»die leude woll`n dass was passiert«. Hip Hop gegen rechts
In Kooperation mit dem »Stern«, »eyedoo.de«, »Four Artists« und dem »Büro Lärm« hat die »Amadeu Antonio Stiftung« im April 2001 eine Hip Hop Tour gegen rechte Gewalt durch ostdeutsche Kleinstädte organisiert.
Hip Hopper und Skater sind im Osten oft die einzig wahrnehmbaren Gegenkulturen gegen den Neonazi-Mainstream. »Die Nazis sind dort stark, wo andere Jugendkulturen schwach sind«, erklärte die Amadeu Antonio Stiftung, »deshalb müssen nicht-rassistische Gruppen gestärkt und kulturelle Freiräume verteidigt werden«. Veranstalter der einzelnen Konzerte waren Initiativen vor Ort, denn die Tour sollte Begegnungen und Gespräche ermöglichen, einen Vernetzungseffekt erzielen und Mut für kommende Aufgaben machen. Neben den »großen Bands« standen daher auch die ortsansässigen Hip Hop Arts auf der Bühne. »So wird klar: Wir gehören zusammen und lassen uns nicht kleinkriegen.«
Wir dokumentieren die Mail einer Beteiligten, in der die Erlebnisse der Hip Hop AktivistInnen in Wurzen (Sachsen) geschildert werden.
"Hallo liebe Leute,
ich schreibe euch heute allen zusammen eine Mail, weil ich euch allen etwas berichten möchte, was ich erlebt habe. Zum Background: zur Zeit gibt es eine Hip Hop Tour gegen rechte Gewalt, die durch verschiedene Städte Ostdeutschlands geht. Die Tour steht unter dem Namen »die leude woll'n, dass was passiert« (Slogan von Fünf Sterne deluxe) und ist im Rahmen der Stern-Aktion »Mut gegen rechte Gewalt«. Ins Leben gerufen haben diese Tour der »Stern« und das »Büro Lärm«, für die ich diese Tour als Tourleitung begleite.
Wir sind in Städten wie Neustadt an der Orla, Wurzen, Eberswalde, Dessau und Bad Salzungen, weil dieses einige der Brennpunkte sind, in denen die Nazis die Überhand gewonnen haben. Ich möchte euch nun hier von unserem Aufenthalt in Wurzen am 21. April 2001 erzählen, weil ich das Gefühl habe, dass viel mehr Menschen darüber informiert werden müssen, was in dieser Stadt abgeht. Wurzen ist die erste Stadt, die sich national befreite Zone genannt hat. Demzufolge gibt es dort auch keine Ausländer, es gibt keine Dönerbude, es gibt kein italienisches Restaurant.
Das einzige Chinarestaurant, dass es dort gab, wurde solange terrorisiert, bis die Inhaber flohen. Die Anfangsbuchstaben vom Happy House (Name des Restaurants) wurden stehen gelassen und stehe heute für Heil Hitler. Die Nazis haben dort einen ihrer Treffpunkte eingerichtet, in dem sie sogenannte Heimatabende verbringen. Als wir in Wurzen ankamen, war sofort klar, dass wir dort alles andere als willkommen sind. Wir wussten zwar, dass Wurzen mit der härteste Termin auf unserem Plan war, doch was uns dort erwarten sollte, übertraf jede Vorstellung.
Zunächst muss gesagt werden, dass die Veranstaltung open air war, da die Stadt keinen Raum zur Verfügung stellen wollte. Vor Ort organisierte das Konzert eine Gruppe von Antifa Leuten, die (man kann es gar nicht glauben) in Wurzen und Umgebung wohnen. Diese Menschen sind alle um die 20 Jahre und wollen nicht aus Wurzen wegziehen, da sie sagen, dass sie den Kampf dann endgültig verloren haben.
Unsere Sprüher, die fester Bestandteil der Tour sind, fingen um 14 Uhr an, eine Mauer, die gegenüber des Geländes an einer Straße lag zu bemalen. Von Anfang an wurden sie von vorbeifahrenden Nazis bedroht. (Heute Nacht krieg ich dich. ich töte euch. etc.) Von der vorher abgesprochenen Polizeistreife zu unserem Schutz war nichts zu sehen. Um ca. 15 Uhr hielten zwei Polizeiautos vor der Mauer. Die Polizisten stiegen aus und verlangten von den Sprühern die Sprüherlaubnis. Reine Schikane, wenn ihr mich fragt, denn logischerweise war die ganze Veranstaltung (also auch das Sprühen) genehmigt und angekündigt.
