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»Ortsverbringung« in den Tod

Einleitung

Wegen Aussetzung mit Todesfolge verurteilte das Stralsunder Landgericht am 9. Juli 2003 zwei Polizisten aus der Hansestadt zu Haftstrafen von drei Jahren und drei Monaten. Die Polizeibeamten Rainer V. und Ronny D. ließen den alkoholisierten Obdachlosen Wolfgang Hühr im Dezember 2002 in einem Vorort von Stralsund bei starkem Wind und zwei Grad Celsius zurück. Wenige Stunden später erfror der spärlich bekleidete Mann.

Bild: flickr.com/charlott_L/CC BY-NC-ND 2.0

Im Verlaufe der Zeugenaussagen wurde bekannt, dass Aussetzungen – im Polizeijargon »Ortsverbringungen« – bei der Stralsunder Polizei gängige Praxis sind. Der Angeklagte Rainer V. räumte ein, von 40 bis 60 solcher »Ortsverbringungen« gewusst zuhaben. Diese »waren allgemein üblich«. Nur, dass – wie andere Polizisten erleichtert einräumten – ihre Aussetzungen im Sommer stattfanden und es somit keine Gefahr des Erfrierens bestand. Über 15 Kilometer von den Stadtgrenzen entfernt, so der Angeklagte Ronny D., befinden sich die Orte, zu denen die Menschen »verbracht« wurden.

Auch dem Leiter der Polizeidirektion Stralsund, Thomas Laum, sind »Ortsverbringungen« bekannt. Diese seien übliche Praxis bei Nichtbefolgung von Platzverweisen und deckten sich mit dem Sicherheits- und Ordnungsgesetz. Nach von ihm angeordneten umfassenden Kontrollen blieben allerdings 20 bis 30 Fälle ungeklärt. Das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern untersagte inzwischen die »Ortsverbringungen«. Der Vater eines ebenfalls von einer »Ortverbringung« Betroffenen stellte Strafanzeige gegen die Polizei. Zu dem tödlich endenden Einsatz am 6. Dezember 2002 kam es, nachdem Wolfgang Hühr in einem Sky-Markt in Stralsund wegen seines Alkoholkonsums zusammenbrach und einige Minuten bewusstlos am Boden lag. Die Rettungssanitäter stellten keine »übermäßige Alkoholisierung« fest und übergaben den alkoholkranken Mann in die Obhut der Polizeistreife. »Das ist ein Fall für Euch.«

Hühr, mit einem Blutalkoholwert von ca. 3,5 Promille, wurde in den Transporter gebracht und musste sich auf den Boden setzen. Es erleichtere die Fahrzeugreinigung, nachdem »alkoholisierte Bürger manchmal im Streifenwagen erbrechen oder urinieren«, so die Erfahrung des Angeklagten Rainer V. Während er den 35-Jährigen »zur Raison« brachte, fuhren die Beamten nach Freienlande, ein Vorort Stralsunds. Es ist etwa 20 Uhr, als sie dort ankommen. Unklar ist, da widersprechen sich die Anklage und die Aussage von Rainer V., ob Hühr von Rainer V.  rausgestoßen wurde und liegen blieb oder selbstständig das Fahrzeug verließ. Sicher ist aber, dass ein Spaziergänger den Toten am nächsten Tag ca. 200 Meter vom vermeintlichen Aussetzungspunkt entfernt fand. Laut Gerichtsmedizin soll der Tod zwischen 01.00 und 04.00 Uhr morgens eingetreten sein.

Die beiden Polizisten versuchten so lange wie möglich zu vertuschen, dass es sich bei dem Toten um Hühr gehandelt habe. Erst als ein eingeweihter Polizist das Schweigen aus Gewissensgründen brach, kam Licht ins Dunkel. Die Tatverdächtigen wurden noch am Heiligabend 2002 von der Staatsanwaltschaft vernommen. Aus Aussagen der Angeklagten gehen die Motive für die »Ortsverbringung« hervor. So berichtete ein Kollege der Angeklagten, Rainer V. hätte das Opfer als »Knastbruder« und »Dreckfresse« bezeichnet und weil der schon so lange im Knast gesessen hätte, sei es nicht schade um ihn. Der Angeklagte Ronny D. möge auch keine alkoholkranken Menschen, weshalb er die Aussetzung befürwortete.

Die Variante Ausnüchterungszelle wäre ein Mehraufwand gewesen. Weil die Streife an diesem Abend nicht noch einmal wegen Hühr zum Einsatz kommen wollte, sollte der Ort der »Verbringung« möglichst weit weg von Stralsund sein. Auch in anderen Bundesländern, wie z.B. in Berlin, gehören »Stadtrandverbringungen« von Obdachlosen zum Polizeialltag. An dieser menschenverachtenden Praxis hat sich auch seit dem Tod von Wolfgang Hühr nichts geändert.