»Das sind ganz nette Jungs«. Mittelfranken – eine Bestandsaufnahme
Die Region Franken spielt seit Ende der achtziger Jahre bei der Entwicklung bzw. Umsetzung verschiedener rechtsextremer Strategien und Konzepte eine herausragende Rolle. Dominierende und Impulse gebende Kraft ist die NPD. Am Anfang dieser Entwicklung stand die Gründung des so genannten Deutschen Freundeskreis Franken (DFF) 1992 durch die JN-Kader Rainer Hatz und Jürgen Distler. Beteiligt waren alle wichtigen neonazistischen Organisationen in Nordbayern, von NPD/JN über die Deutsche Liga für Volk und Heimat bis hin zu den diversen GdnF-Gruppierungen.
Von Personen aus dem DFF stammt auch das viel erwähnte Konzept der »Befreiten Zonen«. Als Vorbild dafür diente u.a. die rechtsextreme Infrastruktur Frankens, die schon damals aus mehreren Betrieben, Versänden und Kommunikationsmitteln, wie Zeitschriften und Mailboxen, bestand.
Über Gewöhnliches und getäuschte Wähler
Die Bedingungen in Franken garantieren nahezu Laborbedingungen, um Strukturen aufzubauen und Anhänger zu rekrutieren. Vor allem in den ländlichen Gebieten Mittelfrankens findet man eine dominierende rechte Jugendkultur. Von immer größerer Bedeutung werden die Heimspiele des 1. FC Nürnberg, die förmlich zu Magneten für die rechte Jugendszene geworden sind.
Schlaglichter
Werfen wir einzelne Schlaglichter auf einige Dörfer und Städte der Region: In Ansbach ist Adolf Hitler auch im Jahr 2002 noch Ehrenbürger der Stadt. Die Ereignisse in Adelsdorf sollten ebenfalls nicht vergessen werden. Dort hat die »ganz normale« Dorfbevölkerung Teilnehmer einer Gedenkdemonstration der jüdischen Gemeinde anlässlich der Reichspogromnacht angespuckt und beleidigt. Oder betrachten wir Herzogenaurach, wo die Arbeiterwohlfahrt (AWO) mit dem NPD-Kreisverbandsvorsitzenden von Erlangen-Höchstadt, Ludwig Braun, und anderen Neonazi-Aktivisten diskutiert.
Oder sei es Nürnberg, wo die rechtsextreme Sammlungspartei Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) bei der Kommunalwahl im März 2002 ca. 2,3% der Stimmen erhielt und mit dem NPD-Landesvorsitzenden von Bayern, Ralf Ollert, nun einen Stadtrat stellt. In einzelnen Bezirken kam die BIA gar auf über 10%. Der Wahlkampf der BIA war, wie der Name verspricht, extrem rassistisch. In den regionalen Medien wurde ausführlichst über die rassistische Propaganda der BIA berichtet und diese auch als NPD-Tarnorganisation bezeichnet. Dennoch wurde sie gewählt und dennoch entschuldigten einige Parteien und Organisationen, darunter einige linke Gruppierungen, nach der Wahl die BIA-Wähler damit, dass diese von der Initiative ob ihrer Inhalte getäuscht worden seien.
Die Kandidaten der Bürgerinitiative setzen sich aus den verschiedensten Strömungen der Nürnberger rechtsextremen Szene zusammen. Der Großteil sind NPD-Mitglieder, wie z.B. Ralf Ollert oder die neue Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Nürnberg Irmgard Thomas. Daneben findet sich auf der Liste mit Oskar Brandner ein Gründungsmitglied des revisionistischen Arbeitskreises Zeitgeschichte und Politik e.V. aus Fürth. Außerdem kandidierten mit Marco Näser von den Nationalisten Nürnberg und mit Renate Donat von den Frauen in der Fränkischen Aktionsfront zwei Personen aus dem Kameradschaftsspektrum. Als Sprecher fungieren der ehemalige DVU’ler Gerhard Ittner und mit Michael Geissler ein regelmäßiger Referent des NPD-Think-Tank Staatsbürgerliche Runde.
Ich seh’ und ich hör nichts
Auf den Dörfern und in den Kleinstädten lässt sich ein Zusammenspiel von verschiedenen Akteuren feststellen. Zunächst ist meist eine neonazistisch geprägte Jugendgewalt zu beobachten. Missliebige Personen werden attackiert. Der Unterschied zu Teilen der übrigen Bevölkerung besteht lediglich darin, öffentlich Gewalt auszuüben. In dieser Situation treten organisierte Neonazis auf und versuchen, das jugendliche Potenzial an sich zu binden und ideologisch zu festigen.
Dritter und entscheidender Akteur sind die angeblich Unbeteiligten und deren örtliche »Eliten«. Würden sich diese gegen die Übergriffe und Einschüchterungsaktionen stellen, hätten Nazis dort keinen Auftrag. Statt dessen läuft das altbekannte Schema ab: Die Neonazi-Schläger sind »liebe Burschen« und vor allem, es sind »unsere«. Wird doch über sich häufende Übergriffe in den Medien berichtet, sind es die Auswärtigen, welche das Dorf schlecht machen wollen oder aber einzelne Nestbeschmutzer, die nicht mehr »zu uns gehören«. Die Polizei sieht in den meisten Fällen nichts oder aber ganz normale Streitereien zwischen Jugendlichen. Was sie aber sieht, selbst wenn sie nichts sieht, ist, dass es kein rechtsextremes Problem gibt.
