Zur rot-grünen Vertriebenenpolitik
Zwar beschweren sich die Vertriebenenverbände lauthals über die neue Bundesregierung, aber sie haben kaum Gründe dazu. Die rotgrünen Änderungen in der Vertriebenenpolitik sind geringfügig. Die Verbände werden weiter unterstützt.
Bekenntnis zu Schlesien
Die Eigentumsrückforderungen des Bundes der Vertriebenen (BdV) gegenüber Tschechien, Polen oder Rußland bezeichnete die alte Bundesregierung als »berechtigte Anliegen«. In den Vertragsverhandlungen mit den betroffenen Staaten wurden Eigentums- und Entschädigungsfragen daher nicht geklärt, sondern »offengehalten«.
Damit machte sich die Bundesregierung die Forderungen des BdV zueigen und vertrat sie auch auf internationaler Bühne. Zwar hat der BdV diese Forderungen, wie erst Anfang September am Tag der Heimat deutlich wurde, nicht aufgegeben. Allerdings erhält er dafür keine politische Unterstützung der Bundesregierung mehr. Seine Regierung denke nicht daran, gegenüber Prag Vermögenstragen aufzuwerfen, so Bundeskanzler Schröder bei einem Besuch in Tschechien. Außenminister Fischer bezeichnete in Warschau die Forderungen des BdV als »anachronistisch und absurd«.
Das hält die Bundesregierung jedoch nicht davon ab, die revanchistische Politik der Vertriebenenlobby weiter zu finanzieren. Die Arbeit des Dachverbandes BdV wird auch 1999 mit ca. 3,3 Mio. DM fast ganz aus der Steuerkasse bezahlt. Weitere 43 Mio. DM fließen in die Vertriebenenkulturarbeit und weitere Mittel in Millionenhöhe erhalten die Verbände für Projekte der Minderheitenförderung im Ausland, für Maßnahmen zur SpätaussiedlerInnenintegration und für sogenannte verständigungspolitische Maßnahmen.
Der Anstieg der finanziellen Förderung während der Kohl-Regierung war immens. Allein die Ausgaben für die Vertriebenenkultur stiegen seit 1982 von 4,2 Mio. DM auf 46,1 Mio. DM im Jahr 1998. Dafür sind die Kürzungen, die Rot-Grün vornahm, ausgesprochen gering. Nur 200.000,- DM mußte der BdV zum Sparhaushalt 1999 beitragen, ca. 3 Mio. DM wurden bei der Vertriebenenkultur eingespart.
Gerade die Förderung des BdV müßte jedoch schon darum sofort eingestellt werden, weil der Verband und einige der angeschlossenen Landsmanschaften nicht nur Eigentums- und mitunter Gebietsrückforderungen stellen, sondern zudem auch deutliche rechte bis ultra-rechte Tendenzen aufweisen, so etwa die einflußreichen Landsmannschaften der Sudetendeutschen oder Ostpreußen.
Die Vertriebenenkulturpolitik
Besonderen Protest der Verbände haben nun geplante Änderungen in der Vertriebenenkulturpolitik hervorgerufen. Ziel einer Neukonzeption des Bundesbeauftragten für Kultur, Naumann, ist die Neuorganisation und Straffung der Förderung.
Durch die Zusammenlegung einiger Institutionen sollen zum einen Einspareffekte erzielt werden, zum anderen orientiert sich die zukünftige Förderung in stärkerem Maße an Wissenschaft und musealer Darstellung und weniger an sogenannter Breitenarbeit und Brauchtum. Vor allem die stark vom BdV beeinflußten und funktionalisierten Institutionen, Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen und die Stiftung Ostdeutscher Kulturrat sollen nicht mehr gefördert werden. Stattdessen plant Naumann eine neuzugründende Kulturstiftung für das östliche Europa.
Diese zaghafte Neuorientierung wird von den Verbänden heftig kritisiert. »Kulturpolitik mit dem Schlachtermesser« überschrieb das BdV-Organ Deutscher Ostdienst (DOD) einen redaktionellen Beitrag. Der Vertriebenen-Funktionär und CDU-Politiker Rüdiger Goldmann, Mitglied des national-völkischen Witikobund e.V., schreibt in dem Blatt von einer »Entmündigung« der Vertriebenen. Es dürfe nicht um die Kultur des östlichen Europa gehen »sondern um genuin deutsche, d.h. ostdeutsche Kultur«.
Zwar läßt die Konzeption offen, warum es neben zahlreichen anderen Einrichtungen zum Thema überhaupt noch einer weiteren Stiftung bedarf, wenn es Naumann allerdings gelingt die neue Stiftung tatsächlich von den Netzwerken der Verbände abzukoppeln, wäre das immerhin ein Schritt nach vorne. Denn dort wird Kulturpolitik nicht als Mittel zur Verständigung gesehen.
