Münchens brauner Gürtel
Thies MarsenSeit jeher »nationalbewusst« – das Münchner Umland zwischen Freikorps, Dachau und der CSU
Der Weg führt durch einen Seiteneingang auf den Appellplatz. Eigentlich müsste man genau von der anderen Seite aus hereinkommen, durch das Haupttor mit dem Schriftzug »Arbeit macht frei«. Doch die Anlieger und die örtliche CSU-Stadtratsfraktion haben das bislang verhindert. Vor dem Ausgang der Ausstellung verstellt eine riesige Landkarte mit den Außenlagern des Konzentrationslager Dachau den Weg: Kleine Punkte, die sich durch Südbayern ziehen – von Fischen im Allgäu bis Salzburg, von Bad Tölz bis Landshut.
»Bei Dachau sehen wir uns wieder«, hatte der kommunistische Reichstagsabgeordneter Hans Beimler den Nazis vor der Machtergreifung zugerufen – in Erinnerung an den April 1919. Damals hatte die Rote Armee der Münchner Räterepublik in Dachau die Weißen Konterrevolutionäre zurückgeworfen, die auf München zu marschierten. Die »Weißen« gewannen doch und richteten in München ein Blutbad unter den linken Revolutionären an. Viele der Mörder kamen aus dem Münchner Umland – so erlangte das Freikorps Oberland traurige Berühmtheit bei der Zerschlagung der Räterepublik. Der Traditionsverband des Freikorps Oberland trifft sich bis heute südöstlich von München, um vergangener Heldentaten zu gedenken.
München geriet nach 1919 zur Ordnungszelle, der vom sozialistischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner ausgerufene »Freistaat« zur Haftanstalt für Linke, während sich die Rechtsradikalen auf den Putschversuch vorbereiteten. In München und Umgebung organisierten sie sich, machten Schießübungen in Schützenvereinen und schulten sich ideologisch mit antisemitischen Hetzblättern. Und als ein aus dem Nebel der Münchner Bierkeller aufgestiegener Führer 1923 zum Sturm auf die Feldherrnhalle rief, strömten sie begeistert aus dem Umland in die »Hauptstadt der Bewegung«. Ihr Führer wurde in »Ehrenhaft« genommen und brachte in Landsberg acht Monate lang seine Ideen aufs Papier und später unter dem Titel »Mein Kampf« unters Volk.
»Bei Dachau sehen wir uns wieder.«
Nach der Machtübernahme inhaftierten die Nazis Hans Beimler im ersten Konzentrationslager, das Münchens Polizeichef Himmler im März 1933 hatte einrichten lassen – Dachau. Beimler konnte fliehen, Hunderttausende nicht: Dachau wurde zum Synonym für die Verfolgungspolitik der Nazis. Es war die Schule der SS-Wachmannschaften und KZ-Kommandanten und diente als Vorbild für alle weiteren Konzentrationslager. Dachau war die Ausbildungsstätte der Mörder. Und kurz vor der Befreiung geriet es zum Endpunkt des Holocaust. Als die Vernichtungslager im Osten längst befreit waren, starben Tausende von Juden weiterhin in den Dachauer Außenlagern, in den Arbeitskommandos der Firmen, die auch nach 1945 die Elite der Bauindustrie bilden sollten: bei Moll, bei Holzmann und bei Dyckerhoff & Widmann in den KZ-Außenlagern Mühldorf und Landsberg. Der Nationalsozialismus war zu seinem Ausgangspunkt zurückgekehrt: Münchens braunem Gürtel.
Die US-Amerikaner wussten um die Symbolik, als sie in der Landsberger Haftanstalt mehr als 200 Naziverbrecher hinrichteten. Doch nicht einmal ein Jahrzehnt später war das Kriegsverbrechergefängnis aufgelöst, die Kasernen mit Namen von Wehrmachtsgenerälen geschmückt und erneut von deutschen Soldaten bezogen, die meisten Täter wieder im Amt und die Spuren ihrer Taten fast getilgt.
