Die Ausschreitungen in Oldham, Burnley und Bradford
»Searchlight« aus Großbritannien (Gastbeitrag)In der Nacht vom 26. auf den 27. Mai explodierte die Gewalt in den Straßen der nordwestenglischen Stadt Oldham, als sich junge asiatische MigrantInnen in dem verarmten Viertel Glodwick Straßenschlachten mit Sondereinheiten der Polizei lieferten. Die Ausschreitungen in Oldham sind Folge rassistischer Übergriffe und sozialer Verelendung. Die Ereignisse in Oldham waren nur der Auftakt für eine ganze Reihe von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen asiatischer Herkunft und der Polizei in ehemaligen Textilindustrie-Städten im Norden Englands - alle wurden durch faschistische Provokationen ausgelöst. Innerhalb eines Monats breiteten sich die Auseinandersetzungen von Oldham in die Städte Burnley und Bradford aus. Während der Auseinandersetzungen in Oldham, die britische und ausländische Medien fälschlicherweise als »Rassenunruhen « bezeichneten, wurden Brandsätze geworfen, Autos angezündet und mehrere Polizeifahrzeuge demoliert. Erst am frühen Sonntagmorgen beruhigte sich die Situation. Nachdem die Behörden die Probleme sowohl der MigrantInnen als auch der weißen Einwohner von Oldham 15 Jahre lang ignoriert hatten, waren sie nun endlich gezwungen, diese zur Kenntnis zu nehmen. Was in Glodwick geschah, waren keine »Rassenunruhen«, wie Politiker von New Labour und den Konservativen nach den Ereignissen erklärten. Im Gegenteil, es war der Ausbruch einer wütenden Frustration der asiatische EinwohnerInnen, aufgrund Massenarbeitslosigkeit, schlechter Wohnverhältnisse, Armut, rassistischer Politik und der Demütigungen durch die weißen Rassisten, von denen einige in faschistischen Gruppen wie der »British National Party « (BNP), der »National Front« (NF) und bei den Nazi -Terroristen von »Combat 18« (C18) organisiert sind. Der Funke, der das Pulverfass von Groll und Zorn zur Explosion brachte, war die Invasion faschistischer Gangs in Glodwick, die Häuser von asiatischen Einwohnern angriffen, Fenster einwarfen, ihr Eigentum und ihre Geschäfte zerstörten und eine schwangere Frau überfielen.
Genug war genug.
Die Geduld der asiatischen Community, die sie in den vergangenen sieben Wochen faschistischer Übergriffe und medialer Herabwürdigung gezeigt hatte, war erschöpft, und den jugendlichen blieb keine andere Wahl, als auf den Straßen ihre Wohnungen, Familien und ihre Gemeinschaft militant zu verteidigen. Nach diesen so genannten Unruhen zeichneten die Medien ein verdrehtes Bild, das nur wenige - außer den Rassisten, deren Gewalt die Situation erst hervorgerufen hatte - zufrieden stellen konnte. Zeitungen und Fernsehsender käuten die Medien-Erfindung wieder, wonach sich asiatische Viertel wie Glodwick in No-Go -Areas für Weiße verwandelt hätten. Eine Lüge, die einige Wochen zuvor selbst von der Polizei widerlegt worden war. Das schreckliche Foto des 76jährigen Kriegsveteranen Walter Chamberlain, der einen Monat zuvor von einigen Asiaten bei einem Überfall zusammengeschlagen worden war, wurde auf den Bildschirmen als Beweis angeführt. Radiosender und Zeitungen berichteten wiederholt über den Fall Chamberlain. Die Unterstellung, dieser Angriff, der von der asiatischen Community ebenfalls scharf verurteilt wurde, sei rassistisch motiviert gewesen, war ebenfalls eine Lüge, die von Chamberlain und seiner Familie unverzüglich zurückgewiesen wurde. Der plötzliche Einfall einer gewalttätigen Bande organisierter Faschisten