Schema 88
Die Rekrutierungsversuche laufen in der Region immer relativ identisch ab. Einzelne Kader suchen die örtlichen Treffpunkte auf, spendieren Freibier und verteilen dazu Propaganda. Als Auffangbecken für Interessierte fungieren als »Breitenorganisationen« die Nationalisten Nürnberg (NN) und die Fränkische Aktionsfront (FAF). Sie bieten ein vielfältiges Angebot an, das die gesamte Palette der rechtsextremen Erlebniswelt abdeckt. Der Inner-Circle der Nürnberger Kameradschaftsszene firmiert unter dem Namen Aryan Hope. Dabei handelt es sich um eine »elitäre« Gruppe, die ihre Anwärter selbst auswählt. In einer Selbstdarstellung beschreiben sie sich als ein weltweites »Netzwerk von Kampfgemeinschaften«. Entstanden ist Aryan Hope in den USA und ist dort im Umfeld des Ku-Klux-Klans anzusiedeln.
Tonangebende Person in ideologischen Fragen ist Mathias Fischer. Er orientiert sich dabei an nationalrevolutionären bzw. vulgär-linken Positionen, wie der Solidarität mit der ETA und dem »palästinensischen Befreiungskampf«. Für einen schlauen Kopf hält sich auch der NN’ler Rene B. Deswegen besucht er regelmäßig Veranstaltungen der Burschenschaft Frankonia. Er ist die Kontaktperson zum Freiheitlichen Volksblock (FVB). Der FVB sorgte Ende der neunziger Jahre durch verschiedene öffentliche Auftritte und sein elitäres Gehabe bundesweit für Aufsehen. Mit der Inhaftierung des FVB-Chefs Konrad Petratschek wegen Bandendiebstahls und der Übernahme der Führung durch Thomas Scharf begann der Stern des FVB zu sinken. Heute beschränken sich die politischen Aktivitäten auf Theoriediskussionen.
Für Aktivitäten im mittelfränkischen Raum wurde die Fränkische Aktionsfront initiiert. In einem Konzept beschreiben sie als ihr Ziel, »auf antinationale Politik aufmerksam machen zu wollen«. Die politischen Aktivitäten sollen sich dabei »hauptsächlich gegen System, Kapital und Antifa« richten. Kern der FAF ist die IG WIR. Erstmals öffentlich aufgetreten ist die FAF zusammen mit der NPD bei einer Anti-Antifa-Kundgebung im Mai 2001 in Herzogenaurach. Im selben Jahr wurde der Zusammenschluss Frauen in der FAF gegründet.
Das Hauptbetätigungsfeld der NN und FAF ist der Bereich Anti-Antifa, wobei es eine intensive Zusammenarbeit mit NPD/JN und »ehemaligen« Blood & Honour-Aktivisten gibt. Dabei kann auf einen fast 15-jährigen »Erfahrungsschatz« von Aktivisten aus der Region zurückgegriffen werden. Die Ergebnisse dieser »Feindaufklärung« wurden im mittlerweile eingestellten Fanzine »Der Landser« veröffentlicht. Betroffen waren liberale Lehrer, antifaschistische Jugendliche bzw. Einrichtungen und Neonazi-Aussteiger. Dass es meistens nicht bei diesen Veröffentlichungen bleibt, zeigen die regelmäßigen Angriffe bzw. Übergriffe auf zuvor veröffentlichte Läden oder Personen.
Anti-Antifa
Ein Teil der Anti-Antifa koordiniert die Arbeit, indem er Aufgaben an Personen erteilt, die sich oft nur am Rande der Neonazi-Szene bewegen. Die in den meisten Fällen unbekannten Personen können sich unauffällig bewegen und außerdem kann überprüft werden, wie zuverlässig sie sind. Einer der Schlüsselfiguren dieser Strukturen ist nach wie vor der Norman Kempken aus Nürnberg.
Gefestigte Strukturen
In Mittelfranken ist es gelungen, eine rechte Jugendkultur zu etablieren. Nicht-rechten Jugendlichen bleibt in den meisten Fällen nur der Wegzug in die Großstädte. In weiten Teilen des ländlich geprägten Bezirks finden sich Gesellschaftsstrukturen, wie sie bislang nur in einigen Regionen in Ostdeutschland beobachtet worden sind. Journalisten, die Westdeutschland als das bessere Deutschland sehen, dürften hier ihren Meister finden. Vor allem, wenn man bedenkt, dass der Grundstock für eine äußerst flexible und aktive Neo-Nazi-Szene, wie sie in Mittelfranken zu finden ist, bereits in den siebziger Jahren gelegt worden ist. Erwähnt seien an dieser Stelle die Aktivitäten der terroristischen Wehrsportgruppe Hoffmann, der ca. 500 Männer und Frauen angehörten.
Einzelne Kader, wie z.B. der Nürnberger NPD-Stratege Jürgen Schwab, der Anti-Antifa-Drahtzieher Norman Kempken und die NPD’ler Jürgen Hatz und Ralf Ollert sind seit über zehn Jahren maßgeblich an den diversen Aktivitäten der rechtsextremen Szene beteiligt. Dadurch ist die so genannte Bewegung in der Region relativ stabil und arbeitet kontinuierlich. Und falls die NPD in den nächsten Jahren doch verboten werden sollte, findet sich hier bereits eine gefestigte Struktur aus den diversen Vorfeldorganisationen, die bruchloses Weiterarbeiten ermöglicht.