Sozialarbeit mit rechten Jugendcliquen
Die Betreuung rechter Jugendcliquen durch SozialpädagogInnen, das Schaffen von Räumlichkeiten eigens für diese Projekte und die enorme finanzielle Förderung von bundesweiten Programmen, wie dem »Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt«, kurz AgAG, das alles steht seit Ende der 80er Jahre ganz oben auf der Liste staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung des »Rechtsextremismus« (vgl. AIB Nr. 21).
Heitmeyer & Co in der Praxis
Rassistische Brandanschläge, damals zu hauf in den Medien und in der Öffentlichkeit diskutiert, wurden schnell zu einem »Jugendproblem«.
Diejenigen, die ausschließlich Jugendliche als Urheber neonazistischer Gewalt ausmachten und die dazu gehörigen Gründe in fehlender Orientierung (das bedeutet zum Beipiel Wegbrechen der gewohnten Alltagsstrukturen in der Ex-DDR, Arbeitslosigkeit, kaputte Familienverhältnisse und eingebildete »Übervorteilung« durch Ausländerinnen/Flüchtlinge) sahen, wie der Sozialpädagoge Wilhelm Heitmeyer (vgl. AIB Nr. 37), der Politologe Claus Leggewie oder der Sozialpädagoge Krafeld, bekamen schnell Oberwasser.
Sie lieferten, trotzdem sie teilweise aus dem »linkerem« Spektrum der Hochschulen kamen, Erklärungen, die der Öffentlichkeit genehm waren und schnell aufgenommen wurden, weil sie die gesellschaftlichen Hintergründe neonazistischer Gewalt nicht umfassend kritisieren, sondern, wo sie sie sehen, eher vermittelnde Erklärungen vorbringen, »warum die Jugendlichen so sind«. Auf diese Grundlage baut dann auch das Konzept der sozialpädagogischen Projekte mit neonazistischen Jugendlichen.
Auffällig ist zunächst, daß es kein einheitliches Konzept gibt, das dies auch mit dem Verweis auf gewünschte Flexibilität und angebliche »Anforderungen der Praxis« gar nicht gewünscht wird.
Folgende Grundlagen lassen sich aber doch feststellen: Wie der allgemein benutzte Name »akzeptierende Jugendarbeit mit rechten Cliquen« schon ausdrückt, geht es zunächst um eine Akzeptanz der Menschen. So inhaltsleer das auch erstmal klingt (»Jeder Jugendliche hat auch emotionale und soziale Bedürfnisse und Interessen und verfügt über persönliche Entfaltung- und Entwicklungsmöglichkeiten.«)1 , bedeutet dies in der Regel, Verständnis für die Probleme der Jugendlichen zu haben, und ihnen nicht nur Unterstützung bei Behördengängen oder »Konflikten mit dem Chef« zu geben, sondern auch ihre neonazistischen Einstellungen zu akzeptieren bzw. zu legitimieren.
Das heißt, rassistische und faschistoide Äußerungen und Taten werden nicht einfach »nur« in Kauf genommen, sondern sind geradezu Voraussetzung und Bedingung dieser Sozialarbeit. Die akzeptierende Jugendarbeit geht dabei davon aus, »daß die Orientierungsmuster dieser Jugendlichen Produkte ökonomisch-sozialer Alltagserfahrungen sind, in denen sich (...) Verunsicherungen und Instabilitäten zeigen. (…) Entsprechend sollte Jugendarbeit mit rechtsorientierten Jugendlichen nicht ihren Blick auf Mitgliedschaften, auf inkriminierte politische Äußerungen oder Verhaltensweisen richten (...)«2 .
Desweiteren baut das Konzept der Sozialarbeiterinnen auf die Einbeziehung ganzer Cliquen, was dazu führt, daß auch Kader neonazistischer Organisationen, als Teil der Cliquen in ihrer Funktion bestätigt werden. Dies führt leider nur allzu oft zu einer Unterstützung der Rekrutierungsbemühungen von Neonazis; auch den kulturellen Orientierungen der Jugendlichen auf Neonazi-Skin-Musik wird entsprochen, in dem ihnen beispielsweise Proberäume zu Verfügung gestellt werden. In einzelnen Fällen bekamen Neonazis Anstellungen als Sozialarbeiter.
