Interview mit dem »Bündnis gegen Rechts« Leipzig
AIB: Wann, wieso und weshalb ist das »Bündnis gegen Rechts« (BgR) gegründet worden?
Johann: Wir haben uns Ende 1995 gegründet, weil die bisherigen Antifastrukturen, die durch verschiedene Antifagruppen wie das Antifaplenum getragen wurden, der neuen Situation nicht mehr gewachsen sind. Das heißt, daß eine Interventionspolitik, wie sie bis dahin betrieben wurde, nicht mehr funktioniert.
AIB: An welchem Punkt habt Ihr gesagt, Ihr braucht ein Bündnis? Was für eine Analyse steht dahinter?
Klaus: Nach den Überfällen Anfang der 1990er herrschte in Leipzig ziemliche Ruhe. Viele Leute, gerade in Szenevierteln wie Connewitz, haben sich zurückgelehnt. Um Leipzig herum hat sich dann ein brauner Ring gebildet. Leute aus Delitzsch, aus Wurzen und aus Altenburg, kamen immer öfter nach Leipzig und haben gesagt: »Bei uns brennt es.« Dann ging man da hin, Aktionen wurden gemacht, und dann hat sich die Situation in Wurzen so zugespitzt, daß es mit solchen Kurzeinsätzen nicht mehr getan war. Dazu kam, daß in anderen Städten die linke Szene kaputtgegangen ist, weil das Kräfteverhältnis dort nicht mehr zugunsten der linken Szene beherrschbar war, wie z.B. in Altenburg oder Delitzsch. Daraus entstand die Idee, kontinuierlich zu arbeiten.
Paul: Wir kamen mit den Plenumsstrukturen des Offenen Antifaplenums nicht mehr zurecht. Es gab Zeiten, da kamen zum Plenum nur 5 Leute zusammen, die sich auch so hätten treffen können. Dadurch entstand die Idee eines Bündnisses, dem BgR, weil wir als Autonome alleine nicht mehr genügend Druck aufbauen konnten. Das Bündnis ist jetzt auf jeden Fall nicht so, wie es eigentlich gedacht war. Nach der Wurzen-Demo im November 1996 kam es im BgR auch ein bißchen zum Crash. Danach wurde inhaltlich nicht mehr allzuviel gemacht, die Bündnispartner blieben weg, die damaligen Konzepte waren gescheitert. Das BgR war kein arbeitsfähiges Bündnis mehr. Dann kam der 1. Mai 1997, wo das BgR wieder so aufgebläht war, daß wir als autonome Gruppe im Bündnis nicht mehr handlungsfähig waren, weil unter uns keine Diskussionen mehr stattfanden. Bei BgR-Treffen saßen damals zum Teil 30 - 50 Leute, und es war überhaupt nicht mehr klar, wer denn und was denn nun das BgR eigentlich ist. Einige sind dabei, weil sie ein Mandat von ihrer Partei bekommen haben, die das Thema Antifaschismus irgendwie abdecken muß. Aber inhaltlich stehen sie nicht dahinter, sondern für die ist es eine Frage des Nutzens für die eigene Partei. Mit dem Thema Antifaschismus kann man halt auch eine bestimmte Wählerklientel abdecken. Nach dem 1. Mai ist es so geworden, wie es jetzt ist: Daß wir bis auf einen Zulauf von einer Handvoll Personen von anderen Gruppen rein autonom besetzt sind.
AIB: Woran liegt das?
Paul: An dem fehlenden weitergehenden Interesse aus Kirchen- und Gewerkschaftskreisen. Es war eben alles sehr zentriert auf ein Happening, danach kam der Abschwung. Es gab kein kontinuierliches Dranbleiben. Die meisten Leute aus diesem Spektrum kommen, wenn etwas ansteht, wie eben zum 1. Mai, da wird es wieder voll. Aber in Trockenphasen kommt keiner mehr.
AIB: Wie lief das denn im letzten Jahr zum 1. Mai mit den Gewerkschaften und den anderen Bündnispartnern?
Johann: Es ist ein Buckel Arbeit, sich mit den Gewerkschaften auseinanderzusetzen, weil es teilweise noch FDGB-Strukturen sind. Der DGB hatte eigene Plakate, mit denen sie noch den letzten Arbeiter mit vollkommen schwammigen Parolen mobilisieren wollten. Da gab es keine klare Position, daß eine Nazimobilisierung stattfindet, die verhindert werden muß, sondern es ging um den Tag der Arbeit, den historischen 1. Mai. Daß die Gewerkschaften wirklich die Nazis von der Straße haben wollten, hat man nur in Ansätzen gemerkt. Was die Parteien betrifft, beziehen sich die Erfahrungen nur auf die PDS in Leipzig. Der Rest im BgR sind doch eher Splittergrüppchen.
AIB: Würdet Ihr nach zwei Jahren Bündnisarbeit im BgR das Modell für andere Städte weiterempfehlen? Hat es eine Perspektive?