und rassistischer Hooligans in Glodwick wurde von der Presse kaum erwähnt, so dass die Opfer der Gewalt als die Verursacher dargestellt wurden. Vor dem 26. Mai hatten bezeichnenderweise wenige Menschen im Ausland von Oldham gehört. Oldham ist eine verarmte Stadt, in der früher vor allem die Kohle- und die Textilindustrie dominierten. Als der Kohlebergbau Ende der fünfziger Jahre eingestellt wurde, blieben nur 150 Textilbetriebe und einige wenige Maschinenfabriken übrig. Die brutale Politik gegen die Arbeiterklasse durch die Regierung Thatcher beseitigte in den 80er Jahren den verbliebenen Rest von Industrie und Arbeitsplätzen. Die Konsequenzen des wirtschaftlichen Niedergangs wurden dadurch verschärft, dass zwischen 1950 und 1980, bedingt durch die Anforderungen des kapitalistischen Arbeitsmarkts, eine demographische Veränderung stattgefunden hatte. Der Arbeitskräftemangel wurde durch MigrantInnen vom indischen Subkontinent behoben. Der größte Teil der Einwanderinnen wurde gettoisiert. Die Wohnungspolitik drängte die Asiatinnen in die ärmsten Teile der Stadt, und die Arbeitsbedingungen in den Textilbetrieben rührten zu der Bezeichnung »Paki-Schicht«, gemeint war die Nachtschicht. Unter den 219.000 EinwohnerInnen von Oldham sind 24.600 asiatischer Herkunft, wovon 14.000 aus Pakistan, 9000 aus Bangladesch und 1600 aus Indien kommen. Die Arbeitslosigkeit ist seit dem Zusammenbruch der Textilindustrie hoch, und die gesamte Arbeiterklasse - ob MigrantInnen oder Weiße - lebt seither an der Grenze zum Existenzminimum. Am härtesten hat es die asiatische Community getroffen: 25 Prozent der aus Bangladesch und 16 Prozent der aus Pakistan stammenden ArbeiterInnen sind arbeitslos. Ebenso wie die weiße Arbeiterklasse, um ihre Jobs gebracht und von den Politikern ignoriert wurde, muss die asiatische Community in einer zunehmend rassistischen Umgebung und unter zunehmender Gettoisierung für sich selbst sorgen. Die Zahl der rassistischen Übergr iffe in der Stadt ist eine der höchsten in Großbritannien, wie eine Statistik des Polizeichefs von Oldham, Eric Hewitt, zu bestätigen scheint. Nach dieser Statistik werden die meisten »rassistischen« Straftaten allerdings von aus Pakistan und Bangladesch stammenden EinwohnerInnen an Weißen begangen. Dabei wird der Umstand ignoriert, dass nur wenige Asiaten sich noch die Mühe machen, die zahlreichen Angriffe von Weißen überhaupt anzuzeigen. Mit Statistiken lässt sich alles beweisen und diejenigen von Hewitt waren das Signal für Rassisten, nach Oldham zu kommen, um die »weiße Rasse« zu verteidigen. Eine von der Polizei gelobte Aktion der BNP »gegen rassistische asiatische Übergriffe« vor dem Polizeigebäude in Oldham führte im März zur Eskalation der angespannten Situation. Dies geschah inmitten einer rassistischen Kampagne von Medien und Politikern gegen »falsche« Asylbewerber. Von der BNP angeleitet, wüteten an den folgenden Wochenenden die NF, C18 und Hooligans in asiatischen Siedlungen und veranstalteten Demonstrationen. Selbst als samtliche Kundgebungen in der Stadt verboten und 500 zusatzliche Polizisten eingesetzt wurden, um dieses Verbot durchzusetzen, marschierten am 5. Mai die NF und Hooligans auf. Versuche der Polizei, die Rassisten unter Kontrolle zu halten, erwiesen sich als völlig ineffektiv; anschließend griffen sie ein mehrheitlich von Asiaten bewohntes Gebiet an. Am 26. Mai hatte dieser marodierende Mob das Stadtzentrum tatsächlich in eine No-Go-Area verwandelt - sowohl für Asiaten als auch für Weiße, die einkaufen gehen wollten. In der Überzeugung, sich ungehindert bewegen zu können, versammelten sich die Faschisten anschließend in einem Pub an der Grenze zu einem asiatischen Wohngebiet. Dort wurden sie von der Polizei festgehalten und spater in Sechsergruppen freigelassen. Ihre weiteren Bewegungen wurden nicht beobachtet, aber ihr Ziel war Glodwick. Die Folgen sind ist bekannt: Die so genannten »Rassenkrawalle« und eine erhebliche Zunahme an Stimmen für die BNP bei den Parlamentswahlen. 6552 Stimmen (26,4%) in Oldham-West, 5091 (11,2%) in Oldham-Ost, 4151 (11,3%) im nahegelegenen Burnley. AntifaschistInnen in Oldham stehen jetzt vor der schweren Aufgabe, die rassistische Flut einzudämmen und zurückzudrängen. Eine der schlimmsten Folgen der Ereignisse von Oldham waren Angst, Unsicherheit und Spannung in anderen Orten. Nur 30 Kilometer entfernt liegt die frühere Textilindustriestadt Burnley, wo 6000 Einwanderinnen aus Bangladesch und Pakistan wohnen. Die soziale und wirtschaftliche Lage der Stadt ähnelt der von Oldham. Mit einer Wahlkampagne, die Angst und Frustration der weißen Arbeiterklasse ausnutzte und den Einwanderinnen anstelle der Regierung Blair die Schuld zuschob, kam der Kandidat der BNP in Burnley bei den Parlamentswahlen auf 11,2 Prozent der Stimmen. In den drei Wochen vor den Wahlen hatte es die BNP geschafft, in Burnley genug Spannung zu erzeugen und die Atmosphäre zu vergiften, um einen Gewaltausbruch unvermeidlich werden zu lassen. Der Auslöser war der gewaltsame Angriff einer Bande weißer Rassisten auf einen Taxifahrer asiatischer Herkunft. Der Fahrer erlitt einen Wangenknochenbruch. Ein anderer Taxifahrer wurde im Gesicht verletzt, als Rassisten einen Stein durch die Windschutzscheibe warfen. Als die Ereignisse bekannt wurden, gingen asiatische Jugendliche auf die Straße und griffen zwei Kneipen an, in denen sich Rassisten treffen. Das Ausmaß an Gewalt war nicht allzu groß - doch brachte es die Polizei fertig, die Lage zu eskalieren, als Sahid Malik, Mitglied des Parteivorstandes der Labour Partei und der Kommission gegen rassistische Diskriminierung, mit einem Polizei-Schild geschlagen wurde. Darüber hinaus wurde eine antirassistische Veranstaltung verboten, an der aber trotz des Verbots 500 Menschen teilnahmen. Gegen die Faschisten, die die Auseinandersetzungen angezettelt hatten, wurde so gut wie nichts unternommen - nur vier Personen wurden wegen des Angriff auf den Taxifahrer verhaftet. Den Nazis war offenbar klar geworden, dass sie sich mit ihrem Wanderzirkus von Schlägern im gesamten Norden Englands bewegen und Auseinandersetzungen anzetteln können. Am 7. Juli war Bradford an der Reihe, als die NF ankündigte, einen Aufmarsch durchzuführen. Die Reaktion von Behörden und Polizei war zwiespältig. Innenminister David Blunkett verbot alle Demonstrationen in der Stadt. Der Stadtrat kapitulierte dagegen vor der NF und sagte den letzten Tag des multikulturellen Stadtfestes »Bradford Festival« ab. Am 6. Juli sprach der BNP-Chef Nick Griffin vor 150 Zuhörern in einem Stadtteil der weißen Arbeiterklasse, um rassistische Spannungen zu verstärken. Für den nächsten Tag rief die Anti-Nazi- League zu einer friedlichen Demonstration auf, an der 2000 Menschen teilnahmen. Nur wenige Nazis ließen sich sehen und bekannte Schläger der NF tauchten nicht auf; das änderte nichts an den Ursachen der Spannungen. Am Nachmittag verließ eine Gruppe Schläger, die von