Die Schützenvereine und Gebirgsschützen, die das Rückgrat der aufstrebenden Nazis waren, durften wieder an die Waffen und die Kriegsveteranen gedachten wieder ihrer Helden. Kaum war das Besatzungsstatut 1955 gefallen, marschierten die Veteranen der Gebirgsjäger vor der Feldherrnhalle auf - wenige Jahre zuvor hatten sie eine Blutspur durch Europa gezogen: Mehr als 50 Massaker an der Zivilbevölkerung sind belegt. Auf ihre Kriegstaten sind sie bis heute stolz: Auch im Jahr 2003 kamen wieder Tausende Gebirgsjäger zum Pfingsttreffen bei Mittenwald – und während vorne unter den zwei riesigen Stelen des Gebirgsjäger-Denkmals die CSU-Landtagsabgeordnete, der Landrat, der Bürgermeister und die Pfarrer sprachen, schwoll so manchem Veteranen die Brust unterm Hakenkreuz-Orden.
Der Weg nach Mittenwald von Norden her beginnt in Murnau. Gerade hat der Gemeinderat es abgelehnt, ein Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus aufzustellen. Seit damals habe es so viele Verbrechen gegeben und die würden bei so einem Denkmal nicht berücksichtigt, so die Begründung.
Zwischen Mittenwald und Murnau liegt Garmisch-Partenkirchen. Hier sind die Hinterlassenschaften der NS-Zeit noch deutlich zu sehen und die Einwohner sind stolz darauf: Das Olympiastadion mit den kraftstrotzenden Germanen-Figuren ist beliebtes Ausflugsziel. Hier feierten die Nazis 1936 mit den Winterspielen die Generalprobe für die große Propaganda-Show der Olympischen Spiele in Berlin. Bevor die internationalen Athleten eintrafen, hatte man die »Juden raus«-Schilder rund um Garmisch vorsorglich abmontiert – ebenso die Schilder an der Verbindungsstraße nach München, die Juden vor Kurven aufforderten, schneller zu fahren.
Als Garmisch-Partenkirchen, das sich noch immer »Olympiadorf« nennt, 1996 die 60. Wiederkehr der Nazi-Spiele feierte, standen solche Details natürlich nicht in der Festschrift. Kein Wunder: Hatte der Bürgermeister doch darauf bestanden, dass die Chronik von Gert Sudholt verfasst wurde, dem langjährigen Vorsitzender der rechtsextremen »Gesellschaft für freie Publizistik« und Besitzer der »Verlagsgemeinschaft Berg« (VGB), zu der gleich drei rechtsextreme Verlage gehören.
Sudholt, Autor des im Gefängnis verfassten Buches »In Haft – Persönliches und politisches Tagebuch eines deutschen Verlegers«, schätzt das Voralpenland. Jahrelang residierte der Herausgeber des inzwischen eingestellten rechten Strategie- und Theorieorgans »Opposition« am Starnberger See. Als ihm baurechtlicher Ärger drohte, siedelte er an den Ammersee über. In der »Alten Brauerei« in Stegen, einem Kulturzentrum, hat Sudholt nun eine neue Heimat für seine Verlage gefunden. Vor seinem Büro liegen Bücher von Horst Mahler und Franz Schönhuber. Unklar bleibt, ob der Besitzer der »Alten Brauerei«, ein Rechtsanwalt aus Starnberg, den verurteilten Volksverhetzer Sudholt aus Überzeugung oder aus Geldnot nach Stegen holte.
Geldnot kennt Dr. Gerhard Frey nicht: Auf 250 Millionen Euro wird sein Vermögen geschätzt. München ist die Zentrale seiner Deutschen Volksunion (DVU) und seines Verlags- und Zeitungsimperiums. Frey hat stets gute Beziehungen zu Leuten gepflegt, die nach 1945 im politischen Zentrum der Bundesrepublik waren: Zum Gründer und ersten Chef des Bundesnachrichtendienstes, Reinhard Gehlen, ebenso wie zu dem Münchner Rechtsprofessor und einstigen bayerischen Kultusminister Theodor Maunz, der nicht nur den Kommentar zum Grundgesetz verfasste, sondern der DVU auch mit juristischen Gutachten aushalf und unter Pseudonym in Freys Nationalzeitung publizierte. Gerhard Frey wohnt vor den Toren Münchens und kann darauf vertrauen, in Ruhe gelassen werden. So wie der Theresienstadt-Schlächter Anton Malloth, der jahrelang in einem Altersheim in Pullach residierte; so wie die »Stille Hilfe«, die von München aus NS-Verbrechern wie ihm finanziell unter die Arme greift.
