Skip to main content

Aushungern und Abschieben

Flüchtlingsrat Berlin (Gastbeitrag)
Einleitung

Bundesregierung und Länder wollen die Sozialhilfe für 250.000 geduldete und ausreisepflichtige Flüchtlinge streichen. Nur noch in Ausnahmefällen sollen ausreisepflichtige sowie geduldete AusländerInnen künftig noch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten können. Betroffen sind AusländerInnen mit einer Duldung1 sowie sonstige ausreisepflichtige AusländerInnen.2

  • 1Definition nach § l Abs. l Nr. 4 AsylbLG.
  • 2Flüchtlinge mit einer Grenzübertrittsbescheinigung, Passeinzugsbescheinigung o.a., § L Abs. L Nr. 5 AsylbLG
Flüchtlingsrat Protest
(Symbolbild von Christian Ditsch)

(Symbolbild: Antirassistischer Protest)

Die betreffenden AusländerInnen erhalten bereits seit dem 1. Juni 19971 ausnahmslos nur noch abgesenkte Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die gegenüber der Sozialhilfe um mindestens 20 % gekürzt sind und zudem vorrangig als Sachleistungen, das heißt als Wertgutscheine bzw. Essenspakete, gewährt werden sollen.

Auch die medizinische Versorgung ist bereits erheblich eingeschränkt. Am 6. Februar 1998 hat der Bundesrat mit den Stimmen auch der SPD-Länder (Brandenburg, Niedersachsen, Saarland, Rheinland-Pfalz) aufgrund einer Gesetzesinitiative Berlins, die durch Vorstöße Bayerns, Baden-Württembergs und Niedersachsens noch erheblich verschärft wurde, einen entsprechenden neuen Gesetzentwurf beschlossen.2

Neben weiteren Änderungen soll folgende Regelung in das AsylbLG neu eingefügt werden. § l a AsylbLG - Anspruchseinschränkung: Leistungsberechtigte nach § l Abs. l Nr. 4 und 5 [=AusländerInnen mit einer Duldung sowie sonstige ausreisepflichtige Ausländerinnen] und ihre Familienangehörigen nach § l Abs. l Nr. 6, 1. die sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen, oder 2. bei denen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, oder 3. die nicht freiwillig ausreisen, obwohl ihrer Ausreise in den Herkunftsstaat oder in einen anderen zur Aufnahme bereiten Staat keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen, erhalten Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall unabweisbar geboten ist.

Abschieben durch Aushungern

Wenn nur einer der drei genannten Tatbestände erfüllt ist, führt dies zu einem vollständigen Ausschluß des Anspruchs auf Leistungen: Keine Leistungen zum Lebensunterhalt, keine Leistungen für die Unterkunft, keine medizinische Versorgung. Obdachlosigkeit und Aushungern sind die Folgen, da (von wenigen Ausnahmen abgesehen) zugleich auch keine Arbeitserlaubnisse erteilt werden.

Betroffen sind zum großen Teil Familien mit Kindern. Die Betroffenen werden in ausweglose Situationen gezwungen. Wer sich etwas zu Essen beschaffen will, zum Arzt fahren muß oder auch nur seine Anwältin anrufen will, ist gezwungen sich das erforderliche Bargeld auf nicht legale Weise zu beschaffen.

Praktische Bedeutung hat vor allem die Streichung der Sozialhilfe aufgrund der unterstellten Möglichkeit der freiwilligen Ausreise. Es ist davon auszugehen, daß künftig zur Streichung der Sozialhilfe die rein technische (Rück)-Reisemöglichkeit in das Herkunftsland reicht (eine Verkehrsverbindung zu Land, Wasser und/oder Luft ist technisch gesehen verfügbar, und das Herkunftsland ist grundsätzlich aufnahmebereit). Auf die Zumutbarkeit der Rückkehr kommt es nach dem Wortlaut des Gesetzentwurfs nicht mehr an.

Als »unabweisbare Leistung« kommt dann nach der Rechtsprechung zum Sozialhilferecht regelmäßig nur eine Rückfahrkarte sowie ein Zehrgeld für die Rückreise (»Butterbrot und Fahrkarte«) in Frage. Im Ergebnis bedeutet dies, daß bis zu 300.000 Menschen, die nicht abgeschoben werden können, durch Aushungern gezwungen werden sollen, »freiwillig auszureisen«. Darauf, daß eine Duldung erteilt wurde, weil in der Heimat Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht, soll es künftig nicht mehr ankommen.

Die größte von der geplanten Sozialhilfestreichung betroffene Gruppe sind ca. 200.000 Kriegsflüchtlinge aus Bosnien. Betroffen sind weiterhin bundesweit mindestens 50.000 vor den serbischen Machthabem im Kosovo geflohene Angehörigen der albanischen Volksgruppe. Gestrichen werden soll die Sozialhilfe auch für ehemalige AsylbewerberInnen mit Duldung aus allen anderen Herkunftsländern. Betroffen sind daher zahlreiche weitere Gruppen, wie z.B. ehemalige DDR-VertragsarbeiterInnen und AsylbewerberInnen aus Vietnam, Kriegsflüchtlinge aus Afghanistan, geduldete Flüchtlinge aus der Türkei, dem Irak, dem Libanon, Algerien, Angola, Somalia, usw. usw.