Häufig sind Sozialarbeiterinnen eingesetzt, die auf wenig berufliche Praxis rückblicken können, kritische Reflexion (Supervision) ist im Konzept ebenso wenig vorgesehen wie eine öffentliche Kontrolle der Projekte.
Rücken frei
Ziel der SozialarbeiterInnen ist auch eine Verhinderung der Konfrontation zwischen "rechtsradikalen Jugendlichen" und antifaschistischen, linken Jugendlichen. Sie denunzieren den Versuch, auf Jugendliche einzuwirken, rechte Denkmuster zu kritisieren und zu verändern als von vornherein zum Scheitern verurteilte »Bekehrung«.
Den antifaschistischen Initiativen wird zumindest untergründig die Schuld am Erstarken des Neofaschismus zugeschoben, weil sie die Neonazis in die Ecke stellen wollen, anstatt an ihrer Integration zu arbeiten. Dagegen favorisieren sie, Konflikte aus der Welt zu schaffen, indem den Neonazis eigene Räume gegeben werden. So bekam die Bremer Jugendclique Torfsturm, Anfang des Jahres im ZDF zu sehen, eigene Räume, nachdem sie aus dem örtlichen Freizeitheim von anderen Jugendlichen rausgeschmissen wurden und die Behörden selber um einen Treffpunkt baten.
In Delmenhorst wurde ein Neonazi-Skinhead-Projekt in einem Zentrum durchgeführt, das bis dahin unter anderem von Antifas genutzt wurde. Wegen dieser Verdrängung geht das Konzept, die Auffälligkeiten der Jugendlichen zu kaschieren, vielfach auf: »Längst ist der Jugendclub auch in seiner Umgebung und im Stadtteil allgemein akzeptiert, nachdem für alle unübersehbar ist, wie sehr Gewalttaten und andere Auffälligkeiten dort zurückgegangen sind (...) Gleichwohl haben sie ihre hohe Gewaltbereitschaft nicht abgelegt, sind ihre rechten Orientierungsmuster nicht weg, haben wir sie nicht 'bekehrt', sie 'aus der Szene herausgebrochen' oder 'umgekrempelt'.« 3 .
Außerdem wird in den Auseinandersetzungen gerne rechts mit links gleichgesetzt, häufiger noch werden sie auf die Gewalt reduziert, in der sie manchmal ausgetragen werden, jedweder politische Hintergrund wird dann geleugnet und antifaschistische Initiativen entweder mit politischem Vandalismus gleichgesetzt oder ganz unter den Teppich gekehrt.
Durch günstige Sozialprognosen vor Gericht (»wir haben das in Arbeit bzw. im Griff«), erreichen die SozialarbeiterInnen schonungsvolle Behandlung ihrer »Schützlinge«. Auch von Seiten der Polizei schlagen ihnen oftmals Wellen der Sympathie entgegen. Besonders in den letzten Jahren hat die sozialarbeiterische Förderung die gesellschaftliche Akzeptanz für die extrem rechten Jugendcliquen vermehrt.
Aber, wenn es denn - wie gerne behauptet wird - stimmt, daß es sich bei den Jugendlichen um keine »richtigen« Neonazis handelt, daß sie teilweise noch sehr jung sind, MitläuferInnen, ungefestigt usw., ist es auch und gerade wichtig, daß keine Strukturen zugelassen werden, in denen sich ihre neonazistischen Auffassungen festigen und Einzelne von Neonazis rekrutiert werden können. Statt dessen sollte ihren Sprüchen entgegengetreten werden, sie sollten erleben, daß ihre Auffassungen kritisiert, hinterfragt und angegriffen werden, daß es eben keinen Raum für diese gibt.
Neben einigen regionalen Initiativen, die sich meist gegen ein konkretes Projekt richteten, wurde allerdings von Seiten antifaschistischer Gruppen wenig Kritik laut bzw. bekam keine Stimme. Nur wenige Jahre später sind antifaschistische Gruppen in den verschiedensten Orten mit einer Entwicklung konfrontiert, die die anfängliche Kritik an Projekten wie Analysen bestätigt. Sozialarbeiterische Projekte sind mittlerweile so etabliert, daß Antifagruppen sich daran die Zähne ausbeißen, etliche Hinweise auf die Einbindung der rechten Jugendlichen in neonazistische Strukturen erregen kaum noch Aufsehen.
