Das Holocaust-Mahmal in Berlin
»Es ist das größte Menschheitsverbrechen. Es belastet unsere Geschichte bis auf den heutigen Tag.«
Das, was Lea Rosh hier meint, ist der Holocaust. Und das, was diese Last mindern soll, ist das geplante »Denkmal für die ermordeten Juden Europas«. Seit der »Förderkreis zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas« sich 1989 konstituiert hat, wird über das Vorhaben Mahnmal diskutiert und (vornehmlich) gestritten. Insbesondere die Debatte um den sogenannten Naumann-Vorschlag hat die Zeitungen gefüllt und scheinbar prinzipielle Fragen erneut aufgeworfen. In der linksradikalen Szene finden jedoch kaum Diskussionen über das Thema statt. Diese Nicht-Thematisierung ist einerseits sicher der Fülle an Material geschuldet. Andererseits ist es wahrscheinlich auch die Furcht, zu so einem »heiklen« Thema Stellung zu beziehen. Der folgende Artikel soll einen Überblick bieten und Diskussionsansätze in den Raum stellen.
»Die große Jeder-kann-mitmachen-Schau des schlechten Gewissens«
Auf die Idee, ein zentrales Mahnmal in Berlin errichten zu wollen, sind Lea Rosh (Journalistin und Publizistin) und Eberhard Jäckel (Kunsthistoriker) ihrer Aussage nach bei einem Besuch in Yad Vashem1 gekommen. Es scheint absurd, daß ein solcher Besuch nötig ist, um auf die Idee zu kommen, in Deutschland ein ähnliches Denkmal zu errichten. Dies mutet angesichts der Diskrepanz zwischen einem Denkmal im Land der Täter und einem im Land der Opfer seltsam an.
Im Frühjahr 1992 erklärte der Bund seine Bereitschaft, gemeinsam mit dem Land Berlin die Trägerschaft für das Mahnmal zu übernehmen, und ein halbes Jahr später wurde der Ort festgelegt: das Mahnmal sollte südlich des Brandenburger Tors auf dem Gelände des ehemaligen »Führerbunkers« in direkter Nähe zur ehemaligen Reichskanzlei und zum Reichssicherheitshauptamt, von denen aus der Mord an den JüdInnen dirigiert wurde, errichtet werden. Damit liegt das geplante Mahnmal genau auf der TouristInnenmeile zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz und wird zusammen mit der schönen neuen gesäuberten Innenstadtarchitektur um den Potsdamer Platz Teil eines skurrilen »Erlebnisparks«.
Andererseits wird mit dem gewählten Standort der Mythos fortgeschrieben, demgemäß Hitler und seine obersten Chargen die alleinige Verantwortung für den Holocaust trugen. So wird die Unterstützung der Nazis - ob aktiv oder durch Schweigen und Zuschauen - durch die Bevölkerung, nicht thematisiert. Die Kosten für die Errichtung des Mahnmals sollten zwischen Bund, Land und dem Sponsoring durch Konzerne, die während der NS-Herrschaft unbezifferbare Gewinne durch die Zwangsarbeit erzielt hatten, aufgeteilt werden. Als Auslober für den architektonischen Wettbewerb fungierte dementsprechend ein Kuratorium, das sich neben Mitgliedern des Förderkreises aus VertreterInnen aus Politik, Wirtschaft und Kultur zusammensetzte.
Der Wettbewerb wurde 1994 öffentlich international ausgeschrieben. Der Publizist Henryk M. Broder beschreibt die Präsentation der Ergebnisse im April 1995 am plastischsten: »(...) insgesamt 528 Modelle, eines peinlicher, mißglückter, blamabler als das andere. Es war die große Jeder-kann-mit- machen-Schau des schlechten Gewissens. Ein Künstler wollte ein Super-Riesenrad bauen, mit 16 Viehwaggons als Gondeln. Ein anderer einen auf einem See schwimmenden David-Stern von 120 Metern Durchmesser mit einem gebrochenen Herzen als Krönchen obendrauf und 'Trauerarbeitsplätzchen' untenrum.«2 Der favorisierte Entwurf, der auch die Unterstützung von Ignatz Bubis fand, stellte eine große, leicht geneigte Betonplatte dar, in die die Namen der ermordeten Juden eingemeißelt werden sollten.
Den Vorschlag des Förderkreises, dafür Spenden zu sammeln, nannte Bubis einen »Ablaßhandel« und nachdem der damalige Bundeskanzler Kohl sein Veto eingelegt hatte, wurde der Entwurf wieder fallengelassen. Auch die Opfergruppen, denen gedacht werden soll, wurden diskutiert. Die Einbeziehung von Roma und Sinti wurde aufgrund der »Einzigartigkeit der Judenverfolgung« abgelehnt. Daraufhin einigte man sich auf ein eigenes nationales Roma-und-Sinti-Mahnmal, von dem heute nicht mehr gesprochen wird. Die weitere Debatte in den Medien in den Jahren 1995/96 drehte sich darum, inwiefern bestehende Gedenkstätten in den ehemaligen Konzentrationslagern die Greuel des Holocaust nicht viel direkter vermitteln könnten als ein abstraktes Mahnmal. Die Frage des abstrakten Erinnerns und Mahnens wurde im weiteren Verlauf wiederholt aufgegriffen. Schließlich wurden 1997 nach drei internationalen Kolloquien und zwei weiteren Wettbewerben vier Siegerentwürfe präsentiert.