Der Vorsitzende der Landsmannschaft Schlesien, Herbert Hupka, schrieb 1986 über die Bedeutung der Vertriebenenkulturpolitik: »Wer den Nachweis erbringen will und muß, wie deutsch Ostdeutschland jenseits von Oder und Neiße, wie deutsch die Sudetendeutschen, wie deutsch die Deutschen in den deutschen Siedlungsgebieten waren und sind, bedarf der Objektivierung der Beweise, und diese Möglichkeit eröffnet die ostdeutsche Kultur".
Der stellvertretende BdV-Vorsitzende Paul Latussek äußerte 1996 im DOD, die "Ostdeutsche Kultur" sei "ein Beitrag zur Wiedererlangung eines sich auf die traditionellen Werte besinnenden Selbstwertgefühls unseres Volkes."
BdV-Projekte in Polen und Rußland
An der Vertriebenenpolitik des Innenministeriums, das jenseits der Kulturförderung für die Vertriebenen zuständig ist, hat sich dagegen kaum etwas geändert. Die skandalöse Finanzierung des BdV wird ebenso weitergeführt, wie die Projekte der Verbände in den Minderheitengebieten Polens oder Rußlands.
So wurden dem BdV z.B. Mittel für die Ausstattungen von "Einrichtungen der deutschen Minderheit in Polen" bewilligt. Die Finanzierung der deutschstämmigen Minderheit über den BdV war bereits in der Vergangenheit Gegenstand von Auseinandersetzungen. Vor allem Minderheitenvertreter aus Tschechien und Polen hatten den Vertriebenen vorgeworfen mit der Geldvergabe politischen Druck und Einfluß auszuüben und waren bemüht, sich aus der Abhängigkeit von den Landsmannschaften zu befreien.
Der Zeitungsversand für russlanddeutsche Einrichtungen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, ein Auftrag von immerhin mehr als 600.000,- DM, wurde dem BdV sogar neu übertragen. Die dem Bundesinnenministerium unterstellte Bundeszentrale für politische Bildung förderte eine Veranstaltung der ultra-rechten tendierenden Landsmannschaft Ostpreußen.
Auch jenseits der finanziellen Förderung sehen sich die organisierten Vertriebenen durch das Bundesinnenministerium unterstützt. Otto Schily und sein Staatssekretär Rudolf Körper sparen bei Reden vor Vertriebenenorganisationen nicht mit Lob und Anerkennung für deren Politik der »Aussöhnung«. Der stark revanchistischen Landsmannschaft Schlesien schrieb Schily zum Beispiel ein Grußwort, in dem er neben den üblichen Dankesworten betonte, daß im zusammenwachsenden Europa, die "Grenzen ihren trennenden Charakter" verlieren. »Vor diesem Hintergrund erhält Ihr diesjähriges Motto 'Bekenntnis zu Schlesien' besondere Bedeutung«.
Ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, konnte der DOD in seiner Ausgabe vom 25. Juni 1999 eine Rede des Staatssekretärs Körper vor dem Hindenburger Heimattreffen, in der er die »wichtige Brückenfunktion« der Vertriebenen betont, zusammen mit einem Artikel des rechten Publizisten Alfred Schickel von der geschichtsrevisionistischen Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt (ZFI) veröffentlichen.
Erika Steinbach um Eigenständigkeit bemüht
In Reaktion auf die Naumann-Konzeption setzt der BdV verstärkt auf eigenständige und staatsunabhängige Institutionen.
So versucht die BdV-Präsidentin Erika Steinbach derzeit eine eigene Stiftung »Zentrum gegen Vertreibungen« in Berlin zu errichten, für die sie 160 bis 200 Mio. DM vorwiegend aus Landes- und Bundesmitteln einwerben will. Für Spenden wirbt Steinbach mit Unterstützungszusagen von zahlreichen CDU-Funktionären und wiederum von Bundesinnenminister Otto Schily. Damit wollen die Vertriebenen ihr Netzwerk von ohnedies bestehenden eigenständigen Stiftungen, Institutionen, Verbänden und kooperierenden Organisationen ausbauen, um auch ohne die Bundesförderungen weiterhin agieren zu können.
Befürchtungen in diese Richtung scheinen jedoch unbegründet zu sein. Ein Regierungswechsel, so beruhigte Staatssekretär Körper die Vertriebenen im DOD, sei in einer Demokratie kein Systemwechsel.
Ohne systematische Änderungen in der Vertriebenpolitik bleibt der Status quo aber bestehen: Die finanzielle und politische Unterstützung der Vertriebenenforderungen und die Akzeptanz der rechten bis ultra-rechten Tendenzen in einigen Verbänden. Der Einsatz der Landsmannschaften in der Minderheitenförderung und damit in der Außenpolitik hatte auch in den letzten 16 Jahren einen inoffiziellen Charakter.
Auch die letzte Regierung hat die deutsche Ostgrenze offiziell anerkannt, aber gleichzeitig die Wühlarbeit der Verbände finanziert, die versuchten diese Grenze zu unterminieren. Die neue rot-grüne Politik gegenüber Polen und Tschechien ist unglaubwürdig, wenn den Revanchisten im BdV diese Rolle nicht genommen und durch die Beendigung der Finanzierung auch eine klare Distanz zu deren Forderungen hergestellt wird.