHKKV war fast identisch mit den von Schönborn geplanten "Nationalen Einsatz Kommando".

  • 17

    In den Unterlagen aus dem Parteiarchiv der NF von Schönborn befindet er sich auf der Liste mit dem »Code 88«, welcher als Kürzel für die militant agierende Struktur der NF gelten soll.

  • 18

    Antifaschistische NRW-Zeitung, Ausgabe 12, Herbst 1996, S.4

  • 19

    »Einheit und Kampf«, Aufruhr-Verlag Gbr, Hg. Markus Privenau, Ausgabe 17, Januar 1997. Bremen, S.5

  • 20

    Harald Neubauer in »Nation und Europa«, 47. Jahrgang, Heft 3, März 1997, Coburg, S.9

  • 21

    »Einheit und Kampf«, Aufruhr-Verlag Gbr, Hg. Markus Privenau, Ausgabe 17, Januar 1997, Bremen, S.9