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Die Altmark als neue Neonazi Region

Einleitung

In der (militanten) Neonazi-Szene Sachsen-Anhalts hat sich in den letzten zwei Jahren eine Entwicklung vollzogen, die - auch durch den Wahlerfolg der DVU - bislang von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. So haben die vor einiger Zeit noch sehr aktiven Neonazistrukturen im Ostharz an überregionaler Bedeutung verloren, während in der nördlich von Magdeburg liegenden Altmark die Neonazi-Aktivitäten deutlich zugenommen haben.

Kay Schweigel
Bild: Antifaschistische Aktion Lüneburg/Uelzen; de.indymedia.org; CC BY-SA 2.0 DE

Der Neonazi Kay Schweigel aus Klötze.

In der Altmarkregion verlief die Entwicklung nach der Wende genauso wie in der gesamten ehemaligen DDR: Beeinflußt von Jugendsubkulturen, abhängig von lokalen Cliquenanführern und polarisiert durch den neonazistischen Taumel der Wiedervereinigung bildeten sich in den Kleinstädten und Dörfern der Altmark ebenfalls linke und rechte subkulturell geprägte Szenen.

Auch wenn es der rechten Szene gelang, ihren Einfluß in diesem Bereich zu einer den Alltag prägenden Hegemonie auszubauen, so ist dennoch auf Ausnahmen zu verweisen. In der Altmarkstadt Stendal gibt es einen »linken Jugendklub«, Kalbe/Milde und Salzwedel gelten als von einer alternativen Szene dominierte Städte. Dennoch zeigt sich auch in der Altmark eine dominierende rechte Jugendkultur. In mehreren Städten haben sich »Kameradschaften« gegründet, die personell in der Regel auf schon länger existierende Neonazistrukturen zurückgreifen können.

Eine Vorreiterrolle für die genannte Entwicklung in der Region spielt die Altmarkstadt Klötze. In der Vergangenheit kam es hier immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und Antifas. Die Region diente als Kulisse für kleinere Neonazi-Gedenkaktionen und 1996 für ein Konzert der "Kameradschaft Klötze" mit "Elbsturm" in einer Turnhalle in Kalerlek. Zeitweilig traten Neonazis in Klötze auch als "Kameradschaft Westliche Altmark" auf.

Mittlerweile integrieren sie das rechte Umfeld in der Altmarkregion immer erfolgreicher. In Klötze bemühen sich Neonazis stärker als in der Vergangenheit um die Vermittlung ihrer politischen Inhalte durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit. Begünstigt wurde diese auch durch Unkenntnis und politische Naivität lokaler Behörden und Medien. So intervenierten angeblich sogar Landesverfassungsschutz und das Magdeburger Regierungspräsidium mehrfach beim Landratsamt der Region ob des laxen Umgangs der Behörde mit rechten Aktivitäten.

Entsprechend dem bundesweiten Trend wird die politische Arbeit der Neonazis verstärkt von lokalen Kadern geleistet. In Klötze führen nach Einschätzung lokaler Antifa-Gruppen die Neonazis Kay Schweigel1 und Mirko Appelt aus Salzwedel2 sowie Andreas Nickel3 eine Kameradschaft mit ca. 20 Mitgliedern an. Andreas Nickel und Mirko Appelt sind überregional aktiv und wurden z.B. beim "Rudolf Heß Marsch" 1996 in Worms gesehen.

Die "Kameradschafts"-Führer integrieren zunehmend erfolgreicher das rechte Umfeld in der Altmarkregion. Über den "Kameradschaftsverbund Wernigerode" und Treffen der "Kameradschaftsführer" werden (über)regionale Aktivitäten koordiniert.

Ebenfalls der allgemeinen Entwicklung entsprechend, versuchen die organisierten Neonazis durch Aufmärsche, innerhalt der eigenen Szene Stärke zu zeigen und mittels populistischer Forderungen öffentliches Interesse auf sich zu lenken. Die Grenze zwischen »autonomen« Kameradschaften und der NPD/JN ist - das zeigen die Aufmärsche der letzten Monate - fließend. Auf diese Zusammenarbeit ist die NPD in Sachsen-Anhalt angewiesen, da die Mitgliederzahl des Landesverbandes im Gegensatz zu anderen Bundesländern bei wenigen Dutzend stagniert und die Partei kaum eigene, größere Aktivitäten entfalten kann. Mittlerweile haben der frühere NF-Kader Steffen Hupka und Günter Battke die Führung des NPD-Landesverbandes übernommen, der in den vergangenen Jahren von den NPD-Funktionären Waldemar Maier, Andreas Kittner, Meinhard Möckel, Andreas Künstner und Rainer Prigge eher nur verwaltet wurde. Ausschlaggebend für die NPD-Stagnation ist sicher auch, daß das Vorhaben der NPD, in der Altmark ein bundesweites Schulungszentrum zu etablieren, an der gerichtlichen Rückübertragung des Grundstücks an den Alteigentümer scheiterte.

Verantwortlich für die Planung des Zentrums war auch der ehemalige NPD-Chef Günther Deckert. Er und ein örtliches NPD-Mitglied organisierten im September 1995 den Bundeskongreß der NPD-Jugend (JN) in Siedentramm bei Klötze. Auch der Hamburger Neonazi-Führer Christian Worch und seine Anhänger der "Freien Nationalisten" verfügen über informelle Kontakte zu den Kameradschaften in der Region und nehmen des öfteren an Aufmärschen in nördlichen Sachsen-Anhalt teil. Im April durfte Worch auf einer Neonazi-Demonstration in Klötze als Redner gegen AusländerInnen hetzen. Vermutungen, wonach Worch der eigentliche Drahtzieher der vermehrten Neobnaziaktivitäten wäre, teilen AntifaschistInnen in der Region jedoch nicht. Ebenfalls mehrfach in Klötze gesehen wurde z.B. der bundesweit aktive Neonazi Thorsten Heise.

Insgesamt sehen AntifaschistInnen die Lage der Altmark noch nicht als verloren an. Zwar gibt es innerhalb der rechten Szene momentan einen Aufschwung, über dessen Dauer kann jedoch derzeit nur spekuliert werden. Die Verbindung der NPD mit der rechten Skinheadsubkultur führt nach ihrer Einschätzung auf Dauer in die Sackgasse, da sich die Masse der Neonaziskins nicht längerfristig für politische Arbeit gewinnen lassen wird. Gefährlicher wird die Situation, wenn es der NPD bzw. anderen Neonazigruppierungen gelingt, aus der anpolitisierten Szene Kader heranzuziehen, mit deren politischen Aktivitäten sich auch BürgerInnen ansprechen lassen.

Hoffnung macht die Arbeit antifaschistischer Gruppen in der Region. Die überregionale Zusammenarbeit von Antifas hat sich in den letzten Monaten verbessert, und auch unabhängig von Unterstützung aus größeren Städten gibt es positive Ansätze. So demonstrierten in Salzwedel nach Ausschreitungen von Neonazis rund 500 BürgerInnen aus Gewerkschaften, Kirchen und Parteien gegen Faschismus und Naziaktivitäten in der Altmark.

  • 1Nachtrag AIB: Laut VS Bericht Sachsen Anhalt von 2008 eine "Führungsperson der "Freien Nationalisten Altmark-West"
  • 2Nachtrag AIB: Laut VS Bericht Sachsen Anhalt von 2004 ist er Führer des "SelbstSchutz Sachsen Anhalt"
  • 3Nachtrag AIB: Laut VS Bericht Sachsen Anhalt von 2004 ein "bekannter Rechtsextremist"