„Rechtsdominiertes Outfit auf den Dörfern“. Ein Interview mit Antifas aus Schaumburg
Unter dem Einfluss von Kadern der »Freien Kameradschaften« und der westfälischen Sektion von »Blood & Honour« gründete sich in Schaumburg im Jahr 2000 eine Kameradschaft. Die Basis war ein rechter Mainstream, der nicht nur im Osten sondern auch in einigen ländlichen Regionen des Westens vorherrscht. Wir sprachen mit einer Gruppe vor Ort.
AIB: In Schaumburg wurde in letzter Zeit eine Kameradschaft aufgebaut. Ist das richtig?
Antifa: Die Nazis nennen sich hier »Nationale Aktionsfront« (NAF). Nach unserer Einschätzung ist Markus Winter der Anführer. Er wurde im Knast politisiert. Als er rauskam, hat er die NAF gegründet. Die Kameradschaft wird mehr und mehr strukturiert und unterstützt von Bernd Stehmann. Das ist ein Führungskader der »Freien Kameradschaften«, der hier und in der Region Ostwestfalen mehrere Gruppen aufbaut und anleitet.
AIB: Was hat sich dadurch für Euch verändert?
Antifa: Von der NAF wird sehr viel Propagandamaterial verteilt. In den letzten beiden Jahren vor allem Rudolf Heß-Plakate ohne Ende, in ganz Schaumburg. Unterstützt wurden sie dabei vom Stützpunkt der »Jungen Nationaldemokraten«. Die NAF verteilt auch viel Nazipropaganda an den Schulen. Das ist die politische Propaganda. Auf der anderen Seite ist die Gewalt ziemlich stark angestiegen. Leute, die links aussehen, oder vermeintliche Antifas wurden angegriffen. Das hat sich aber geändert, weil es wohl einen Überfall auf eine Nazi-Wohngemeinschaft in Steinbergen gab. Danach war es erst mal deutlich ruhiger. In Steinbergen war auch die Dorfbevölkerung von den Nazis eingeschüchtert.
AIB: Welche Dimension hat die Bedrohung und Gewalt der Neonazis?
Antifa: Das war schon organisiert. Die sind in ganz Schaumburg rumgefahren, um bestimmte Häuser anzugreifen bzw. Fensterscheiben bei Elternhäusern einzuwerfen, wo die Nazis dachten, dort würden AntifaschistInnen wohnen. Bei mehreren Häuser wurde mit Zwillen auf Türen und Fenster geschossen. Auf ein Haus wurde sogar ein Brandanschlag mit einem Molotowcocktail verübt.
AIB: Haben die Nazis im Landkreis eine Infrastruktur, Läden oder Versammlungsräume?
Antifa: Es gibt Kneipen, wo sie sich treffen und Wohngemeinschaften. Außerdem haben sie eine eigene Internetseite.
AIB: Hier in der Region existiert ein neonazistisches Tagungshaus, das »Collegium Humanum«. Hat das eine Funktion für die Szene?
Antifa: Unsere Einschätzung ist, dass das Collegium eine wichtige Adresse ist, auch für militante Nazis wie Bernd Stehmann oder Meinhard Otto Elbing.1 Dort findet ein Austausch statt, zwischen der sogenannten »Neuen Rechten« bis hin zur militanten Rechten. Im Collegium haben auch schon Nazikonzerte stattgefunden. Aber wichtiger ist es als ideologisches Zentrum. Auch für die Nazis auf der Straße, die mehr auf Gewalt aus sind. Denn dahinter steht ja eine Ideologie und die wird im Collegium vermittelt.
AIB: Welche Rolle spielen kulturelle Elemente, zum Beispiel Musik von Neonazi-Bands?
Antifa: Diese Art von Kultur ist in Schaumburg Mainstream. Das Outfit auf Dörfern ist klar rechts dominiert. Auch normale Jugendliche laufen mit Nazi T-Shirts rum, selbst wenn die nicht immer klar als Naziskins zu erkennen sind. Die Nazis haben sich da eine Anhängerschaft geschaffen. Dazu dienen die Konzerte und Strukturen von »Blood & Honour«. Im Januar diesen Jahres war ein Konzert von »Blood & Honour« in Bad Eilsen, wo viele Dorfjugendliche dabei waren, aber auch Kader wie Bernd Stehmann oder Dirk Fasold, den wir für den ehemaligen Sektionsleiter von »Blood & Honour« Westfalen halten.2 Bei den Konzerten treffen sich aufgrund der Musik Kader mit Dorfjugendlichen und mit Nazis, die ideologisch noch nicht gefestigt sind. Dadurch werden auf den Dörfern Strukturen aufgebaut und natürlich auch ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt.
AIB: Ihr würdet also die Einschätzung vertreten, dass es im Kreis einen rechten Mainstream gibt und die Neonazis von außen Kader reinbringen, die systematisch Kameradschaften aufbauen.