Von Anfang an trat die Polizei sehr unfreundlich und äußerst unkooperativ auf. Einer der Sprüher, der chinesischer Abstammung ist, filmte die ganze Aktion mit seinem Camcorder. Plötzlich nahmen die Polizisten ihn und wiesen ihn an, ihnen ins Polizeiauto zu folgen. Es gab überhaupt keine Erklärung bzw. rechtliche Grundlage zu dieser Aktion. Ich versuchte herauszufinden, was dem Sprüher vorgeworfen wird, aber schon bald war klar, warum gerade er ausgesucht wurde. Ich bekam keine Antworten auf meine Fragen. Er musste seinen Film löschen und seine Personalien angeben. Dafür gibt es ebenfalls keine rechtliche Grundlage.
Reine Schikane! Als mir einer der Polizisten dann sagte, dass der Sprüher dort festgehalten wird, weil er ja erst einmal seinen Namen buchstabieren müsse (»oder können sie etwa vietnamesisch ?«), war die Situation kurz vor dem eskalieren. Deshalb und natürlich auch, weil wir die Presse hinter uns haben (»Stern« und »Focus« waren anwesend), wurde der Sprüher schließlich wieder frei gelassen. Von da an war klar, dass die Polizei, die uns eigentlich beschützen sollte, nicht wirklich auf unserer Seite steht.
Ein Einsatzwagen stellte sich dann eine zeitlang neben die Mauer, und tat so, als würde er aufpassen. Einer der Polizisten in diesem Auto war der Vater des NPD-Vorsitzenden dieser Stadt. Ein weiteres Beispiel für die Parteiorientierung der Polizei: Ein einzelner Nazi geht an ca 30 Sprühern vorbei und sagt ganz selbstbewusst, dass er heute Nacht alle tötet. Dann geht er um die Ecke und begrüßt die schon erwähnten Polizisten. Das Konzert verlief reibungslos. Wir bekamen so viel Dankbarkeit entgegen und merken wie in Neustadt, dass es so wichtig ist, etwas für die Menschen zu tun, die gegen diese Nazis kämpfen. Ich habe tiefsten Respekt vor diesen Leuten, die dort täglich verprügelt oder aus Bussen geschmissen werden und den Kampf trotzdem nicht aufgeben !!!
Als das Konzert zuende war und der Großteil des Publikums zu Hause und die Bands im Hotel waren, tauchten plötzlich ca. 50 Glatzen auf dem großen Parkplatz vor dem Konzertgelände auf. Von der Polizei war zunächst nichts zu sehen. Unser Sicherheitschef konnte die Nazis mit seinen Leuten einkesseln und eine Straße hoch »treiben«. Dann tauchte auch die Polizei auf, die sich (mal wieder) äußerst unkooperativ verhielt.
Doch nach einem Gespräch des Einsatzleiters mit Anetta Kahane von der »Amadeu Antonio Stiftung«, die während der ganzen Tour dabei ist, gaben die Polizisten ein Versprechen, dass sie auf dem Parkplatz blieben, bis alle Beteiligten den Ort verlassen hatten. Immer wieder tauchten Nazis aus der Dunkelheit auf. Im fünfer Konvoi fuhren wir (A. A. Stiftung, Sprüher, Focus, Fotograph und ich) dann mehr oder weniger fluchtartig mit unsrem Sicherheitschef in unser Hotel, dessen Besitzer übrigens einen der NPD Jugendclubs durch Geldspenden unterstützt.
Auf dem Weg bekamen wir dann noch zum Abschied den Hitlergruß. Ich finde es sehr wichtig, dass ich möglichst vielen Menschen mitteile, was in dieser Stadt abgeht. Wir erfahren viel aus den Medien, nehmen das auf, und denken, dass das schon schlimm ist, aber dass da ja eh nichts passieren kann. Das sind doch nur so ein paar, Vollidioten, die so denken. Man kann sich das aber nicht vorstellen, wenn man es nicht erlebt hat oder jetzt hört. Es ist wirklich so schlimm. Egal wohin du guckst, es leben dort nur Nazis (bis auf die handvoll Antifa-Leute). Der Stadtrat, Polizei - egal was - Nazis! und die, die keine Glatze oder Hitlerfrisur tragen, verschließen die Augen. Genau wie vor 50 Jahren.
Das ist dort ganz schlimm und ich wünschte mir, dass viel mehr Menschen davon etwas mitkriegen, damit das Problem ernst genommen wird. Auch wenn ich in meinem ganzen Leben noch nie solche Angst vor Menschen gehabt habe, bin ich sehr froh, dass ich diese Tour mitmache. Wie gesagt, die Menschen, die dort gegen die Nazis kämpfen, müssen viel mehr unterstützt werden. Ich würde immer wieder bei dieser Aktion mitmachen. Bei dem Konzert waren übrigens ca 400 Leute, die richtig gefeiert haben. Denen war es im Prinzip auch total egal, wer auf der Bühne steht. Hauptsache, es wird was für sie getan. Ich hoffe, ich konnte euch so einigermaßen eine Vorstellung geben, was in Wurzen (und nicht nur dort) abgeht."