Westberlin: Gründungsversammlung der „DVU-Liste D“
Wie wird eine Partei bewertet, deren Programm an das „25 Punkteprogramm“ der NSDAP angelehnt ist und es selber „24 Punkteprogramm“ nennt? Offenbar nicht als eine Nachfolgeorganisation. Solche Organisationen haben laut Alliierter Verordnung eigentlich ein Auftrittsverbot in der Westberliner Öffentlichkeit. Parteitage und -Werbung sind demnach ebenfalls verboten.
Der Senat und die „Ausstellungs-, Messe- und Kongressgesellschaft“ (AMK), in deren Vorstand zwei Senatsvertreter sitzen, nehmen dies nicht so genau. Trotz einstimmigem Beschluß des Abgeordnetenhauses vom Juli 1987 („Keine Räume für die DVU“), überließen sie der "Deutsche Volksunion e.V." (DVU)1 am 26. Juni 1988 das „Internationale Congress Centrum“ (ICC) zur Gründung eines Westberliner Landesverbandes der „DVU-Liste D“. Im Januar 1987 hatte die AMK die Raumvergabe für eine Veranstaltung der rechten „Gesellschaft für freie Publizistik“ (GfP) aus Bayern noch zurück gezogen. Das genannte Motto: „Das ist die Berliner Luft. Wir gratulieren der alten Reichshauptstadt zum 750. Geburtstag. Eine historisch-literarische Revue“ war wohl zu eindeutig.
NPD + DVU = "DVU-Liste D" ?
Die DVU trat in Westberlin in der Vergangenheit auch durch einige Personen aus der Neonazi-Szene in Erscheinung. Der Neonazi-Funktionär Johannes Kösling (NPD, NDBB, DVP) wurde Anfang der 1970er Jahre als ein "Arbeitskreisleiter der DVU" bekannt. Auch Herbert Rosbach soll diese Funktion für die DVU ausgeübt und Kontakte zu NPD-Kreisen unterhalten haben. Als "Arbeitskreisleiter Wedding" der DVU galt 1971 Werner Rahl. Im September 1971 kam es laut Recherchen von JournalistInnen am Bundesplatz zu einer DVU-Versammlung, auf der auch (frühere) Westberliner Neonazi-Aktivisten wie Manfred Plöckinger (NPD-Kreisvorsitzender, "Aktionsgemeinschaft 17. Juni"), Johannes Kösling (NPD-Kreisvorsitzender Berlin-Schöneberg, "Aktionsgemeinschaft 17. Juni", NDBB-Vorstand), Karl-Heinz Sch. (NDBB-Vorstand, ehem. ANS/NA Berlin) und Philipp Gölles ("Aktionsgemeinschaft 17. Juni") aufgetaucht sein sollen. Im Juli 1979 standen zehn Westberliner Neonazis wegen einer versuchten NSDAP-Neugründung vor dem Berliner Landgericht. Werner Rahl ("kommissarischer Ortsgruppenleiter" der NSDP) und Karl-Heinz Sch. ("NSDAP Beauftragter für Volksaufklärung und Propaganda") zählten zu den Angeklagten.
Die rund 250 Rechten, die nun bei der "DVU-Liste D" Gründung anwesend waren, wurden von Nationalzeitungs-Herausgeber und Bundesvorsitzenden der „DVU-Liste D“ Gerhard Frey zur Mobilisierung für die Europawahlen am 18. Juni 1989 aufgerufen. Die extrem rechte Wahlliste hat sich den Einzug ins Europaparlament zum Ziel gesetzt. Zum Berliner Landesvorsitzenden wurde der DVU-Funktionär Werner Roloff ernannt.2
Im März 1987 wurde in München mit Unterstützung von Teilen der damaligen NPD-Parteiführung die Partei „Deutsche Volksunion - Liste D" ("Liste D" steht für "Liste Deutschland") unter Vorsitz von Gerhard Frey gegründet. Mitte Januar 1988 soll der NPD-Vorsitzende Martin Mußgnug eine vertragliche Vereinbarung mit der DVU abgeschlossen haben, die den Wahlverzicht der NPD zur Europawahl zugunsten der "DVU-Liste D" beinhaltet. Als Gegenleistung soll die NPD die Listenplätze 3,6,9 und 12 und eine einmalige Zahlung von einer Million gefordert haben. Auf der "DVU-Liste D"-Kandidaten-Liste sind u.a. der NPD-Bundesvorsitzenden Martin Mußgnug und der NPD-Politiker Jürgen Schützinger zu finden. Ende Juni 1988 führte die NPD einen Sonderparteitag in Feucht durch, um über dieses Bündnis zu entscheiden. Als Gegner der Koalition mit der DVU gelten der NPD-Landesvorsitzenden in der Saar (Peter Marx), sein Stellvertreter (Bernhard Kühn), der NPD Landesvorsitzenden von Rheinland-Pfalz (Karl-Heinz Pfirrmann) und der NPD-Vorsitzende in Hessen (Hans Schmidt). Als Befürworter gilt das NPD-Präsidium um Martin Mußgnug, Jürgen Schützinger, Walter Bachmann, Walter Seetzen, Heinrich Waldenmaier, Karl-Heinz Vorsatz und Udo Holtmann. Diese Fraktion setzte sich innerhalb der NPD mit dem DVU-Bündnis durch. Die Nähe von Frey und Mußgnug überrascht Szene-Kenner kaum. Immerhin war Frey von 1975 bis 1979 NPD-Mitglied und zeitweilig in Führungspositionen der NPD (Beisitzer im Bundesvorstand) gewesen.