Denn in München legt man zwar Wert darauf, nicht mehr Hauptstadt der Bewegung genannt zu werden, lässt aber gleichzeitig Neonazis weitgehend gewähren. Während der sich gerne links-liberal gerierende Oberbürgermeister den linken Protest gegen die Nato-Sicherheitskonferenz 2002 mit einem bis dahin nie da gewesenen totalen Demonstrationsverbot zu unterbinden suchte, dürfen Neonazis in München immer marschieren.
Inzwischen nützen die Rechten diese Freiräume und die Schwäche der örtlichen Antifa immer dreister aus: Seit Anfang 2003 haben sich Neonazis und Rechtskonservative in München zu einem Projekt zusammengetan: Unter dem Titel »Demokratie direkt« läuft der Versuch der regionalen Selbstorganisation rechter Gruppen über Parteigrenzen hinweg. Die Allianz reicht vom Republikaner-Stadtrat Johann Weinfurtner über Anhänger der »Deutschlandbewegung« Alfred Mechtersheimers bis hin zur »freien Kameradschaft« um Martin Wiese.
Der braune Gürtel zieht sich zu. Nicht nur, dass die Kameradschaften und militanten Neonazi-Skins, die bislang eher in der Provinz ihr Unwesen trieben, verstärkt in der Stadt Präsenz zeigen. Eines der vorrangigen Ziele von »Demokratie direkt« ist die Denunziation politischer Gegner. Und was der Verein regelmäßig auf seiner Homepage über linke Personen veröffentlicht, ist gut recherchiert. Als Ursprung mancher Infos kommen nur interne Quellen aus der linken Szene oder dem Verfassungsschutz in Frage. Die Anti-Antifa hat München erreicht.
Des Neonazi liebstes Kind aber bleibt die NS-Zeit. Dreimal schon sind die Rechten in München gegen die »Wehrmachtsausstellung« aufmarschiert. Bei der CSU, die beim ersten Mal noch den ideologischen Schulterschluss mit den Neonazis suchte, ist man inzwischen klüger geworden. Nicht einmal Peter Gauweiler wollte noch laut an den Verbrechen deutscher Wehrmachtssoldaten zweifeln, als die Ausstellung das zweite Mal an der Isar gastierte. Denn die bayerische Staatspartei hat inzwischen die Taktik gewechselt: Früher schwieg man über die Verbrechen, ließ buchstäblich Gras über die Tatorte wachsen. So sind von den elf KZ des Kauferinger Außenlagerkomplexes, wo bis zum April 1945 15.000 Menschen ermordet wurden, nur noch ein paar Überreste eines einzigen Lagers erhalten – weil eine private Initiative den Grund aufkaufte. Seither liegt sie in endlosem Streit mit Stadt und Staat. In Dachau dauerte es zwanzig Jahre, bis die Überlebenden dort endlich eine Gedenkstätte durchgesetzt hatten, dreißig weitere, bis 1995 erstmals ein bayerischer Ministerpräsident dieser einen offiziellen Besuch abstattete.
Am 50. Jahrestag der Befreiung besuchte Stoiber Dachau, bewilligte Gelder für den Umbau und eröffnete sich so die Möglichkeit, bei der Darstellung der Vergangenheit mitzureden. Gerade wurde eine Gedenkstättenstiftung gegründet, in der Kommunalpolitiker und Staatsminister das Sagen haben, während die Organisationen der Überlebenden draußen bleiben – und, wie die VVN/BdA, als demokratiefeindlich weiter vom Verfassungsschutz überwacht werden.
In der neuen Ausstellung des KZ, die gerade eröffnet worden ist, wird darüber berichtet, wie Dachauer Firmen Geschäfte mit dem KZ machten. Der Dachauer Oberbürgermeister war darüber so erbost, dass er drohte, Ähnliches in Zukunft zu verhindern. Den Zugang durchs Haupttor hat die Stadt Dachau auch so erfolgreich blockiert – die Besucher der Gedenkstätte müssen das einstige Lager weiterhin durch einen Nebeneingang betreten.
Thies Marsen ist freier Journalist in München und arbeitet u.a. für den Bayerischen Rundfunk und die Wochenzeitschrift Jungle World