An den Kolloquien nahmen zwar einige wenige Überlebende des Holocaust teil, doch ohne institutionalisiertes Mitspracherecht. Aus den Siegerentwürfen kristallisierte sich schließlich der von Eisenmann und Serra heraus. Dieser sah ein begehbares Labyrinth von 4.000 bis zu 7,50 Meter hohen Betonstelen vor, die an Grabsteine erinnern und beim Betreten das Gefühl der Ausweglosigkeit hervorrufen sollten. Nachdem Ex-Bundeskanzler Kohl Eisenmann dazu gebracht hatte, den Entwurf auf 2.700 bis zu vier Meter hohe Stelen zu verkleinern, stieg Eisenmanns Kollege Serra aus dem Projekt aus. Später warf er der deutschen Öffentlichkeit vor, daß sie das Denkmal ohnehin »nur aus Gründen der political correctness« wolle.3 Die Entscheidung über das Mahnmal wurde im Sommer 1998 auf nach der Bundestagswahl verschoben. Im folgenden wurde die Idee des Mahnmals wiederholt prinzipiell in Frage gestellt.
Mit dem Vorschlag des Kulturbeauftragten der jetzigen Bundesregierung, Michael Naumann, das Mahnmal zu verkleinern und es um eine Dokumentations- und Forschungsstätte zu ergänzen, werden die verschiedenen Ansprüche an ein solches Projekt wiederholt sehr deutlich. Sowohl die Frage nach dem Warum eines Mahnmals als auch die, was es bezwecken soll, werden sehr unterschiedlich beantwortet. Salomon Korn sieht bspw. in dem Mahnmal das Setzen »eines öffentlichen Zeichens historischer Verantwortung« 4 , und Bubis gar »ein Stück Schuldbekenntnis« 5 . Auch bei der Frage der Wirkung auf die Betrachtenden sind die Meinungen geteilt. Der Historiker Jürgen Kocka fordert, das Mahnmal solle »Trauer und Entsetzen, nicht Schuld sondern Scham« ausdrücken und stellt damit das Projekt als solches in Frage, denn »Scham ist leise und wendet sich nach innen«6 Naumann plädiert für eine »schockhafte Wirkung« 7 , Eisenmann will mit seinem Entwurf »Unruhe und Unsicherheit hervorrufen« 8 .
Die wenigsten Kommentare und Diskussionsbeiträge während der ganzen Debatte beziehen sich auf die Problematik, ein Denkmal im Land der Täter errichten zu wollen. Der Kasseler Künstler Horst Hoheisel thematisierte dies in seinem Wettbewerbsvorschlag. Ein Mahnmal im Land der Täter müsse vollkommen anders aussehen als im Land der Opfer. Es müsse die Täterschaft reflektieren: »Sonst schiebt sich Deutschland mit diesem Denkmal unbemerkt zwischen die Opferländer des Naziterrors, und plötzlich sind auch die Täter unter diesem Denkmal verschwunden, und alle sind Opfer der 'Gewaltherrschaft', die wie eine Naturkatastrophe über uns hereingebrochen ist.« Hoheisel schlug vor, das Brandenburger Tor zu zermahlen und das Steinmehl auf dem Mahnmalsgelände zu zerstreuen und mit Platten zu überdecken. »Damit wären wir gezwungen, die Leere beider Orte auszuhalten.«
Daß ein Mahnmal in Deutschland nicht eine bequeme Identifikation mit den jüdischen Opfern beinhalten darf, sondern eine negative Identifikation der Nachkommen der TäterInnen mit der deutschen Vergangenheit ausdrücken muß, wurde kaum thematisiert. Vielmehr steht zu befürchten, daß mit dem geplanten Denkmal - falls es denn gebaut wird - eine Art Schlußstrich unter die mühsame Debatte über das Erinnern gesetzt wird und damit ein Schlußstrich unter die Beschäftigung mit der deutschen Vergangenheit. Auffällig ist, daß die Erwartungen an ein Denkmal auf allen Seiten extrem überhöht sind. Denkmäler dienen zwar der Identitätsvergewisserung (einer Nation beispielsweise), aber auf einer sehr plakativen Ebene. Aleida Assman weist darauf hin, daß Denkmäler zuallererst im Kontext internationaler Diplomatie zu betrachten sind: »Denkmäler als Orte für die Inszenierung von Gedenkriten gehören zum Formenarsenal politischer Repräsentation; sie sind Teil nationaler Selbstthematisierung und internationaler symbolischer Kommunikation.«9
Sinn linker Diskussion über das Holocaust-Mahnmal kann deshalb nicht sein, die perfekte Umsetzung des Projekts zu erörtern. Letztendlich bleibt die Beantwortung der Frage, welche künstlerische Umsetzung am Ansprechendsten erscheint, abhängig von einer subjektiven Einschätzung. Es muß vielmehr darum gehen, die Motivation hinter der Denkmalsdebatte zu thematisieren: die Gefahr des »Schlußstrichs«, des Freikaufens (im Sinne von: »Jetzt haben wir Deutschen doch ein riesengroßes Mahnmal, was wollt Ihr denn noch?«) und die politische Repräsentation Deutschlands im Ausland.
Die Aufgabe einer antifaschistischen Linken wäre dagegen, aufmerksam zu machen auf die Prozesse der langsamen Umdeutung und des Vergessens der Geschichte, die auch in der Form der Befürwortung eines zentralen Mahnmals als kollektivem Ablaßhandel zu befürchten sind. Um dem etwas entgegenzusetzen, muß man sich Gedanken über sinnvolle Erinnerungsarbeit und mögliche Formen eines dezentralen Gedenkens machen; und dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit Überlebenden - die in die Entscheidung über das Holocaust-Mahnmal oder die Umgestaltung von Gedenkstätten kaum einbezogen werden-, um deren Erinnerungsarbeit in ihrem Sinne fortzusetzen.