Antifa: Ja. Das waren vorher lose Zusammenhänge. Die haben sich zwar schon immer als Rechte definiert, aber da wurde viel gesoffen und Leute aus dem Suff heraus geschlagen. Jetzt haben sie sich so organisiert, dass es feste Strukturen sind. Dann gab‘s ältere Nazis, die aus dem »subkulturellen« Bereich kamen und Artikel schreiben in verschiedenen Fanzines. Die waren auch schon länger da, haben sich in der Öffentlichkeit aber nicht als Kameradschaft präsentiert.
AIB: Ihr habt von Neonazigewalt gesprochen. Kürzlich sind in Minden MigrantInnen angegriffen worden. Wie reagiert die Öffentlichkeit darauf? Was machen Gewerkschaften, Parteien oder die Polizei?
Antifa: In diesem sogenannten Antifa-Sommer wurde viel geredet, dann gab‘s Geld für Initiativen, also Sportvereine, die eh Kohle hatten. In Minden wurden Fußballturniere und Sportveranstaltungen unter dem Motto ‘gegen Rechts’ unterstützt. Die Polizei und der Staatsschutz machen nicht so viel. Zum Beispiel wurde das »Blood & Honour« Konzert in Bad Eilsen, obwohl das der Polizei bekannt war, nicht verboten. Der Einsatzleiter sagte, die Nazis hätten sich Okay verhalten und nicht sittenwidrig gehandelt. Nur in Steinbergen haben sie die Nazis etwas mehr im Auge. Da wohnt nämlich der niedersächsische Innenminister in der Nähe der Nazi-Wohngemeinschaft, und es kann ja wohl nicht sein, dass gewaltbereite Nazis in der Nachbarschaft vom Innenminister Terror ausüben. Zum Beispiel wurde da ein Aufmarsch verboten, den die Kameradschaft geplant hatte.
AIB: Gibt es Jugendszenen, Jugendzentren oder MigrantInnen, die sich wehren?
Antifa: Die subkulturellen Zentren in der Gegend sind geschlossen worden. Das waren meist selbstverwaltete Jugendzentren noch aus den 80er Jahren oder Anfang der 90er. Meist aus Geldmangel oder aufgrund des Mainstream, wo Subkultur nicht mehr soviel Bedeutung und wenig Unterstützung hatte. Viele Jugendzentren und Freiräume, auch autonome Freiräume, sind zugrunde gegangen. Es ist so, dass Jugendliche und MigrantInnen sich schon wehren, wenn sie angegriffen werden. Aber türkischstämmige MigrantInnen werden weniger angegriffen als z.B. Flüchtlinge. Die Nazis machen schon Unterschiede. Vor den MigrantInnen türkischer Herkunft haben sie vermutlich Angst, weil von denen mehr zurückgeschlagen wird. Momentan ist das Problem, dass die Nazis wahllos Leute anzeigen und der Staat aufgrund der Aussagen von Nazis die Leute mit Repressalien überzieht. Konkreter Fall ist derzeit, dass DNA-Proben von Jugendlichen gemacht werden sollen, die aufgrund von Gerüchten der Nazis angeblich auf einen Angriff gegen Nazis beteiligt gewesen sein sollen. Die Polizei geht rigoros gegen Antifas und Leute, die sich wehren, vor. Also von dieser sogenannten Zivilcourage ist in Schaumburg nicht viel zu sehen.
AIB: Trotz der Debatte um „Rechtsextremismus“ können Neonazis ihre Strukturen ausbauen, überall Kameradschaften aufbauen, ohne von gesellschaftlicher Seite dabei groß gestört zu werden. Gibt es eine Einschätzung Eurer Gruppe dazu?
Antifa: Es ist ‘In’ Nazi zu sein. Der Antifa-Sommer hat mehr Eindruck bei den anderen Leuten hinterlassen. Aber der Staat, von dem alle dachten, er sollte tolerant und liberal sein, ist auch nach rechts gegangen. Die Nazis werden ja benutzt, um rechtsstaatliche Freiheiten oder auch soziale Rechte einzuschränken. Zum Beispiel die Einschränkung der Reisefreiheit. Das fing bei den Hooligans an und wurde bei sozialpolitischen Demonstrationen wie jetzt in Genua angewandt.
AIB: Würdet Ihr Euch als autonome Antifagruppe bezeichnen?
Antifa: Ja.
AIB: Wie ist das Verhältnis zu anderen Gruppen und Institutionen. Arbeitet ihr mit denen zusammen?
Antifa: Ja, kommt drauf an. Wir machen mit vielen was zusammen. Wichtig ist erst mal, gegen ein rassistisches und rechtes Klima Widerstand zu leisten und dass Leute ehrlich mit dem Thema umgehen. Außerdem schauen wir natürlich über den Tellerrand »Nazis« auf andere Themen, wo wir systemkritisch agieren. Es ist wichtig, eine gemeinsame Basis zu finden. Dann arbeiten wir gerne mit anderen zusammen. Denn bedroht werden letztlich alle.
AIB: Wir danken für das Interview.