Proteste in Westberlin
Das „Bündnis gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus“ mobilisierte etwa 200 AntifaschistInnen zu einer Kundgebung vor das ICC. Ein Kundgebungsverbot direkt vor dem Gebäude konnte durch entschlossenes Vorgehen teilweise umgangen werden. Einigen Mitgliedern der NPD-Jugendorganisation wurde von AntifaschistInnen so die Teilnahme an der Veranstaltung verunmöglicht. Andere Neonazis, die keine Einladung besaßen, wurden von den DVU-Ordnern am ICC-Eingang abgewiesen. Sie pöbelten dann gegen JournalistInnen und beschimpften eine Fotografin antisemitisch. Sechs Rechte im „Skinhead-Look“ versuchten sich als Schutztruppe aufzuspielen und wollten, hinter den Polizeisperren, mit Knüppeln gegen AntifaschistInnen vorgehen. Unter ihnen soll sich laut Augenzeugen-Berichten neben bekannten Partei-Gesichtern wie Wolfram H., auch Heiko Luge befunden haben. Dieser ist (noch) Mitglied eines CDU-Ortsverbandes (Neu-Tempelhof) und der CDU-Partei-Jugend „Jungen Union“ (JU).3 Alle sechs Angreifer konnten in die Flucht geschlagen werden.
Nachtrag zur JU:
Unter dem Titel „JU reinigt sich“ berichtet die taz (die tageszeitung) am 29. September 1988; „Der Skinhead Heiko Luge ist aus der Jungen Union ausgetreten. Wie die CDU-Jugendorganisation gestern mitteilte, sei Luge damit einem vom Landesvorstand beantragten „drohenden Ausschluß“ zuvorgekommen“. Auf ihrer Landesausschußsitzung hatte die Junge Union ein Ausschlußverfahren gegen das CDU- und JU -Mitglied beschlossen. Zu dem auf der ersten Seite der taz abgebildetes Foto von der ICC-Veranstaltung erklärte er eine Woche zuvor öffentlich „Ich erkläre hiermit, daß ich zu keinem Zeitpunkt Saalschützer der rechtsextremen Deutschen Volksunion gewesen bin“. Die taz-Redaktion konterte: „Fest steht, daß das Bild Heiko Luge zeigt, wie er im Juni 1988 neben dem „Republikaner“ und Ex-JU-Mitglied Wolfram Hübner hinter einer Polizeikette und direkt vor dem Veranstaltungsort der rechtsextremen DVU steht“. Die CDU-Nahe „Schüler Union“ (SU) aus Berlin-Tempelhof hat in einer extra Presseerklärung den Ausschluß begrüßt. Die Ex-JUler Hübner und Luge wurden zum Imageproblem. „Sowohl die Schüler Union als auch die Junge Union müssen vom Image des Rechtsradikalismus wegkommen“ erklärte der Tempelhofer SU-Vorsitzende Wolfgang Reichmuth Ende August 1988. Bekannte rechte Protagonisten wie Carsten Pagel und Thorsten Thaler (der stellvertretende JU-Vorsitzende) waren damit offenbar nicht gemeint. Die Geschäftsführerin des „Ring Politischer Jugend“ (RPJ) Sabine Krause - ein JU-Mitglied - trat noch am 13. Juli 1988 wegen einer „verleumderischen Presseerklärung“ der Jusos zurück. Wegen der Feststellung, die JU „entwickele sich in Richtung eines Auffangbeckens für neonazistische Kader“, könne sie nicht mehr mit ihnen zusammenarbeiten. Die Jusos hatten angemerkt, dass wegen NS-Parolen die Staatsanwaltschaft zum zweiten Mal in diesem Jahr gegen einige JU-Mitglieder Ermittlungsverfahren einleiten musste.4
- 1Am 18. Januar 1971 in München als Verein gegründet. Gründungsmitglieder waren Gerhard Frey, der Vorsitzende der »Aktion Oder-Neiße« Erwin Arlt, Walter Brandner sowie der extrem rechte Publizist Wilhelm Pleyer. Der Bundesverband der Deutschen Volksunion wurde am 5./6. März 1987 in München gegründet. Der Bundesvorstand besteht aus Dr. Gerhard Frey (Vorsitzender) und Peter Jürgensen (Stellvertreter) sowie Frau Marion Blohm und Gerhard Frey jun., Hans-Werner Roloff und Bruno Wetzel (Beisitzer).
- 2Hans-Werner Roloff ist Beisitzer im Bundesvorstand der DVU.
- 3Laut "tageszeitung" (taz) war er bis 1986 stellvertretender Kreisvorsitzender der Tempelhofer „Jungen Union“ und dort für „Grundlagenarbeit und längerfristige Planung“ zuständig. Mit Lutz Gutowski – der wegen Rechtslastigkeit aus der CDU-Fraktion der BVV in Tempelhof ausgeschlossen wurde – war er im dortigen Vorstand. Vgl. taz vom 10.8.1988: "Rechte beklagen Rechtsradikalismus".
- 4Vgl. Taz vom 14.7.1988 - JU: „Wir sind doch keine Neonazis“