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"Wehrmachtsausstellung" und rechter Aufmarsch in Kassel

AntifaschistInnen aus Kassel
Einleitung

Mit deutlich weniger TeilnehmerInnen als angekündigt, dafür aber in illustrer politischer Spannbreite demonstrierten ca. 300 Republikaner, NPDIer und Angehörige des sogenannten »Nationalen Widerstands« bzw. der "Freien Kameradschaften" einträchtig am 6. Juni 1998 in Kassel. Anlaß war die Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-44« des "Hamburger Instituts für Sozialforschung", die vom 26. Mai bis 5. Juli 1998 in der "Documenta-Halle" gezeigt wurde.

Foto: Christian Ditsch

Der Neonazi-Führer Thomas Wulff (links am REP-Transparent) und der stellv. REP-Chef Christian Käs als Redner (mitte) in Kassel.

Die lokalen TrägerInnen der Ausstellung hatten ein umfangreiches Begleitprogramm abendlicher Vertrags- und Diskussionsveranstaltungen organisiert; Führungen durch die Ausstellung fanden statt, und die Lokalpresse (HNA) brachte unterstützend ausführliche Hintergrundberichte und Sonderseiten mit einer Fülle unterschiedlicher LeserInnenbriefe. Bilanziert wurde ein Erfolg des Konzeptes "Gräben anschauen - nicht vertiefen«. Mehr als 30.000 Menschen besuchten die Ausstellung in Kassel. Und: Hier hatte sich erstmals ein CDU-Oberbürgermeister bereit erklärt, auf der Eröffnungsveranstaltung zu sprechen. So weit, so demokratisch in der Form. Inhaltlich war neben interessanten Informationen eine relativ starke Behutsamkeit im Umgang mit den Tätern und eine Tendenz zu Abgrenzungen gegen »jedwede politische Extreme« zu beobachten. Bei den Veranstaltungen ging es um einen Aufarbeitungsdiskurs aus vorrangig historischer Perspektive, der nicht durch konfrontative Strategien, sondern durch Information, gegenseitiges Zuhören und Differenzierung gefördert werden sollte. Ein Ansatz, der punktuell jedoch zu dem Unbehagen führte, daß sich vor allem Linke - in quasi vorauseilender »Zahmheit« - um den Dialog bemühten und manches Mal Täter- und Opferpositionen allzusehr verwischt wurden.

Spektakuläre Stör- oder Beschädigungsaktionen gegen die Ausstellung blieben aus. Es gab diverse verbale Bekenntnisse, ein schüchterner "Pappschild-Opi" für wenige Minuten vor dem Eingang und Schmähbriefe gegen die VeranstalterInnen. Das Gästebuch spiegelt die unterschiedlichen Haltungen der BesucherInnen wieder. Sicherheitstechnisch setzten die VeranstalterInnen auf private Security und Polizei zum Schutz der Ausstellung im engsten Sinne und verhielten sich nicht zu den anderen angekündigten Aktivitäten von Rechten und Neofaschisten in der Stadt.

"Bündnis gegen Rechts" Kassel

Umso notwendiger war es, daß sich hier andere Kräfte organisierten, um den seit München - zu erwartenden Öffentlichkeits- und Propagandaaktionen der Rechten etwas entgegenzusetzen. So konstituierte sich im Frühjahr ein »Bündnis gegen Rechts« (BgR), dem neben autonomen und feministischen AntifaschistInnen auch Gruppen wie VVN/BdA, Friedensforum, DFG/VK, Kasseler Erwerbslosen-Initiative, Frauengruppe Courage, DGB/ÖTV, AWO und Sozialistische Initiative Voran sowie die Parteien PDS, Grüne und SPD angehörten. Insgesamt bewährte sich die Bündnisarbeit hinsichtlich eines breiten Unterzeichnungsspektrums bei Aufrufen, was möglicherweise auch eine breitere Mobilisierung bewirkte. Unerfreulich hingegen war, daß die meiste praktische Organisations-Arbeit vor allem an den (ex-)Autonomen hängenblieb und die Verbindlichkeit vieler »FunktionärInnen« (aus diversen Spektren) zu Wünschen übrig ließ. Der Anspruch gemeinsamer inhaltlicher Diskussionen konnten ebenfalls nur sehr begrenzt umgesetzt werden. Ärgerlich war zudem, daß die HNA nur sehr selten und/oder verspätet die Presseerklärungen des BgR veröffentlichte. Trotz alledem wird das  BgR - auch nach der sog. "Wehrmachtsausstellung" und den diesbezüglichen Nazi-Aktivitäten vorerst weiterexistieren.