Anschläge und Übergriffe haben sich auf hohem Niveau eingependelt und gehören zur deutschen Normalität. Eine klare politische Einordnung von Sozialarbeit ist verloren gegangen. Aus einer grundsätzlichen Ablehnung, »uns sozialpädagogisieren zu lassen« kommt eine fachliche Diskussion auf dem Gebiet nur langsam in Gang.
Gegenentwürfe unter Betrachtung der Funktion von Sozialpädagogik (Reintegration in das herrschende System) sind nicht präsent. Die Lösung liegt allerdings auch nicht in der Suche nach einem korrekten sozialpädagogischen Konzept, die Diskussion muß sich, daß zeigen die konkreten Erfahrungen vor Ort, um ein politisches Gesamtkonzept drehen. So sind antifaschistische Kräfte, wenn überhaupt vorhanden, vielmehr mit Fragen der Bündnisarbeit mit anderen gesellschaftlichen Gruppen konfrontiert. Angesichts der Lage in Orten/Gegenden, wo linke Kultur und antifaschistische Kräfte verdrängt sind, wie auf dem Land oder in großen Teilen der Ex-DDR, fragt man sich manchmal, ob die Parole »Lieber ein Rep-Wähler als ein Nazi-Schläger« zu realpolitisch ist... Ist sie.
Aber wo rechte Jugendliche staatlich gefördert und betreut werden, ist bald - das zeigt die Erfahrung – kein Platz mehr für andere Jugendliche: diejenigen, die sich als AntifaschistInnen begreifen oder die ganz einfach keine Lust haben, sich rassistische und nationalistische Sprüche anzuhören, oder die sich von solchen Sprüchen gemeint und bedroht fühlen. Während diese verdrängt werden, ziehen die neuen Möglichkeiten, die ihnen da von Staats wegen geboten werden, organisierte Neonazis an. Die sind momentan auch nicht auf gewalttätige »Auffälligkeiten« aus, sondern auf Rekrutierung, Organisierung und Präsenz in gesellschaftlichen Räumen, die ihnen früher verschlossen waren.
Da, wo sie ihnen bereitwillig geöffnet werden, breiten sie sich aus: in Jugendzentren, Schulen, Unis, Behörden. Und wer die Entwicklung der letzten Jahren verfolgt, kann beobachten, daß die hier dargestellten und weitere laufende Projekte, den Neonazis nicht geschadet haben. Ihre Mobilisierungsfähigkeit und ihre Gesellschaftsfähigkeit steigen weiter. Wer - insbesondere in ländlichen Gebieten - der Etablierung einer rechten Szene nicht tatenlos zusehen will, hat es zunehmend nicht »nur« mit Neonazis selbst zu tun, sondern auch mit deren SozialarbeiterInnen, Gemeindeverwaltungen, Jugendbehörden usw., mit einem neuen »rechten Konsens« staatlicher Stellen mit ihrer extrem rechten Jugend.
Wir denken, daß es wichtig ist, gegen diesen Konsens vorzugehen, ihn öffentlich zu thematisieren, Neonazis jeden Raum streitig zu machen, nicht zuzulassen, daß sie sich ausbreiten und organisieren, daß es öffentliche Räume gibt, in denen sie ungehindert ihren rassistischen Dreck loswerden können.
(Dieser Text ist eine Zusammenfassung einer Broschüre, die momentan von verschiedenen Antifagruppen aus Norddeutschland erstellt wird und im Juni erscheint. Sie kann beim Verlag reihe antifaschistischer texte/rat in Hamburg bestellt werden.)
- 1Entwurf für ein Konzept für aufsuchende Jugendarbeit mit Cliquen, Hrsg.: Der Senator für Gesundheit, Jugend und Soziales, 18.1.1995
- 2»Lieber ein Skinhead als sonst nichts«, Heim, Krafeld, Welp u.a., S. 212 aus: neue praxis, 21. Jg. [1991] S. 300-310
- 3Krafeld, »Akzeptierende Jugendarbeit mit rechten Jugendcliquen«, S.50, Hrsg.: Landeszentrale für politische Bildung