Gestrichen werden soll die Sozialhilfe schließlich auch, wenn jemand aus humanitären Gründen oder aus Gründen des öffentlichen Interesses eine Duldung erhalten hat, etwa wegen Heirat mit einer/em Deutschen, als Zeugin in Menschenhandelsprozessen, usw. Ausnahmen sind nur möglich, soweit jemand akut (reiseunfähig) krank und behandlungsbedürftig ist.

Hintergründe

Im Vorfeld hatte Berlins Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) die geplante Neuregelung gefordert. John hatte sich immer wieder darüber beschwert, daß AusländerInnen, die nicht abgeschoben werden können, »Duldungen und Sozialhilfe« erhalten und daß deshalb die entsprechenden Regelungen in Ausländergesetz und Sozialrecht geändert werden müßten.3

John und Berlins Sozialsenatorin Hübner (CDU) hatten öffentlich beklagt, daß allem nach Berlin im Laufe des Jahres 1997 ca. 800 »Serben« mißbräuchlich eingereist seien und hier Duldungen sowie Sozialhilfe beantragt hätten. Fakt ist - was auch Frau John weiß - daß es sich bei den 1997 neu eingereisten »800 Serben« zwar um Staatsangehörige der Bundesrepublik Jugoslawien handelt, allerdings keineswegs um ethnische Serben, sondern um vor der Unterdrückung durch die Serben geflohene Kosovo-Albaner.

Am 10. September 1997 hat Beate Hübner (Senatorin für Gesundheit und Soziales) im Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Streichung der Sozialhilfe für Ausländerinnen vorgelegt, die anstelle der gesetzlich eigentlich vorgesehen Duldungen nur sogenannte »Grenzübertrittsbescheinigungen« besitzen. Diese Praxis der Berliner Ausländerbehörde, nur noch Grenzübertrittsbescheinigungen auszustellen, wurde im übrigen durch ein Urteil vom 25. September 1997 vom Bundesverwaltungsgericht für rechtswidrig erachtet.  John und Berlins Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) haben daraufhin vorgeschlagen, allen 42.000 in Berlin mit einer Duldung oder Grenzübertrittsbescheinigung lebenden AusländerInnen die Sozialhilfe zu streichen.4

In einem Gespräch mit dem "Flüchtlingsrat Berlin" erklärte Frau John, in Berlin lebten nach offiziellen Schätzungen bereits 100.000 »illegale Ausländer«. Sie könne sich durchaus vorstellen, daß in der Stadt noch weitere AusländerInnen illegal überleben könnten, ohne daß der Staat immer auch die Verantwortung für diese Menschen übernehmen müsse. Faktisch forderte die Ausländerbeauftragte damit eine Illegalisierung.

Nach Bekanntwerden des Gesetzentwurfes zur weiteren Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes Ende Januar 1998, haben noch vor der Abstimmung im Bundesrat die Bundesverbände des paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der AWO, der Caritas, des Diakonischen Werkes, des DGB, Teile der Kirchen sowie das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR öffentlich protestiert.

Auf Antrag der "Die Grünen" wurde der Entwurf am 6. Februar in einer aktuellen Stunde auch im Bundestag debattiert. Berlins Sozialsenatorin Hübner, die den Entwurf federrührend für den Bundesrat vertreten hat, behauptete in ihren Redebeiträgen in Bundesrat und Bundestag am 6. Februar, Bosnier sowie nach § 53 Ausländergesetz wegen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit geduldete Ausländer seien aus rechtlichen Gründen von der geplanten Neuregelung nicht betroffen. Dies widerspricht aller-
dings nicht nur dem Wortlaut des Entwurfs, sondern auch der einhelligen Meinung aller juristischen Expertinnen.5

Auch die Innenminister Berlins6 , Niedersachsens und des Saarlandes haben inzwischen bestätigt, daß grundsätzlich auch alle geduldeten Bosnier von der geplanten Sozialhilfestreichung betroffen sind.

Offenbar hatten die Verwaltungen in den Ländern eine Strategie verabredet, die Öffentlichkeit über das Ausmaß der geplanten Sozialhilfestreichung zu täuschen, wie die von ihnen immer wieder verbreiteten Behauptungen belegen, Bosnier seien nicht betroffen. Innerhalb der Länder hat dies inzwischen zu Differenzen geführt. Im Berliner Abgeordnetenhaus erlitt Sozialsenatorin Hübner (CDU) eine Abstimmungsniederlage, als ihr Koalitionspartner SPD sie am 5. Februar mit den Stimmen der GRÜNEN und der PDS aufforderte, im Bundesrat der Neuregelung nicht zuzustimmen - was sie tags drauf dann aber dennoch tat. Der Brandenburger Landtag beschloß am 26. Februar, daß die Landesregierung - entgegen ihrer im Bundesrat bereits erfolgten Zustimmung - im weiteren Gesetzgebungsverfahren darauf hinwirken solle, daß die Neuregelung nicht für Ausländer mit einer Duldung gelten soll.

