Gewalt gegen Obdachlose. Strukturelle Ausgrenzung und neonazistische Angriffe
Obdachlose werden nicht zufällig Opfer rechter Übergriffe. Die Motivation der Täter gründet sich auf strikte Ablehnung von vermeintlich leistungsunwilligen oder leistungsunfähigen Menschen. Damit bewegen sich die Rechtsextremen im Fahrwasser der Vertreibungspraxis von sozialen Randgruppen.
Offizielle Statistiken über Angriffe auf Obdachlose gibt es bisher nicht. Die Betroffenen müssen sich daher selbst bemühen. Die Berliner Obdachlosenzeitung »motz« veröffentlichte im Herbst vergangenen Jahres eine Chronologie. Demnach gab es 374 Übergriffe allein zwischen 1989 und 1993. Auch in den folgenden Jahren nahm die Gewalt nicht ab. 276 Angriffe zählt die Chronik zwischen 1997 und 1999.
Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe sind in den letzten zehn Jahren mindestens 107 wohnungslose Menschen von Tätern außerhalb der Wohnungslosenszene getötet worden, 203 wurden Opfer schwerer körperlicher Gewalt. Die Ignoranz der Sicherheitsbehörden geht soweit, dass Obdachlose in den letzten beiden Berichten des Verfassungsschutzes nicht einmal als potenzielle Zielgruppe rechtsextremer Gewalttäter aufgeführt wurden.
Dabei ist der Hass gegen Wohnungslose bereits in der neonazistischen Ideologie angelegt. Die Täter sehen ihre Opfer als »minderwertig« an. Das zeigt schon der Szenebegriff »Pennerklatschen« und die maßlose Brutalität, mit der die Morde ganz gezielt und bewusst ausgeführt werden. Ihr Motiv sei gewesen, »einen Assi (zu) klatschen«, sagten etwa die Täter nach der Ermordung des Sozialhilfeberechtigten Dieter Eich in Berlin-Pankow am 25. Mai letzten Jahres. Dennoch sieht die Bundesregierung keine rechtsextreme Motivation.
Ausschlaggebend für die Aufnahme in die Datenbank rechtsextremer Straftaten beim Bundeskriminalamt sei nicht, so eine Sprecherin des Amtes, dass die Täter selbst Skinheads seien oder einer Nazi-Organisation angehören. Entscheidend sei vielmehr das – Tatmotiv – und die Aussagen der Täter vor Gericht. In der Hoffnung auf eine gute Sozialprognose und ein mildes Urteil sind diese Aussagen jedoch oft taktisch motiviert. Daher kann sich das Tatmotiv vom Beginn bis zum Ende eines Verfahrens noch gewaltig ändern.
Systematische Politik der Vertreibung
Vor dem Hintergrund der strukturellen Diskriminierung Wohnungsloser erscheint ihre Ausklammerung als Opfergruppe umso vielsagender. Die systematische Vertreibung von verelendeten und verarmten bzw. nach den herrschenden Normen »sozial auffälligen« Menschen aus den repräsentativen öffentlichen Räumen der Städte, den Einkaufszonen, Bahnhöfen und Geschäftsvierteln hat sich insbesondere in den Großstädten verschärft.
Diese Vertreibungspolitik ist in erster Linie dem politischen und ökonomischen Standortfaktor geschuldet. Die Stadt der Reichen und Wohlhabenden soll schöner und lebenswerter werden. Soziales Elend soll dort nicht mehrsichtbar sein. Dementsprechend erfolgt die Vertreibung von Obdachlosen, BettlerInnen und Junkies aus den Shopping-Meilen der Innenstädte in andere Bezirke. Am Ende dieser Entwicklung steht die Aufteilung der Städte in Zonen nach sozialen Kriterien und einer Quasi-Privatisierung des öffentlichen Raumes.
Mit Hilfe »kommunaler Straßensatzungen« werden bestimmte Verhaltensweisen wie etwa das Betteln oder das Alkoholtrinken außerhalb von Lokalen, als unerlaubt definiert. So erhalten die Vertreibungen durch Polizei und private Sicherheitsdienste ihre Legalität und Absicherung durch lokale PolitikerInnen. Das elementare Grundrecht auf Freizügigkeit wird somit an die Einkommenshöhe und an sozial angepasstes Verhalten gekoppelt.
