Zwischen Verharmlosung und Unterstützung
Am 9. Juni 2000 wurde der Präsident des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz Helmut Roewer vom Amt suspendiert. Grund dafür war nicht die von AntifaschistInnen aus Gewerkschaft, PDS, Grünen und Initiativen immer wieder geäußerte Kritikan der Diffamierung von Linken.
Helmut Roewer wurde im Juni als Präsident des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz vom Dienst suspendiert. Angesichts des Brandanschlages auf die Erfurter Synagoge in der Nacht zum 21. April und der Häufung von Neonazi Aufmärschen war Roewer offenbar nicht mehr haltbar. Den Ausschlag gab der Skandal um die Beschäftigung des Neonazis Thomas Dienel als V-Mann.
Wie Innenminister Köckert (CDU) am 8. Juni erklärte, bekam Dienel in der Zeit von 1996 bis 1997 insgesamt 25.000 DM als Honorar für Informationen, die er dem VS bei rund 80 Kontakten lieferte. Dienel gibt an, mit dem Geld u. a. die Herstellung von rechtsextremer Propaganda finanziert zu haben. Weitere Gegenleistungen seien die Unterstützung bei laufenden Gerichtsverfahren und Informationen über Polizeieinsätze und Ermittlungsverfahren gewesen.
Roewer kam vor sechs Jahren vom Bundesinnenministerium nach Thüringen. Er fiel vor allem durch Diskreditierungsbemühungen von antifaschistischen und antirassistischen Bündnissen sowie der qualitativen Verharmlosung der extremen Rechten auf. Seine Äußerungen wie die, der Nationalsozialismus habe gute und schlechte Seiten gehabt, dürften zu einem erheblichen Teil die Linie des Amtes geprägt haben.
Vorgänge um das Verbot der 1997 geplanten Demonstration gegen den rechten Konsens in Saalfeld machen verschiedene Arbeitsmethoden des Amts gegen Linke und antifaschistische Bündnisse deutlich. Mit gezielten denunziatorischen Informationen an Politiker, Medien und die Versammlungsbehörden gelang es, die Demo und ihre OrganisatorInnen zu diskreditieren und für ein Verbot zu sorgen.
Das breite Bündnis aus PDS, Grünen, Gewerkschaften und Autonomen war der Erfolg jahrelanger kontinuierlicher antifaschistischer Arbeit in Thüringen und zugleich in den Augen des VS die größte Gefahr. Das Bündnis, das sich weder durch ausgrenzende Angebote der SPD, noch durch Verbot und brutales Polizeiverhalten spalten ließ, stellte die von der CDU und großen Teilen der SPD betriebene Trennung in couragierte BürgerInnen einerseits und böse Autonome andererseits, die zum Kernbestandteil der Staatsschutzideologie von Links- und Rechtsextremismus gehört, massiv in Frage.
Roewer, der in einem Fachreferat vor KollegInnen Faschisten und Antifaschisten als siamesische Zwillinge bezeichnete, musste auch nach Saalfeld alles daran setzen, diese öffentliche Infragestellung aus der Welt zu schaffen. Zu den ausgewählten Beobachtungsobjekten des Thüringer VS zählen diejenigen innerhalb der Linken, die für eine Zusammenarbeit verschiedener Strömungen stehen.
Die Junge Gemeinde (JG) in Jena, die sich konsequent gegen Neofaschismus positioniert und wiederholt von Neonazis angegriffen wurde, ist aktuelles Beispiel für die denunziatorische Arbeit des VS. Vor einem Straßentheaterstück, das die Gefährlichkeit von Neonazis eindrücklich darstellt, hatte der Verfassungsschutz bereits 1998 den DGB Kreis Ostthüringen gewarnt und diesem vergeblich von einer Zusammenarbeit mit der JG abgeraten.
Am 30. Mai diesen Jahres stellten Roewer und Köckert in Jena einen Film über Extremismus in Thüringen vor, in dem als Beispiel für Rechtsextremismus die NPD, für Linksextremismus die Junge Gemeinde Jena genannt wird. Zwei Tage nach der Vorabveröffentlichung des Films wurde die JG am Himmelfahrtstag von ca. zehn rechten Jugendlichen überfallen und dem Jugendpfarrer bei gezielten Schlägen und Tritten gegen den Kopf eine Gehirnerschütterung zugefügt.
Die Konstruktion »des Linksextremisten« ist in Thüringen einerseits je nach politischem Gusto beliebig einsetzbar, wie auch andererseits notwendig zur Konstruktion der Demokraten. So wurden die TeilnehmerInnen einer Blockade gegen eine NPD-Demo am 27.2. in Erfurt von CDU-Vertretern als »linksextreme Störer« bezeichnet, von denen die eigentliche Gefahr des Tages ausging. Zwei Monate später kürten dieselben CDUler exakt den selben Personenkreis als VeranstalterInnen einer Mahnwache an der Synagoge zu »couragierten, demokratischen BürgerInnen«.
Zu diesem Weltbild gehört es immer noch, »Linksextremismus« im Vergleich zur extremen Rechten als qualitativ gefährlicher einzuschätzen. Bei 1118 Straftaten mit »rechtsextremistischem Hintergrund« beschäftigt das Amt 14 SachbearbeiterInnen, anlässlich von 52 Straftaten mit »linksextremistischem Hintergrund« beobachten hier 9 SachbearbeiterInnen.
Angesichts des kleinen Schritts, den die NS-Szene in Thüringen nur noch vor sich hat, um zur Bewegung zu werden, und der Unfähigkeit der Kalten Krieger, dieses Problem zu realisieren, droht der Anti-Antifaschismus auf den Straßen und in den Amtsstuben zu einer lebensbedrohlichen Gefährdung für VertreterInnen eines an Zivilcourage und Demokratisierung orientierten Gesellschaftsentwurfs zu werden.