dem psychotischen C18-Mitglied David Appleyard geführt wurde, eine Kneipe und begann auf der Straße, Menschen mit asiatischem Aussehen zu verhöhnen. Ein asiatischer Junge wurde bis zur Bewusstlosigkeit zusammengeschlagen. Appleyard wurde kurz später verhaftet. Wieder einmal war der Schaden angerichtet. Wieder einmal hatte die Polizei gezeigt, dass sie aus ihren Fehlern in Oldham nichts gelernt hatte. Anstatt die Nazis von der Straße zu holen, sobald sie sich zeigten, ermöglichte sie es ihnen, sich über das Demonstrationsverbot lustig zu machen. Als am Abend die Gewalt ausbrach, waren die meisten Teilnehmerinnen der Antifa-Demonstration nach Hause gegangen. Es steht außer Zweifel, dass die Spannung am Nachmittag entstand, und dass die Empörung darüber, dass die Polizei keine angemessenen Maßnahmen gegen die Nazis ergriffen hatte, zu den Ereignissen am Abend beitrugen. Allerdings war dies nicht der einzige Grund für die Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und mehr als 1.000 asiatischen Jugendlichen, bei der die Polizei mit Steinen, Flaschen, Molotowcocktails, Feuerwerkskörper und Hämmern angegriffen wurde. Die Gründe sind weit komplizierter: Ausschluss vom politischen Leben, wirtschaftliche Marginalisierung, getrennte Wohnbezirke und Schulen für Weiße und Einwanderinnen, sowie ein Demokratiedefizit. (Die Wahlbeteiligung sank in Oldham, Burnley und Bradford um 18 Prozent.) Dennoch unterscheiden sich die Ereignisse in Oldham und Bradford. In Bradford gab es eine Beteiligung von islamistischen, klerikal-autoritären Fundamentalisten, die die Hamas unterstützen, von Gangs von Drogendealern aus der asiatischen Community, die die eigenen Leute terrorisieren, und von jungen Männern, die auf Ärger aus sind, um sich ihre Männlichkeit zu beweisen. Ein letzter Faktor war das klägliche Scheitern der Polizei, die EinwanderInnen vor rassistischen Angriffen zu schützen und das allgemeine Misstrauen gegen die Polizei, deren autoritäres Vorgehen ihnen wenige Freunde gemacht hatte. All diese Faktoren, angereichert um jede Menge Adrenalin, ergaben die explosive Mischung, zu der die Faschisten schadenfroh den Funken beisteuerten, den es brauchte, um die Situation zu eskalieren. Die Ereignisse des Samstag Abend haben keinerlei Unterstützung durch die EinwanderInnen-Communitys in Bradford gefunden. Im Gegenteil, sie wurden von Vertreterinnen der Communitys und Gewerkschaften - schwarzen, weißen und asiatischen - ebenso wie von den einfachen weißen, afrobritischen und asiatischen Menschen auf das Schärfste verurteilt. Auf Resonanz sind die Zusammenstöße dagegen bei weißen Jugendlichen gestoßen, die am nächsten Tag ein asiatisches Restaurant und eine Werkstatt im Besitz von Einwanderern angriffen. Dies geschah in derselben Gegend, in der Nick Griffin wenige Tage zuvor seine Veranstaltung durchgeführt hatte. Inzwischen sieht es somit aus, als plane die Regierung, den Rassismus mit Wasserwerfern und Tränengas zu bekämpfen. Bezeichnend für das Desinteresse der New Labour-Regierung ist, dass Tony Blair in den zwei Monaten, die die faschistischen Provokationen und die folgenden Unruhen schon andauern, sich nicht die Zeit genommen hat, auch nur eine der betroffenen Städte zu besuchen. Während der Norden Englands brennt, zünden die Faschisten das Streichholz an, schauen zu und spenden Beifall.
Der Artikel wurde uns von der internationalen antifaschistischen Zeitschrift »Searchlight« aus Großbritannien zur Verfügung gestellt.