Die Umsetzung von Ausgrenzung durch zunehmende technische Perfektion auf videoüberwachten und hightech-gesicherten Plätzen, Straßen und Stadtteilen, die von Polizei und privatenWachdiensten kontrolliert werden, hat ein erschreckendes Ausmaß angenommen. Bekämpft werden dabei die Obdachlosen, nicht die Armut. Dementsprechend mangelt es noch immer an einfachsten Überlebenshilfen, an adäquaten Notunterkünften, an einfachem Zugang zu sozialen Leistungen und Institutionen, medizinischer Versorgung oder Wärmestuben. Als drastische Folge der Ausgrenzung sterben jeden Winter etliche Menschen den Kältetod.
Konsens gegen »Milieus der Unordnung«
Im momentanen Umbau des traditionellen Sozialstaates geht es nicht nur um Sozialabbau, die Demontage von Sozialeinkommen und sozialen Rechten. Es geht auch darum, auf der ideologischen Ebene die Sozialstaatsidee bzw. bisherige Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit auszuhöhlen und umzudefinieren. An den Elementen einer repressiven Ausgrenzungsstrategie gegenüber verarmten oder verelendeten Menschen und gegenüber »sozial auffälligen« Personen lässt sich der Versuch nachweisen, einen gesellschaftlichen Konsens gegen diejenigen zu konstruieren, die der »Gemeinschaft« auf der Tasche liegen.
In den Vertreibungsmaßnahmen und ihrer Begründung wird ein leistungsfähiger und produktiver gesellschaftlicher Kern beschworen. Die »Gemeinschaft« sind die imaginären »Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt«, deren Werte und Normen definieren, was »sozialverträglich« ist und was nicht. Die Feinde dieser »Gemeinschaft« sind in erster Linie alle diejenigen, die nicht fleißig arbeiten und stattdessen Kosten verursachen. Von der Konstruktion einer »Problemgruppe« geht das Muster über in eine gezielte Abspaltung und Ausgrenzung.
Die vom ehemaligen Bundesinnenminister Kanther initiierte Aktion Sicherheitsnetz, die mittlerweile in vielen Kommunen verankert ist, verstand sich in diesem Sinne als »Verteidigung der öffentlichen Ordnung« gegen »Pennertum, Bettelei« und »Milieus der Unordnung«. Wenn erst einmal »menschlicher Müll« definiert worden ist, erscheint es nur konsequent, ihn auch entsprechend zu behandeln. An dieser Stelle überschneiden sich Vertreibungspolitik und die Motivation rechtsextremer Gewalttäter. Deren Denkmuster beruhen u. a. auf strikter Ablehnung von vermeintlich Leistungsunwilligen und -unfähigen und auf der ausgeprägten Identifizierung mit bürgerlichen Werten wie Leistung, Status, Karriere und Geld.
Die Übergriffe der Neonazis sind letztendlich eine extreme Überprojektion solcher Wertvorstellungen. Die gesellschaftliche Ausgrenzung verstärkt das Gefühl der Täter, mit ihren Aktionen die Interessen der Bevölkerung zu vertreten. »Asoziale und Landstreicher gehören nicht ins schöne Ahlbeck«, sagte etwa einer der Täter, die am 27. Juli 2000 den 51jährigen Obdachlosen Norbert Plath zu Tode geprügelt hatten. Diese erschreckend gewöhnliche Aussage zeigt, wie sehr sie sich damit im Fahrwasser alltäglicher Diskurse bewegen.
Morde mit rechtsextremem Hintergrund
Lediglich bei zwei der sieben in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Morde an Obdachlosen seit 1999 erkennt die Bundesregierung eine rechtsextreme Motivation. Nicht als rechtsextrem eingestuft werden weiterhin:
Die Ermordung des 52jährigen Obdachlosen Jürgen S. am 9. Juli 2000 in Wismar durch fünf laut Polizeiangaben geständige Rechtsextremisten.
Der Mord an dem Obdachlosen Klaus-Dieter Gerecke am 24. Juni 2000 in Greifswald durch drei Personen der örtlichen rechten Szene.
Die Ermordung des 60jährigen Sozialhilfeberechtigten Dieter Eich am 25. Mai 2000 in Berlin-Pankow durch vier von Polizei und Staatsanwaltschaft als Rechtsextremisten eingestufte Täter.
Die Ermordung des 38 Jahre alten Sozialhilfeberechtigten Kurt Schneider am 6. Oktober 1999 in Berlin-Lichtenberg durch vier laut Gericht rechtsextremistische Skinheads.
Der Mord an dem Frührentner Egon Effertz am 17. März 1999 in Duisburg durch drei rechtsradikale Hooligans.