Der Eröffnungstag

Zur Ausstellungseröffnung am 25. Mai 1998 wurde das Gelände um den Ausstellungsort reichlich von Polizei abgesichert. Die rechte Präsenz war eher spärlich, man blieb angesichts der Situation relativ unbehelligt und beschränkte sich auf das Verteilen einiger Flugblätter. Gekommen waren u.a. der frühere "Die Republikaner"-Abgeordnete in Hersfeld-Rotenburg Friedrich Baunack (Wüstefeld/Rothenburg a.d. Fulda), der nun als "Regionalbeauftragter Nordhessen" des politisch immer rechteren "Friedenskomitee 2000" (Starnberg) von Alfred Mechtersheimer auftritt.1 .  Für eine "Bürgeraktion unsere Zukunft" erschien der Neonazi-Funktionär Roy Armstrong Godenau (u.a. "Ostpreußenhilfe e.V.") aus dem nordhessischen Gilserberg, der seit langem im Umfeld verschiedener Neonazi-Organisationen tätig ist.2 . Vor Ort waren auch die rechten Funktionäre Ruth Bachmann vom Arbeitskreis der "Gesellschaft für freie Publizistik" (GfP) in Arolsen, die Kasseler REP-Fraktionsvorsitzende Christine Mey und B. (Volkmarsen) von der "Republikanischen Jugend".

Vor dem rechten Aufmarsch

Zentraler Mobilisierungspunkt der gesamten rechte Szene wurde dann die von der "Republikanischen Jugend" (RJ) bzw. deren hessischem Landesvorsitzenden Andreas Lehmann (Geinhausen) angemeldete Kundgebung am 6. Juni 1998. Das verwundert kaum die hessische REP-Jugend um Andreas Lehmann und Peter Schreiber soll laut Einschätzung von Szene-Kennern besonders wenig Berührungängste nach Rechtsaußen haben.

Das Ordnungsamt nutzte keine Möglichkeit, um die REP-Veranstaltung zu verbieten oder außerhalb der City zu verlegen. Stattdessen entschied SPD-Bürgermeister und Ordnungsdezernent Ingo Groß, eine »Pufferzone« einzurichten und die rechte Kundgebung vor dem Rathaus, direkt am Denkmal für den im »Dritten Reich« zerstörten Brunnen des jüdischen Stifters Aschrott zu genehmigen. Die antifaschistische Gegendemo durfte nur bis zum etwa 200 Meter entfernten Königsplatz gehen. Der Verbotsforderung des BgR begegnete Groß mit für ihn nicht sonderlich typischen liberalen Demokratie-Begründungen (»Versammlungsfreiheit«) und der angeblichen Aussichtslosigkeit juristischer Anstrengungen in dieser Angelegenheit. Damit versäumte er es sowohl, den Rechten mehr »Nerverei« durch Gerichtsverfahren zu bescheren, als auch, ein politisches Signal zu setzen. Stattdessen wurde das extrem spärliche Lippenbekenntnis, daß er die rechte Demo nicht begrüße, faktisch überlagert von der Garantie für diese, an sehr exponierter (und zusätzlich thematisch sensibler) Stelle demonstrieren zu dürfen und ihren Schutz polizeilich durchzusetzen.