Gerhard Schröder (SPD) und Gerhard Glogowski (SPD) hatten ihre im Namen Niedersachsens im Bundesrat erteilte Zustimmung weder mit ihrem Kabinett noch mit dem Landesparlament abgestimmt, was zu Differenzen innerhalb der niedersächsischen SPD geführt haben soll.

Das Letzte: Bundesregierung plant Internierungslager

Das Bundesgesundheitsministerium hat inzwischen einen Änderungsvorschlag erarbeitet, der belegt, daß auch nach Auffassung der Bundesregierung Kriegsflüchtlinge aus Bosnien unter den vom Bundesrat beschlossenen Gesetzentwurf fallen.

Offenbar auf Vorschlag von Innenminister Manfred Kanther (CDU) plant die Bundesregierung Internierungslager für AusländerInnen, die über die grüne Grenze eingereist sind. Der Entwurf beinhaltet folgende Änderungen des geplanten § l a AsylbLG: Kriegsflüchtlinge aus Bosnien werden bis Juni nächsten Jahres von der Streichung der Sozialhilfe ausgenommen, AusländerInnen mit Duldung, für die eine freiwillige Ausreise nach Auffassung der Sozialämter und der Ausländerbehörden nicht möglich ist, sollen, wenn sie z.B. (auch vor Inkraftreten der Novelle) »illegal eingereist« sind, in Sammellager ohne einen Pfennig Bargeld eingewiesen werden. Jede medizinische Hilfe bei chronischer Krankheit oder Behinderung soll ausgeschlossen werden.

Die AusländerInnen und ihre persönlichen Habe sollen jederzeit ohne Ankündigung durchsucht werden können, um sämtliche noch vorhandenen Geldbeträge zu beschlagnahmen (§ 7 AsylbLG-Novelle), AusländerInnen mit Duldung, für die eine freiwillige Ausreise nach Auffassung der Sozialämter und der Ausländerbehörden technisch möglich wäre, sollen als »unabweisbare Hilfe« im Regelfall nur »einen Rückfahrschein und Reiseverpflegung« erhalten.

Daß die Regelung für Bosnier erst im nächsten Jahr in Kraft treten soll, ist ein Zugeständnis an die Kritik der Wohlfahrtsverbände. Dies ändert aber nichts daran, daß das von der Bundesregierung vorgeschlagene Ausmaß der Leistungseinschränkungen sogar noch über das hinausgeht, was der Bundesrat plant.

Das weitere Gesetzgebungsverfahren: Der Entwurf soll voraussichtlich am 18. März im Bundeskabinett behandelt werden. Am 23. März ist eine erste Lesung im Bundestag geplant. Als nächstes wird voraussichtlich eine Expertenanhörung im Gesundheitsausschuß des Bundestages stattfinden. Nach einer gemeinsamen zweiten und dritten Lesung im Bundestag folgt eine nochmalige Abstimmung im Bundesrat. Wenn beide zustimmen, könnte das Gesetz dann in Kraft treten.

Widerstand

Nicht nur auf Bundesebene, sondern auch auf lokaler und Landesebene haben Wohlfahrtsverbände, Flüchtlingsräte, Initiativen und autonome Gruppen vielfach Protest geäußert und Bündnisse gegen die geplante Sozialhilfestreichung gegründet. Auf den öffentlichen Druck hin haben die rot-grün regierten Länder den Gesetzentwurf im Bundesrat bereits abgelehnt. Auch in SPD-alleinregierten Ländern zeigt der Widerstand erste Wirkungen. Es scheint durchaus erfolgversprechend, zu versuchen, durch aktives Handeln und breiten Widerstand, durch Druck auf Landesparlamente (die Länder müssen nach einer Verabschiedung im Bundestag im Bundesrat nochmals über die Novelle abstimmen) und Bundestag sowie vor allem durch einen breiten außerparlamentarischem Widerstand die geplante  Sozialhilfestreichung noch zu verhindern.

  • 1am 1.6.1997 wurde die l. AsylbLG-Novelle verabschiedet.
  • 22. AsylbLG-Novelle, Bundesratsdrucksache 691/97 -Beschluß- vom 6.2.1998
  • 3vgl. z.B. Tagesspiegel vom 6.7.97, Kommentar in der TAZ vom 27.9.97
  • 4Berliner Morgenpost v. 25.11.97
  • 5vgl. z.B. Stellungnahme des UNHCR vom 5.2.98
  • 6Tagesspiegel v. 7.2.98