Paul: Es ist schwierig, das als kontinuierliches Konzept weiterzuempfehlen. Punktuell ist es bestimmt hilfreich. In Leipzig profitieren wir davon, daß es die Szenespaltungen und Kleingruppen wie im Westen in der Form noch nicht gibt. Es ist leichter, die Leute an einen Tisch zu bekommen. Daß so ein Bündnis punktuell funktionieren kann, hat schon die Vorbereitung zu der Saalfeld-Demo gezeigt. Aber immer wieder stellt sich eben die Frage, wann die inhaltliche Grenze erreicht ist. Wie weit will man um der gemeinsamen Aktion willen mitmachen, wie weit steckt man dann die eigenen politischen Ziele zurück? In der Zeit der großen Bündnisarbeit ist unsere inhaltliche Positionierung total ins Hintertreffen geraten. Entweder muß das dann eben außerhalb passieren und die eigene Position ins Bündnis reingetragen werden, so weit das geht, oder man sagt, man macht eben kompromißlerische Bündnisarbeit auf dem Antifaminimalkonsens.
AIB: Gibt es auch Punkte, die Ihr als Niederlagen bezeichnen würdet, wo Ihr sagt, da kommen wir nicht weiter?
Paul: Der Punkt ist, daß wir in Wurzen nicht mehr wissen, wo wir inhaltlich ansetzen sollen. Es gibt keine linken Leute vor Ort mehr. Das Faschohaus war zwar ab einem bestimmten Zeitpunkt weg, aber die Villa - der autonome oder Punk-Treffpunkt - ist schon viel früher vorher von der Stadt und der Polizei geräumt worden. Da muß man an einem ganz anderen Punkt ansetzen.
Johann: Die jetzige Lage in Wurzen wird sehr unterschiedlich eingeschätzt. Einige sagen, wir hätten in Wurzen nichts erreicht. Es gab aber in Wurzen ein Haus von den Faschos, was es dann eine Zeitlang nicht mehr gab. Bloß, mittlerweile gibt es wieder ein Nazihaus, das noch viel schlimmer ist. Das neue Haus der Nazis in Wurzen ist in der Nähe des ehemaligen Nazitreffpunkts in der Käthe-Kollwitz-Straße. In einer Sendung von "Kennzeichen D" wurde das Haus neulich auch gezeigt. Es scheint regulär angemietet zu sein und wird wohl regelmäßig von NPD-Kadern besucht. Dort werden Krafträume, Musikräume, Treffpunkte gebaut. Sie wollen das zu einer Art nationalem Zentrum ausbauen.
AIB: Überlegt Ihr denn jetzt an einer Weiterführung der Kampagne?
Klaus: Es kann nur ein Ziel geben: Das neue Nazihaus in Wurzen muß weg. Wir müssen die Nazistruktur aufs Korn nehmen. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn die Nazis einen Ausgangspunkt für ihre Agitationen haben, gerade im Muldentalkreis.
AIB: Gibt es noch andere Sachen, wo Ihr sagen würdet, da sind wir mit dem, was wir vorhatten, nicht durchgekommen?
Johann: Das Problem der Prioritätensetzung: Wir haben uns auf die Bündnisarbeit für den 1. Mai gestürzt, und die ganze andere Arbeit ist auf der Strecke geblieben. Es gab aber auch keine andere Gruppierung, die diese Mobilisierung gegen den Nazi-Aufmarsch hätte machen können. Uns hat dieses Jahr beschäftigt, wie wir gleichzeitig die kontinuierliche Arbeit machen können - z.B. Prozeßbeobachtung - und den Naziaufmarsch verhindern können. Wir haben uns ein Arbeitsgruppenkonzept überlegt - Jugendgruppe, Prozeßgruppe, Saalfeld, 1. Mai. Bis jetzt sind wir damit aber noch nicht richtig weiter gekommen.
AIB: Womit rechnet Ihr zum 1. Mai, und was erwartet Ihr von Leuten außerhalb Leipzigs?
Paul: Erstmal, daß sie kommen - vor allem die BerlinerInnen. Wir rechnen nicht mit einem Verbot des Naziaufmarsches und denken, daß um die 10.000 bzw. noch mehr Nazis kommen. Wir denken aber auch, daß wir durchaus Chancen haben, den Aufmarsch zu bebzw. verhindern. Wir wollen den Aufmarsch verhindern, nicht eine Riesendemo hinlegen. Es gibt verschiedene Strategien. Einerseits gibt es mehrere Kundgebungsplätze, die um die Nazikundgebung herum angemeldet werden. Das sind dann legale Sammlungspunkte. Dann gibt es die traditionelle 1.Mai-Demo aus dem linksradikalen Spektrum, die wie im letzten Jahr Ausgangspunkt für Aktionen sein kann. Und es gibt den Autruf an alle couragierten LeipzigerInnen, die Route zu besetzen. Wobei ich da wenig Hoffnungen habe. Die meisten werden sich an den Aufruf des Oberbürgermeisters halten und zu einer »Demo gegen Rechts« 5 Kilometer von den Nazis weg gehen.
AIB: Danke für das Gespräch.