Antifaschistische Gegendemonstration

Nachdem der städtische Kurs der Genehmigung und Absicherung gegenüber den Rechten nicht mehr zu revidieren war, verließen sich Antifas und BgR auf die eigenen (vorbereiteten) Kräfte: Die antifaschistische Demo war mit ca. 1.500 Leuten für Kasseler Verhältnisse sehr groß und bunt gemischt und konnte zügig die offizielle Route absolvieren, inklusive einer spektrumsmäßig breit gefächerten, aber bewußt kurz gehaltenen Abschlußkundgebung. Etwa 150 Menschen gelangten auf den Rathausplatz und konnten ihn zunächst besetzen, andere standen jenseits der Polizeiketten um den Platz herum. Kurz vor Eintreffen des Neonazi-Aufmarsches am Rathaus wurde der Vorplatz durch die Polizei freigeräumt, zum Teil unter Schlagstockeinsatz mit einigen Verletzungen bei GegendemonstrantInnen. Verhindert werden konnte die rechte Kundgebung aufgrund der Polizeipräsenz nicht. Beim baldigen eskortierten Rückmarsch kam es zu einigen Konfrontationen, die mit insgesamt 16 Festnahmen und etlichen Personalienfeststellungen von AntifaschistInnen endeten.

(Extrem) rechte Allianz auf der Straße

Die über die Autobahn kommenden Neonazis wurden in zwei Konvois von der Polizei in die Stadt eskortiert. Nach verzögerter Sammlungsphase marschierten die ca. 300 Rechten und Neonazis gut beschützt eine kurze Strecke in Richtung Rathaus. Dabei waren die REP-Funktionäre wie Andreas Lehmann, Christine Mey und Christian Käs (stellvertretender Bundesvorsitzender der REPs) eher in der Unterzahl. Bundesweit waren stattdessen führende Neonazi-Aktivisten wie Thomas Wulff (Hamburg), Thorsten Heise (Northeim), Markus E. (Kassel), Roy A. Godenau, Christian Hehl (Ludwigshafen), Friedhelm Busse (München) und Michael H. (Göttingen) angereist. Die Kundgebung der Neonazis, auf der neben Hauptredner Käs und Anmelder Lehmann auch Baunack und Wulff einen kurzen Redebeitrag halten durften, wurde teilweise von den  protestierenden Umstehenden akustisch übertönt.

Obwohl die Polizei angekündigt hatte, keinerlei Straftaten zu tolerieren, wurden Steinwürfe von Neonazis und das Zeigen des Hitlergrußes nicht geahndet. Die Polizei begleitete anschließend den Konvoi von ca. 50 Neonazis in PKWs und einem Bus bis zum Stadtrand.

Zwiespältige Bilanz

Die Bilanz bleibt zwiespältig: Die Rechten und Neonazis konnten Dank des städtischen und polizeilichen Verhaltens ihre Veranstaltung durchziehen. Das Bemerkenswerte an dem seit Jahrzehnten ersten großen Neonazi-Aufmarsch in Kassel wurde von Hamburger Neonazis im Internet kommentiert: »Das besondere bei dieser Demonstration: Republikaner und Freie Nationalisten marschieren gemeinsam. In einer Ansprache begrüßte der stellvertretende Bundesvorsitzende der Republikaner ausdrücklich den parteiübergreifenden Zusammenhalt. Findet nun auch bei den Republikanern ein positives Umdenken statt?« Daß sich die Fraktion innerhalb der REPs durchsetzen will, die eine Zusammenarbeit mit (militanten) Neonazis propagiert, erscheint durchaus möglich. Zumal auch NPD/JN-Funktionäre zur Zeit relativ erfolgreich auf dieses Konzept setzen.

Die antifaschistischen Aktivitäten konnten die Kundgebung zwar stören, jedoch nicht verhindern. Die zahlreiche Beteiligung eines bunten Spektrums an der Gegendemo und auch später in direkter Nähe zu den Neonazis war jedoch sehr erfreulich. Die antifaschistischen Aktivitäten um den 6. Juni 1998 stießen auf recht breite öffentliche Zustimmung, was darauf hoffen läßt, daß es auch in Zukunft für öffentlich auftretende Neonazis in Kassel ungemütlich bleibt - unabhängig vom »offiziellen« städtischen Kurs.

  • 1Mechtersheimer trat z.B. Anfang November 1997 in Kösching auf einer Großveranstaltung unter dem Motto "Patrioten aller Länder, vereinigt euch" von DLVH und "Nation Europa Freunde e.V." als Redner auf.
  • 2Vgl. "In der Höhle des Löwen" von Yaron Svoray und Nick Taylor